Dienstag, 27. September 2022
Nach anfänglicher großer Begeisterung schlich sich doch schnell Skepsis in mein Verhältnis zu KI-generierten Bildern wie man sie nun überall im Internet sieht. Ein Zuckerwatteverhältnis: Man hat einen süßen Start, ist nach drei Bissen verklebt und fragt sich nach fünf leicht abgestossen, ob man den ganzen Rest wirklich noch aufessen muss. Die Resultate sind erstaunlich, beunruhigend auch, weil man sich fragt, woher die Maschine diese ganzen Einfälle hat und warum sie einen so gut spiegeln kann. Aber dann ist es wie in dieser Ecke der Kirmes, wo gleich nebem dem Zuckerwattestand dieser Typ mit der rotierenden Trommel steht, in die man ein Blatt Papier legt, Farbe dazu und schwupps ein sog. "Kunstwerk" in den Händen hält, das fortan an der Jugendzimmerwand vergammelt. Ein Effekt, der auf Verblüffung setzt und "schönen" Schein (immer im Auge des Betrachters), sich nach und nach und längerer Betrachtung aberindesallerdings als hohles Nichts enttarnt.
Zuletzt bat ich die Maschine, mir ein Fahrrad mit Bananensattel und Schwalbe-Bereifung zu malen. Und dann kommt die mit etwas zurück, das wie ein plumper Twitterwitz wirkt, wo Frauen ihre Männer mit einem Zettel in den Supermarkt schicken um darüber ablachen, daß der Gute sich am Regal nicht auskennt. Brüller! Jedenfalls hat diese künstliche "Intelligenz" zwar ein Lexikon milliardenfach verschlagworteter Einheiten zur Verfügung, blättert darin aber wie ein unbeholfenes Kind oder eine alkoholisierte Surrealistengruppe, die bewusstseinslos die Welt neu ordnen. Da kennt die Maschine 500 Worte für Schnee und 2000 Bilder für Bananen, muss aber angelernt werden wie ein Hund, der nach und nach begreift und repetiert, wenn er etwas "fein" gemacht hat. Bananensattel am Arsch der Taube!
Samstag, 17. September 2022
"Today's world is one of impenetrable complexity and sophistication. But perhaps in our ever-accelerating advancement, we have left behind more than our ability to comprehend our machinery. Have we also left behind a whole culture of tinkering, fixing and maintaining the very devices that intimately facilitate and impact our everyday lives?"
"Du und deine Provisorien!" hieß ein möglicherweise genervter Ausspruch einer früheren Bekannten, wenn ich mal wieder geschickt, auch mutig und auf jeden Fall ungewöhnlich mit einem Weinkorken, einem halben Meter Paketschnur, einer handelsüblichen Umlaufrolle und zwei nur mäßig angerosteten Schrauben repariert hatte. "Geht doch!" war stets meine fürs Endergebnis doppelt unterstrichene, aufregungslos zurückgeflexte Antwort, während ich Hammer, Zange und Schraubendreher zurück in die Werkzeugkiste schubste.
Als Jean Tinguely des Heimhandwerks heilt man mit der Kraft der Eingebung, wer Details und gerade Kanten will, muss eben eine:n Ingenieur:in heiraten. Oder er sucht sich einen Arthur Gerstle, einen Mann mit einer Werkstatt, viel Geduld und noch mehr Know-how über das Wesen und den Kern der Mechanik. Er war Kameramann in Hollywood, ein Bastler und Mechaniker, der offenbar jede kaputte Maschine zum Laufen bringen konnte. Ein Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts auch, der 1906 geboren, noch Pferdekutschen kannte und die Entwicklung von Autos, Kühlschränken und Computer miterlebte. Er starb 1993. Sein Enkel hat nun aus Gegenständen seiner Werkstatt eine Installation gemacht, die Bilder aus dem begleitenden Buch gibt es hier.
Wir haben diese Fertigkeiten größtenteils verlernt. Unsere Maschinen sind nicht mehr zu reparieren, jedenfalls nicht so, daß dafür ein Weinkorken und eine alte Schraube reichen würden. Ihr Funktionieren halten sie vor uns verborgen, sie wollen kein Verständnis und wir haben es auch nicht. Und wenn es heißt, eßt nichts, was Großmutter nicht als Nahrungsmittel erkannt hätte, möchte ich anfügen, benutzt nichts, was Arthur Gerstle nicht hätte reparieren können.
