Montag, 10. September 2012


Der letzte Tag des Sommers



Na gut, morgen ist noch einer. Dann aber Rolltreppe abwärts mit dieser Wetterlage, die Menschen unten am Deich weich genug kocht, daß sie sich in einer Art Ryan-McGinley-Stimmung die eigenen T-Shirts vom Leibe reißen. Den Rest konnte ich nicht sehen von meinem neuen Außenbalkon, der knapp neun Kilometer von meinem Leuchtturm entfernt unten an der Elbe steht. Da sitzt man dann mit lauwarmen Getränk und ebensolchen Gedanken, macht ein paar Übungen, Bauch, Beine, Beckenboden, konzentriert sich auf alte Lieder und neue Gedanken.

Zuletzt Fellinis Stadt der Frauen gesehen. Ein später Film des Italieners, der ein wenig an Achteinhalb erinnert. Wieder stolpert Mastroianni durch ein von Zweifeln und Zaudern verpfuschtes Leben, mimt aber beharrlich den verspielten Lüstling, bis er durch einen Zufall in einen Feministinnenkongress platzt. Mastroianni hat Lektionen zu lernen, der Film kippt rasch ins Absurde und zusehends ins Surreale. Burleske Gestalten und Phantasten, überdrehte Traumsequenzen und Ballonfahrten untermalen das schuldbewußte Cherchez la femme dieses lächerlichen Machos. Ein entlarvender Spaß, der was für eine sommerabendliche Projektion & Picknick draußen an einem Fluß der engeren Wahl wäre. Und dann ab in einem großen Ballon.

Mit Akte X (davon aber später mehr) bin ich ja durch, Zeit für Zukunft also, würden mir manche wohl gern ins Ohr trompeten, aber die endet bekanntlich am 21. Dezember dieses Jahres. Wer wie ich die us-amerikanische romantische Dramödie gesehen hat, weiß auch warum. Gut, könnte sein, daß William bis dahin etwas unternimmt, aber beeilen muß er sich schon. Gillian Anderson ist derzeit Gast bei einigen Sci-Fi-Fan-Kongressen, was will man auch machen? Immer weitermachen, Scully, kann man da nur sagen. Wir müssen das ja alle.

Zu Hause dann italienische Musik im Radio und dazu Pflaumenkuchen. Selbstgekauft und selbstgequetscht. Transportschaden, im Grunde so wie ich. Und trotzdem lecker.


 


Donnerstag, 6. September 2012


Merz/Bow,#35

Heute viel hin, aber auch her. Noch schnell und viel atmen, dann die nächsten Termine. Gestern irgendwo gewesen, "Branche und so", wo ich anschließend sprachlos war. Konsterniert, heißt das wohl. Vielleicht schreibe ich mal eine meiner vielen Autobiographien darüber: Der Tukur, der Rommel und ich. Im November, Allerheiligen, wird man mich da besser verstehen.

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Zwei gedungene Helfershelfer von einem großen rheinisch-westfälischen Stromkonzern klopfen bei Mütterchen Kid an die Tür. Wie hoch denn die Stromrechnung wäre, begehrt man zu wissen. Von wo man denn herkäme, gibt es gleich mal die ostpreußisch geprägte Retoure. Im übrigen hinge man an der Scholle am bewährten Anbieter. "Oh, nicht, daß es da bald schlimme Probleme gibt!" munkelt der eine, kann aber Mütterchen Kid nicht mal an der Wimper erschüttern. Die läßt sich doch nicht von angeblich drohenden Stromausfällen ins Bockshorn jagen. Arschgeigen.

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Ich werde ja auch nicht jünger ("Aber die Leberwerte stimmen" - Die Braut haut ins Auge). Interessanter Einblick in das musikalische Reich der Untoten: Goth Ikonen früher und jetzt. Kommt, Leute. Das ist witzig.

