
Montag, 5. Dezember 2011
Aus einer trüben Pfütze tat sich heute quietschend ein rostiges Tor zur Hoffnung auf. Weil Frau Schneckle die Monsters verlinkt hatte, kreuzte ich ein halbes Dutzend weitere Links später den Weg des Reverend. Dessen Wandlung könnte mir ein Wegweiser sein. Mit der Bibel in der einen Hand, die Knarre Gitarre in der anderen, heißt es, den Teufel aus den Schlammlöchern treiben.
Der könnte auch beim nächsten Rock & Wrestling einpeitschen, schließlich sieht der auch keinen Tag jünger als ich aus. Ein Licht soll es sein. Immer weitermachen.
Auch ein Gebet: I've Got the Devil Inside

Beim Depribloggerstammtisch gewesen. Gelacht.

Samstag, 3. Dezember 2011
Der Regen ist da, und obwohl dieses Jahr nur eine Jahreszeit kannte, den unterschauerten Mischmasch, kommt jetzt die Zeit der Neige. Ich trinke mein Heilwasser am zugigen Fenster und sehe, wie sich die Regentropfen ihren schlierigen Weg durch Staub und trübe Gedanken bahnen. Ein meditativer Vorbereitungskurs auf Depristammtische und Endzeitfolkore. Bei Krüger eröffnet heute abend Don't Wake Daddy (ich bitte um angemessene Kleidung). Der jährliche Saisonhöhepunkt, ein Erntedank für jeden Kunstfreund geht diesmal in die sechste Ausgabe, gezeigt werden Arbeiten von Brendan Danielsson, Eric White, Fred Stonehouse, Heiko Müller, Jason Wheatley, Martin Wittfooth, Moki und einigen anderen. Für mich eine Gelegenheit, endlich die neuen, größeren Räume der Galerie zu besichtigen, mehr Volumen zum Atmen, Schwitzen, Staunen. In ein paar Jahren findet Don't Wake Daddy dann im Hamburger Michel statt, dort wo bislang außerplanmäßig nur Josef A. sich zu Ochs und Esel gesellt, um die Weihnachtsgeschichte der Wirtschaftsreligion aufzuführen. Vater ist bald aufgewacht, Bambiland ist abgebrannt, widmet die Räume um, aber nicht die Herzen.
("Don't Wake Daddy VI". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 24.12.2011)

