Dienstag, 2. Juni 2015


Trauer muss Herr Kummer tragen



"Kummer schwimmt oben", heißt es bei diesem berühmten Schriftsteller, der nach dem Absturz einen feuchten, toten Hund an eine ferne Küste spülen ließ.



Es war ja auch wirklich ein Debakel. "We don't need another Zero!" sang Tina Turner ihre Heldenfanfare aus der Musikbox. Was mehr als einander Trost zu spenden bleibt den Punktevergessenen in dieser bitteren Stunde?

Die Maladen und Beladenen, die Geschlagenen und Gebeugten trafen sich im Hotel Kummer, nippten an schweren Getränken und rochen noch schwereres Parfüm und eitrige Wunden. Hingeplüschte Lebedamen mit traurigen Wimpern, gefälschte Gemälde an der Wand, bandagierte Thekenphilosophen beim Tischgespräch, so rührte sich Löffel um Löffel klebrig gerührte Schwermut zusammen, aus der nicht einmal ein Phoenix seine ölverfransten Flügel hätte heben können. "Ach ja"-Gluckser und "San's mer net gram"-Geschmeichel, eine zarte Ernst-Häckel-Medusa, uns in wehende, wässrige Kleider hüllend.



Geknickt, aber nicht besiegt. Gedemütigt, aber unverdrossen. Denn liegt uns nicht dieses Lied, liegt uns vielleicht ein anderes. So das Mottto des Tages.



Am Ende tauschten wir alle höfliche Visitenkarten und artige Grußbezeugungen. Mensch, sag ich. War doch toll. Und wir trugen wirklich die schönsten Gewänder.


 


Montag, 1. Juni 2015


Spannungslose Carte Postale



The Owls are not what they seem..., heißt es. Zur Überprüfung habe ich also Kamera und Reiseführer nebst faltbarer Karte und einer Überjacke gepackt und bin in die schöne Stadt geflogen. Auch ein Übungsprogramm natürlich, ich bin nicht so der entspannteste Reisende, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich weiß, wo ich den Koffer hinstelle und auf welches Kissen mein Kopf landen wird. Das ist immer noch so, auch wenn ich letztes Jahr sogar zwei Mal in der schönen Stadt war. Trainingsmangel. Ich verreise einfach zu wenig. Keine Expedition, kein Nachtflug, ich pflege andere Vergnügen.

Wenn ich erstmal angekommen bin, entstrapaziere ich aber im Augenblick, lege mich vielleicht kurz hin, habe die Ehre, bin aber im Grunde schon entmüdet, erkunde das Revier zwischen 6. und 7., kaufe schnell etwas ein... Was allerdings in Wien über Pfingsten nicht einfach ist. Der Supergreisler an der U3 haut es raus, und verhungern sollte man in dieser Stadt sowieso nicht. Danach dann Ruheprogramm. Man muß einfach nichts tun. So wie andere Arztromane, habe ich die touristischen Sehenswürdigkeiten zwar nicht mit zwölf, aber doch frühzeitig hinter mich gebracht. Ein paar Sachen habe ich für schwere Zeiten, denn Vorratshaltung ist Pflicht, noch aufbewahrt. Die Kaisergruft vielleicht, da schau her, oder die Feile, die berühmte, heimtückische Feile. Ach, selbstverständlich gibt es noch ganz viel zu sehen und zu entdecken. Aber, man muß nicht. Ganz entspannt.


 


Freitag, 15. Mai 2015


Görls



Ich bin ja immer so langsam. Aber nachdem mir nun seit Jahren hier und da begeistert berichtet wird, habe ich angefangen, einen weiteren popkulturellen Lückentext für mich zu schließen. Girls also, Lena Dunhams erstaunlich fertiges und erstaunlich frühreifes Werk über vier Freundinnen in Brooklyn. (Das ist ein Stadteil in New York, einer Stadt in den USA.) Ich meine, die war so Anfang, Mitte Zwanzig, als sie anfing, hatte ein paar kürzere und einen längeren Film (Tiny Furniture) gemacht, eine kleine Webserie - und dann HBO, Judd Apatow, Weltruhm!

