Dienstag, 22. Mai 2012


Der gefundene Satz, #54

But the promise of growing older or death doesn’t make up for the lie of life and that’s the sardonic part of it all, your life will never be exactly as you’d imagined it, in turn it’s the beautiful part of it simultaneously.

Fotograf Devin Elijah zu seinem Projekt A Chronicle Of Love & Loss in Sickness & in Health.

via Pas un autre [Das ist ein Bericht über einen Fotografen. Da sind auch Fotos. Ja, auch solche.]


 


Donnerstag, 17. Mai 2012


Beim Inder

Lorens. An diesem naturtrüben Vatertag, zugleich 3070 Tage Pathos, lautete der Plan, mal ein bißchen die Beine zu vertreten, umherzuwandern und ein paar gedankenverlorene Beschlüsse zu fassen. Dem Unverhofften die Türe aufzuhalten. In einer Seitenstraße unserer wunderschönen Stadt spricht mich denn auch unvermutet ein dunkelhäutiger Mann an, so Typ indischer Student der Informatik oder Raketentechnologie, vielleicht aber auch jemand, dem womöglich gerade noch 1,45 € für seine Fahrkarte nach Hause zur kranken Mutter fehlten. Von der journalistischen Kardinaltugend der ergebnisoffenen Neugier gesteuert, wartete ich also auf eine hoffentlich nicht allzu komplizierte Geschichte, der Mann indes gab sich als "Student of Yoga and Astrology" zu erkennen und sagte, er hätte eine Botschaft für mich, "from the heart".

Ihm wäre aufgefallen, daß ich offenbar "zu viel denken" würde. Das sei not good for your health!, mahnte er zu meinem nur mäßigen Erstaunen, hatte ich diese Gefahren doch bereits 2000 in meinem erfolgreichen Buch Nachgedacht: Warum Denken uns krank macht beschrieben. Ich war erstaunt, so rasch durchschaut zu werden, trug ich doch gerade ein T-Shirt mit der Aufschrift Ich nehme das Leben mit Leichtigkeit. Aber so was von. Du Arsch.



Ich solle mal Körper und Geist in Einklang bringen, so der gute Mann weiter, nicht den Körper irgendwo ablegen und Ruhen, den Geist aber weiterackern und an völlig andere Orte wandern lassen. Das klang vernünftig, dachte ich und lauschte weiter, was der Mann zu sagen hatte. Denn die frohe Botschaft sei nah: Im Juni, so seine Kunde, erreichen mich drei gute Nachrichten, ein Herzenswunsch zudem ginge in Erfüllung, ich solle ihm mal einen nennen ("from the heart"). Na, da hatte er mich aber kalt erwischt. Da hieß es, sich schnell entscheiden, man will solche weisen Menschen ja nicht zu lange warten lassen. Herzenswunsch, Herzenswunsch, das kommt jetzt aber plötzlich, komm' mir mal entgegen. Die Rickenbacker? Buckelvolvo? Was nicht Materielles, weil es irgendwie charmanter klingt? Und warum nicht gleich was vermessen Großes, wo man schon mal die Gelegenheit hat? Wie wäre es mit Gesundheit? Oder doch was anderes "from the heart", damit er oder wer immer das dann organisiert, mal eine richtig harte Nuß zu knacken bekommt? Sprach ich's also aus, worauf er in Hindi Gemurmel verfiel, mich dann fragte ob ich schon deep in love gewesen sei ("from the heart"). Na hömma, Meister Aber so was von, konnte ich befreit berichten, Dana Scully aber ich solle keine Namen nennen. Er blickte mir wieder aufmerksam ins Gesicht, berührte erst sein Kinn, schaute mir dann auf die Stirn und verkündete, es gäbe da eine Frau, die würde gerade sehr intensiv an mich denken. (Oha, dachte ich im Stillen. Hoffentlich nicht zu intensiv, schließlich ist Denken ja nicht nur gesund, wie wir wissen.)

