Samstag, 8. Juli 2017
Don't punish me with brutality
(Marvin Gaye, "What's Going On")
>>> Geräusch des Tages: Marvin Gaye, What's Going On
Donnerstag, 6. Juli 2017
Manchmal, wenn ich meinen Teppich im Bad aus der Waschmaschine gezerrt habe und in der Wanne über dem Wasserhahn zum Trocknen aufhänge, verwandelt sich der Vorleger in ein klitschnasses Zottelmonster aus einem japanischen Horrorfilm. Vielleicht eine alte, verwahrloste Wasserhexe, die in meinen Teppich wiedergeboren wurde und nun mein Badezimmer verflucht hält. Irgendwoher muß der regelmäßig wiederkehrende Staub ja kommen.
Meine einzige Waffe gegen Angriffe in der Dusche ist meine Rückenbürste vom Budni, wie man die örtliche Drogeriemarktkette hier kumpelhaft nennt. Da stehe ich dann da, halte triefend dieses Ding in Schach und memoriere in milder Panik die wichtigen Leitsätze. Don't be afraid, murmele ich zu meinem klopfenden Herz hinunter. Das ist jetzt nicht das Ende, denn das Ende ist immer richtig fürchterlich. Solche Sachen sage ich, von denen ich nicht weiß, wie eine japanische Teppichhexe dazu steht.
Immerhin, frisch geduscht wird es enden, könnte man denken. Wieviele Menschen trifft man morgens in der U-Bahn, die den Kampf mit dem Teppichmonster frühzeitig verloren haben und fluchtartig und ungewaschen das Bad verließen? Dabei muß man dem Duschwahn der Leute auch nicht nach dem Munde reden. Für die Haut ist das gar nicht gut. Und Max Goldt hat gesagt, beim Menschen gibt es nur sechs Stellen, die täglich gewaschen werden müssen. Linker Fuß, rechter Fuß, linke Achsel, rechte Achsel. Und dazwischen noch zwei. Hat er bei einer Lesung erzählt.
Jedenfalls lasse ich mich von so einer Vermummenschanze nicht einschüchtern. Da könnte ich glatt ein Hamburger Polizist sein. Wasserwerfer aus dem Brauseschlauch Marsch, und dann wollen wir mal sehen, wer hier Herr der Fliesen in meinem Bad ist.
Samstag, 1. Juli 2017
A big black cloud come!
(Nick Cave, "Tupelo")
Das Unwetter, das letzte Woche bereits über Hamburg hereinbrach, das eine dicke schwarze Wolke die Elbe hochschob, die Luft über dem Hafen anhielt, eine Nacht über die Stadt stülpte, den Zugverkehr lahmlegte, hat sich nun nach kurzem sommerlichem Schwenk in eine dunkellaunige Wand aus endlosem Regen verwandelt. Sieben Wochen geht das jetzt so, murmeln die Bauern über ihrem Kalender. Sieben Monate geht das jetzt so, unken die Sterndeuter und schauen in die großen Konstellationen beider Hemisphären. Sieben Jahre geht das jetzt so, raunen Belesene und Deuter von Handlinien und schütteln traurig die Köpfe.
Das ist Mahnung, ruft der Priester, die Stimmung nicht so hoch fliegen zu lassen! Ketzterei! stöhnt die Gemeinde. Geht in eure Kammern und hört sentimentale Lieder! geifert der Priester mit schriller Stimme. Greift zu Landkarten und Zentimetermaß, versteht das Ausmaß eures Unglücks! Draußen eine alles niederdrückende Wolke, nasses Grau und von Fröschen und Nacktschnecken gesäumte Wege. Nur der eine unterwegs, der ausgerechnet am Wochenende zum Weiterbildungskurs muß.
O God, what have I done?
