Das eine ist nicht wie das andere

I've never done good things
I've never done bad things
I never did anything out of the blue

(David Bowie, "Ashes to Ashes")

"Und dann hast du mich mit meinem neuen Freund auf der Straße getroffen, Gott, war das peinlich." - "Ja, das lief wohl zwei, drei Wochen parallel..." "Höchstens eine Woche! Und außerdem hatte ich mich da sowieso nicht gemeldet." Sie strahlt mich an mit ihrem entwaffnendem Lächeln und ich strahle zurück, und ich weiß, in diesem Moment sind wir uns sehr nah, und ich weiß, ich mag sie wirklich sehr, sehr gern. "Gab es da nicht noch so ein Gerangel zwischen euch Typen?" Haha. Wir lachen, schwelgen in Erinnerungen.
Wie lange ist das her? 15 Jahre? Wir zucken mit den Achseln.

Und dann so viele Gedanken. Ashes to Ashes. Damals, kaltes Licht der Frühe. Man kehrte heim aus der Nacht, entlang endloser S-Bahn-Gleise, durch die dunklen Wuppertaler Treppenstiegen und Unterführungen. Blaues Licht in den Discos und die kalte Musik. Und einmal, Silvester, auf so einer Hippieparty, zogen sich plötzlich die Mädchen aus und tanzten, und ich weiß, ich fand das damals sehr bizarr, ich war so 17, 18, und eine fremde, extraterrestrische Welt, the shrieking of nothing is killing/just pictures of jap girls in synthesis.

Und dann, zwanzig Jahre später, ein Silvester, verließ meine Freundin um Viertel vor Zwölf das Haus, keine Minute früher. Und zog sich später wohl aus, auf irgendeiner Hippieparty, keine Ahnung, ich war ja nicht dabei, aber ich weiß, ich fand das sehr bizarr und extraterrestrisch. Und es war auch nicht so ganz schön, daß Tage später ihr Name rund um unser Haus und an die S-Bahnstation gesprüht war, mit Herzen drumherum und Initialen, die ich nicht kannte. They got a message from the action man/I'm happy, hope you're happy too. Und ich habe, glaube ich, ein wenig geschrien. Ist ja schon was her.

Dann am Hafen entlangfahren, durch das kalte, gefrorene Licht. Manchmal ist es einsam, und im Player singt David Bowie want an axe to break the ice/want to come down right now, und ich ahne, dieses Eis bricht keiner mehr.

Was danach besprochen wurde, war bloßes Entgegenkommen, eigentlich nicht die Spucke wert. Heute weiß ich, dieses Silvester war nur der Auftakt, das nächste Mal wurde höchstens wilder. Heimlich war sie stolz, exaltiert, berauscht. Heute weiß ich, daß sie wie ein Junkie nur noch die Droge sah. Daran schmerzt heute nur eins: die endgültige Desillusionierung. Strung out on heaven's high/hitting an all time low.

Das sind Geschichten anderer Menschen. Denn meine eigene werde ich nicht mehr erzählen. Genau drei Menschen wissen davon. Dieser Freundin erzählte ich sie auch, damals nach diesem Silvester. Sie hat sie kurz darauf vergessen. "Erzähl es halt noch mal", meinte sie, eher genervt. Und strahlte mich nicht an mit einem entwaffendem Lächeln, auf eine Art, die Entschuldigungen überflüssig macht, weil die implizit sind und weil darin eine Wärme liegt, in der man sich geborgen fühlt. In ihrem Blick lag nur das Achselzucken des Junkies, der sich nach dem nächsten Schuß sehnt. One flash of light, but no smoking pistol.

Zu Hause wartet eine eMail. "Herr Kid, Sie haben schon soviel Zeit verschwendet. Verschwenden Sie nicht noch sich." Ich zucke mit den Achseln.

The Mercy Seat | 04:33h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
wise.up - Sonntag, 27. Februar 2005, 13:56
Mr. Kid ... ich bin ... berührt.... melancholisch und ergriffen...

... nach der Fete gestern Abend auf der nur gekifft wurde, dort aber dennoch einige Menschen zurzeit zu viel zu sehr schliefen lassen, sehr der Realität entrückt scheinen, von menschlich vertretbaren Grenzen nicht viel zu wissen scheinen ... und nun ihr Text ... hach! ... muss das alles?

:o/

... woll's nicht doch noch 'n Muffin? Hab noch einen übrig. Hab glatt vergessen ihn zu verkaufen. Ich schenk ihn Ihnen.... is 'n Mandel-Muffin ...

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kid37 - Sonntag, 27. Februar 2005, 14:12
Oh, Muffin ist natürlich ganz wunderbar. Wissen Sie, der Vorteil am Altern ist ja, daß einem mehr Dinge einfallen. Gute und nicht so gute. Man muß das annehmen. Albert Camus hat mal geschrieben, man müsse sich Herrn Kid als einen glücklichen Menschen vorstellen. (Oder so ähnlich, ich schlage das nachher noch einmal nach.)