Dienstag, 29. November 2011
Nein. Ich bin nicht mit Emily Blunt Amy Adams Emily Blunt in den Sonnenuntergang entflohen, ich bilde mich fort. Angekommen im neuen Leben bereite ich mich auf die Zukunft vor: Die Krise ist da, heißt es. Der Schweinekapitalismus mit seiner Fratze wird einen letzten Grunzer tun, das Geld wird verschwinden, Leistung wird wieder selbst getragen werden müssen und allen eine kleine Parzelle zugewiesen werden, auf der Zuckerrübe, Kartoffel, Rote Beete und Sellerie wird wachsen können. Und ein Schwein. Auf Kuba hält man die Schweine in den Dachgärten der Häuser, wir hingegen könnten dafür unsere Nebenzimmer nutzen oder leergeräumte Bankschließfächer.
In unserer Zukunft der Selbst- und Kleinstversorger jedenfalls wird Hausschlachtung das neue Nachbarschaftsfest. Groß, Klein, Alt und Jung werden sich versammeln, während die wenigen Blogger, die sich noch auf Tiertötung verstehen, Schweine und Kleinvieh vom Tier zum Fleisch befördern, auf Haken hängen, ausbluten lassen und ausnehmen, zerteilen und verteil... Halt! Moment!
Bevor sich die gierige Meute auf die sülzigen Stücke stürzen darf, braucht es selbstverständlich eine Fleischbeschau und zwar nicht die, die ihr sonst so im Internet macht. Gilt es doch Krankheiten und Unpäßlichkeiten auszuschließen, selbst wenn man nur im Supermarkt an der Fleischtheke steht und sich fragt, was da so grünlich in der Aufschnittschale schimmert oder warum sich die Cellophanverpackung ins Vulgäre wölbt. So spielte mir also ein glücklich zu nennender Zufall auf dem Flohmarkt dieses fruchtbare Lehrbuch in die Hände.
Nach dem abendlichen Käsebrot studiere ich nun eifrig die grundlegenden In- und Auswändigkeiten von Rippe, Hüfte, Haxe, weiß, daß Grün keine wählbare Alternative auf frischen Schweinehälften ist und daß alles, was sehr klein ist und lebt, das Fleisch in aller Regel ungenießbar macht. (Lesen eigentlich noch Vegetarier mit?)
Viele Dinge kommen in Erinnerung, die die meisten schon vergessen haben dürften: Die Rinderzunge besitzt (im Gegensatz zur Pferdezunge) einen starken Rückenwulst, eine schlanke Zungenspitze und auf dieser zahlreiche Wärzchen, die sich sichelartig anfühlen und nach hinten gerichtet sind, so daß man beim Überstreichen über die Piste der Rinderzunge ein Gefühl hat wie beim Streichen über eine starre Bürste. Interessant und lebensnah auch die Beobachtung, daß "männliche Tiere [...] nach erlangter Geschlechtsreife einen regelwidrigen Geruch zeigen [können]. (Ebergeruch, Bockgeruch, in seltenen Fälen auch Bullengeruch)."
Fans von James Herriot (Der Doktor und das liebe Vieh) werden das ein oder andere erinnern (Lungenseuche! Schweinepest!): Mit einem Arm bis zum Ellenbogen in einer Kuh, den schnurrigen Lebensweisheiten verknöcherter Bauern aus dem lieblichen Yorkshire lauschend und dabei immer das Wohl der Nutztiere und ihrer Verzehrer im Auge. Ein Buch für jede Hausapotheke also und zur inneren Vorbereitung auf kommende Festlichkeiten, wenn Mutter die Gans wieder zu lange auf der Arbeitsplatte hat liegen lassen. Hände waschen nicht vergessen.
(R. v. Ostertag, V. Goerttler. Lehrbuch für Fleischbeschauer. 27. Auflage. Berlin, Hamburg: Parey, 1958.)