>>> Geräusch des Tages: Nick Cave and The Bad Seeds, Tupelo
Donnerstag, 29. Juni 2017
Es ist vielleicht nicht die cleverste Idee, nach gefühlt 20 Jahren auf Stahlsaiten neu anzufangen. Aber no pain, no gain, und letztlich ist es erstmal auch nur ein Experiment, ob ich überhaupt noch etwas hinbekomme. Derweil geht es um Feinmotorik üben und das Gehirn trainieren. Musik ist dafür genau richtig, und unterstützt von diesem kleinen röhrenmodulierten Vox-Dings klappt das schon ganz aufmunternd. Einfach ein bißchen Krawall reindrehen, schon sind die gröbsten Fehler und Unsauberkeiten verziehen und gehen notfalls in einem Wall of Sound unter. Meine Lieblingseinstellung ist die Young'sche Rust never Sleeps-Phase - gespielt allerdings mit den eher gichtigen Fingern des Herrn Bob. Ich bleibe da jetzt mal dran, jeden Tag eine halbe Stunde, und wenn es losgeht mit dem "heute mal nicht", kann man immer noch prima Wäsche zum Trocknen dranhängen.
Meine Aufgabenliste ist sehr umfangreich und detailliert, die Ziele hochgesteckt. Neil Young ist in der Hinsicht ja ein Vorbild. Gut, der Mann hat, wie nennt man das, ab und an schon mal "Ansichten". Aber allein, wenn man sich mal die Liste seiner Krankheiten und Operationen anschaut, fällt es schwer, sich selbst mit windigen Ausflüchten vor der Kulturarbeit zu drücken. Immer weitermachen, meine Güte.
>>> Geräusch des Tages: Neil Young, Hey Hey, My My
Dienstag, 27. Juni 2017
Wenn man schon mal Kometenbahnen zieht, kann man auch in größere Radialsysteme eintauchen und der großen Nachbarstadt einen Blitzbesuch abstatten. So blitzig war es allerdings zunächst nicht, der Abendzug blieb erstmal über eine Stunde in Hamburg stehen, nicht aus Widerwillen, sondern weil tatsächlich ein Lokführer fehlte. Solche Geschichten gibt es also auch. Fachkräftemangel im laufenden Betrieb. Leider wurde unter den Fahrgästen nicht weiter nachgefragt, ich hätte vielleicht gesagt, komm, was soll's, mach ich. Ich immerhin wollte ja schließlich nach Berlin.
Letzte Gottesbeweise waren zu leisten. Und ich knicke hiermit nach Jahren des aus hinter die Fichte geführt seins trotzig genährten Leugnens ein und sage, ja, ist ja schon gut, Berlin hat tatsächlich ein Nachtleben. Meine Güte. Jetzt chillt mal, ihr Opfer. Ich habe es auch sozusagen fast alleine gefunden ("Da mußte da durch den dunklen Weg, an dem Haus vorbei die Treppen runter und dann unter dem S-Bahn-Bogen", so die auf der Straße aus jungen Leuten herausgequetschte Auskunft.). Drinnen Lärm, Trunk und nette Leute, einen Teil kannte ich schon, den anderen lernte ich dann kennen. Geht doch, Berlin, warum nicht gleich so.
Die Luft war ins Klatschnasse getränkt, aber wer gemeinsam schwitzt, kann auch gemeinsam Musik machen. Die vorhergehende Band war allerdings ein bißchen eng hintenrum mit ihren Instrumenten. Nachdem die Gitarre schon betrunken unbefangen gekapert war, war ich nämlich drauf und dran ebenfalls auf die Bühne zu steigen und das Drumkit zu entern, aber so sehr Berlin ist Berlin dann eben doch nicht. Oder andersherum, bleiben wir ehrlich, ich zudem weder als Lokführer denn als Little Drummerboy ausreichend in Form. Ihr wärt sonst bei einer Weltpremiere dabeigewesen. Also quasi. Pläne verschoben sind nicht aufgehoben.
Dann irgendwo was essen, irgendwo was frühstücken, irgendwo durchschauen, Galerienschlendern, dann Maladien auskurieren, so ganz beisammen bin ich dann doch nicht, insgesamt aber wieder über mich selbst erstaunt. Vielleicht lerne ich bald mit kleinen blauen Weltkugeln jonglieren. Ich habe eine lange Aufgabenliste bekommen.
