Montag, 22. Dezember 2014


Himmelsfahrten



Jetzt sind sie wieder alle aufgefahren. Der Udo und die anderen. Himmelslichter, Signalboten am Nachthimmel, vielleicht auch Verlorene. Denn nicht alle sind unterwegs, von einem Heiland zu künden oder von Geschenksendungen in einem Schlittengespann.

Der kurze Film Kosmonauta stellt einen anderen unerklärten Fall nach. Die Signale, die 1962* von italienischen Funkamateuren auf einer Frequenz des sowjetischen Raumfahrtprojekts aufgefangen wurden, scheinen von einer einsamen Katastrophe zu berichten. Die Tragödie der ersten russischen Kosmonautin, die auf dem Rückweg zur Erde technische Probleme erlebte und im All verglühte. Die Wahrheit über diesen Fall ist immer noch irgendwo da draußen, verlorene Signale, verlorene Geschichten, verlorene Menschen.

Man muß das ja alles erzählen, damit es lebendig bleibt. Wenigstens das.

Super 8 | von kid37 um 21:41h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 10. Dezember 2014


Aber gerne, ihr Sterne

In the past three years, Saturn limited your movements and forced you to concentrate on goals. ... Saturn is known to take away your usual sources of support to see if you can stand on your own two feet independently. ... Saturn teaches that we can do things that we assume we could not possibly do, and in the process we become stronger. Oddly, Saturn also tends to bring health difficulties while touring the sign, and that fit me too. (If you too have recently been plagued with a health concern, that situation will now improve....) [Q]



Nanu, warum liegt denn hier Stroh Staub? So ein Blogstreik bringt natürlich nichts, wenn ihn keiner mitbekommt, stelle ich fest. Beim nächsten Mal also besser mit Transparent und Megafon unten an der Mole. Die Botschaft skandieren: Mein Hafen hat mehr Nebel als dein Hafen. Die Bahn immerhin fährt wieder und brachte mich nach Haus, Baby.

I'm coming home. Der Alltag mittlerweile ist wie ein geschenkter Gaul. Man nimmt ihn so hin, weitgehend stumm, bloß vages Erzählen. Ein paar Diffuspläne, ein paar Experimentalpläne, Ausweichungen und Hinführungen, der Rest ist Winterpause (im Herbst bereits).

Über Undank meditiert und Empörungsreflexe. Menschen, die nur Überschriften lesen und darin ein Aufforderungsklingeln zur Schaumbildung. Was soll ich nachdenken, was Menschen denken, die sich nicht den Mund abwischen? Da legste dich selbst schachmatt, schüttelst den Kopf, schneidest die Rosen mitsamt den Dornen und fühlst mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Händen nach den zugigen Stellen am Fenster.

Winterbefestigung. Die Ernte durchzählen, den Blick nach vorn, Jahresendzeitläuten schon im Ohr. Die Bilanz: trockene Tücher bereithalten. Alles drin einwickeln. Die zwei, drei letzten vertrauten Matrosen an Bord enger fassen, den Rest dippte die Planke. Ich selbst, mit blau geschlagenem Auge (gern würde ich sagen: Ihr müßtet den anderen sehen! - aber es war nur metallene Straßenmöblierung) die Öffentlichkeit meiden. Man erschreckt ja die Kinder!

Nur die Backfachverkäuferinnen nicht. Die halten mir Kuchen reserviert. Mensch, sag doch was, wir haben da noch ein Stück für dich. Der letzte Trost der Großstadt. Heult doch selber.


 


Mittwoch, 26. November 2014


Moment noch



Ich rufe bald zurück!

Bis dahin, macht doch mal was wider die Bequemlichkeit in den Augen. Schaut doch morgen mal in Berlin bei der Ausstellungseröffnung der Fotografin Marlen Mueller vorbei. Ich mag diese Bilder, die einen nicht anschreien, wenn sie stimmungsvolle, fast flüchtige Momente, Grenzlinien zwischen Jugend und Vergangen, Morgenkaffee und Wann-fängt-der-Abend-an, Bewegung und Augenblick zeigen. Kleine Geschichten, die gleich passieren oder gerade eben passiert sind.