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Der Standard: "Polizisten brauchen Liebe". Interessantes Interview zum Thema Macht, Ordnung und Gewalt. (Beiträge, die man in der Qualität bei Spiegel Online leider selten findet)

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Sehr süßes Blog Honigtopf. Davon bitte 37.000 mehr. (Jetzt mitsingen, Grinderman, "Honey Bee, Let's Fly To Mars")

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Hinsetzen, festhalten: John Peels Plattenarchiv. Oh, mein Gott! Mit Möglichkeit zum Reinhören. (Leider nur 100 Alben pro Buchstabe, aber ich meine, John Peel's Plattenarchiv!) Oh, mein Gott! John Peel.

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Spektakuläre Fotos: Die britische Performance-Künstlerin Sue Austin sitzt seit 16 Jahren im Rollstuhl und macht was damit? Genau, hab' ich auch sofort gedacht, akrobatische Stunts unter Wasser. Wie klein man irgendwie selber ist.
(Webseite von Sue Austin)

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Wollt' ich noch sagen.

MerzBow | von kid37 um 23:21h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 3. September 2012


Kann ich wohl!



Laß ich den Helm zu Hause, denke ich, fall ich auch nicht um. Solcherart selbst überredet, wage ich eine Ausfahrt. Radiuserweiterung, Gebietsnahme zwischen Schafen, Deichen, Wasserweiten. Schlacke abwerfen, Luft einholen. So tun als ob für die Außen- und Innenwirkung. Das sind die Tage zwischen letztes Mal und nächstes Mal, da darf man sich nichts vormachen. Zwischenzeiten zwischen Zwetschgenzweigen, wie ich es neuerdings mit zusammengebissenen Zähnen morgens und abends in den Spiegel zische. Hab dich nicht so, male ich mit Zahnpasta die Untertitel dazu.

Aus/Spannung. Innerer Gezeitenwechsel. Im Gras lungern gegenüber vom Ausflugs-, Entschuldigung, Kunstcafé, bei dem ich immer noch nicht verstehe, warum man Stühle und Tische auf die Nordseite gestellt hat. Ich mache mir ein Bild von eingezäunten Häkelblumen, ich denke einfach mal an nichts, ich schreibe eine Nachricht. Irgendwann verstelle ich aus Versehen das Einstellrad meiner Kamera, zuerst legt sich irgendein "Gemälde"-Filter über die Fotos, dann plötzlich befinde ich mich im New York des Jahres 1973. Mein Radius ist verdammt groß geworden, denke ich. Ein Fall für Akte X womöglich, worüber ich aber nur im Geheimen spekulieren darf, denn die Menschen in meiner Umgebung reagieren schon genervt. Eine erstaunliche Ortsverschiebung, so oder so, und ein Zeichen für die fortschreitende Atmosphärenverhübschung des Stadtteils. Muß man aber nicht alles glauben, was irgendwo geschrieben steht.


 


Sonntag, 2. September 2012


George hearts Maria

Mars will be perfectly angled to the full moon
and Neptune, ensuring a highly bewitching time.
This full moon gets my vote for one of the most
romantic of all full moons of the year,
if not THE most romantic one of all.

(Astrology Zone)



Na, was diesen vollen Blue Moon angeht, würde ich sagen, da geht doch noch was. Also, da geht doch noch was, liebe Sternenkonstellationen, schaut doch einfach noch mal nach im Vorhersagekatalog. Ich nämlich wie Falschgeld Straße rauf, Straße runter, alle Antennen auf Empfang, hör' aber nur (Zitat Uwe Lewitzky): "In Hamburg sagt man, sieh zu daß du Land gewinnst, du Wichser".

Ich aber unverdrossen dahin, wo der George der Maria ein Herz und ein Auge spendiert. Die vom Helium Cowboy reiten nämlich schon mal voraus, ehe im September dann die weiteren relevanten Hamburger Galerien mit neuen Ausstellungen nach der Sommerpause nachziehen. Lori Zimmer von Art Nerd New York (nebenbei, was macht eigentlich das Art-Nerd-Projekt von Ms Wurzeltod?) hat mehr als zwei Handvoll Künstler auf kleinstem Raum im Raum zusammengebracht - gut für die Alice in uns, die mal kleiner, mal größer werden und durch niedrige Türen schauen kann. Zeitgenössische Künstler zeigen ihre Interpretation dieser Art des Liebesbeweises und verleihen ihm in “George Hearts Maria” eine moderne Perspektive, um so den hoffnungslos Verliebten ihre Anerkennung zu schenken, heißt es auf der Webseite, sehr passend also zum oben erwähnten Blue Moon. Ich nenne das mal einen Besichtigungsgrund, allem und jedem und dem oder der Speziellen ein Auge zu schenken, "auf daß die Liebe ewig währt" (Motto der Schau).

