Mittwoch, 3. August 2022
Wichtig ist ja immer auch der Feldversuch. Der Moment, wenn das Kunstwerk wie eine Raupe aus dem Kokon der Werkstatt schlüpft und die Umwelt erkundet. In diesem Fall war dies im Rahmen einer kulturintervenistischen Aktion ein Stück Brachland inmitten der Großstadt, Oase zwar nicht für Insekten (gab kaum welche), aber Gedanken. Wir sehen hier in einer ortsspezifischen Installation den Prototypen (daher noch nicht ausbalanciert, was natürlich die ersten Traumergebnisse verfälschen wird) mit seiner Trichterfalle, in der die von den Röhren gebündelten Erinnerungsstrahlen (ein zuvor genutztes Brachland eigent sich daher gut für erste Experimente) gesammelt werden. Eine Art Field recording für Spiritisten.
Sollten die Ergebnisse befriedigend ausfallen (ich habe mich noch nicht getraut, den Fangkasten zu öffnen, hielt aber bereits ein Stethoskop daran), werde ich die Installation auf einem Friedhof erneut aufstellen. Im Ergebnis sollten die dort viel stärker vorhandenen Erinnerungsstrahlen ("memory beams") zu einer größeren Ausbeute führen. Dann folgt auch der Test der Wiedergabefähigkeit, bei der ein exakt ausgependelter, an einem menschlichen Haar befestigter spitzer Bleistift über einem Blatt Papier schwingen wird und Bilder skizziert, die als "Träume der Toten" zu betrachten sind.
In Traummaschine III werden wiederum kleine Lautsprecher in die Röhren platziert werden, die aus dem Gerät heraus (ex ovo) den Gesang ausgestorbener Vogelarten in das von Nutzen und Gebrauch befreite Brachland abstrahlen werden. Eine Reflektion über Vergänglichkeit im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit am Ende des Erdzeitalters, das wir kannten.
Sonntag, 31. Juli 2022
Nachdem ich neulich noch einmal Ken Russells Gothic mit einigem Vergnügen gesehen habe, eine Arbeit über die Erschaffung eines Schöpfers aus dem Geist traum- und albtraumhafter Abgründe, dachte ich weiter nach über das Leben als Créateur, wie man am Genfer See, also dort, wo der Film spielt, vielleicht sagt, und beschloss, eine weitere Traummaschine zu bauen.
Diese hier erinnert ein wenig an die Intonarumori -Krachmaschinen der Futuristen, wie man sie hier betrachten kann. Und in der Tat ist diese Maschine gedacht, um Gedanken und Träume mit Klängen zu beinflussen. Das Funktionsprinzip von Twitter brachte mich auf die Idee, vielstimmige Geräusche in einen Echoraum abzustrahlen, eine ortsspezifische Klanginstallation, deren Energie einen Gedanken denken lassen soll.
Wenn man die Regler auf Elf stellt, geht auch ordentlich was ab. Es bildet sich eine Art brodelnde Pizzaoberhaut auf der Hirnrinde, ein Fusionsgenerator der Klänge, den ich wie ein Tesla der Moderne nur mühsam im Zaum halten kann. Ist aber alles sicher, und von TÜV Süd geprüft. Denke ich jedenfalls, aber das kann sich, je nach in meine Maschine induzierten Klang kurvenartig verändern - mal Sinus, mal Rechteck, mal Sägezahn, ihr kennt das Muster. Rhythmisch pumpende Lavageysire, Assoziationsbilder, Rorschach-Muster, aus denen sich die Zukunft lesen lässt. Die sieht, wie man weiß, für uns alle auch nicht gut aus.
Sonntag, 24. Juli 2022
Man nennt sie auch die documenta des kleinen Mannes, aber das ist natürlich kein Wettbewerb. Da mich bislang nichts von dem, was ich von der aktuellen documenta gesehen oder gehört habe, irgendwie neugierig gemacht hat, nutzte ich lieber das Neuro-Ticket für einen Ausflug ins nicht allzu weit entfernte Büdelsdorf, gleich bei Rendsburg, auch bekannt als die Stadt am Nord-Ostsee-Kanal.