Hat ja keiner mitbekommen, als ich zu Neujahr Warpaints New Song verlinkte. Man muß aufpassen, welches Motto man wählt. Es könnte wahr werden. Essen soll ich.
Dienstag, 20. Juni 2017
Erstaunliche Dinge geschehen manchmal ganz unerwartet. Man kennt das ja aus dem astrophysikalischen Tageskalender. Wie aus den unendlichen Weiten des Weltraums ein Komet seine Bahn zieht, der nur alle paar Jahre sichtbar wird, irgendwo reinkracht, zu Verwerfungen auf der Erde führt, Sturmfluten, Erdbeben, Versinken in Rotwein. Man sitzt da wohlmöglich nachlässig gekeidet hingehockt vor seinem Teleskop, sieht ein heranrauschendes Objekt aus dem All und denkt literaturnobelpreisverdächtig "something is happening, but I don't know what it is". Mehr prognostische Klarsicht hatte einst Frau Gaga, die machte uns von ihrer Sternwarte aus vor Jahren bereits aufeinander aufmerksam, so daß wir uns auf gewisse Weise schon kannten, obwohl wir uns aus diesem oder jenem Grund und einem anderen nie getroffen hatten. Da könnte man mal ein Buch darüber schreiben.
Komplizierte, elliptische Flugbahnen also führten Komet Max dann doch aus dem blauen Sternenhimmel heraus nach Hamburg. Ihre Freundin Tania Jacobi hat hier gerade eine Ausstellung, sie selbst dort einen Auftritt, ich ging zur Eröffnung, wir erkannten uns gleich, der Rest ist Kunstgeschichte. Kann man mal ein Buch darüber schreiben.
Manchmal, selten, macht es ja gleich Klick. Da geht es nicht nur darum, wer die dreckigeren Witze reißen kann oder welche Art von Musik und Kunst man bevorzugt, wie man Dinge politisch betracht oder Dinge, die man essen kann. Am Ende ist es der Grad von Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht. Dann läuft man gemeinsam auf einem Crashlanding-Kometenkurs durch die Stadt, wühlt sich begeistert durch Bücher über Taxidermie und Low-brow-Art, tauscht Lebensgeschichten und Einblicke, Gemeinsamkeiten. Pattern recognition. Irgendwann sitzt man gemeinsam in der Garderobe auf einer Art Therapiecouch und ißt ein Eis, irgendwann war ich als Bühnentechniker angeheuert. So beginnen Freundschaften. Da wird sicher mal jemand ein Buch darüber schreiben.
"I came to fuck up your mind", wurde zum überzeugend selbstbewußt vorgetragenen Motto der letzten Tage über einer in meiner Küche herbeigekochten Suppe, ein gutes Stück Therapiearbeit und freundschaftlicher Tritt in den Hintern, damit ein bißchen dieser ansonsten für Deutsche so gefährlichen Zugluft für frischen Wind im Hause sorgt. Nach den zurückliegenden anstrengenden und manchmal auch leicht beängstigenden Jahren die Energie wieder fokussieren, seinen Kram neu ordnen und den Blick wieder auf die Horizontlinie richten. Ich konnte mich immerhin mit einem kleinen Deutschkurs revanchieren und erläutere, wie man fehlerfrei "Du Opfer" sagt. Kulturaustausch ist so eine bedeutende Sache! Möchte mal jemand ein Buch darüber schreiben?
Ein transitionskraftverstärkender Vollmond hängt fett am Himmel, als wir am Knust vorbeigehen. Ein Chor steht vor dem Haus und singt "Bye-bye, Junimond". Das wird kein gutes Ende nehmen, sage ich. Neulich hätte ich zum ersten Mal die ISS gesehen. Sechs Minuten lang zieht die Raumstation ihre Bahn als leuchtender Punkt über den Himmel, ein sehr helles Objekt in einer eigentlich unfassbaren Entfernung. Dann ist sie wieder verschwunden. Sei kein Pessimist, höre ich. Drüben im Restaurant sind tatsächlich noch Tische frei. Man muß immer den ganzen Weg gehen. Aber wir sind etwas müde vom Tag. Wir haben uns so lange nicht gekannt.
