Dienstag, 21. Juni 2022


Der Gesang der Fische



Ich mag ja Fische. Leider sind die oft schnell zickzackweg und abgetaucht, ehe man ihnen die Flosse gereicht hat. Nun hält mich aber bekanntlich nur wenig auf dem Weg meiner Träume zurück und so habe ich mir kurzerhand in geduldiger Laubsägearbeit ein Aquarium gebaut. Eine Traumverlorenheitsmaschine für abschweifende Blicke. Perfekt bemessen, bleibt auch der scheueste Gründler stets in Beobachtungsposition und im Grunde ansprechbar.

Dabei sind Fische oft stumm. Aber halt wie Ideen ständig im Fluß. Ein Orakel vielleicht, wenn man ihre Blicke zu deuten weiß. Nachts schlafen die Fische doch, lassen sich davon aber nichts anmerken. Die Ilsebill ging dem Fisch auf die Nerven, das war nicht schön. Ich stelle mir mein Aquarium ins Zimmer so wie andere einen Kanarienvogel. Fische können nicht singen. Und doch ist ein Fisch ein guter Freund. Er hört zu und fällt einem nicht ins Wort. Fischen muss man ab und zu den Kopf waschen, denn wenn (und ich sage: wenn!), dann stinkt er von dort. Meiner shampooniert sich täglich. Mal Butter bei: Wenn dir das Leben einen Fisch schenkt, gib Zitrone dazu.

So weit die Erzählungen der anderen. Ich aber schaue entspannt ins blubbernde Traumfischfernsehen und lasse mir stumme Ideen erzählen. Atemlose, pantomimische Berichte aus der Tiefe, dort wo die Fische leuchten. Mir ein biolumineszierendes Nachtlicht.


 


Freitag, 17. Juni 2022


Billkraft



Zur Triennale der Photographie in Hamburg ließe sich vieles sagen. Die aufreizend unübersichtlich gestaltete Webseite des Veranstaltungszirkus' ist nur ein Teil davon. Neben flankierenden größeren und länger laufender Ausstellungen in den Hamburger Museen und Kunsthallen, lag der Schwerpunkt zahlreicher kleinerer Auftritte gedrängt in der ersten Woche. Man muß sich halt ranhalten, wenn man im Leben etwas oder irgendwen erreichen will. Ausdauer ist hier wie da gefragt.



Das Kraftwerk Bille war wohl eines der interessantesten Spielstationen. Da gab es aus Bielefeld eine Gruppe junger Fotografen mit "Die Spuren der anderen", Found Photos und Archivmaterial vom Manhattan Project und aus Hiroshima (Max Ernst Stockburger), die überraschend verdichteten Hamburg-Perspektiven von Nicole Keller und Oliver Schumacher, die verschmitzten Blumen- und Insektenbilder von Eva Häberle oder die preisgekrönte Serie über Weltkriegs-Reenactments in Polen von Ostkreuz-Schülerin Natalia Kepesz.



In der alten Kesselhalle gab es Spuren der Vergänglichkeit (Claudius Schulze) mit berührender Taxidermie zu sehen - das Verschwinden der Arten dokumentiert mit gefiederten Aufprallopfern (Bürofenster), nah und tot zugleich.



Der Außenposten der Triennale im ansonsten kulturell weitgehend abgehängten Stadtteil bot auch die Gelegenheit, neben der immer mal wieder für Veranstaltungen geöffneten Kessselhalle einen Teil der an Künstler vermieteten Atelierräume zu besichtigen. Abbruchspuren, schrundige Wände, Investorenträume - die Zukunft des Areals ist noch nicht wirklich unter Dach und Fach und Tüte. Derzeit ist das alte Kraftwerk eines der in Hamburg dringend benötigten Möglichkeitsräume, ein Traumlabor und (meist versperrter) Freiraum, der zeigt, woran es in dieser auf Verwertung angelegten Stadt mangelt: Ungekämmte Kreativhüllen, die sich mit Ernstem und Unsinn, Spielerischem und streng Konzipierten füllen lassen.



