
Montag, 7. Mai 2012
In Beziehungen soll es ja ab und an auch mal Streit geben, auch wenn ich mir das nur schwer vorstellen kann. Meist geht es dabei, so belegen es Statistiken, um das Rauchen. Der eine quarzt, der andere raucht vor unterdrückter Wut, es wird diskutiert und nach sogenannten "Lösungen" gesucht (auf den Balkon, vor die Tür, nur noch unter Wasser etc.). Am Ende gibt es Ärger und schließlich die Scheidung, denn die Sucht ist immer stärker als die Liebe. Traurig, aber wahr. Die Neuseeländerin Princess Chelsea (Chelsea Nikkel) hat darüber ein ergreifendes kleines Lied geschrieben, in dem sie beteuert, gerade mal "eine" geraucht zu haben (meint wahrscheinlich: Packung - trau keinem Junkie!), ihr Freund ist not amused und schon gar nicht über ihre doofe Freundin, die sie zu diesem Scheiß überhaupt erst angestiftet hat. 420 Paare haben sich 2010 wegen dieser Thematik in Neuseeland getrennt. Keine Bagatelle also, weshalb das Video schon eine Menge Nachahmer gefunden hat: hier z.B. oder auch hier. Sehr schöner Einsatz, junge Menschen!
Princess Chelsea faßt auch ein anderes Thema des Erwachsenwerdens ganz vorne an, wo es weh tut: "Please, don't drink so much" ("your mother would be sad"), bittet sie in Too Fast To Live, das samt Video nur darauf wartet, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Fernsehgerät gespielt zu werden. Wichtig.
Wer sich noch an Bands aus dem Flying Nun-Umfeld erinnert, wird die ein oder andere Klangidee wiedererkennen, diesen schrägen melancholischen Sixties-Einschlag in neuseeländischer Indiemusik. Wo selbst die Beatles plötzlich so klingen, wie von Elben gesungen.
Eigentlich kann ich ja diese ganzen gequetschten Mädchenstimmen nicht mehr ertragen. Es ist als hätte sich der Berg von Hameln geöffnet und die vom Rattenfänger eingesperrten Gitarrenmädchen kommen nun alle auf einmal herausgeströmt, kieksen mit ihren Cocorosie-Stimmchen und einer angeklebten Traurigkeit (hundert Jahre im Stollen gefangen, da kommt was zusammen an Einsamkeit und Tränen). Youtube ist ja plötzlich voll davon. Aber hier mache ich gerne eine Ausnahme, hier hat jemand auch eine Beobachtung und eine Botschaft.
Princess Chelsea spielt am 8.5. im Molotow. Das ist in Hamburg.

Montag, 7. Mai 2012
If only I could force a smile."
(New Order,
"State Of The Nation")
Menschen, die zweigleisig entgegenkommen. Wie Kinderlokomotiven, die rosagetuffte Dampfwolken ausstoßen, in denen ein simples "Ja" und ein noch simpleres "Nein" verpuffen. Tote Pferde links und rechts der Erzählstrecke. Menschen in verpflichtungsloser Gleichgültigkeit, die im Augenblick leben und von Fall zu Fall entscheiden (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht). Die sich auf gerader Strecke selber eine Weiche stellen. Wie eine interesselos sagte, "Fahrplan", das klänge "interessant". Und wie eine sagte, nein schnippte, für das Glück sei sie nicht zuständig. So viele gedeckte Tische, nicht wahr?
Wie ich vergaß zu fragen, für was genau sie denn zuständig wäre. Wie man denkt, den Augenblick behalten zu können, einen nicht verschmutzten, nicht verklebten, nicht kontaminierten. Etwas endgültig sein lassen. Zum Glück. Aber: You can't buy a gun when you're crying (Holly Golightly). Wie die Jahre wechseln und auf einmal das Immerwiederneuzusammenschrauben nicht mehr geht. Wie man weder Feuer noch Luft fassen kann. Wie man nicht immer neue Karren stehlen kann. Wie man nicht mehr schneller laufen kann als sein Schatten. Wie man aufhören will.
>>> Geräusch des Tages: New Order, State Of The Nation