Danach dann Feuerwerk, aber das ist in Hamburg jede Woche. Denkt euch einfach nichts dabei.


 


Mittwoch, 29. August 2012


Eight Arms To Hold You



Aus dem wundervollen Verlag McSweeney's gibt es ein sogar fast noch wundervolleres, wenn nicht sogar wunderliches, Buch über eines meiner Lieblingstiere: den Kraken. Das berühmte Forscherpaar Dr. and Mr. Doris Haggis-on-Whey, die bereits die kalte Fusion leichtverständich erklären konnten, hat allerlei höchst interessante Informationen über die eleganten Meeresbewohner zusammengetragen und in anschauliche Listen und Diagramme übertragen. So lernen wir was über doofe Delphine, doofe Sprünge ins Wasser (z.B. "The Bridge Over Troubled Water"), aber auch immens nützliches Wissen wie Dating-Tipps für Tintenfische. Diese sind in der Regel Einzelgänger, daher zwar neugierig, aber auch schüchtern, weltgewandt, aber auch unbeholfen vorsichtig.

Diese außergewöhnlich intelligenten Kopffüßer (man muß sie sich als eine Art Blogger in den Weiten des weltweiten Netzes vorstellen) sind aufgrund ihrer vielen Arme in der Lage, noch mehr Dinge gleichzeitig zu tun: Texte schreiben, das Abendessen vorbereiten, in Magazinen blättern, mit der Nachbarin fummeln - alles zur selben Zeit, gesteuert von einem zu beachtlichen Gedankenleistungen fähigen Gehirn. Nebenbei können sie Trost spenden und jemanden umarmen, auch sich selbst, denn sie wissen, daß der Mensch ein Lebewesen täglich mindestens acht Umarmungen braucht, um gesund zu bleiben - also ungefähr so viel wie ein Tintenfisch Arme hat. Felix octopodus! möchte man rufen und sich ein Exemplar zum Freund machen. mit ihm durch die Wellen treiben, sich von zahllosen Saugnäpfen (mindestens) den Rücken massieren lassen oder sich gegenseitig beim Schein einer alten Schiffslaterne Meeresabenteuer vorlesen.

>>> Dr. and Mr. Doris Haggis-on-Whey. Animals of the Ocean, in Particular the Giant Squid. San Francisco: McSweeney's, 2006.


 


Sonntag, 26. August 2012


Nur hübsch bringt auch nix



Die letzten Tage des Sommers streichen um die inneren Stoppelfelder, so kommt es, daß sogar Die Ärzte bereitstehen, wenn sich quer durch Hamburg Flohmärkte, Hoffeste und Quartiersereignisse wie der dritte Geburtstag des Gängeviertels und das jährliche Schanzenfest an diesem Wochenende zusammendrängen. Das zweite Stück Kuchen, das man mir dort andreht, ist ein ganz gewöhnlicher gekaufter Industriekuchen, da kenne ich mich aus, das schmecke ich sofort, aber das andere Stück, eine Stunde vorher, war - Achtung, Diane! - ein ganz hervorragender Kuchen, nächstes Jahr nehme ich wieder diesen und nur diesen. Es sind allerdings so viele Menschen unterwegs und dann noch ein paar mehr Menschen, und als dann die gröhlenden Vorstadtjungs mit ihren Mario-Barth-Witzen kommen, fahre ich lieber wieder heim.