Wo man dann sitzt, dort sitzt man dann. Das verwinkelte Gebäude mit seinen zahlreichen Positionen bietet hinter jeder Ecke überraschende Entdeckungen und Begegnungen, Entblößtes, Verhülltes und farbig verklärte Lichter. Treppen, Räume, Träume und Lebenspuren. Man muß sich Zeit nehmen, hier und da vorsichtig auftreten, Wege in den eigenen staubigen Spuren zurücklaufen, alle Türen offen lassen.


 


Mittwoch, 1. Juni 2022


Merz/Bow #71



In den letzten Tagen war viel Himmel über der Stadt. Einmal war er teuflisch rot gefärbt, da habe ich maliziös hineingelacht, weil ich etwas Lustiges erfahren habe. Auslöser war ein bizarre Wendung, eine Volte des Schicksals, die ausnahmsweise nicht mir geschah, mir aber als ausgleichende Gerechtigkeit im Nachhinein erschien. Ja, auch solche Charakterzüge besitze ich. War aber einfach: Sitzen. Warten. Zuschauen. In den Himmel sehen, die Wolken zählen. Oder aufs Wasser. Sie treiben schon noch alle vorbei.

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Herr Buddenbohm hatte neulich eine Malaufgabe als Text veröffentlicht (zum Glück "für Anfänger"). Das fand ich eine hübsche Idee. Ein:e Blogger:in beschreibt ein Bild, andere Malen es nach. Von genereller Schlampigkeit und einer untergetauchten feinen Feder abgesehen, fehlte mir leider auch Schwarz (habe zu oft und zu lange, wenn auch zurecht, immer alles schwarz gemalt im Leben). So kommt meine Version deutlich zu licht daher. Insgesamt "liebenswert", sage ich mal. Dafür aber auch nur 1000,- Mark. (Freundschaftspreis.)

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Diesen Sommer ist viel Kunst, wie soll man das schaffen? Biennale in Venedig, wo ich mir gerne statt Radieschen unter anderem diesen Kronleuchter von unten und weitere Installationen von Skuja Braden anschauen möchte. Die NordArt natürlich. Und dann, fast unterm Radar dieses Mal, ist ja auch wieder documenta. Angeblich wird dort auch Kunst gezeigt, leider bestimmten im Vorfeld Diskussionen und Querelen das Bild. Bitten icht nachmalen. Beim letzten Mal habe ich auf der Reise nach Kassel zufällig eine bekannte Bloggerin im Zug getroffen. Dieses Mal wird es dank 9-Euro-Tickets bestimmt eine Blog-Parade werden. Vielleicht fahren aber auch wirklich alle nach Sylt.

MerzBow | von kid37 um 15:25h | 5 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 28. Mai 2022


Ersatzvorschlag



Wir tanzen auf dem Vulkan, heißt es angesichts der Endzeitstimmung in Supermarkt und Gesellschaft und in Erinnerung an die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Jetzt ist auch noch der Kaffee teurer geworden, von 6,99 Euro auf zunächst 7,79 Euro und nun 8,49 Euro. Bald wird man das Komma in der Zahl weglassen können und dann heißt es, Eicheln im Wald sammeln und sich selbst was brühen. Es wird einen Schwarzmarkt geben für Kaffee, Nylons, vegane Schweineschwarte und natürlich Zigaretten. Der Ede um die Ecke hat mir hier einen Trick verraten, mit dem man gute Geschäfte machen kann, vorausgesetzt, man kann auch schnell laufen. Mein Bünabe hat mir einst mal "kriminelle Energie" vorgehalten, nachdem ich ihm eines Tages aus einer schmucken Laune heraus Vorschläge unterbreitete, was man mit Falschparkern in der Feuerwehreinfahrt machen könnte, also will ich die auch nutzen, um im Schatten meiner eigenen Existenz für den Überlebenskampf zwischen Tafel und Essenmarke gerüstet zu sein.