Zeit "for prayer" und einen spirituellen Beweis: Er öffnete ein Mäppchen, zog ein Blatt Papier, faltete es, pustete einmal drauf und drückte es mir in die Hand. Das solle ich gut festhalten, während er ein Gebet vorbereiten wolle. Er zückte einen Stift und ein weiteres Blatt Papier und wollte nun ein paar Dinge wissen. Eine Lieblingszahl, eine Farbe, eine Blume... brav notierte er alles, was ich ihm diktierte. Er kam nun ins Plaudern, zeigte mir mittendrin ein Foto seines yogischen Meisters (ungefähr 108 Jahre alt, möglicherweise aber ein Jugendbild), wich meinen interessierten Nachfragen aber immer wieder mit neuem Singsang aus, griff meine Hand und malte über meine Lebenslinie. 85, gar 90 Jahre alt würde ich werden, das sei gewiß. Außerdem gäbe es zwei große Krisen in meinem Leben, die erste sei aber bereits überstanden (da träumt ihr aber). Nun aber Zeit für den Test, ob ich wahrhaft ein "lucky man" sein werde. Jetzt solle ich auf den kleinen Zettel pusten und ihn öffnen. Stünde dort wenigstens einer der Begriffe und Zahlen, die ich ihm zuvor genannt hatte, wäre dies ein spiritueller Beweis, das wisse er "from the heart". Ich machte mich also zum Affen und pustete mitten auf einer immerhin unbelebten Hamburger Seitenstraße auf ein kleines Stück Papier und das am Vatertag, aber nun gut. Ich öffnete also mit überlegenem Lächeln das Papier, schließlich gebe ich mich solchen Dingen ab und an gerne hin, und voilà, standen dort die Begriffe, die ich ihm genannt hatte. Einer leicht falsch geschrieben, aber das wollen wir mal gelten lassen.

Verblüfft war ich allerdings schon, dann aber gleich enttäuscht. Weil ich zwischendrin wirklich kurz bereit war, das Denken zu lassen und einfach mal zu Glauben. Schließlich sind, wie mir vor etlichen Jahren mal eine ganz ergriffen erklärte, "die Inder alle erleuchtet" (weshalb sie wohl die Witwenverbrennung und das Kastensystem erfunden haben, dachte ich damals, aber nur im Stillen, schließlich ist zu viel Denken nicht gesund), also denkt (Mist, schon wieder) man leicht, vielleicht ist ja doch was dran, Prahna, Karma, Simsala. Aber nun war ich Opfer eines billigen Taschenspielertricks geworden, die Hütchenvariante der yogischen Flieger, das hat mich brüskiert. Aber so was von from the heart.

Na, sagte ich ihm. Jetzt aber mal was über "Western tradition". Er müsse sich mich als einen skeptischen Mann vorstellen, aber interessant sei das schon. Oh, antwortete er und sah mir tief in die Augen. Ich sei jemand, der offen über seine Gefühle und Gedanken reden würde, aber meine Freunde seien oft anders, verschlossener. Und sie würden hinter meinem Rücken manchmal ganz anders über mich reden, ich solle vorsichtig sein. So, ihr miesen kleinen Ficker. Als hätte ich es nicht immer schon geahnt! Als hätte ich es nicht immer schon heimlich Wispern und Lachen gehört! Da muß mir erst so ein durchspiritualisierter Mann auf der Straße die Augen öffnen. Ihr könnt euch alle mal schön gehackt legen, damit wir da mal klarsehen. Denkt mal schön drüber nach! (Aber nicht zu intensiv, wegen der Gesundheit.)

Nach dieser schonungslosen Breitseite in die emotionalen Weichteile kam der letzte Teil der Veranstaltung, gewöhnlich der Zeitpunkt, da der Hut rumgeht. Er zeigte mir weitere Fotos von seinem Ashram oder Hüttendorf oder was es sein sollte in Indien, wo er den Armen helfe. So sei auch seine Mission zu verstehen, er reise durch Europa, um den Menschen hier aber auch in seiner Heimat zu helfen. Es gäbe drei Klassen, malte er auf seinen Zettel: Poor, Middle, High. Darunter schrieb er drei Zahlen 50, 100 und 200. Wo ich mich denn einschätzen würde? From the heart. Och, meinte ich. Ich wäre leider ziemlich arm, auch so ein Problem, aber da das Gespräch so interessant gewesen sei, wolle ich ihm was geben. Ungläubig starrte er auf das Almosen, das ich ihm reichte. Die 50, 100 oder 200 seien Euros, das würden andere so geben und ob ich nicht noch mal darüber nachdenken wolle? (Hömma, willst du mich umbringen, dachte ich im Stillen. Mit Denken bin ich heute durch.)

Also Haggling, so ich dann wieder, fände ich nicht so furchtbar spirituell, und schließlich sollte sich die frohe Botschaft ohne Hintersinn auf Gegenleistung verbreiten, freigiebig ("from the heart", erklärte ich) - so wie dem Künstler schließlich auch Applaus der höchste Lohn ist, wie wir neuerdings immer mal wieder von Anhängern der Piraten belehrt werden. Gott sei Zeuge unserer Begegnung, mahnte der Mann. Ich blieb entspannt, schließlich war Christi Himmelfahrt. Da hat der Allmächtige sicher zu Hause viel zu tun, wie das so ist, wenn man Besuch erwartet.