Oder schaut am Samstag bei Feinkunst Krüger rein, wenn es zum neunten Mal heißt Don't Wake Daddy. Heiko Müller, Moki, Paul Chatem, Ryan Heshka, Femke Hiemstra, Fred Stonehouse und einige mehr sind dabei, ihr könnt es auch sein und mit offenem Mund und klopfenden Herzen vor den Wänden stehen.

Das sind alles so Möglichkeiten und Wege. Ihr müßt sie nur selber gehen.

(Marlen Mueller, "Exhibition". Greifswalderstr. 202, 10405 Berlin. 27.11.2014
"Don't Wake Daddy". Feinunst Krüger,Hamburg. Ab 29.11.2014)


 


Freitag, 7. November 2014


Streik-Susis



Aufgehetzt durch eine merkwürdig schräglagige Medienlandschaft keift Deutschland sich durch verkehrsstillgelegte Tage. Während die notorischen Kommentarspaltennörgler gerne von "Entschleunigung" reden, war dann gleich soviel davon auch wieder nicht recht. Der Bahnstreik setze nicht etwa ein Zeichen gegen Neoliberalisierung und für Arbeitnehmerrechte, sondern gefährde "meine Fernbeziehung" ist zu lesen oder "die Reisefreiheit am 9. November", denn den Knüppel für eigene billige Anliegen wie "Paaaaaarty in Bääääärlin" kann man ja nicht groß genug wählen.

Was fällt dieser Kleingewerkschaft auch ein? Kann die nicht gefälligst eine e-Petition starten für ihr Anliegen, so wie das normale Menschen heutzutage tun? Vorneweg diejenigen, die sich rühmen, in Jugendjahren jeden Morgen sechs Kilometer zur Schule GELAUFEN zu sein, barfuß, durch den Schnee. Man entsolidarisiert sich weiter, eine ehemalige arbeiternahe Volkspartei will das Streikrecht nun neu gesetzlich regeln. Beifall von denen, die noch Arbeit haben und nicht bis Morgen denken.

Bill Morrisons Film über die britischen Minenarbeiter und ihre Gewerkschaften zeigt ein vergessenes Kapitel Industriegeschichte. Ein nostalgischer, sepiagetränkter Rücklick auf die später von Thatcher zerknüppelte Gewerkschaftsbewegung und die zahlreichen ("Brassed Off!") Blaskapellen im englischen Norden (hier ersetzt durch den wunderbaren Soundtrack von Jóhann Jóhannsson), die Traditionen und das, was wir belustigt Solidarität nennen. Was bitter fehlt, heute, wo wir alle die Helden unserer eigenen Geschichte sind, unsere eigenen Autoren, Vorgesetzten und Selbstversicherer, -optimierer und -manager.

Da ist etwas abhanden gekommen.

("The Miner's Hymns". Regie: Bill Morrison. GB 2010.)


 


Mittwoch, 5. November 2014


Dias de los Muertos



Ich mußte mal für eine Woche die Füße still- und hochlegen. Ein- und Aussortieren, Zielbestimmungsforschung in den Kellergewölben (Sachen, die ich bewahre, Sachen für Basare, Sachen für den Tauschtisch, Sachen wie "kenn ich nich"), auch den metaphorisch gemeinten. Stapel von links nach rechts schieben und letztlich den Abfluß der Spüle reparieren.

Dann Geburtstag: Zum Frühstück Pakete öffnen, interessante Bücher bekommen, darunter: Rocko Schamoni, Fünf Löcher im Himmel, Marcel Mathiot, Die erotischen Abenteuer des Monsieur Mathiot: Bekenntnisse eines späten Liebenden, Eduard Betz, Philosophie des Fahrrads (urspr. 1900). Außer Konkurrenz zum Nicht-Geburtstag noch zwei Bücher über Wien, nämlich Wittgensteins Wien und Der Tschocherl Report: Die unbekannten Wohnzimmer Wiens, worüber ich mich sehr gefreut habe.



