Donnerstag, 28. März 2019


Humpback Hocker

"Ich bin ein verwunschener Buckelwal", sprach er. Ich runzelte die Stirn und sah meinen drehbaren Hocker mißbilligend an. "Man soll nicht fantasieren", mahnte ich. "Und auch nicht aufschneiden!"

Zu viele prahlen und gleißen, dann setzt man sich drauf, und es ist nur billiges Gewackel. Ein Ikeahocker eben, dachte ich. Aber neugierig war ich doch und drehte - und wie überrascht war ich! Der Gesang eines Wales! Mein Hocker kann unter Wasser singen? Ich habe es jedenfalls, so der Beweis, aufgezeichnet. Ein Hockerwalgesang.

Wie schön das wäre. In unruhiger Nacht, wenn um drei die dunklen Wahrheiten wachen, drehte ich schnell eine Runde auf dem Stuhl, um mich - und die Nachbarn vielleicht auch, die sich über das unbestimmte Quietschen aus dem Finstern ihrer eigenen Nacht wundern würden - zurück in den Schlaf zu singen. Oder wie mit einer Lockpfeife herangerufen, einen Leviathan zu wecken, der mich aus tiefer See betrachtet.

Unter meinen Händen soll alles Klang werden, rief ich entzückt, drehte den Hocker herauf und herunter, entlockte ihm, so als würde ich ein Lenkrad halten, Töne, Seufzer und Gesang - eine Symphonie wurde in meiner Diele geboren. Ideen blitzten auf: Ich würde weitere Hocker besorgen und mit einem Quartett in der Elbphilharmonie auftreten. Von den Gagen könnte ich mir die Stradivari der Hocker kaufen, um diesem noch präziser noch feiner klingende Gesänge abzuringen.

Zu lange herumgehockt, ich gehe jetzt durchs Haus lauschen. Hör den Gesang der Wasserleitung, das Trommeln der Waschmaschine. Die Geräusche entlang der geheimen Traumpfade.


 


Montag, 18. März 2019


An Apple a Day



Aus Mangel an toten Fasanen muss man städtische Stilleben heutzutage ja oft aus anderen Symboltieren zusammenstellen. Wie hier mit dem Glow-in-the-dark-Wurm.
O, Vergänglichkeit der Zeit.

Lange Zeit, da beißt ein Wurm keinen Faden ab, glüht man immer mal wieder für dieses oder jenes vor, brennt wohl eine Weile, und dann ist irgendwann aber auch mal ausgeglüht. Dann kommen die Würmer, zack, usw.

Ißt man nicht täglich seinen Apfel, könnte man also melancholisch werden und im trüben Wetter die Handyfilme von Filmemacher Scott Barley anschauen. Da passiert nicht viel, das aber eindringlich. So wie in The Etheral Melancholy of Seeing Horses in the Cold. Da ist es feucht, da ist es kalt, da ist es neblig, da stehen Pferde rum, die man betrachtet. Ist so.

Pferde essen auch Äpfel. Einen am Tag, manchmal auch mehr. Mehr von Scott Barley gibt es bei Vimeo.

Super 8 | von kid37 um 22:00h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 10. März 2019


Bomberjackenmädchen



Auf dem Debütalbum meiner Punkband Die verranzten Rentner befand sich damals das Lied "Bomberjackenmädchen", das europaweit, vor allem aber in Japan, ein kleiner Hit war.

Du- wolltest immer was wagen
Dir - kann keiner was sagen
Bomberjackenmädchen!
Bomberjackenmädchen!


So was kommt an. Pogo im Publikum (Albumtitel). Ein wenig so wie meine Fotoreihe "Kaffeetrinken mit Frauen". Das ist ein faszinierendes, vergleichsweise aber stilles Projekt, bei dem es um Abstraktion geht - oder besser gesagt Substraktion. Denn die Frauen oder der Kaffee sind gar nicht im Bild. Aber das sieht man ja.

So ist es oft im Leben. Etwas ist da und gleichzeitig nicht da. Die stille Präsenz der Abwesenheit. Alle kennen das durch das von Freud beschriebene "Fort-da"-Prinzip, woran ich immer denken muß, wenn ich den Kaffee dann auf einmal auf habe. Alle, leer, weg. Von wegen, die "Permanenz der Dinge". Schaut man nicht hin, gibt es die auch nicht. Wie Staub im Haus zum Beispiel. Oder Streifen auf frisch geputzten Fenstern.

