Im Wasser wohnen
Ich sehe gerade Prinzessinnenbad. Man sieht vieles, was man für jene Stadt als typisch empfindet, was an ihr befremdet und abstößt. Was man an ihr lieben kann. Die Kameraarbeit ist ziemlich gut, viele sehr gut komponierte Bilder, Tableaus aus abgewrackter Tristesse, in denen zarte Pflanzen blühen. Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden, die Welt in den Grenzen von Internet-Café, Freibad und Dönerbuden-Party. Und anrührend wie so vieles nicht anders ist als es immer war und überall. Der Kummer, die erkämpften Freiräume, der Zweifel, die Sehnsucht, die Unsicherheit. Immer diese Unsicherheit, für die wir später Masken finden.
Wäre alles anders, würde man woanders wohnen? Gestern schaute ich mir hinter dem Krankenhaus das kleine Viertel mit den Kapitänshäusern für Oberärzte an. Kleine schmucke Häuschen, alter Klinker, an dem der Efeu rankt, diese typische, heute etwas muffig wirkende Architektur mit dem großen Panoramafenster, der Wintergarten für die Mittelschicht. Dahinter sitzen alte Damen in der Sonne, lesen Romane von Erich Maria Remarque oder Novellen von Binding, rücken ab und an die Blumen in der Vase zurecht und lauschen dem Gesang ihres Kanarienvogels. Na ja, vielleicht stimmt das gar nicht, und ich glaube, es gibt auch keine Kanarienvögel mehr. Gleich um die Ecke kann man auch nett wohnen. Dort steht ein alter umgebauter Wasserturm, in dem die kleine Einliegerwohnung ja wohl hoffentlich noch frei steht. Ich werde mich als Ina Müller verkleiden, einfach mal leutselig klingeln und mich zum Tee einladen. Die Entdeckungen, die man macht, wenn man vom Weg abkommt und in Seitenstraßen gerät. So viele Geschichten liegen dort rum.
Diese Sorte einst sehr fortschrittlich gebauter (aber mittlerweile etwas muffig wirkender) Klinkerhäuser haben wir hier auch. Bei deren Anblick spielt meine innere Musiktruhe dann oft "Eleanor Rigby" von den Beatles, im Klang leicht verkratzt, staubig-blechern und ohne nennenswerten Bass. Und manchmal komme ich mir selbst vor wie Father MacKenzie, der Worte einer Predigt schreibt, die nie jemand hören wird...
Auf den ersten Blick denkt man, dort haben sich welche in gewisser Weise auch eingesperrt. Und so treffen sich oben und unten, jung und alt dann auch wieder. Aber den einen standen wahrscheinlich (und stehen es sicher noch) weitaus mehr Möglichkeiten an Entfaltung offen. Die Deerns heute in dem Film - die würde ich gerne in einer Fortsetzung in zwanzig, dreißig Jahren sehen. So einen Film würde ich selbst hier in Billstedt machen, aber nur im November.
Musste auch gleich an England denken.
*summ* ...in suburbia, in suburbia.
Himmel. Da muß man ja innen erstmal alles rausreißen. Leben in der Rustikalhölle schlägt mir aufs Gemüt. Aber wieso ist das "nichts für eine Familie"? Da kann man die Blagen doch schön ins geschätzt 80 Meter entfernte andere Zimmer verfrachten. Sobald sie schwimmen können, natürlich.
Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden...
Diese Aussage kommt mir im Nachhinein anmaßend hart vor. Was vielleicht strukturell gilt, muß ja nicht für die drei Porträtierten gelten. (Optimismus verbreiten ist so 2009.)
Bei
Prinzessinnenbad denke ich ja erstmal an alte tolle Volksbäder, wie das
Oderberger Stadtbad, das langsam zerfällt oder das
Stadtbad in Neukölln. Aber der Film ist ja doch eher etwas greifbarer. Ich merke schon, in filmischen Dingen denken Sie wesentlich konkreter als ich. Mir Wäre zu dem Thema (passend zu den Volksbädern) der Film
Tuvalu
eingefallen.
Haha. Ich komm Ihnen gleich voll konkret.
Tuvalu ist großartig, da geh ich sonntags morgens immer hin. Zum Thema Wohnen unter oder beim Wasser fallen mir noch die mörderischen
Unter Wasser stirbt man nicht und natürlich
Swimming Pool ein.
(Interessant übrigens, wie dekadent
Volksbäder wirken.)
Ja, Swimming Pool. Ein großartiger Film! Ich liebe das französische Kino.
Wenn da nicht immer so viel geredet würde. Certainement.
Hier wird nicht soviel geredet (gleichwohl das zum französischen Kino gehört), sondern
gesungen. Das wird Ihnen vermutlich gefallen. Und nicht aus der Tube.
Oh. Das ist ja très charmant. Wie Küsse unter Wasser. (Allein die französische Aussprache von "Swimming Pool" macht einen ja weich wie Butter.)
Was den Film angeht, sprechen Sie mir aus der Seele (incl. des etwas hoffnungsfroheren Nachtrags). Und was die Wohnungen betrifft: Wenn man einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen kann, dann vielleicht auch "erheben" (mir fällt kein besserer Ausdruck ein).
Man merkt ja auch in dem Film, wie wichtig das Umfeld ist, die Menschen, die einen umgeben, ihr Reden und Tun, die Wohnung, die Straßen, die Stadt. Einflüsse, die man nicht immer leicht abschütteln kann.
Habe mich eben dabei ertappt, bei der Schilderung der alten, in der Sonne sitzenden Damen mit Blumen und Kanarienvogel ganz neidisch zu werden. Mein Leben ist zur Zeit voll, wahrscheinlich etwas zu voll, da kommt es dann zu so trügerischen Wunschträumen...
Ich werde leicht unruhig beim Herumlungern, ich will dann was tun. Ich könnte also den Garten umgraben oder die Kellerwände weißen und dabei dem Kanarienvogel zuhören. Als ich neulich ein wenig mobilitätseingeschränkt war, hat mich das gleich ganz rappelig gemacht.
Wahre Lebenskunst: Tagelang auf dem Sofa herum lungern und sich immer noch super toll finden ;-)
Das hat mich immer genervt, wenn mir die Leute auf meinem Sofa weggepennt sind, müde vom was-weiß-ich. (Vielleicht auch beduselt von meinem monotonen Gerede.) Da habe ich eine Holzbank aus dem Gartencenter gekauft. Seither ist Leben und Bewegung da. Irre. Probiert es alle aus!
Übrigens gleich, 21.00 Uhr, auf arte. Falls jemand einen Fernseher hat.