Wie ich einmal fast in einem Sexshop einschlief
Etwas derangiert von einer turbulenten Herstellungswoche im Unterhaltungs- und Dekorationsgewerbe schnitt ich gestern nach der Arbeit durch die schafskalten Regenvorhänge schnell nach St. Pauli. In der Boutique Bizarre, dem wohl hübschesten und umfassend ausgestatteten Sex-Shop vor Ort, war wieder Kulturprogramm. Man ist ja dort sehr rührig, zeigt im Untergeschoß regelmäßig Kunst und veranstaltet auch Seminare zu fesselnden und einschlägigen Themen. Diesmal war es angenehm bestuhlt, und so sank ich hin, zwischen Nylons und Gummiwäsche, ein wenig erschöpft vom Produktionsalltag, noch fröstelnd vom eisigen Wind über der Reeperbahn, feucht vom Regen und nun dankbar über die warmen Kellerräume und das sanft gedimmte Licht. Zwei, drei atemkontrollierte Züge, schon sank ich - wie es Männer sonst nur in der Oper tun - in meinen Sitz, während auf einer flimmernden Monitorwand Dita etwas mit ihren Beinen vollführte, das Kinn fiel schwer mir auf die Brust, die Augen, wirklich, ich schloß sie nur für eine Sekunde! Vielleicht waren es auch ein paar mehr, eine Stimme schreckte mich hoch, Cornelia Jönsson war mittlerweile nach vorne gekommen und las aus ihrem SM-Roman Spieler wie wir. Umstandslos begann es mit einer Szene, in der ein Harness und zwei Dildos eine wichtige Rolle spielten, und ich dachte, da kann man sich für Bloggerlesungen ein Beispiel nehmen. Also was die Texte betrifft: Nicht langsam vortasten, gleich auf die Zwölf und bloß nicht einschlafen.
Ich war jetzt wach, die Autorin trug ein paar verhalten explizite Stellen vor, ich muß aber sagen, das Performative fand ich am Ende interessanter als den Text. In dem war leider auch viel von Vögeln die Rede, ein Begriff, den ich nur für die Tierart gelten lasse und ansonsten ein wenig albern finde. Als Lesebühne hat der Ort zudem etwas mit einer herausfordernden Akustik zu kämpfen. Es gibt leider keine Tonanlage, und die Kunden im Obergeschoß sorgen für Unruhe. Sagen wir es so: Man schläft halt nicht ein.
Sie
sagten so etwas, ja. Und was mir auch noch aus der Seele spricht: Dieses Wort! Das "geht gar nicht", wie man heute sagt. Jenseits von "Vögeln sollst du je-de-hen Tag / Frisches Wasser geben" (zur Melodie von
Alle Vögel sind schon da) und der Übersetzung von "My sister is good to birds" will ich das auch nicht mehr hören. Schlimmer ist wohl nur das merkwürdig asexuelle und infantile "Poppen". Quo vadis, Verbalerotik?
Ja, schlimm, schlimm, schlimm.
Das mit dem Sekundenschlafen habe ich den Wiener Fiakerkutschern abgeguckt. So kann ich auch nach 36 Stunden noch operieren.
Ja, lustig, haha. Mir streichen Lektorinnen reflexartig "Sex haben" raus (Anglizismus! The horror! Hände in die Luft werf!), ficken kommt solchen Lektorinnen schon gar nicht über die Tastatur, ich wäre heilfroh, wenn sie stattdessen wenigstens vögeln schreiben würden, aber nein, da kriege ich die Fahnen, und dann steht da: bumsen. Ich schwör.
*bricht weinend zusammen*
Das geht automatisch zusammen mit Fallera, also gar nicht. Was wurde eigentlich aus dem guten alten Liebe machen. Das war so nett.
Sehr schön, ich habe mich köstlich amüsiert und es hat mich gleichzeitig aber auch erinnert, daß ich zuweilen während der Reise in Zügen gerne in ohnmachtsartige Zustände verfalle, die dann nach wenigen Sekunden meinerseits durch ein extrem Lautes Grunzen beendet werden. Genau in diesem Moment wünsche ich mir manchmal Portraitaufnahmen von meinen Mitreisenden. Hier würde es sicher lohnen diese vielleicht in den Kellerräumen ihres somnambulen Etablissements zu zeigen...
Das Wort "Ratzen" kommt nicht von ungefähr. So schlimm ist es noch nicht, meist denke ich ja auch bloß tief nach, aber irgendwie habe ich wohl immer ein Schlafdefizit im Gepäck. In Zügen schlummere ich auch sofort weg. Taktak - taktak - taktak - wer soll da wach bleiben? Zum Glück enden viele ICEs in Hamburg. Ist ja blöd, wenn man plötzlich erst in Irgendwo wieder wach wird.
Mit dem Taktak ist aber auch bald
Schluss. Als ich nach HH pendelte, nahm ich mir zu Beginn fest vor, im Gegensatz zu den Mitreisenden (diesen Toren, ha!) nicht stumpf zu dösen, sondern die kostbaren Stunden ausgewählten Werken der Weltliteratur zu widmen. Aber schon nach den
Brüdern Karamasow war's dann so weit, ich konnte nur noch stumpf dösen. Und merkte zum Glück an einer gewissen Kurvenabfolge im Schlaf, dass der Zug sich dem HBF näherte, so dass ich den Kopf von den Schultern der neben mir sitzenden Person nehmen und grunzend aufwachen musste.
Schlecht ist nur, wenn man erst in Dammtor aufwacht, und realisiert, daß man doch lieber am Hbf hätte aussteigen wollen.
Nahtlos geht es in die Schlaflosigkeit, nicht mal auf die Bahn ist Verlaß. (Bücher kann ich im Zug nicht lesen, Zeitung schon eher. Lieber Musik hören und ein wenig dösen nachdenken.) Herr Monopixel, Dammtor wäre ja nicht so schlimm. Flensburg fürchte ich.
Flensburg fürchten viele, aber die sind dann teilweise mit anderen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen.
Eine Stadt, die in vielerlei Hinsicht von Verkehr lebt.