Montag, 23. August 2021


Merz/Bow #68



Ich frage mich, wer diesen Infotext geschrieben hat. Was geht in diesem Menschen vor? Warum dieser Hass auf Sprache? Oder ist das ein Hilfeschrei, eine verschlüsselte Nachricht? Ein Wesen vielleicht aus einer anderen Dimension, ein Geist? Immerhin handelte es sich bei der "Disk" um eine aus der 2. Staffel Twin Peaks. Mysteriös, aber irgendw. auch brut., ein Umg. m. Sprach., d. an e. Psychofol. erinn. Vielleicht war es ursprünglich rückwärts formuliert.

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Widerstand ist möglich. Initiativen und Indie-Verleger wie Ugly Duckling Presse versuchen, Medienhäuser, Autoren, Käufer und Leser zu sensibilisieren für eine Welt jenseits von Amazon. Hyperallergic berichtete.

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Immer dieser spannende Moment, wenn es heißt "This Tumblr may contain sensitive media". Große Erwartungen, die sich nach dem beherzten Klick auf "View Tumblr" oft als übertrieben entpuppen.

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Wie zum Beipiel beim harmlosen Blog Moonhunter, das Fotos von Flor Garduño, Cartier-Bresson, Man Ray oder Edward Steichen sammelt. Die Tumblr-Zensurstelle wurde dennoch nervös. Kunst wirkt.

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Der nervigste Trend der letzten Jahre röchelt, ist aber immer noch nicht tot. Ich rede von "Lab", dieser unter Kulturinstitutionen oder Festivals weit verbreiteten Marotte, Webseiten als Design-Laboratorium zu gestalten, so daß andere Kulturinsider zwar juchzen, normal Interessierte und Besucher aber nur sehr mühsam zu relevanten Informationen wie Öffnungszeiten und -bedingungen, Eintrittspreise und Anfahrtswege pi&pa&po gelangen. Gerade frisch wieder bei der Phototriennale Hamburg, die statt einer übersichtlichen GUI allen Ernstes den Marquee-Befehl aus den 90er-Jahren reanimiert. Wie so was auch in spannend und übersichtlich geht, zeigen Leute, die auch was verkoofen wollen wie (wahlloses Beispiel) der durchentwickelte Komplex Industrycity in Brooklyn, N.Y.

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Man könnte eine Kulturfestival oder -institutionsseite ja mal so gestalten wie den Infotext meines BluRay-Players. Alles in so einer gewissen dadaistischen Radikalität getextet. Ich biete mich an.

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Die Kommentare auf Youtube sind zurecht verschrien. Manche aber haben eine ganz eigene Poesie. Das sind Menschen die technische Dokumentationen und Infoscreens betexten sollten.

The repetitive mixture of major and minor cords in this song just makes me feel cozy in a very melancholy way, like a long hug from a friend who makes you feel bad about yourself, and who you probably having feelings for you don't know what to do with, so you bottle them up. A quiet adolescent heartache. Safe and nostalgic and deeply, deeply pathetic, but most all just sorta painful in an oddly reassuring manner. (Q)

MerzBow | von kid37 um 13:52h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 20. August 2021


Geist


"Gespenst". 2021. Acryl, Gesso, Kreide, Papier. 1000,- Mark

Der ein oder andere hat es schon durch die Weinranken flüstern hören: Es gibt etwas, das nennt sich "Podcast". Da reden Menschen in ein Mikrophon, das - wenn man Glück hat! - nicht ständig vom Stativ fällt, und erzählen was. Na ja, wird sich nicht durchsetzen, aber jetzt habe ich gedacht, bevor nachher jeder so einen Podcast hat, und ich der Nachzügler bin, setze ich mich an die Spitze der Bewegung und produziere auch so einen. Mein Podcast wird heißen: "Malerei um Mitternacht". Analog zu populären Sendungen wie "Jazz um Mitternacht", wo man um Mitternacht Jazz hören kann (daher der Name), kann man mir um Mitternacht (danach wird das Ding gelöscht) zuhören, wie ich male. Eine Art auditives Bob Ross. ASMR mit nassem Pinsel.