Ich betreibe nun eine kleine 1920er-Zigarettenmanufaktur, in der ich in mühevoller Handarbeit Räucherzeugs herstelle, während im Hintergrund eine Jazz-Schallplatte läuft. Aus exakt geschnittenen und liebevoll bemalten Pappstreifen sind im Nu (Talent und Können vorausgesetzt) täuschend echte Glimmstengel (wie wir im Milieu sagen) entstanden, die sich gut und gerne im Schatten warnplakatierter Mauern für 20,- Euro/Stk. verkaufen lassen. Ja nun, man muss auch leben. Sie schmecken etwas pappig vielleicht, aber in der Not raucht der Teufel Fliegen, wie man so sagt.

Natürlich sind das nur sog. Proofs of Concept, wie man in der Ideenarbeitswelt wiederum so sagt. Wer würde so was "in echt" tun? Eben. Aber nachdem ich nun auf dem Kurznachrichtenportal Twitter mehrfach ungehört nach einem "Kaffeerabatt" rief analog zum "Tankrabatt", muß man weitgefasster denken. Idee Kaffee mal nicht als Marke, sondern als kreative Methode gedacht.


 


Mittwoch, 18. Mai 2022


Frauen, Posaunen, noch keine Geigen


Bitte beachten Sie die Zahl auf der linken Seite des Covers!

Tagebuch eines Werktätigen. Bin jetzt ein paar Tage bei 1 sog. "Agentur". Die haben dort 1 Kaffeeautomat (sehr gut), nicht aber 1 Eiscremeautomat (sehr schlecht). Was sind das für Verhältnisse? Das sind die Verhältnisse des Werktätigen, aus dem Elend der Massen am Kragen gezupft und selbst wie ein Sträfling im Streifenhemd an Automaten gekettet.

Mit weißem, zerzausten Haar und ganz altersgerecht bin ich dabei so etwas wie ein ringelhemdiger Catweazle unter jungen Leuten und staune über allerlei Wunderlichkeiten und Elektrik-Tricks. Man kann eine Tür drahtlos öffnen mit so einem winzigen Zauberknopf! Aus kabellosen Ohrmuscheln sprechen Stimmen! Man sitzt einfach irgendwo, wo Platz ist und nimmt sich mittags eine halbe Stunde frei!

Bin nun offenbar umfeldbedingt zu etwas wie ein Influencer geworden. Meine jahrelang offensiv präsentierte Ringelhemdkollektion hat sich in die Mind-Maps junger Kreativer einggegraben und wirkt als Branding bereits über Kontinente hinweg. Jedenfalls wurde mir aus New York (das ist eine große Stadt in den USA) wie ein Signal mit der Posaune der Link zur Geschichte des bretonischen Ringelhemdes zugeschickt. Das muß man festhalten: Wenn man es in New York schafft, dann auch an der bretonischen Steilküste, und ich warte nun auf ein Angebot als Repräsentant und Testimonial für Armor Lux.

Im Versuch, meine Jugend zu rekonstruieren, habe ich vom ersten kargen Lohn Alben der französischen Musikcombo Les Rita Mitsouko nachgekauft. Mitsouko-Mann Fred Chichin hat(te) ja Ringelhemdfaktor 10, aber die Zahl auf dem Cover von "Die Frau mit der Posaune" habe ich nun erst entdeckt. Ich mach einfach immer weiter.


 


Montag, 9. Mai 2022


Spinnweberzählungen



Eigentlich wollte ich heute Hey! zu Low sagen, die mit fast neuem Album auf nachgeholter Tour in Hamburg Station machen. Aber: die Umstände. Corona-Gedrängel vor Konzertbühnen usw. Innerlich also gelähmt wie ein eingewickeltes Insekt in einem Spinnennetz kokonisiere ich stattdessen in der Abendsonne (auch gut!), sinniere ich über Ephemera am Straßenrand (Spidey-PEZ), führe also geradezu ein nebensächliches, aber von glücklichen Funden erfülltes Leben.