Montag, 21. November 2011
[...].
Wenn, so ein milder Gedanke, es mit dem Radfahren nicht mehr so richtig will, habe ich ein anderes, höchst adäquates Gefährt für mich gefunden. Es löst sogar ein hohes Maß an Begehren aus, ein Empfinden, das in meinem Alter ja erlebensgemäß etwas nachläßt. Man hat ja so vieles schon gesehen. Hier gibt es weitere Informationen. Zum Gefährt, nicht zum Begehren.
Das paßt natürlich zu dem Buch, das ich gerade lese. Oder blättere, denn leider übertreibt es das Layout ein wenig mit dem Fifties-Design. In munterem Plauderton gehalten, so als säße man beim Diaabend daheim, also nicht unbedingt tiefschürfend, aber recht vergnüglich, berichtet Marlotte Backhaus von der Weltreise im Kleinstwagen, die sie und ihr Mann in den 50er Jahren unternahmen. Von Hamburg aus über Indien nach Japan, später - im zweiten, etwas größeren Goggo - dann durch Nord- und Südamerika und Afrika. Eine sehr spannende Vorstellung, ein Unternehmen, als Reisen wirklich noch eine Expedition war, zumal wenn es in solche touristisch bis heute kaum oder wenig erschlossenen Gebiete geht. Und ja, zwei Menschen und Gepäck und Filmausrüstung passen in ein solches Auto. Wenn man richtig (an-)packt und ein wenig Struktur in die Sache bringt. Mein Reden seit langer Zeit.
Rock ohne Roll. Die Energie ist ja bekanntlich nicht weg, sie ist bloß woanders. Nach 237 Jahren haben Kim Gordon und Thurston Moore (beide ca. 75) die Scheidung eingereicht, hält man ja auch für unnötig so was, aber bitte. Noch unnötiger wohl nur die drohende Konsequenz, daß die derzeitige Sonic Youth-Tour durch Südamerika möglicherweise die letzte gewesen sein könnte. Schwacher Trost ist dieser einstündige, dreiteilige Mitschnitt vom Konzert am 14.11. Ach.
Die Kunstwelt in Aufruhr. Eine Biografie über den Kunstsammler Heinz Berggruen sorgt für Wirbel. Im Skandalton der "Enthüllungsbiografien", wie sie seit den 80ern populär geworden sind (Hitchcock war gar nicht nur ein Genie, er hatte auch dunkle Seiten; Picasso war gar nicht nur ein Genie, er hatte auch dunkle Seiten; Einstein war... usw. ad nauseam) hat eine Vivien Stein aufgedeckt: Der Kunstsammler, der zugleich eben auch Kunsthändler war, hat doch tatsächlich mit Kunst auch ein Geschäft gemacht und das offenbar auch deshalb so geschickt, weil er, der nämlich Jude war, und das schreibt Stein tatsächlich, in Deutschland "die Judenkarte" gezogen hätte. Kurz, Berlin erwarb (mit Bundeshilfe) seine heute fast unglaublich und vor allem unglaublich günstig wirkende Sammlung für damals wie heute lächerliche 250 Mio. DM - aber, so suggerieren Stein und ihre Fürsprecher, nur weil Berggruen ans Schuldbewußtsein der Deutschen appelliert habe.
Das offenbar durchweg im polemischen Geiferton geschriebene Buch könnte man schnell ignorieren, hätte es nicht durch eine großaufgemachte Rezension an Öffentlichkeit erfahren. Prominent auf fast eine Seite im Feuilleton der Süddeutschen vorgestellt, sorgte dies für einen zweiten Skandal. Was bewog den Rezensenten, sich die Argumente der Stein offenbar wenig distanziert zu eigen zu machen und überdies das Argument draufzusetzen, die jüdische Geschäftstüchtigkeit zeige sich auch im Treiben des Sohnes Berggruens, Karstadt-Investor Nicolas? Die SZ nennt es ein "Sittenstück", ein "denunziatorisches Werk" hingegen Ex-Kultur-Staatsminister Naumann im Tagesspiegel. In der FAZ rätselt Swantje Karich über die Motive ihres SZ-Kollegen, spricht von einer "Kampagne" und sagt: "Speicher und Stein kokettieren mit dem 'jüdischen Geschäftssinn'". Die Welt schreibt: "Bislang war Speicher eher durch seine Weltfremdheit und hoch gebildete Harmlosigkeit bekannt. Er besaß nicht den Ruf, im Gewerbe der Niedertracht so beschlagen zu sein, wie es nun zutage tritt", ein Urteil, dem ich indes nur zur Hälfte zustimmen kann.
Ich habe den Mann vor über zwanzig Jahren noch in seiner Zeit als Uni-Dozent kennengelernt. Daß er dort auch nur irgendeine seiner Beschlagenheiten oder Gewerbekenntnisse verborgen gehalten hätte, ist mir nicht erinnerlich. Ein interessanter Werdegang also, man fragt sich, jedenfalls so halb, welche Verbitterung da am Werk sein muß, eine doch ganz ansehnliche journalistische Karriere, auch wenn es mit der akademischen nicht so geklappt hat, mutwillig in den Sand setzen zu wollen. Vielleicht diktierte ihm der Wille zur Vernichtung die Feder, der sich nun aber gegen sich selber richtet.
Wie der ins Seminar geladene große deutsche Autor eine der kompliziert verstiegenen Theorien des Dozenten mit sanftem Lächeln auf ein common sense-Weltwissen zurückstutzte. Auch dafür danke, Herr Rühmkorf.
Proustitute, eines meiner Lieblingsblogs derzeit.

Freitag, 18. November 2011
Neuerdings drücke ich morgens im Bus nicht mehr auf "Halt", in der flaumfedrigen Hoffnung, er möge einfach an meiner Station vorbeifahren, einfach immer weiter und dann noch ein Stück, weiter als ich jemals gefahren bin, bis zu einem unbekannten Land einer unbekannten anderen Haltestelle. Dann steige ich aus.