Montag, 12. September 2022
In meiner weiteren Nähe steht einer dieser Hochbunker, von denen es in der Stadt so einige gibt und in denen meist Übungsräume für Musiker untergebracht sind. Davor gibt es eine Sitzgelegenheit, und manchmal mache ich dort Pause nach einer kleinen Wanderung oder einfach nur so, um den Verkehr der Ausfallstraße zu beobachten, Temposünder zu notieren und Atmosphäre aufzusaugen. Musik hört man dabei nicht, obwohl mein Rücken an den Bunker gedrückt ist. Aber da sind noch zwei, drei Meter Betonmauer zu den Proberäumen dazwischen. Manchmal kommen junge Leute mit zusammengemümmelten Zigaretten und billigen Gitarrenkoffern vorbeigeschlurft, fragen, ob ich etwa reinwolle, und ich sage, danke, nein, ich warte auf einen Kumpel, der hat den Schlüssel. Was natürlich gelogen ist. Ich will da nur sitzen und Atmo rauchen. Musik, das ist ja schon lange her.
An der Ecke sendet mir eine digitale Werbetafel ein sicher nicht zufälliges Signal. Man soll wieder in eine große Stadt in den USA reisen. Es sei Zeit dafür. Sie mache einen brandneu. Vorausgesetzt, sie schafft einen nicht. Das wird schwer, denn so gut wie zum Beispiel Jimi Hendrix spiele ich ja gar nicht Gitarre. Deshalb sitze ich auch vor den Proberäumen und nicht in einem drin. Jimi Hendrix aber zum Beispiel, so lernte ich in einer kürzlich auf Arte gezeigten Dokumentation, sei abseits der Bühne sehr schüchtern gewesen Das wiederum habe ich mit ihm gemein, das kann ein Anfang sein. Man darf sich schließlich nicht selbst klein machen, dafür sind doch andere da. Ein aufmunternder Lockruf hingegen erreicht mich fast zeitgleich aus Manhattan: "Hamburg is too small for you!" Das mag sein oder auch nicht, aber es ist ein Anstoß, überhaupt mal nachzudenken. Nicht, wo der nächste Hut liegt oder die nächste Heizung vielleicht. Sondern nach 500 Jahren Krisen und Pandemie nicht stillstehen, sitzen oder gar liegen. Sondern mal weitergehen. Immer weitermachen.
>>> Geräusch des Tages: Jay-Z feat. Alicia Keys, Empire State Of Mind
Sonntag, 4. September 2022
Schwebender Stein I (Acryl, Tinte, Papier, 2022. 1000,- Mark)
Ich bin jetzt in eine neue Werkphase eingestiegen. "Schwebender Stein I" heißt mein Bild von dieser Woche. Es zeigt ein Element, das eigentlich schwerer ist als das ihn umgebende Element und dennoch in ihm zu schweben scheint. Ein Planet vielleicht im All, ein kalzifizierter Gedanke im Gedächtnis oder ein hartes Wort, das im Raum steht. Oder aber auch ein endloses, lichtloses Schwarz (eine besonders reflexionsarme Acryl-Tinte-Mischung), das etwas gebiert wie einen Eiterpickel, einen schmelzenden Camembert, einen neuen Stern oder ein glupschiges Auge, das durch einen Spalt in einer Holztür schaut. Eine ganze Note in einem Klangteppich aus doomig-drohnigem Schwarz.
"Wie kommen Sie nur immer auf diese Ideen?" werde ich als Künstler häufig gefragt. Ja, wer mag mir da den Pinsel geführt haben. Eine höhere Existenz vielleicht, eine von modrigen Pilzen überwucherte Erinnerung, der Klang eines Hundes, der in der Ferne bellt. Ich vermag das nicht zu entscheiden, ich sehe mich selbst als Werkzeug einer unergründlichen Imagination, eines Traums, in dem ich geträumt werde. Vielleicht war ich niemals da und lag doch ruhig wie ein Stein.
Donnerstag, 1. September 2022
September. Jetzt kommt die Zeit, wo jeder Tag der letzte Tag des Sommers ist. Zeit, die leichten Herbstuniformen herauszusuchen nach einer Ewigkeit endloser Hitze, stechender Sonne und aller anderen Unannehmlichkeiten, die unsere schlimmste Jahreszeit, der Sommer also, hervor- und mit sich bringt.
Warpaint knicken noch mal die Hüften, drehen die Kontraste raus, gehen ein letztes Mal ins kühlere Wasser, singen Jajaja und Lalala (aber mit spitz gefeilten Nägeln). Bus und Bahn sind nun befreit von schwitzigen Neun-Euro-Horden, die Boote drehen kürzere Runden, Wespen holen aus zur letzten Agonie.