Dienstag, 1. Mai 2012
Alle raus zum ersten Mai, Ausweitung der Radkampfzone, das geht ja schon ganz munter, würde man in Betreuungssprache sagen, und beim nächsten Mal dann in kurzen Hosen. Wir sind jetzt im neutralen Alter, da kann man solche wieder tragen. Dita von Teese sei in der Stadt, heißt es, oder Tese, wie man hier schreibt. Wie vorausbefürchtet, ist seit der Eröffnung des Cafés und der Umherspazieranlage am Deich die Ausflugshölle los. Am Zaun haben sie das den schon weggepißt, man lebt noch im Kulturrandgebiet. Ich werde wie Inventar fleischbeschaut von jungen Besichtigern in Nido-Montur, vielleicht liegt es an meinem T-Shirt auf dem geschrieben steht: Gafft doch, wo ihr wohnt. Unangenehm so ein Wandel vor der Haustür, bald wird man da unten Grillplätze vorab mieten müssen.
Hat jemand "Kühlergrill" gesagt? Glückwunsch, Sie haben eine Überleitung gewonnen. Denn nach so viel Natur ließ ich es noch mit Getriebeschweiß und Hitzedösen ausklingen. Dieser Motorbillytreff liegt hier ja jetzt auch in der weiteren Nähe. Das ist so wie früher, als man sagte, laß uns rüber zur Tanke schlendern, Eiscrem von deiner Haut schlürfen, Benzin schnüffeln und auf das große Wroooooom warten. Jetzt gibt es Kaffee und Würstchen und Super-Bees, und gern würd' ich 'ne Runde fahren.

Montag, 30. April 2012
Frisch laufverpaßt, fühlte ich mich nicht in der Lage, am Marathonlauf teilzunehmen, hob mich also in der Frühe aus dem tränennassen Kissen (jetzt nur so als Bild aufs Leintuch gestickt), um hinauszufahren in die Ödnis menschenleerer Natur.
Natürlich trifft man dort gleich Bekannte, unversehens, wie das so ist: Man steht im Wald und das dann nicht alleine. Hallo Nanu, bald sitzt man also zu dritt auf einer Bank, Thermoskanne und Stulle und praktische Kleidung und sieht den Segelflugzeugen beim gummiseilgezogenen Starten und flatternden Landen zu. RentnerBloggerglück.
Daheim dann auf der Suche nach allem Anfang - denn das ist doch alles mal anders gewesen - stieß ich auf einen Knallerhit aus meiner Jugend. ESG (laut!) bewegten Anfang der 80er mit ihrem minimalistischen Rumpel-Beat die nüchternen, kahlen, neonlampenerhellten Betontanzdielen der Region zwischen Zeche, Bochum, Wupertal. Junge Menschen in abgewetzten Jackets und mit kahlrasierten Schläfen zuckten mit nervös-zackigen Bewegungen, die Jugend ein blinder Rausch wie sonst nur bei Andrea Sawatzki und ihren Haschkeksen (las ich heute in der Zeitschrift). Sehr toll, Zukunft schon weg, aber das Leben noch vor sich, ganz wie ein gummibandgezogenes, flatterndes Segelflugzeug. (Als Bild jetzt mal.)
Hübsch zudem der Kommentar unter dem Video. Susi U. (damals Suzy U.), blutjung wie wir, war damals eine Art Szene-Star. Wir liebten ihre Ti die Art, wie sie tanzte, ihre rasante Frisur, die Aura des Neu/Schräg/Anders, die sie umgab. Susi U. war sozusagen ein einziges mondänes Versprechen und garantiert schon mal in New York. Schön, daß jemand überlebt hat und sich erinnert.
Heute, ein halbes Jahrhundert später, ist Musik wie schöngeistige Literatur.