Die Uhrzeit kommt daher, weil ich nur Gespenster male, und das geht nun mal - jeder mit nur einigermaßen kultureller Erfahrung wird mir zustimmen - halt nur ab Schlag Mitternacht.


Esther Pearl Watson, "Hospitalizations Are Down". 2021.

Ebenso "einfach" erzählt, aber ebenso voller kultureller Erfahrung und dabei hochdramatisch, sind die Bilder von Esther Pearl Watson. Im Stil folkloristischer Heiligenlegenden berichten diese autobiografischen Malereien unter anderem vom Leben in der Pandemie rund um Los Angeles. Dabei greift sie, wie in ihrer Serie von 2020 Kalendersprüche und Durchalteparolen auf und konterkariert sie mit naiven, mit popkulturellen Mythen verwobenen Alltagsdarstellungen. Seltsame UFOs und Nachrichtenmeldungen, Werbeschlagzeilen und Phrasen von Politikern, sie alle werden zu lakonischen Titeln dieser ironisch gespickten Geschichten "von unten". (Eines dieser Ufos gibt es 2006 auch als Objekt zu sehen, und in diesem Artikel von 2009 erzählt sie mehr über ihren familiären Hintergrund und UFOs in Texas.)

>>> Website von Esther Pearl Watson


 


Dienstag, 17. August 2021


Betrachtungen aus dem Rheinraum



Neulich war ich im Rheinland, hauptsächlich - when in Rheinland, do as the Rheinländer do - um Gespräche zu führen. Der offizielle Teil war schnell und gut organisiert zu Ende, das Ergebnis ebenfalls erfreulich rasch gefaßt, dann hat man den Kopf frei und reduziertes Gewicht. Bei Freunden sehr entspannt gegessen, geplaudert, zahlreiche Details um Haus und Hof bewundert und den besten Schlaf seit Jahren gehabt: im ehemaligen Dienstbotenzimmer. Fantastisch, fünf Sterne. (Sofort den Plan gefaßt, mir in meiner Wohnung ein ebensolches Zimmer einzurichten, für wenn mal Dienstboten kommen schwer Schlaf zu finden ist.)

Düsseldorf bleibt vertracktes Gelände. Es gelingt mir seit Jahren nicht mehr, dort Ausstellungen zu besuchen. Noch immer denke ich wehmütig an die Jean-Tinguely-Ausstellung zurück, die ich wegen irgendwas verpaßte. Nun war es Schlingensief, die von Besucherschlangen und Querdenkerdemos umwunden war wie einst Dornröschens Schloß. Oder besser: wie der unerklimmbare Felsen der braven Lorelei, die dann augenzwinkernd vorbeifuhr. Dafür erneut entspannt gegessen.

Besichtigungen dann auf der kurzen Heimatrunde, überall Flutberichte, Zukunftsgedanken, Impfstatusvergleich. Auf der Rückfahrt wieder zähes Waggongekoppel in Hamm, Westf. Die Rücklichter von Anschlußzügen im geisterhaften Hannover. Die Einsamkeit nächtlicher Bahnsteige, und ein Taxifahrer, der außer "Moin" nichts sagt. Wieder daheim.


 


Donnerstag, 12. August 2021


Drehbühne



Ich lag neulich auf dem Sofa, auf der Suche nach dem besten Gedanken, da fiel mir beim Blick in die Weite des Raums mit einem Male auf, daß mir wohl eine Drehbühne fehlt. neue Sichtweisen auf Knopfdruck! Der ganze Salon auf einer Drehbühne, und wenn einem nach einiger Zeit der Anblick fad wird, dreht man ihn einfach (Steuerung per App, bin modern), eine Vierteldrehung nach links oder rechts.