Viel ist über die Serie geschrieben worden, eine Art Sex and the City für Studentinnen sei es, jetzt nicht das Tiefschürfendste im Filmbergbau, aber klug beobachtet, lebensnah, mutig, frontal, mit bemerkenswert normalem, New-Yorker-Körperbild, statt zurechtoperierter Cali-Girls wie sonst in TV-Serien. Und eben witzig. Das Interessante ist: Alles davon ist wahr.
Die Dunham, die neulich noch eine (umstrittene) Biografie nachschob, schreibt, produziert, führt die Regie und spielt die Hauptrolle, bastelt also ein Autorenwerk und scheut dabei keine Entblößung. Übertragen und natürlich buchstäblich. Eine Bloggerin also, nur eben auf dem kleinen Bildschirm.

Schaut man etwas näher hin, sieht man schnell, daß die Dunham auch nicht vom Himmel gefallen ist. Ihre Mutter ist die ziemlich bekannte Fotografin Laurie Simmons, die mit einer Serie "Tiny Furniture" bekannt geworden ist. Eine andere aus dem Quartett, die entwaffnend naiv aufspielende (und liest man Interviews, ist sie wohl im realen Leben nicht überraschend anders) Zosia Mamet, die Tochter von David "Spartan" Mamet - Künstlerkinder also, wo man zu den ein oder anderen Dingen und Lebensstilentscheidungen und natürlich auch Telefonnummern leichter "Hallo" sagt als wenn man aus anderen Häusern stammt. (Keinen Neid, bitte.)

Jemima Kirke hätte mich auch bekirken können, wäre ich ungefähr nicht in dem Alter, ihr Vater sein zu können. Macht ja nichts, man lacht dann befreiter, weil man die Mechanismen und kleinen Knöpfe und Schalter nun so viel besser durchschaut. Also ihre, aber auch die eigenen. In dem divaesken Narzisstenpack kommt Adam Driver, der Dunhams Freund in der Serie spielt, meinem früheren ich schon recht nahe. Ich bin natürlich nicht so kräftig gebaut, aber das wissen wir ja alle.

Super 8 | von kid37 um 23:37h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 3. Mai 2015


Mairegen



Was waren das Zeiten, als man mit Walpurgis und ihren sechs Schwestern auf dem Blocksberg getanzt hat. Heutzutage, da im ganzen fruchtbaren Elbenland kaum noch Jungfern zu finden sind, bleibt so mancher stolze Maibaum unumwunden, flattern keine Kleidchen und bunte Bänder mehr im milden Wind des Frühjahrs. Zudem komme ich jetzt in das Alter, wo das Schleppen oder Stehlen strammer Maibäume ein wenig anstrengend geworden ist, so von der Kraft her und vom Rücken. Da begnüge ich grau gewordener alter Pan mich doch damit, heimlich durchs Laub zu lüschern und den jungen Hexen bei ihrem frivolen Hexenwerk mit gleichzeitig friedlichem und erinnerungsgetränkten Lächeln zuzuschauen. Rik Garett hat's fotografiert und im Buch Earth Magic für alle Daheimgebliebenen dokumentiert. So war es, und ich schwöre das.

Daheim dann Hausschäden, beim Versuch, alles neu zu machen wie so ein Mai. Emailleplatzer, eine kaputte Werkzeugkiste, verschwundenes Reperaturzubehör für meine Fahrradgriffe, eine der Kameras hat einen leichten Defekt. Kommt eins zum anderen. Bei meinem neuen Indie-Kinohit An Ant Walks Home Alone at Daylight habe ich - wie so'n Anfänger! - vergessen, die Schärfe nachzuziehen. Auslandsoscar ade! Erst das mit der Fußballkarriere, dann kein Rockstar geworden, jetzt die Filmkarriere im Eimer. Na ja, bleiben mir immer noch meine unterirdischen Kockkünste. Da könnte ich endlich Wirt werden und ein Restaurant eröffnen: Zum zähen Schnitzl. Jetzt schon Kult. Abends spiele ich für die Gäste auf dem Akkordeon. Kann ich nämlich auch nicht.