Streifen auf frisch geputzten Fenstern wäre auch ein schöner Titel für meinen Debütfilm, sollte ich mein künstlerisches Portfolio dereinst erweitern wollen. Klingt einerseits haushaltsbekannt und ist damit instantly relatable, wie das Prinzip von Hollywoodfreuds beschrieben wurde. Gleichzeitig hat es aber einen geheimnisvollen Klang. Das ist wichtig, falls mein Film (da geht es um ein Bomberjackenmädchen, das immer viel Kaffee trinkt und in einer Schlüsselszene die Fenster nachlässig putzt) einemal im Deutschunterricht interpretiert werden soll. "Mangelnde Durchsicht" steht dann in Königs Erläuterungen und gibt bei Nennung schon mal drei Punkte.

Es ist Sonntag. Da fasse ich für die Nachgeborenen das Leben gerne kurz zusammen.


 


Mittwoch, 6. März 2019


leCogla



Das neue Jahr schreitet hurtig voran, schon März, im Grunde ist es bald wieder rum. All überall werden Fenster geputzt, Rasen gestutzt, unter alte Teppiche geschaut, ausgebessert, geschnitten, geraspelt, gekürzt und umgestellt. Die Zeit der Collage - bei Feinkunst Krüger ist gerade die Ausstellung dazu zu sehen.

The Art of Collage 2 präsentiert 33 internationale Künstler, Werner Büttner ist darunter und Nathalie Huth mit ihrem schönen Vintagestil. Und das sind nur zwei!

Die Eröffnung brummte vor lauter freudiger Begeisterung, und wer die schnittige Chose selbst noch sehen möchte, hat bis zum 23. März Gelegenheit dazu.

"The Art of Collage 2". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis zum 23. März 2019.


 


Mittwoch, 27. Februar 2019


Merz/Bow #58


Trotz antiquarischem Muffgeruch (schon vieles probiert) lese ich gerade ein wenig in Sidney Petersons Roman A Fly in the Pigment. Peterson ist einer der frühen Vertreter des US-amerikanischen Avantgarde- und Experimentalfilms. The Cage von 1947 ist einer seiner bekanntesten, mit Einflüssen von Buñuel, Man Ray und Maya Deren. Interessanter Typ, sein satirischer Roman geht um eine Fliege, die plötzlich aus einem Renaissancegemälde im Museum verschwunden ist und deren Sichtweise wir bald erfahren. Vielleicht nicht übermäßig elegant geklöppelt, amüsant sicherlich. Ich bin aber auch noch nicht sehr weit gekommen. Es riecht wirklich modrig.

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Am 25. Februar hat Dana Scully Geburtstag, Special Agent beim FBI für mysteriöse und ungeklärte paranormale Fälle. Ausgerechnet an diesem Tag starb nun ihre deutsche Synchronstimme Franziska Pigulla mit nur 54 Jahren. Jetzt sind die 90er-Jahre aber wirklich vorbei.

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Auch bestimmt "sooo Neunziger", wie es von Superschlauen ja gern herablassend betont wird, ist ja Twin Peaks. Die dritte Staffel war ein großes Fest mit einigen umwerfenden Folgen, einigen Erklärungen der Geschehnisse aus den ersten beiden Staffeln, noch mehr Mysteriösem, viel Kunst, einem großartigen Sounddesign (ebenfalls David Lynch), exquisiter Musik und tollen Auftritten von z.B. Naomi Watts.

Gerade arbeite ich mich durch das dokumentarische Bonusmaterial in der Bluray-Ausgabe. Man sieht bei Proben zu, Vorbereitungen und Setbesichtigungen, erlebt hier und da auch mal einen etwas unwirschen Regisseur (ich hätte gar nicht die Ruhe für so was) und bleibt verschont von Talking Heads, die von "it was a magic moment" und "he's a pure genius" faseln. Es sind wirklich Werkstattberichte, und das einzige, was ein bißchen stört, ist der etwas prätentiös gesprochene Begleittext vom teils deutschen Team, die auch hinter der Doku The Art Life standen. So hat denn auch der Sprecher einen Akzent, der heftiger ist als meiner. (Auf den mich übrigens in New York als einziger ausgerechnet ein Deutscher ansprach. Imagine!)