Patent ist eingereicht.

Auf dieser Drehbühne könnte eine engagierte Hermetische-Café-Tanztroupe in einer strengen Choreographie zu den Klängen von M.I.A.s Bamboo Banga langsam vor- und zurückschreiten. Wiegen. Frau Kerner allerdings muß mit sich selber tanzen. Das ist nicht schlimm, das mache ich schon lange so. Meist an lauen Sommerabenden auf meiner imaginären Sommerterrasse zu hervorragender Musik. Neulich aber war ich in einer Großstadt am Rhein und geriet zufällig in eine quengelnde Quertanzgruppe. Außer unrhythmischem Getrommel und Getröte kam da: nichts. Denen hätte eine, nur meine MEINUNG, allerdings sehr schnelle, Drehbühne sehr gut getan. "Raus aus dem Hamsterrad, rauf auf die Drehbühne" lautet das Motto, und als ich später in Wuppertal war, habe ich mir von einem alteingesessenen metallverarbeitenden Betrieb gleich mal was basteln lassen. Gerade schraube ich in meinem Salon zwei kleine Pfeiler in Boden und Decke, da wird das dann eingerastet.

Wir lernen: Von der Sofaidee zur Umsetzung in nur 400 Km Bahnfahrt. Jetzt geht's aber rund! sagte man früher, wenn die Stimmung in die ein oder andere Richtung stieg. Manchmal muß man im Leben einfach nur die Laufrichtung ändern.


 


Montag, 9. August 2021


Insektarium


Insekt. 2021. Tinte, Wasserfarbe, Papier. 1000,- Mark

Oft werde ich gefragt, Herr Kid, wie können Sie mit so wenigen, pointierten Strichen so realistisch malen? Meist antworte ich, daß man dafür die großen Drei bräuchte: Üben, üben, üben! Als Illustrator für Insekten (und Spinnentiere) im naturhistorischen Museum muß man einen Blick haben für die art- und gattungsrelevanten Feinheiten und besonderen Merkmale. Die arbeitet man - ohne unwissenschaftliche Übertreibung! - heraus und bringt ein wenig Charakter in den Ausdruck. Schon ist die Illusion einer überzeugend wirklichkeitsnahen, was gerne "lebensecht" gennant wird, Darstellung gelungen. Eine Übertragung.


Die Spinne hat einen Witz erzählt. 2021. Tinte, Wasserfarbe, Papier. 1000,- Mark

Doch mit naturalistischer Präzision allein ist es nicht getan. Eine solche Abbildung kann jede Fotografie besser. Einem guten Künstler indes gelingt es, das Objekt seines Bildes zum Leben zu erwecken, ohne dabei einzelne Federstriche zu übertreiben oder Tiere und Dinge zu stark zu anthropomorphisieren. Ebenso wie mein stilprägendes, kubistisches Gemälde "Nackte Libelle, eine Treppe herabsteigend" (hier nicht abgebildet) vermeidet meine kleine Zeichnung "Die Spinne hat einen Witz erzählt" solche karikaturhaften Überspitzungen und hält sich an von der Forschung unterstützte Überlieferungen aus dem Leben der Tiere. (Auch wenn über den Humor der Insektenwelt, anders als zum Beispiel über das Liebesleben dieser Tiere, noch wenig geforscht wurde.)

Mein Motto ist: Es liegt genug Zauber in der Natur, der von Talent reich beschenkte Künstler muß gar nicht viel dazudichten.


 


Mittwoch, 4. August 2021


Der Morgenbericht

Und nun zum Sport: Wenn ich eines aus dieser Olympiade (und ja, das ist nur der Abstand zwischen zwei dieser Spieletreffen, brav, brav) mitnehme, dann die Wendung: "Ringerin Rotter-Focken". Schon morgens vor dem Spiegel übe ich das ein. "Ringerin Rotter-Focken", mal mit rollendem R oder auch zwei, mal sanft und beinahe zärtlich. Ich höre (mit dem inneren Ohr), wie die Wendung in den Redaktionen landauf, landab hin- und hergeworfen wird wie ein Softball (oder Beach-Handball von Journalisten in Verbandskleidung). "Ringerin Rotter-Focken". Zehn Mal hintereinander sagen.