Dann mal das Blog abgeschlossen, mit einer Twitterin in einem eisigen Café gesessen und mich anschließend erkältungsbereit gefühlt. Zum Abschluß des Tages im Dunkel der Wohnung mit dem Kopf vor einen Mikrofonständer geknallt - die Folge war eine zickzackförmige Narbe auf der Stirne wie bei einem verwaisten, englischen Zauberlehrling und ein Dröhnen, das wie ein lästiger Ohrwurm ("Chici Chi - Chici Cha") meinen Kopf nicht mehr verlassen wollte. So lag ich dann im Bett, eine Wärmflasche im Rücken gegen die Cafékälte und einen Eisbeutel auf dem Kopf. Das ging doch früher alles mal anders mit dem Geburtstagsfeiern! Als man von heißen Bräuten (darf man "Bräute" sagen? Was ist denn jetzt politisch korrekt? "Ischen"? "Miezen?" Katzen gehen doch immer oder?) gewärmt und Eisbeutel nur gegen den Kater (Katzen gehen immer, sage ich doch!) auf dem Kopf balanciert wurden.

So war das und nicht anders und dann die weiteren altersgeplagten Tage. Regelrecht ausgeknockt nämlich lag ich da, in regelmäßigen Abständen den Totmannschalter drückend, während sich Kopfschmerzen unter meine Schädeldecke gruben und weitere Entspannungsaktivitäten verhinderten. Wie zerebral überwachte Reparaturen im Haushalt oder das Abdichten der Sturmfenster hier an meiner Geriatriestation meinem Wasserschloß.

Pünktlich zum Tag der Toten war ich wieder auf den Beinen, gibt doch wenig so viel Pep wie ein Zuckertotenschädel. Im Museum für Völkerkunde wird jährlich das mexikanische Totenfest gefeiert, da gibt es was zu Essen, zu Staunen und bunte Reliquien zu erwerben. Wie einen Frida-Kahlo-Schrein beispielsweise oder kleine Skelett-Mariachi-Bands. Kinderschminken nicht vergessen, was mir ermöglichte, das Museum ebenso unerkannt wie angemessen als bleicher Schmerzensschädel zu verlassen.


 


Sonntag, 26. Oktober 2014


Neulich in Billstedt



Dieser kleine, sehr rauhe Dokumentarfilm im Ken-Loach-Stil zeigt das Leben im tristen Hamburger Osten, wie es halt ist. Gleichzeitig ist die zart-melancholische Geschichte inhaltlich dennoch völlig unrealistisch. Als Blogger habe ich das natürlich verifiziert und kann sagen: Gisela Bündchen reagiert nicht auf handgeschriebene Briefe. Und ich habe mit Siebenundreißig-Tage-Bart, im Anzug und gut parfümiert tagelang hinter der bloß angelehnten Türe gewartet. Story of my Life.

Gisela Bündchen aber ging, mein Wollen und Verlangen und Briefeschreiben ignorierend, alleine weiter Surfen auf einem Billstedter Badesee. Sie stieg nicht in die U2 oder benutzte den Schienenersatzverkehr am Wochenende. Man muß dieser Wahrheit ins Gesicht sehen. Es bleibt die ebenfalls gut parfümierte Gewißheit: Es sind die Niederlagen, die einen stärker machen.


 


Freitag, 24. Oktober 2014


Es gibt kein Entkommen



Nicht mit brachialer Wucht jedenfalls, sondern durch feine Schnitte, die Laubsäge näher gehalten als die Axt. Wir sehen humorvoll-melancholische Geschichten, die im Holz seit langer Zeit schon eingeschrieben scheinen und von Passfeld, dem Finder solcher Dinge, nur rausgelöst zu werden brauchen. Filmerzählende Bilder und Assemblagen, Holzobjekte, die in den Raum greifen, sich als Sprache tarnen und wieder zu Bildern werden. Da fuhr gerade eine Frau in einem Sommerkleid auf einem Fahrrad vorbei.

Wer sich beeilt, kann sie noch sehen: Die Finissage ist am Samstag.

(Thorsten Passfeld, "Es gibt kein Entkommen". Feinkunst Krüger. Bis 25.10.2014.)