"Vorschlag!", donnerte ich ihm wie den gleichnamigen Hammer jovial aber unmißverständlich entgegen (ein verbaler Trick, den ich so Manager- und Machertypen abgeschaut habe). Ich würde jetzt den Juni mit seinen drei guten Nachrichten abwarten, und wenn er dann wirklich recht behielte, würde ich aber noch mal richtig nachdenken. Ganz intensiv. From the heart.


 


Donnerstag, 17. Mai 2012


Hafenbetrachtung



Am Wochende dann touristische Betrachungsmassen am Hafen, tagelang schon schwappte das Getute und Getue bis zu meiner Wohnung hoch, daß ich, ein Colonel Kurtz in den Schatten meiner derzeit sehr verworrenen Dschungelresidenz, mich aufscheuchen und zum Nachschauen bringen ließ, die Abkürzung unter dem Horizon Field in den Deichtorhallen und der Fotobuchhandlung nehmend, alles im Versuch, ein wenig Kulturroutine ins ZNS zu pressen, dann weiter, einer kühlen Sonne nach, Zirkel um Zirkel schlagend bis an die Kante zum Wasser und auf ein dümpelndes U-Boot und das bruttoregistertonnenschwere Prinzip der Verdrängung schaute. Ach.

[Zunächst denselben Weg zurück.] Daheim dann neue Blätter in den Frustrationsordner sortieren, ein defektes Schloß melden, reife Früchte nach rechts, unreife Früchte nach links stapeln, ein weiteres Fußballspiel betrachten, Geld ausgeben.

[Studienschwerpunkt] Ich schaue ja gerade erneut die US-amerikanische TV-Serie Akte-X (darüber zu gegebener Zeit mehr), wir erinnern uns solange an Mulder & Scully, und jedenfalls war ich erstaunt in Staffel 5 (so weit bin ich bereits) ein Vorbild für Lisbeth Salander entdeckt zu haben. Optisch offenbar stark von Pris aus dem Blade Runner beeinflußt, ist Esther Nairn (gespielt von Kristin Lehman), eine im Untergrund agierende, psychisch schwer ramponierte Hacker-Punkette namens "Invisigoth", die wie aus einem William-Gibson-Roman entstiegen scheint. Foto.

Die Folge "Killswitch" ist auch ansonsten bemerkenswert, hat Mulder doch ziemlich exakt denselben Traum wie ich ihn hatte, als ich im Krankenhaus lag.


 


Montag, 14. Mai 2012


Und Susi weint

"Wenn man sich die 90 Minuten anschaut,
waren wir klar die bessere Mannschaft."
(Philipp Lahm, FC Bayern München)

Heja BVB! Was für ein Saisonende! Früher gingen Pokalendspiele meist so langweilig 1:0 aus, die Mannschaften tasteten sich lange ab, keiner wagte etwas, weil ein Fehler leicht das Ende bedeuten konnte. Jetzt also sieben Tore in einem schnellen, kombinationsreich geführten Spiel, in dem beide Mannschaften 90 Minuten lang nach vorne gingen. Gut, streng genommen tat das vor allem der BVB, der auch die kurze schwankende Phase in der ersten Halbzeit in Lauerstellung überstand, einen Torwartwechsel inklusive.

Beeindruckt war ich, daß der BVB nicht nur als Mannschaft mit Hurra-Fußball überzeugte, daß dort nicht nur junge, übermütige Hunde Dauerpressing machten, sondern daß die Spieler auch technisch alle verblüffend stark waren, vor allem Gündogan mit seiner Raffinesse und Übersicht bei den Pässen. Taktisch spielten die Dortmunder sehr diszipliniert, nicht aber unbedingt überraschend. Das Verschieben der Stationen, die Veränderung der Laufwege waren sehr hübsch zu beobachten, A geht nach vorne, B zieht nach hinten links oder rechts, Ball kommt per Hacke zurück, B zieht nach innen, paßt auf A oder C, der mitgelaufen ist. Man würde meinen, die Bayern hätten sich nach vier Niederlagen in Folge darauf eingestellt. Aber von gelgentlichen starken Einzelleistungen abgesehen, waren die ja völlig von der Rolle.

Wo waren die Nationalspieler? Schweinsteiger zum Beispiel, war der überhaupt aufgestellt? Lahm? Kroos? Eigentlich darf man nicht hoffen, daß Müller mit zur EM fährt, ich vermute, der hat den frühen Erfolg bei der WM nicht verkraftet, als er zuvor quasi noch Kreisklassenspieler war, der eine Blitzkarriere bei den Bayern hingelegt hatte. Neuer? Warum wird der eigentlich so oft getunnelt?