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Zur Probe rahme ich ein paar Bilder aus meiner "Die Bienen sind tot"-Serie. Ich habe jetzt fünf 50x70-cm und eine handvoll kleinere Formate. Ich nehme das vor allem als Beweis für den Anstieg meines Aktivitätsgrads nach diesem längerem Glassargschlaf die letzten Jahre. Ein motivierendes, interessiertes Umfeld hilft da sehr. Überhaupt sollte man sich frei machen von Unfreundlichkeit und Nörgelei im eigenen Nahfeld. Diese Kritikhanselei, auf die man bei Menschen ab und an trifft, ist kein Zeugnis von Souveränität, sondern letztlich schlecht kanalisierte Geltungssucht. Könnt ihr so aufschreiben. Ihr müßt Blumen sein, nicht Moder.

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An einer Stelle erklärt David Lynch Laura Dern, warum die Uhr an der Wand ausgerechnet 2:53 Uhr anzeigt. Sie sagt, sie ahne es schon, sie arbeite ja schließlich mit David Lynch. Er sagt 2+5+3 ergibt 10, für ihn die perfekte Zahl. Und 3+7? Na? Rechnet es selber aus.

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Wer die Antwort hat, sollte unten auf der Straße übrigens mal nach seinem Kabelmast schauen. Unheimlich.

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This is the water, and this is the well. Kurzzeitig hatte eine Hochschule in Berlin überlegt, dieses Gedicht auf eine Hauswand zu malen. Aber das war, würde Mr. Lynch sagen, nur ein Traum in einem Traum.

MerzBow | von kid37 um 23:35h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 24. Februar 2019


Miti Miti



Mal angenommen: Wenn ich wie ein Astronaut im All schweben würde, was passierte mit dem Blumenstrauß in meiner Hand? Solche Fragen kann wieder niemand beantworten. Es bräuchte ein wissenschaftliches Notfalltelefon, wo man spätabends noch anrufen könnte, um Antworten auf derartige Fragen zu bekommen.

Alles muß man selber denken, sitzt dabei zwischen Baum und Borke, im Comme ci, comme ça, mal hier, mal dort, und am Ende teilt man fifty-fifty.

Im Telefongespräch mit meinem Vater rechneten wir gestern durch, wie man einen höheren Lottogewinn möglichst effizient aufteilt. So wie früher in der Schule bei den Textaufgaben, wo man drei Stück Lakritz gerecht an sieben Personen am Tisch aufteilen soll. Daraus habe ich vor allem eins gelernt: Laß niemanden in die Bude, die wollen dein Lakritz!

Oft wollen die nur was wissen, die Nase in die Luft halten, wie wir unter Jägern sagen. Vielleicht eine meiner neuen Erfindungen oder Theorien abgreifen oder etwas Aufmerksamkeit. Während ich mich auf die Blumen konzentriere und mich frage, wie sie auf einem Tisch im Weltraum wirken würden.

Ich würde gerne mal so mit drei Frauen am Tisch sitzen, dabei Kaffee und Kuchen einnehmen, kein weiteres Wort sprechen. Denn wenn ich mit Menschen zu Tisch sitze, hört sich das oft nicht anders an. Gerne würde ich auf der Arbeit mal eine Woche nur in Meredith-Monk-Fantasiesprache reden. Oder das Notfalltelefon anrufen. Um Gewohnheiten zu brechen, zu schauen, wie weit man sich nach links oder rechts neigen kann (im Weltraum: auch nach oben oder unten!), hin- und herschaukeln mit immer neuen Blick auf die Blumen auf dem Tisch.

Ich habe heute nach langer Zeit Hiroshima, mon amour von Aain Resnais wieder gesehen. Darin treffen sich zwei schöne Menschen aus weit entfernten Städten (eben Hiroshima und Nevers in Frankreich), entkommen aber nicht ihrer jeweils etwas bedrückenden Vergangenheit. Ich sag mal so: Es geht nicht erfreulich aus. (Wobei "gehen" ein übertriebenes Verb für diese Art Film ist.)

Interessant ist die repetitive Sprache (Skript: Marguerite Duras), in der Worte in verschiedenen Stellungen im Satz wiederholt werden, Ketten mit weiteren Sätzen bilden und einen musikalischen Rhythmus. Niemand spricht (mehr) so, auch nicht in Filmen. Es klingt ein wenig wie die mechanischen Variationen eines Steve Reich oder die PIN, die ich heute für die Packstation bekam: 2568. Wo jeder gleich denkt, da fehlt in der Kette von Fünf, Sechs und Acht doch eine Sieben. Dabei, so erklärte mir das wissenschaftliche Notfalltelefon, ist die vorhanden - man muß nur die anführende Zwei und die Fünf addieren. Habe ich mir nicht ausgedacht: 2568.