Mittwoch, 9. November 2011
So also kommt es manchmal. Muß man zurückkommen, treppauf, treppab. Apropos, Treppe abwärts. Meine Filmkarriere könnte möglicherweise einen kleinen Schub (böses Wort, aber nun gut) bekommen. Treppab nämlich könnte ich perfekt das Stuntdouble einer Marionette der Augsburger Puppenkiste geben. Tapp, tapp, tapp,, hüpfe ich hinunter, so als höben mäßig unsichtbare Fäden meine Knien an und so als würden die Unterschenkel steuerlos, tapp, tapp, tapp, umherschlenkern. Ich bin Don Blech und alle seine Junker. Oder der Kleine König Kalle Wirsch auf seinem Weg, tapp, tapp, tapp, zu Zoppo Trump.
Muß man aber Sinn für haben. Zum Beispiel, wenn man den Bus erwischen will, der wartend an der Haltestelle steht und nicht ahnen kann (also der Fahrer, nicht der Bus), daß ich auch auf den letzten kleinen Meter, tapp, tapp, tapp nicht schneller werden will kann. Muß auch er Sinn für haben. Der Fahrer, nicht der Bus.
Apropos Film. Ich habe einige Filme gesehen, darunter war SuckerPunch, diese Steampunk-Version eines Comic-Melodrams. Wie Moulin Rouge mit Schwertkampf, könnte man sagen, gesungen wird auch, Hauptdarstellerin Emily Browning singt einen Großteil der Songs des (weichgespülten) Soundtracks. Als ein "Alice in Wonderland with machine guns", bezeichnete ihn Regisseur Zack Snyder (300), diese Vorlage indes sollte er vielleicht besser ruhen lassen. Natürlich ist der Film ein großer Quatsch, purer visueller Zucker, ein filmgewordenes Videospielcover. Die Story zudem dünn wie die Fetzen, die die Hauptdarstellerinnen tragen. Aber auch wenn female empowerment - trotz aller Wummen und Waffen, mit der sich die Sexbienen gegen die fiese Männerwelt erwehren - nicht ernsthaft die Rede sein kann, der Vorwurf der Misogynie ist mir dann doch allzu tantenhaft herangetragen. Das durchaus zynische Kulleraugen-Cos-Play-Spektakel bedient sich ungeniert bei allerlei Subkulturen und Pubertätsfantasien, ebenso ungeniert macht es als Ausstattungsorgie Laune, ein Klamottenfest (siehe Moulin Rouge) und Farbenspektakel (siehe Moulin Rouge). Böse Männer mit noch böseren Absichten (siehe Moulin Rouge) sind dabei, es gibt zwar keine Liebesgeschichte, dafür aber (siehe Moulin Rouge) ein tragisches Ende. Wer also 300 als Muskelmann-Schlachtfest irgendwie schuldbewußt reizvoll finden konnte, wird sich auch in Snyders absurder Psychoklitschenfabel suhlen können - ohne zum Beispiel erwachsene Spaßbremsenfragen zu stellen wie die, wo denn die häßlichen Mädchen in dieser Gruselheilanstalt geblieben sind. Eben.
Wasweißichdenn, ist ja nicht mein Sanatorium. Dort würde, tapp, tapp, tapp, auch nicht so elegant getanzt.

Donnerstag, 3. November 2011
Sie klingen wie eine Mischung aus The Slits, die gerade ihre Psychedelicphase haben, und vielleicht, na sagen wir mal Cat Power. Grobe Landmarkierung. Die Instrumente stolpern manchmal ein wenig unsicher, aber dafür umweht die Band auch nicht so der große Hype wie bei diesen unerträglichen AnnaEsbenCalviWitches und wie die diese ganzen 80er-Neo-Goth-Bands heißen, denen die (meist männliche) Großkritik Einflüsse von PJ Harvey (höh?) bis, Himmel, Patti Smith (höh?) nachsagt, statt einfach mal bei den offensichtlicheren Siouxsie and the Banshees nachzuschlagen.
Warpaint tragen trotz des kriegerischen Namens nicht so dick auf, versinken bei allen mellow-Klängen nicht in dieser quarkigdampfenden Gotikpaste, aus denen die Calvis dieser Welt mit lachhafter Ernsthaftigkeit mit Hexenarmen winken. Huhuhu. Auf mich wirkt diese Band angenehm ironisch, verspielt, unbefangen. Die nehmen sich Nirvanas "Come As You Are", den Flanger-Bass von The Cure und spielen dazu mit gepflegter Dissonanz wie die Cocteau Twins in der Kinderhüpfburg. Bei Youtube tauchen schon die ersten Coverversionen aus anderen Jugendzimmern auf, das finde ich großartig.
>>> Geräuch des Tages: Warpaint, Elephants