Ich persönlich bin ja eher der wortkarge Typ, weshalb ich derzeit wieder mit meinem alten Studentenjob unterwegs bin: Pantomime in der Fußgängerzone. Wenn ich nach etlichen Klimmzügen an imaginären Mauern und dem Betasten von Glasscheiben nach Hause komme, fühle ich mich frei wie ein Schmetterling, der gerade in eine träumende Wolke hustet. Ein Schmetterling, das haben wir von Dr. Hannibal Lecter gelernt, steht für Verwandlung. Ich muß derweil für meine weitere akademische Verwandlung einen Doktorvater oder -mutter finden, die mein Promotionsvorhaben "Neurotransmitting Processes and Making Friends in a Post-Digital-World" unterstützen. Post-Digital wird das nächste große Ding, mark my words.

Heute konnte ich nicht akademisch tätig sein, weil die junge handwerklich geprägte Frau mit den neuen Rauchmeldern kam. (Noch digital, also jetzt bereits veraltet.) Wir plauderten über Datenschutz und Designfragen, während ich die Leiter hielt (die Wände des Leuchtturms sind enorm hoch) und ihr beim Über-Kopf-arbeiten zusah. Anschließend schaute sie sich "unbemerkt" um, ich versicherte ihr schnell, im Grunde ein Freund des minimalistischen skandinavischen Designs zu sein, es nur nicht so ausleben zu können. Sie sicherte mir ihr Verständis zu. Sie besäße auch nur "schöne Dinge", und die schmeiße man ja nicht einfach weg. Ich war erleichtert, fügte aber sicherheitshalber noch hinzu, daß ich im Filmgeschäft sei, Requisiten brauche und derzeit ein neues Projekt anleiern würde. Arbeitstitel "Ringerin Rotter-Focken vs. Sharknado". Sie sagte, das glaube sie gern und wünschte einen schönen Tag. Ich glaube, ich gebe ihr dann eine Freikarte.


 


Samstag, 31. Juli 2021


Seemannsträume


Laurie J. Proud, "Boxing Girls"

Bei Laurie J. Proud dachte ich immer, das sei eine Französin, die zu traurigen Akkordeonklängen Hafenbilder aus dem Marseille der 30er-Jahre malt. Mit einem interessanten Schuß Motel-Flair der 50er. Neo Rauch trifft David Lynch, könnte man es umschreiben. Jetzt ist es aber so, daß alles ganz anders ist. Laurie J. Proud ist ein Engländer, der mittlerweile im beschaulichen Dorset lebt, beruflich Werbe-Animationen macht (z.B. einen auch hierzulande bekannten Hustenmittelspot), mir aber wegen seiner retroatmosphärischen Bilder gefällt. Da gibt es Boxer und Boxerinnen, Bar- und Hinterzimmerdamen, düster umwölkte, rauchende Matrosinnen, Möchtegernschauspieler und Würfelspielbetrüger, Schnacker, Halbnackte und Halbweltganoven.

Condensed Night

Es sind kleine Geschichten und gemalte Chansons (wie die auf Panels verteilten Bildergeschichten in seinem Buch Peepholes) aus einer melancholischen, neu erfundenen Vergangenheit. Der kurze Animationsfilm Condensed Night ("a boy lost his ball") wirkt dabei wie eine vergessene Albtraum-Episode aus Lynchs Eraserhead und bringt so manche verstörende Nachbarswelt auf den Punkt. Bei manchen ist der Regenbogen halt grau. Oder geringelt.

>>> Webseite von Laurie J. Proud
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