Ich hatte gestern einen sehr netten Abend mit noch netteren Menschen. Herr Sebas wäre neidisch! Aber wenn ich dann im Morgengrauen mit der U-Bahn nach Hause fahre, und mir irgendeiner dieser Kiezbesucherspacken vor die Füße kotzt, dann fällt mir ein, he, da war doch noch was. Das kennst du doch.

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wise.up - Sonntag, 27. Februar 2005, 14:25
Der Muffin ist aber nur mit schnödem, normalem Zucker gebacken. Ich hoffe, Sie können dies mir und den Kindern verzeihen.

Sie meinen, das wäre ein Vorteil? Ich finde nicht... Ich denke nicht gern an die Vergangenheit. Doch doch, ich tue es... aber tue es zumeist nicht gern. Daher (und auch um weiter für naive 17 gehalten werden zu können) schalte ich meinen Erinnerungsmodus manchmal einfach aus.

Ja,auch mein Abend war schön. Es ist im Moment des Gespräches interessant, doch wenn man später drüber nachdenkt komisch, wenn man erzählt bekam, daß das Gegenüber früher einmal Hooligan und irgendwann auch mal Hells Angel war... einfach so... man hat einfach mal drauf gehauen, um seine Grenzen zu testen. (Jaja... ich merke auch, daß ich abschweife - ist mir aber gerade egal.) Heute ist er in dem Sinne zwar nix mehr, aber immernoch weit ab von jeglicher Normalität. Nein, ich finde es in keiner Weise schlimm, nicht normal zu sein - ich hocke auch nur selten gerne in Schubladen rum - aber dieser Mensch scheint damit nicht glücklich zu sein. Und das finde ich dann bedrückend.

Naja.. worauf wollte ich eigentlich hinaus? Achso... aufs Altern und dessen Vorteile bzw. Nachteile. Was wollte ich doch gleich dazu noch sagen? ...

Keine Ahnung... später vielleicht ... muss mich gerade erst mal wieder sortieren.

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kid37 - Sonntag, 27. Februar 2005, 14:36
Extreme Menschen können ja auch extrem faszinierend sein. Das ein oder andere Mal in meinem Leben habe ich gedacht, hm, vielleicht könnte ich das auch? Das Leben an der Grenze ist aber zerstörerisch. Es geht ja letzten Endes darum, ins rechte Maß zu fallen - für sich selbst und für andere. Und frei ist ja nur, wer sich selbst beherrscht, nicht Sklave seiner Impulse und Triebe ist. (Haha, also ich arbeite dran ;-))

Ich glaube, im Alter fällt das, wenigstens manchmal ;-), leichter.

Sie haben nicht zufällig noch einen Muffin mit viel Aspririn im Angebot?

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wise.up - Sonntag, 27. Februar 2005, 14:50
Dieser Mensch fiel mir zu Anfang sehr sympatisch auf und ich saß auf dem Sofa neben ihm. Wie ich erwartet hatte, kamen wir schnell ins Gespräch und plauderten eben über frühere Sünden. Er wirkte auf mich gänzlich friedfertig, lebenslustig.. mit dieser Spur Melancholie, die ich an Menschen eigentlich gerne sehe. Und ich versuche immer heraus zu bekommen, woher sie kommt.
Nein, er hatte keine Aggressioenen, die er loszuwerden hatte. Im Grunde hatte er nichts gegen die Menschen, denen er in die Magengrube schlug, deren Blut auf die Straße tropfte. Er wollte nur immer wissen, wie weit er gehen darf und kann. Er wollte wissen, wann er sich das selbst "verbieten" würde. Er hat es nie heraus gefunden. Fremden Menschen gegenüber empfindet er keinen Skupel.
Mich würde er aber nun nicht mehr verhauen, weil wir nette, lustige, nicht oberflächliche Worte miteinander wechselten, weil wir uns in die Augen sehen konnten.

Und an mir selbst kann ich keine steigende Selbstkontrolle feststellen. Zurzeit eher das Gegenteil... :-/ ...

Ich empfehle eher Iboprofen...

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kid37 - Sonntag, 27. Februar 2005, 15:39
Fremden Menschen gegenüber empfindet er keinen Skrupel. Hm. Das kommt mir bekannt vor. Eine weitere Parallele: Woran sich die von ihm Zusammengeschlagenen wahrscheinlich nur als traumatisches Ereignis erinnern, ist für ihn möglicherweise eine "coole Sache", an die er gerne und mit einem gewissen Stolz zurückdenkt. Einem gewissen prahlerischen Stolz vielleicht. Haha, Beziehungs-Hooligan, eine schöne Wortschöpfung.

Ibuprofen, ist das nicht eher gegen Zahn- und Regelschmerzen? Ich glaube, das ASS wirkt langsam. Aber schließen Sie die Türe bitte leise.

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frau_karla - Sonntag, 27. Februar 2005, 16:55
geschichten anderer menschen sind scary monsters. oft.

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kid37 - Sonntag, 27. Februar 2005, 23:18
Die reihen sich gut ein zu den eigenen Super-creeps. Außer, man zuckt rechtzeitig mit den Achseln.

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