Irgendwo ist Krieg, irgendwo sind leere Regale. Irgendwo erntet man ab, irgendwo hängen schwer die Früchte. Irgendwo baut man schnell ein Haus und wartet lange auf die Dächer.
Auf der Straße auch Ernte. Kleine Funde. Irgendwo wurden Bilderahmen zum Selberpflücken rausgestellt. Mittagspause im Innenhof des kleinen Klinikums. Aus den Türen stürmen Pflegerinnen und auch Pfleger, reißen sich mit einer Hand die Maske ab und zünden mit der anderen eine Zichte. Schnelle Züge in Sonne, Knicken in der Hüfte, bis eine nach der anderen zurück muß auf Station.
Sonntag, 28. August 2022
Hab' jetzt wo 12 Euro Schulden und mußte folglich einen neuen Job annehmen. Zum Glück hat sich mein grafisches Können herumgesprochen, und so bekam ich spontan einen bei der Polizei als Phantomzeichner. Jetzt können Ermittler von Haus zu Haus ziehen und fragen "Kennen Sie diesen Mann?" In der oberen Reihe, der dritte von links kommt mir persönlich ja ein wenig verdächtig vor. Aber wir wollen niemanden vorverurteilen, es gilt die Unschuldsvermutung, und das bloße Ansehen einer Person, also das Aussehen, besagt noch gar nichts. (Außerdem weiß ich als Polizeizeichner meist selbst gar nicht genau, was den Beschuldigten zur Last gelegt wird. Datenschutz.)
Jedensfalls ist man sehr zufrieden mit mir und meiner Arbeit, und das hört man ja zur Abwechslung auch ganz gern. Gerade von Experten. Ich arbeite nämlich nicht nur verblüffend präzise, sondern auch schnell, was man bei der Detailverliebtheit der Bilder nicht glauben möchte. Wie anders war das doch, als ich mein Können als Porträtist in der Fußgängerzone anbot mit meiner Staffelei gleich neben den Streetbuskern und menschlichen Statuen aus Silberfarbe. Oft rief ein vorwitziges Kind oder ein sturer Bock älterer Herr "Der kann ja gar nicht malen!" oder "Das sieht aber gar nicht ähnlich aus", dabei kosteten meine Bilder nur zwei Euro. Dafür kann man am Hauptbahnhof gerade mal aufs Klo. Das muß man ja auch in Relation sehen. Aber die Leute nörgeln gern, statt an kleinen Dingen Freude zu haben. Selten ist nur irgendwas gut genug.
Donnerstag, 25. August 2022
Es war natürlich eine dumme Entscheidung, keine Entscheidung zu treffen und der Dinge harren zu wollen unterm eintopfblubberheißem Blechdach des kleinen Leuchtturms am Rande der Stadt mit ihren kochplattenheißen Steinwüsten und Betonbauten. Die Entscheiduntg hätte lauten müssen: Kleinkoffer packen, eine Woche Hiddensee oder Vorpolarkreis oder irgendwo nach Landschaftshausen. Will aber nicht Nichturlaubsjammern, andere müssen womöglich an der Teermaschine arbeiten, während ich hier nur die kleine Wetterstation beobachten, Sportboote vor Gegenverkehr warnen und Möwen zählen muss.
Immerhin halte ich mich auch nach mehreren gefühlten Monaten gefühlter Durchscnittstemperatur von 35plus ganz wacker, andere sind da schon länger durchgedreht und verkloppen die Leute mit toten Möwen und das noch nackt. Hamburg in einer Inszenierung des berühmten Liedes "They're coming to take you away, haha". einziger Trost am dampfenden Werktisch The Lake Radio, das nicht nur ein kalmierendes Foto von einem ruhigen See zeigt, sondern vor allem vormittags ein hübsch kuratiertes Programm von Diffusklängen, musikalischen Schrägstellungen und Lautmalereien spielt. (Leider am Wochenende immer öfter in Richtung gefällige Weltmusik driftend.)
Rausgehen unter Qualen. Dann aber nachbarschaftlich. Bernd Begemann spielt in der Nähe, man sitzt auf Gras, viele Blogger haben sich ebenfalls rausgetraut, man grüßt hierhin und dorthin. Herr Begemann schleudert seinen großen Hit gleich zu Anfang raus, was gewitzt ist, dann sind die Leute schon mal beruhigt und außerdem hat er ja noch viele mehr. Große Schiffe gehen schlafen, und ich dann irgendwann auch. Weil ich kühler bin als alle anderen, kondensiert auf mir der ganze Schweiß.