Darüber sollte mal jemand ein Buch schreiben.
>>> Geräusch des Tages: Bob Dylan, Ballad Of A Thin Man
Mittwoch, 7. Juni 2017
Das Heimtückische an Musik ist ja, daß sie aufgeladen mit Erinnerungen einen langen Winterschlaf antreten kann, der sieben mal sieben Jahre dauert. Oder mehr. Kehrt sie dann nach verregneten Jahrhunderten zurück, legt sie einem allen längst entsorgt geglaubten Krempel aufs patinierte Silbertablett: zerdrückte Sunkist-Packungen, eine Haarbürste ohne Borsten, eine abgerissene Kinokarte. Und alle, alle Kämpfe des Vergessens sind verloren.
Was haben wir, also ich, damals gegen dieses Ditty gewettert, das auf einmal europaweit aus allen spiegelverkleideten Eisdielen drang ("Einmal Vanille bitte, und wie heißt dieses Türkise?!?"), dieser gekloppte Baß, wie es damals Mode war, der billige La Boum-Sound, der diesen Franzosen nicht auszutreiben ist, diese glattgeschmirgelten Gitarren und Lexicon-Echos. So ein Schas, der tollen Sängerin, die damit ihr großes Comeback feierte nach 70 Jahren Hörfunkpause, zum Trotz. Völlig aus dem Kopf gefallen war es mir.
Nun ist, ich mußte es beim Wiederfinden mit wie mit Kirschkaugummi verklebten, nichtsdestotrotz knirschenden Zähnen feststellen, "Ella Elle L'a" ist ein ganz schön fix addiktives Stück Musik, das trotz seiner hymnischen Lobesabsicht, "petite flamme", unverschämt melancholieunterfüttert daherkommt. So ein bißchen, "dreh ruhig noch mal um", aber damit meine ich jetzt nicht die Platte. Egal.
Als ich in der schönen Stadt im Vergnügungspark saß, einer Schulklasse zuschaute beim, wie nennt man das, wenn so gummigepufferte Elektroautos zusammenbumsen?, dachte ich, man müßte eigentlich so einen Rentner-Autoscooter-Tag auf der Kirmes einrichten. So für Erinnerungssüchtige, wo aber die Wagen nicht ganz so fest zusammenstoßen, von wegen der Gesundheit her. Könnte ich das dann auch mal machen. Zu der Musik da.
Ein wenig fühlte ich mich wie Charlotte Rampling in Swimming-Pool, wenn sie als etwas verhagerte Frau der in ihrem Just out of bed-Look unverschämt hitzige Vitalität atmenden Ludivine Sagnier verstohlen beim Tanzen zu Billigmucke zuschaut. Ich könnte dann auch etwas unbeholfen in so eine Elektrokarre steigen, ehe ich allen zeige, wo der Scooter-Hammer hängt. Aber ich dachte, laß die jungen Leute da mal machen, die lernen es schon selbst.
Meine Mutter hörte als junge Frau viel von Daliah Lavi, wegen Schönheit vom Aussehen und Rauch in der Stimme, also Ähnlichkeit, und auch Sachen im Radio von Dalida, aber als die Lavi starb, meinte sie nur, na ja, so ist das halt. In der schönen Stadt stellte man sie im Kisterl wenigstens ganz nach vorn. Um das Geld hätte ich die Platte mal kaufen sollen. Vielleicht kommt mal eine Erinnerung vorbei, und dann habe ich nichts anzubieten! Na ja, letztlich doch alles nur schöne Worte, wie es wiederum bei Dalida heißt. Auch schon tot. Tu es comme le vent qui fait chanter les violons. Pfff. Alte Lieder.
Als Kind war ich ja #Team Françoise Hardy. Die war in meinem Alter und genau so unbeschwert wie ich.
>>> Geräusch des Tages: France Gall, Ella Elle L'a