Bis zum 9.10. gibt es hier die Nordart zu sehen, ein Kunstfestival auf dem Gelände der ehemaligen Eisengießerei Carlhütte, das mittlerweile zum 23. Mal stattfindet. 200 internationale Künstler und Künstlerinne zeigen dort ihre Werke, zu einem großen Teil Skulpturen, die im weitläufigen Park und in der Carlshütte selber verteilt sind. Einer der Schwerpunkte dieses Jahr ist Kunst aus China und der Mongolei, die in der alten Wagenremise gezeigt wird. Ein weiterer Länderfokus liegt auf Polen.
Von Hamburg aus ist man mit dem Regionalzug und einer kurzen Busfahrt in anderthalb Stunden vor Ort, eine beschauliche Fahrt durchs Norddeutsche, hingetupften Einfamilienhaussiedlungen und Felderwirtschaft. Am Ende ist der Nord-Ostsee-Kanal erreicht, die Hochbrücke grüßt, dann auch Industriekultur, Eisen, Rost und aktuelle Kunst. Vieles von dem, was da auf einem weitläufigen Gelände gezeigt wird, hat nicht den Anspruch als "Weltkunst" wie auf der documenta durchzugehen. Und doch gibt es mitunter faszinierende Positionen, gewitzte Einfälle und wuchtige Metalskulpturen in allen Windungen und Deformationen zu bewundern.
Im polnischen Pavillion gibt es ein paar plakative, pop-motivige Sachen, die Sektionen mit chinesischer und mongolischer Kunst spreizen sich auf zwischen Kitsch süß-sauer, starken Farben und erdiger Wucht aus Material. Darunter eine übergroße Venus und schruppige Objekte, die sich mit den schrundigen Wänden und zerrissenen Nischen der alten Werkstätte verbinden. Eine zwischen rostigen Platten, Eisenträgern und alter Maschinerie aufgebaute Bühne gibt es auch. Ich habe jeden Moment die Einstürzenden Neubauten für ein kleines Impromptu-Konzert erwartet.
Die Installation im alten Leitstand hat mich so beeindruckt, dass ich mir völlig versunken den Namen des oder der Künstler:in nicht gemerkt habe. Eine Szenerie wie aus Twin Peaks: The Return oder Fire Walk With Me genommen zeigt die desolate Bude mit wehendem Vorhang und Projektionen in den Fenstern, die hilflose Gestalten zeigen, die offenbar um Hilfe rufen. Ab und zu ist Feuerschein zu sehen, und ich warte eine lange Zeit, ob jemand wie ein rußgeschwärzter Woodsman das Gedicht "This is the water and this is the well" zitiert. Aber so viel Twin Peaks ist dann doch nicht.
(Nachtrag und Hinweis aus den Kommentaren: Die Installation stammt von Pat van Boeckel. Danke!)
Zu Essen gibt es auf dem Gelände auch ein paar Kleinigkeiten, ausreichend Toiletten und vor allem Sitzgelegenheiten sowohl im Park als auch in der Eisengießerei. Einfach, um die Kunst anzuschauen oder um die alten Knochen auszuruhen. Sehr löblich!
>>> Webseite der Nordart
>>> Der Youtube-Kanal der Nordart mit Ausstellungsrundgängen und weiteren Infos
Samstag, 16. Juli 2022
In meinen bereits länger dauerndem Hiatus blieb ich fingerrege und habe eine Maschine gebaut, die meine Träume verarbeiten kann. Die komplexe Konstruktion (Details erspare ich an dieser Stelle, auch aus Sicherheitsgründen, da die Konstruktion nicht in allen Teilen die gängigen DIN-Normen erfüllt und für Laien, die ihr seid, gewisse Gefahren beim unsachgemäßen Betrieb bereithält) passt von den Dimensionen her so eben noch in den Musiksalon und summt und kröchelt dort so vor sich hin.