Derzeit tagsüber Großerkenntnis, abends Schwundstufe. Dazwischen mit dem Rad raus, in Parks rumlungern oder einfach nur am Fenster über dem Kanal (Fensterbank ohne Deko). In den Kräuselwellen versplitterte Erinnerungen, die sich wie Minzstücke aus einem PEZ-Spender schieben. In den 90ern war ich auf einem Konzert (weil: kein Corona) von Les Rita Mitsouko, aber leider nicht bei diesem. In den 90ern zog ich mit einer Freundin nach Hamburg, weil die einen falschen Hummer hatte (nicht Fensterbank, aber Hutablage), den ich in meinen Besitz bringen wollte. Aber erst Hummer, dann Kummer: Vor dem Umzug aber hatte sie ihn (ohne Konsultation!) aussortiert, solche Dinge geschehen ohne Triggerwarnung, nix is mit Mock-Hummer-Suppe, dabei hätte ich den zähmen können, an einer Leine hinter mir herziehen, Schmusen wäre möglich gewesen, Clammern auch, gemeinsam hätten wir alte Hummer-Chansons (Hammer!) singen können auf Französisch und uns am Hafen dabei malen lassen. Gemeinsam Geschichte schreiben, wie in diesem Bild von Aleksandra Waliszewska, die seit ein paar Jahren mit ihrer kruden Groteskmalerei für Furore sorgt. Mais non, aber nein.

Der Volksmund sagt, man soll nicht um einen falschen Hummer weinen, wenn die Welt voll echter Spinnenspender ist ("Nein Kind, weinen sollst du nicht."), an denen man sich die Finger kneifen lassen kann. Einfach immer weitermachen.


 


Donnerstag, 5. Mai 2022


Braves Kind



Nach Home-Office und rumlungern arbeite ich gerade für ein paar Wochen im sog. Szeneviertel. Ordentlich Hackeln und brav Gelerntes aufsagen (bin Laie für alles), Licht vom unter dem Scheffel holen, einen Vortrag über "unzählbare Wörter" halten (Natur, Zucker, Sand) und ansonsten stumm und aufmerksam Aufträge abarbeiten. Hin und Zurück mit dem ÖPNV, leider noch nicht für neun Euro, das schmälert den Ertrag. Es ist so ein bißchen Method Acting als sog. wertvolles Mitglied der Gesellschaft, dabei tatsächlich aber auch sehr interessant mit sog. Learnings. Das Team ist gemischt, mit 37 gehöre ich schon zu den Älteren, und neulich musste ich tatsächlich ein paar lange Sekunden nachdenken, warum da vor mir eine flache Hand in die Höhe gehalten wird, bis ich zum sog. High Five einschlug. "Wie modern!" dachte ich. "One of us! One of us!" sang ein Chor außerhalb der kleinen Szene. Ein Leben wie im Film. 1a.

Nach langen Monaten zumeist in Heimisolation in meinem kleinen Polyesterviertel verbracht ist der Werktag im Szeneviertel natürlich ein Kulturschock. Frauen mit wagenradgroßen Brillen und zeltigen Mänteln, Männer mit Dimensionsbärten und extra knappen Steppjäckchen, slicke Fahrräder oder auch rollender Schrott, Papierfetzen an den Wänden, semantisierende Schrift statt sinnloser Tags aus der Sprühdose, globalisierte Essensgerüche ("alles außer Kohl") und der ein oder andere Straßenmusikant mit dem Programm aus dem großen Beatles-Songbook.

Mittwochs habe ich frei, das ist mein kleines Wochenende und auch sehr gut fürs Wohlbefinden. Dann sitze ich in meinem sog. Atelierloftleuchtturm, male Krikelkrakelbilder oder singe ein Lied aus dem Fenster hinaus. Muß nicht heizen und öle mich nicht ein. So geht's eigentlich.

Das nur als Zwischenbericht.