 


Donnerstag, 23. April 2015


Folge leisten



Höflichkeit und Sozialverhalten hätten nachgelassen, lese ich in einer Umfrage, und dem stimmten sogar ein gutes Drittel junger Leute unter 30 zu. Nicht, daß jemand auch nur ansatzweise meint, nur alte Grantler ergingen sich in die ewig wiederkehrende Klage vom Verfall der guten Sitten bei der Jugend. Ich nun wieder, als langjähriger erfolgreicher Leistungsträger im internationalen Sportgranteln (mehrere Abzeichen und Medaillen), beobachte diese Zustände quer durch alle Altersgruppen, klage aber nicht, weil Menschen, die wohl selbst im Sittenbinnenland der Bionadetrinker wohnen, mir bedeuten, so schlimm sei das alles nicht.

Umfragen jedoch können nicht lügen und haben Falschfrisierte, Füßeaufdensitzsteller und Garderobierenanweisungsmißachter präzise entlarvt.

Mit Schuhen, die von mir gestaltet geputzt wurden, wandere ich in fremden Straßen herum, fesch frisiert wie ein Marabu und offen für meinetwegen auch unfrisierte Momente und denke mir dabei die ein oder andere Locke auf dem Kopf. Seit einem unkomplizierten Schadensfall mit meinem alten Fön nämlich besitze ich ein neues Haartrocknungsgerät, das Ionisieren kann. Man merkt das nicht sofort, erst wenn die Haare abstehen wie bei einer Comicfigur. Oder wie bei Bob, allerdings ohne diesen Cabriodach-Effekt. Mal schauen. Da war Zubehör dabei, das mir nichts sagt, und vielleicht auch ganz anders eingesetzt wird. So wie früher diese Massagestäbe im Versandhauskatalog, die gerüchteweise nicht wirklich zum Ionisieren an die Wange gehalten werden wie auf den Fotos, sondern sozusagen zum recht eigentlichen, Achtung schlecht zurechtfrisiertes Wortspiel, Yonisieren. Das aber nur dazu und als Test, ob bis hierhin noch jemand mitgelesen hat.

Nach einer kurzen Werbepause, in der ich mir folgerichtig den Mund mit Seife ausgewaschen habe, zurück zum Text. Ich selbst kreide mir Albrigkeiten jeglicher Art am unnachgiebigsten an, man muß sich das als irrlichternden Erschöpfungszustand vorstellen, bei dem man schlußendlich auf andere Menschen hören und Folge leisten sollte. Ich merke nämlich, daß ich mich fühle wie ein von der Achterbahn geschleuderter Hirnforscher, über den der Hamburger Till Nowak diese wirklich ganz wunderbare und verblüffende Wissenschaftsdoku gedreht hat. Sechseinhalb Minuten, die euch zeigen, daß ihr von Achterbahnen im Leben aber nur wenig wißt.

Ging mir früher auch so, weil alles so unaufgeräumt zentrifugiert war und nicht so hübsch übersichtlich arrangiert wie jetzt.


 


Donnerstag, 16. April 2015


Do not ouch!



Vielleicht hätte ich mir mal ein paar Beiträge auf Vorrat speichern sollen, für zehn Wochen wenigstens. Dann hielte hier mein unauffindbares Selbst nicht so lange Schweigepausen wider die Natur. Denn privat, die zwei Menschen, die mich kennen, werden das leider bestätigen müssen, bin ich ja ein perlender Quell banalster Geschichten. Weshalb ich die besser wieder hier hineinschreibe. Sonst wackelt dann und wann ein grüner Hase mißbilligend mit den Ohren.

Mein Fahrrad bewegt sich auch schon wieder, wenn auch nicht von selbst. Änderungen entlang der Fahrtstrecke sind zu verzeichnen: Baugruben, Verkäufe kleiner Häuser, für die ich mich auch schon mal interessiert hatte, ehe ich mich dauerhaft in meinen wohltemperierten Leuchtturm sperrte. Dort stapeln sich die letzten Neuerwerbungen obskurer Bildbände zuletzt so hoch, daß dann und wann ein grüner Hase mißbilligend mit den Ohren wackelt.