Sonntag, 29. April 2012
© Amazon-Benutzer "Mike"
Laßt uns alle Einhörner sein: Soziale Massenbewegungen im Netz sind oft eine zwiespältige Sache, dieses Adden und schubsen und Freunde zählen als Fortsetzung dieses uramerikanischen Carnegie-Phänomens Wie man Menschen beeinflußt und Freunde gewinnt. Unterhaltsam sind im Gegensatz dazu nichtorganisierte Spontanwolkenbildungen und Meme-Festivitäten, wie man sie beispielsweise bei Amazon erlebt, wenn man das berühmte Schweizer Taschenmesser mit knapp 150 Funktionen sucht. Zitat: "Schade, daß ein Defibrillator fehlt". Noch hübscher aber sind spontan anwachsenden Bildergalerien, die Käufer skurriler Produkte angelegt haben: die Freunde von Pferden zum Beispiel. Und ganz goldig, die Einhörner.
via Coilhouse
Ach, die Urheberrechtsdebatte. Ist es eine Debatte? Entlarvend dieser Monitor-Bericht, in dem drei Vorreitende der Piratenpartei versuchen, eine Frage zu beantworten beziehungsweise andeuten, daß ihre Forderungen absichtlicher Irrwitz, strategisch platzierte Maximalforderungen sind, die man offenbar selbst für wenig realistisch hält. Aha. Na dann.
Apropos Irrwitz. Nicht, daß es überraschen würde. Aber dieser Beitrag in 3sat faßt einmal viele Punkte des Glühbirnen-Schmus zusammen. Angefangen vom Gift in den Energiesparlampen, der erlogenen Brenndauer und angeblichen Einsparungspotentiale bis hin zur verheerenden Ökobilanz zählt man die katastrophalen Herstellungsbedingungen und Probleme bei der Entsorgung dazu. Die Problematik mit den viel zu starken elektromagnetischen Feldern war auch mir nicht bewußt. Mir haben die butterweichen Aussagen aus der EU-Behörde am besten gefallen
"Ultra korrekt nach Aufstehn. Ischschwör: Herz is krass gechillt, weil nich mehr so scheiß'n'dreck kalt da draußen. Guckstu!" soll die Übersetzung von "Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße." sein. (Der hinkende Bote)
Sie war so dieser Billardkneipentyp.

Mittwoch, 25. April 2012
Wie man sich dann doch immer wieder selbst ein Bein stellt. Sich ins Knie schießt, die eigene Schande an der Wand erlauscht. Sich selber Fallstricke legt, die fatalen Unfälle im Haushalt sucht, kipplige Leitern, wacklige Stühle. Wie man die Lust verliert und doch wieder stoisch die alten Wege geht, rostige Gleise, darauf beharrt, daß hier ein Zug doch fahren müsse. Alle erlogenen Geschichten schon kennt und sich wie saures Bier trotzig auf die Theke stellt. Jede Stunde billiger.
Aufgelassene Stationen, vielleicht knarrt ein Blechschild im Wind, zerrupfte Vögel lachen heiser herab. Ein Pferd namens Fehler reiten und mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne starren, in den Untergang.

Sonntag, 22. April 2012
Nachdem ich in den letzten Tagen nachts öfter rausmußte aufstand und heimlich auf meinem Trimmrad trainierte, fand ich es heute an der Zeit, draußen noch einmal die kleine Runde zu wagen. Ehe wieder der große Regen kam (so ein milder Herbst war selten). Nach der Erfindung der Slow Food-Bewegung preise ich nun das Slow Radeln, entspannt ließ ich die durchnumerierten Rennradfahrern am Deich an mir vorbeizischen, auch den ein oder anderen rüstigen Gartenfreund. Gemächlich, aber stetig, wie es in meinem Leben ja auch sonst nur geht, spulte ich die überraschungsfreie Strecke ab, vorbei an jungen Schafen und alten Schafen, weißen Schafen und schwarzen Schafen, solchen mit kupierten Schwänzen und welchen ohne. Also umgekehrt: solche mit Schwänzen und welche ohne, wie es auch sonst im Leben ist. Außer diesen landschaftlichen Impressionen war nicht viel los, alle in der Stadt bei der Demo, bei einem Sportereignis, auf dem Dom, daheim bei Kaffee & Kuchen oder auswärts bei verheimlichten Liebhabern.
Keuchfreie zwanzig Kilometer, das läßt hoffen, bald wieder neue Strecken zu erkunden. Ein wenig fad sind mir die Wege, ich schaue gern nach Abwechslung.