Jetzt stelle man sich vor, nur damit das jetzt alles einen Sinn ergibt, man hätte 2568 Blumen, legte die in eine Packstation und schickte die ins All. Und dann hieße es, so jedenfalls in dem Film, den ich darüber drehen würde (Skript: Meredith Monk), hier ist die PIN-Nummer, öffnen Sie eine Klappe und schauen Sie, was mit den Blumen passiert ist. Und dann sieht einer die Blume an und sagt: "Du bist Hiroshima."

So war mein Tag bislang. Mal so, mal so. Das Geld vom Lotto würde ich übrigens in Immobilien anlegen. Eine Wohnung in New York, eine London, in Paris und Melbourne. So daß man wie ein Raumfahrer immer um den Erdball kreisen kann, entweder Blumen oder ein Putztuch in der Hand. Denn meine nächste Frage ans wissenschaftliche Notfalltelefon wäre: Wie halte ich die Buden sauber?

Muß los.


 


Montag, 18. Februar 2019


Wochenendreport



Am Freitag saßen bereits T-Shirt-Menschen in meiner Mittgspause unten am Hafen, Gesicht und weitere Bleichhaut Richtung Sonne gewandt, eine moribunde Zauberberg-Kommune am Elbufer, ich wollte aber nichts niederschmetterndes sagen. Samstag dann viel Gedöns in der Stadt, ich immerhin kann wie an einen US-amerikanischen Tanzfilm angelehnt verkünden: Ich habe einen großen Karton getragen!

Brauche ich zum Sortieren von Zeug, und wie mir der wirklich sehr freundliche Verkäufer bestätigte: So was gibt es gar nicht mehr, weil diese metalleistenverstärkten Pappkisten nur noch aus Kunststoff hergestellt werden. Wenn überhaupt. Auch die guten Dinge gibt es nicht mehr überall. Dann mit dem Rad raus, dem angestaubten (feuchten Lappen vergessen). Die Autos noch winterverschlafen aber auf Radwegen geparkt. Das muß rasch anders werden. Sonst werde ich anders.



Auf meiner Beerdigung, so Stand jetzt, soll ein Stück von Rebecca Saunders gespielt werden, vielleicht Void. Damit mal 20 Minuten Andacht ist. Rebecca Saunders ist ganz erstaunlich, hat gerade einen bedeutenden Preis gewonnen und mich mit ihrer Musik sehr verzückt. Leider gibt es nicht viele Aufnahmen ihrer Stücke auf CD. Anders als Meredith Monk, von der ich jetzt ein paar Alben besitze. Impermanence und Dolmen Music gefallen mir am besten, Songs of Ascension und die Klavierwerke. Book of Days bislang weniger, dem Album muß ich noch mal näher auf den Grund gehen, aber das interessiert hier sowieso keinen. Sollte aber. Ihr solltet weg von dieser 4/4-Takt-Bluesschemascheiße. Johánsson fängt (oder besser gesagt: fing) immer mit einem großen Musikthemenwurf an, legt mir aber zum Ende hin doch zu viel Pathos auf. Das kann ich selbst, dafür brauche ich keine Orchesterwerke. Ähnliches gilt für Bent Sørensen ("Rosenbad"). Man denkt, diese Skandinavier sind so karg und sprøde, stimmt aber gar nicht. Ich arbeite mich da aber gerade erst ein. Vielleicht liegt es auch einfach daran, daß es sich bei letztgenannten und anders als bei Monk und Saunders um Männer handelt. Alles Großpathetiker.

Ich bin mittlerweile musikmeditativ so erweitert, ich konnte im Geschäft ganz lässig die Warennummer von meinem Aufbewahrungskarton aus dem Kopf zitieren. Wie so ein Memoriergenie! Da bin ich sehr stolz. Kein Wunder, der Rest ist ja schon ganz weggewittert. Neulich habe ich ein graues Haar entdeckt. Gebt euch doch auch mal Komplimente. Wirkt wie Sonnenschein!

>>> Geräusch des Tages: Meredith Monk, Last Song