Bei so einem Leben geht man besser nur auf Socken weiter. Die gute Frau Sorge, spricht mir aufs Telefon, Befunde in der Hand, und wackelt gleich mit dem ganzen Kopf. Immerhin nicht mißbilligend. Derweil weitere disseminierende Anwürfe verbockter Menschen aus Lautwerder, die in meinem Leben herumstehen. Keine Zeit für Gerede, zumal dem anderer Leute. Über dich redet man auch, denke ich. Interessiert mich auch nicht. Da wackelt höchstens dann und wann ein grüner Hase mit den Ohren.

Mittags bei den netten Bäckereifachverkäuferinnen derweil ganz andere Ver- und Zerstreuungen. Streuselschnecken, Streuselkuchen, Straußwirtschaft lautet die Steigerungsform pausenbrotlicher Vergnügungen. Ein kleiner Schwatz, der Rest "wie immer", der kleine grüne Hase wartet währenddessen draußen am Kai, ißt eine Banane und läßt dann und wann die Ohren im Wind wackeln.

Man kann aber auch bei bester Vorbereitung nicht jedes Mißgeschick verhindern. Das Leben bleibt ein Niagarafall: In 2003, Kirk Jones, a forty-year-old unemployed man from Michigan, became the first person to survive going over the Falls without any safety device at all, effectively ending the era of barrel riding. [...] Jones steeled himself with two liters of vodka and orange and floated towards the crest of the Falls on his back. He had, according to one witness, a smile on his face, and went over the roaring cascade headfirst. His brother was with him and was supposed to videotape it, but the battery died. [Christopher Turner, "Extraordinary Voyages". In: Cabinet, Nr. 19: Chance. New York, 2005. S. 36.]

Da wackelt so ein grüner Hase dann und wann mißbilligend mit den Ohren.


 


Samstag, 28. März 2015


Gordon July



Das Wochenende ist jetzt erst einmal gerettet. Kaum kommt die verderbliche Sonne mit unverfinstertem Licht heraus, habe ich meinen Bücherstapel mit den ungelesenen Büchern hinter weiteren Bücherstapeln entdeckt. Das Fahrrad wäre auch endlich mal zu bewegen, dreams are ten a penny. Vielleicht steht es überwintert in einem Stapel im Fahrradkeller. Hinter weiteren Rädern.

Miranda Julys The First Bad Man habt ihr sicher alle schon erworben, bei Kim Gordons Biografie Girl in a Band bin ich mir nicht sicher. Ich könnte es wahrscheinlich herausfinden, wenn ich mit der bei mir aktuellen Ausgabe meines Lieblingsmagazins Cabinet durch bin, das eine wunderbar inspirierende Ausgabe über "Forensics" gemacht hat.

Der Zeit und den Umständen angemessen, wie ich finde. Zumal ich meine eingerosteten Werkzeuge als Profiler schärfen muß, wenn es denn bald wieder heißt Fü füfü füfü füüü. Sechs neue Folgen wird es geben. Zeit also auch, die alten Anzüge herauszukramen und schauen, ob alles noch bügelfaltenfein sitzt. Zeit auch hier, meine Erinnerung aufzufrischen, denn ein erster, mir zugespielter Wissenstest brachte noch Lücken und insgesamt noch selbstoptimierbare Ergebnisse zu Tage.

Ich werde also, wenn ich mich demnächst fleißig erneut durch diese Ach-so-90er-Serie ("Eine Regierungsverschwörung gegen die eigene Bevölkerung? Wer denkt sich so was aus?") arbeite, etwas touchy sein, wie wir hier auf dem Heiligen Berg der Eingeschnappten Hypersensiblen sagen.

Warum auch nicht? Sei wie ein Weidenkätzchen, heißt die Devise 2015. Zäh und flexibel, mit schneidigem Pfiff und puschelig zugleich. Kauft euch schöne Kleider.