5:2 also, so wirklich spannend war das nicht, aber sehr unterhaltsam anzuschauen. Schön dann und unverzichtbar, die Spielerinterviews, meist ja so etwas wie dritte Halbzeit. Darin das Zitat von Philipp Lahm, der offenbar ein anderes Spiel gesehen hat. Ausverkauftes Stadion endlich mal in Berlin, 80.000 Fans aus Dortmund. Da die Westfalen keinen Karneval kennen, müssen sie solche Gelegenheiten zur schwarzgelben Verkleidungs- und Umtrunksfeier nutzen. Und was die Siegesfeier angeht, muß man Berlin eines lassen. Schöne Goldelsen haben sie ja.

Der Rest ein Rauschen: Susi weint, die Mannschaft grinst, der Trainer pöhlt. Hamburg feiert Hafengeburtstag. Durch den Nebel grüßen Feuerwerk und Schiffssirenen.


 


Samstag, 12. Mai 2012


Um/Bruch

Krisenzeiten, Umbruchzeiten, diese Zeiten, um zu schauen, wo man selber steht, wo andere stehen, wie andere zu einem stehen, wie es überhaupt so steht. Welche Wege man geht, wie schnell man sie geht. Ob man sie langsam geht. Oder überhaupt nicht mehr geht. Oder überhaupt nicht mehr kann.

Weil man nicht will. Weil man nicht kann. Weil man denkt, du kannst mich mal.

Nachschauen, welche Schublade man umdreht, welchen Schrank man umräumt, welchen Karton man wegwirft, die Sicherungen rausdreht, den Raum nicht mehr betritt, das Zimmer.

Die Gespinste entfernt, dem Bla und dem BlaBla nicht mehr zuhört, das Halbgare nicht mehr ißt, sich mit Unverbindlichem nicht mehr die Hände verbindet. Oder die Arme, die Haut, den brennenden Nacken.

Den Kontostand prüft, letzte Überweisungen rausschickt, die Defizite wegstreicht, einfach abstreichen den Scheiß, die offenen Rechnungen und Posten, auf deren Eingang man warten oder auch warten kann oder es lassen, weil ja doch nichts kommt.


 


Freitag, 11. Mai 2012


Merz/Bow #32



Jetzt nur noch senkrecht bleiben. Dann alle so Yeah!.

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Großartig: Ödland (-> siehe) sind unterwegs:
am 29.5. in Hamburg
am 6.6. in Wuppertal

Das wird etwas sehr besonderes, humorvoll-nostalgisches. Ich mag diese Ausgestaltung eines kompletten Kosmos', einer durchgestalteten Welt, die sich sanft ironisch und assoziationsreich bedient an Versatzstücken der Erinnerung und unserer Erwartung. Hier gibt es auch ein Video vom Auftritt in Zürich. -> weitere Tourdaten

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Dass die Piraten keine “Endlösung der Kreativenfrage” haben, ist Schade. (Q)

An der Sprache sollt ihr sie erkennen. Unter den Avataren der Muff von 1000 Jahren. Lesenswerter Beitrag übrigens von Volker Strübing zum Thema Verwertungsrechte. Überhaupt gäbe es viel zu sagen zum unverhohlen durchscheinenden Hass auf Künstler (immer als "sogenannte "Künstler"") und Kreative (immer als "sind keine Kreative"). Wer in den Foren bei Spiegel Online oder Standard.at die Stimmen von Netzbenutzern sammelt, stößt auf Zitate wie "Der Dreck muss weg", "sollen mal arbeiten gehen", "wer sich nicht durchsetzt, hat eben Pech gehabt", "das ist eh keine Kunst", "die machen sich mit Hilfe der Künstlersozialkasse einen Lenz. Und wer bezahlt es? Ich mit meinen Steuern!" Usw. usf. Dahinter verbirgt sich eine verblüffende biedermeierhafte Spießigkeit. Der Künstler, 'tschuldigung, "Künstler", als armer Poet unterm Dach.

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Im Grunde wollen sie eine Schriftumskammer.

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Sie schenkten uns die Empörungskultur.
Ich kann natürlich immer noch Revuetänzer werden.

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search request: rasierte katze
Das ist falsch buchstabiert. Versuch es noch mal.

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"Wash it out." (PJ Harvey, "Bad Mouth")

MerzBow | von kid37 um 14:12h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 9. Mai 2012


Good Night, Little Robot Child



Anschließend habe ich mir wie ein nervöser kleiner Junge die CD signieren lassen. Ich war aber ganz locker dabei.



(Morgen noch in Köln. Hier kann man das wunderbare Album von Princess Chelsea hören.)

Radau | von kid37 um 01:48h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link