Auf dem Bild sehen wir das sogenannte Traumnetz auf der rechten Seite, den eigentlichen Reaktor links (nur von geschultem Personal zu bedienen!) und einem Projektionskondensator im Vordergrund. Man muss sich nur ins Traumnetz stellen und in eine meditative Trance begeben, vielleicht ein Lied singen oder tiefe Töne auf Herzfrequenz. Die Traumwellen werden vom Reaktor verarbeitet (Transmutation) und zum Projektionskondensator geleitet, der die Träume für den gewöhnlichen Betrachter sichtbar macht. Ganz simpel eigentlich, wenn man mal darüber nachdenkt.
Ich träume viel von Fischen, wie sie durch dunkle Gewässer treiben, durch die Kiemen atmen, ins Unergründliche tauchen oder aufblubbern und Blasen schlagen, Ideenfragmente seufzen oder Wünsche erfüllen oder das Leuchten anfangen in den Schwärzen der Tiefsee. Wenn man vom Tage aufgewühlt, jeder Kopf seine eigene Sargassosee, in so einem Maschinenraum zur Ruhe kommt, Sphärenklänge und unentzifferbares Gewisper, sich verfängt im Traumnetz, Ideen nachgreift, Nervenspannung, dann kann an sehen, wie sich die Fäden aufladen und anfangen zu leuchten. Ganz hübsch eigentlich, wie eine Rauminstallation mit Medusenleuchte und Schleiertänzerinnen. Ein illuminiertes Séancen-Hinterzimmer.
Dienstag, 12. Juli 2022
(Doom von Merlin Reichart. Hamburgensie, möglicherweise prophetisch.)
(Alien Skin Tolles Fungusprojekt, Name des Künstlers entfallen.)
Die jährliche Diplomausstellung, neuerdings Graduate Show genannt, an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) ist in Zwischen-Corona-Zeiten wieder etwas barrierefreier zu erreichen, kein Check-in, keine langen Schlangen, zum Glück aber doch viele mit Maske. Vorbildlich. Zu sehen gibt es wie immer etwas aus allen Regalebenen. Manches, wie das pilzige Hautprojekt in der Eingangshalle, schon spektakulär. Angefangen von der amorphen Unterkonstruktion hin zu den ledrigen, außerweltlichen Häuten ein sehr faszinierendes Projekt.
(Changing of the Guard. Der Künstler dreht Teller.)
Oft spielt die Musik aber auch einfach auf den Gängen, wo achtlos vollgekritzelte Kreidetafeln geheime Botschaften offenbaren oder Zusammengefegtes zu skulpturalen Interventionsinstallationen zusammenfindet. Das Haus atmet Kunst, und die bohrt sich wie ein extraterrestrischer funguider Finger durch achtlos Weggeworfenes, lockt und winkt und will nach Hause telefonieren.
(Tafelbild. Sieger im Cy-Twombly-Ähnlichkeitswettbewerb)
Manches steht offenbar im Zeichen der diesjährigen documenta, wo ja Gruppen zusammenfinden und abhängen, reden und abhängen und reden sollen. (Das ist jetzt nur grob wiedergegeben.) Man merkt, wie sich eine Funkstrecke bildet zwischen den einzelnen Kulturinstitutionen, und da gibt es auch gar nichts zu lachen. Freude darf es trotzdem machen.
(Gruß an die documenta. Einfach gesellig abhängen.)
(Gruß an die documenta. Einfach gechillt abhängen.)
In vielen Ateliers finden sich weitere Exponate für mein seit Jahren gepflegtes Projekt Blumen & Waschbecken (streng genommen: Blumen & Flaschen & Waschbecken), weshalb ich gerne am Tag nach den ganzen Feiern und Parties im Gebäude zum Sondieren gehe. Nicht alles habe ich gesehen, nicht alles fand ich überzeugend, aber wie fast immer gab es doch ein paar interessante Positionen (dieses Jahr vor allem Bildhauerei).
Immer weitermachen!
(Blumen & Waschbecken. Mein eigenes wegweisendes Projekt.)