Nur gucken, nicht anfassen, heißt meine Devise auf dem Flohmarkt, das wackelt noch zu sehr, als daß ich gleichzeitig Schätze suchen und Schätzchen ausweichen könnte. Hier noch mal die Flohmarktregeln: keine Kinderwagen! und, das ist neu, keine Fixies!, ihr Yuppies, die ihr unter dem Schild Keine Yuppies! im Weg steht. Zum Glück bin ich von Natur aus tiefenentspannt, nicht auszudenken, wäre ich emotional irgendwie instabil oder gar LATENT AGGRESSIONSGELADEN. So also alles super, Freundlichkeit kostet schließlich nichts, zwei Bücher immerhin noch ergattert, und mehr passen in meine Wohnung nun sowieso nicht mehr hinein.

Jetzt selbstsolidarisch einen frühen Schlaf ansteuern, morgen dann Frühmesse, Haare kämmen, dann Expeditionsprogramm. Grenzen überwinden.


 


Donnerstag, 23. August 2012


Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen

In meinem letzten Roman Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen schreibe ich mit einem gewissen augenzwinkerndem Witz über das Großstadtleben eines engagiert denkenden, aber weitgehend handlungsverzögert lebenden jungen Mannes. Na gut,er ist schon ein klein wenig älter als jung. Also, der Roman ist autobiografisch.

Damals im Studium hatte ich eine Reihe obskurer Nebenjobs. Einer davon war Himmelsschreiber. Natürlich besaß ich damals keinen Flugschein, aber glücklicherweise war auch ein Pilot an Bord. Ich saß zusammengekauert hinter ihm und hielt den Kontrollknopf für die Düse, mit der wurde ein spezielles Öl in den Auspuff gespritzt und so dieser weiße Rauch erzeugt. So brummten wir für ein paar Markfuffzig über der Stadt und malten Botschaften in den Himmel. "Fliesen Müller hat jede Fliese" zum Beispiel oder "Jana, komm zurück!", manchmal auch einfach ein großes Herz (mit Pfeil durch kostete extra, das war technisch nicht so einfach, man macht sich da als Laie oft falsche Vorstellungen). Der Pilot war nicht nur Herrscher der Lüfte, sondern auch ein echter Spaßvogel. Gerne ruckelte er mal, ließ die kleine Maschine mittendrin absacken, während ich versuchte, ein Porträt zu malen oder Schalke 04, woraus dann 05 oder einfach kurz BVB wurde, wenn es mal schnell gehen mußte. Fragt ja anschließend keiner nach. Und wenn ich ansetzte, Himmel zu schreiben, flog er garantiert eine P-Runde. P wie Pilotenhumor. Wir haben viel gezankt an Bord. Mitunter aber auch gelacht.

Heute sind die Probleme im Leben natürlich nicht einfach weg, sie sind bloß anders. Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen ist zum Klageruf einer Generation geworden. Schon wieder kein Titel! ruft der Fußballfan, schon wieder leere Regale im Emotions-HO. Mißmut wickelt sich ums Salatbesteck, denn je steiler die Vorstellung vom prima Leben sich am Erwartungshimmel skizziert, desto härter empfindet man die haltegurtlose Turbulenz als Vorbote einer fatalen Bruchlandung. Wäre er doch kräftiger gebaut, klagt es, (oder sie doch etwas weniger), wäre mein Grau doch das neue Schwarz und das Hipstergetränk meiner scheinbaren Wahl nicht immer gerade aus - Leben würd' ich es nennen (2. Buch Verstrahlungen, Vers 17). So aber droht Schicksal: immer sitzt man im falschen Restaurant, am falschen Tisch, bei der falschen Bedienung, stehen die Möbel nicht richtig, sitzen die Schuhe nicht richtig, tickt der Partner nicht richtig, hat man den schönen Platz im Theater nicht bekommen, den schönen Film nicht gesehen, die schöne Zeit so doof vertan. So die Gesänge, so die Klage, so das Unzufriedene. "Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen", entfuhr es mir kläglich, die Karaffe mit Wasser in der Hand. Minze werde ich nehmen müssen, aber was, so ein Wehlaut, wird das dann für ein Leben sein?