Dienstag, 5. Juli 2022
Wie überzeugend Künstliche Intelligenz mittlerweile auch in den kreativen Künsten arbeitet, kann man am Textgenerator Volkslied 3000 beispielhaft erkennen. Ein paar Eckdaten eingegeben, schwups, spuckt der Algorithmus etwas Singbares aus dem gut gefüllten Satzbau-Korpus originellen Kunstkopf heraus. Wie zum Beispiel ein Lied über das weltberühmte und von Groß und Klein geschätzte Blog, Das hermetische Café:
Hermetisches Café
Ich mache mir einen Kaffee,
mit Kakaobuttermilch und so,
das ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich kram mir 'ne Tüte Kräcker,
mit Erdnussflips und so,
das ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich stelle mich vor den Fernseher,
wenn ich bin nicht fit und so,
das ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich sitze hier alleine,
weil mein Freund nicht schlafen kann.
Er ist depressiv und so.
Er ist depressiv und so.
Und ist so gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich rauche Nikotinzigaretten,
mit Mentholzigaretten auch so,
ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich trinke Tee mit Pfefferminztee,
mit Heilerde von Tibet auch so,
ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
Ich nehme Speicheldruckerbsen,
dazu Jiaoguliubao auch so,
ist gesund und gut für mich.
Das erfahre ich immer wieder.
>>> Geräusch des Tages: Rainald Grebe, Volkslieder Singen
Dienstag, 28. Juni 2022
Ich war ja schon lange nicht mehr bei Karstadt. Ich meine, schon lange vor der siebenjährigen Pandemie, die uns wie unablässiger Regen in den Häusern hält. Noch weniger bei "Karstadt Sport", wo ich ab und an mal etwas fürs Rad oder zum Radfahren gekauft habe und einmal auch ein Theraband. Dann war es ja vorbei mit Karstadt oder Kaufhof oder Galeria, und dann stand auch Karstadt Sport auf einmal leer.
Nun hat aber auch Hamburg das Prinzip der Zwischenlösung erkannt und sich entschlossen, das große Gebäude am Eingang der Fußgängerzone zu bespielen. Für jemanden, dessen Leben eine einzige Zwischenlösung darstellt (bislang!), natürlich eine willkommene Einladung. Artstadt heißt das Ereignis nun. Im Erdgeschoss gibt es Kunst und eine Theke und wilde Nu-Metal-Musik, was das Ganze zu einer Art Chambre Close für normale Stadtspaziergänger macht, aber darüber weiß ich vielleicht zu wenig. Ich persönlich kenn da ja nix, wie man so sagt, weil Zögern ist nichts für Zwischenlösungen. Ja oder ja ist schließlich mein Motto.
Informationen zur Kunst sind hinter QR-Codes versteckt, die Meinungen, ob man dort etwas kaufen oder nur betrachten soll, gingen zudem auseinander. Ein Stapel Gurken sah interessant aus, manches war auch einfach noch nicht fertig installiert. Über den Sommer wird die Fläche noch von Kampnagel bespielt, Platz ist ja da und ein guter Wille auch. Mir scheint es auf jeden Fall interessanter als die Banksy-Postergalerie-Wanderausstellung schräg gegenüber im ebenfalls defunktionierten alten Kaufhofgebäude (in dem nach meinem gutem Willen die Stadt Hamburg hoffentlich bald ihr Naturkundemuseum errichten wird als Ankerpunkt am Eingang zur Innenstadt.)
Ein Gebäude als weiterer Möglichkeitsraum. Die leeren Flächen lassen Platz zum Träumen, ich würde da große Maschinen plazieren, die einfach nichts weiter tun, Fluggeräte und eine Ballettruppe. Livrierte Kellner würden herumgehen und den Besuchern sauber bedruckte Karten aus groben Karton überreichen, auf denen Sätze über fehlgedeutete Eulen stehen, aber in eigenen Worten. Vielleicht was Erotisches, aber nur gut verhüllt. Nähmaschinen, Regenschirme, all so was.
Hätte ich einen Klappstuhl dabei gehabt, ich hätte mich zum Ausruhen in die zweite oder dritte Etage gesetzt, die Wand betrachtet und ein paar lose Kabel. An Möglichkeiten gedacht. An eine Zwischenlösung.