
Montag, 29. August 2011


Die Mansardenwohnung erlebt eine Spinneninvasion, die achtbeinigen Seilkletterer haben die Nasen voll vom in sich selbst verknoteten Wetter und drängen hinein in die Küche, die gute Stube, das Ankleidezimmer und die fahl nur beleuchteten Winkel der Diele. Bleich aber sitze ich nicht unter wildem Wein, sondern zwischen Nacht und Regenwolken. Nach einer Woche, in der ich mir vorkam wie ein rollschuhlaufendes Telefonvermittlungs-Girl, die vor einer großen Schalttafel auf- und abfährt und mit bunten Strippen neue Verbindungen knüpft, gehetzt vom aufgeregten Klingeln und Blinken drängender, in Bakelit gefaßter Signallampen, erschöpft die Zeit gestohlen, zwischen auf- und abschwellenden Regenschauern eine Runde mit dem Rad zu drehen. Laß uns über Regenkleidung sprechen. Laß uns sehen, wie die Arbeiten am alten Wasserfilterwerk vorangehen. Wege sind schon um die Becken gelegt, an den hübschen Pumpenhäuschen vorbei, die alte Villa steht offen, aber zu viele Spaziergänger behindern eine heimliche Inaugenscheinnahme.
In den letzten Wochen noch einmal Carnivale gesehen, um endlich die zweite Staffel anzuschließen, langsam, langsam arbeite ich den Berg hinunter, die aufgestapelten Bücher, die zu Staub zerfallenen Gedanken, Textanfänge, Bildideen, die nun von den eingewanderten Spinnen eingewoben und verschnürt werden, bereitgestellt wie Paketsendungen aus einem früheren Leben. Sonntag mit der Lu auf Schiffspassage. Elbfährenflaneure, die Welt als Schaufenster, an dem immer neuer Regen langsam herunterperlt.

Mittwoch, 24. August 2011
Meeting, Meeting, Meeting, "Das haben wir noch nie so gemacht", Meeting, Meeting, Meeting, "Das haben wir immer so gemacht", Meeting, Meeting, Meeting, "Ich möchte, daß es so wie früher ist", Meeting, Meeting, Meeting.
Daß ausgerechnet ich plötzlich als Vertreter von Optimismus und Zuversicht gelte. Ich sage, es sieht aus wie eine Kathedrale von Gaudí, aber wenn man nur lange genug draufschaut, bemerkt man plötzlich die Schönheit und bizarre Symmetrie der Strukturen. Muß man abwarten, vielleicht brauche ich demnächst auch falsche Papiere und ein Ein-Weg-Flugticket nach Irgendwo. Und lasse alles zurück.
Auf Partys steht man mit fremden Menschen zusammen, man erzählt, was man so macht, und gleich gibt es welche, die sich einem vertraulich ans Revers heften. Ob man nicht günstiger an manche Dinge käme, manchmal wäre ja auch etwas leicht beschädigt und eignete sich nicht mehr für die weitere Verwendung, man habe da ein Garten und könne es noch gut... Ich bitte dann flugs um Entschuldigung, ich hätte ein wenig geflunkert. In Wahrheit sei ich Proktologe, könne aber gerne einen Termin in der Praxis, auch günstiger... Das Thema wird dann meistens schnell gewechselt.
Endlich wieder Regen.

Montag, 22. August 2011

Das Wochenende war mit weiterer Arbeit, die ja immer auf Arbeit folgt, gefüllt, lockte gleichzeitig aber mit schönem Wetter, so daß ich dieses Filmfest Filmfest sein ließ (ein dunkles Kino mit sensorischer Deprivation wäre die Alternative gewesen, "Perfect Sense" nämlich von David MacKenzie, der auch den großartigen "Young Adam" mit Ewan McGregor und Tilda Swindon gemacht hat.) Ich glaube, der Film ist ganz hervorragend, aber als jemand, der sein halbes Arbeitsleben in düsteren Kellerlabors verbringt, war mir einfach nach mehr Licht und Luft und Leichtigkeit Sonne. Also Karten adé, dafür lieber Schanzenfest, gemütliches Schlendern, Musik, Essen und Leute gucken.
In den Berichten der Großmedien schien in meinen Augen fast ein wenig Bedauern mitzuklingen, daß es sich bei dem (erwarteten?) "Krawall" (man beachte den Titel) "bloß" um eine eingeschlagene Schaufensterscheibe und ein leicht zu groß geratenes Feuer an der Roten Flora handelte. Dabei haben viele das Fest als betont friedlich und frei von aggressiven Stimmungen erlebt. Während vor Jahren unter dem CDU-Ahlhaus-Senat bereits tagsüber Polizeitruppen in martialischer Kampfmontur harmlose Familien und Flohmarktbesucher einschüchterten und latent aggressive Stimmung verbreiteten, hielten sich die Uniformierten diesmal sehr wohltuend und lobenswert im Hintergrund. Dieses Jahr also mehr Entspannung. Nicht einmal gekauft habe ich was, dafür bekam ich ein paar Bücher geschenkt, darunter Herbert Achternbuschs Hundstage, eine Erstausgabe von Roda Roda von 1927 und die Autobiografie von Isabella Rossellini. Was andere halt nicht haben wollen. Zu einem je nach Windrichtung und Lautstärke zusammengestellten Mix aus Vegan-Liberation-Punk, Aggro-Hardcore und Rave-Musik, der aus verschiedenen Richtungen herüberwehte, fast sorglos draußen gesessen, gegessen, vergessen (z.B. rechtzeitig eine Jacke überzuziehen), Gespräche geführt. Zugesehen, wie sich der Himmel über der Roten Flora langsam Telekomrosa färbt.
Was nicht mal Berlin hat, baute Hamburg über Nacht: eine Mauer aus Pappkartons warnte auf der Zufahrtstraße Auswärtige vor dem von der Polizei ausgerufenen "Gefahrengebiet". Doch während im Straßenverkehr der Hansestadt sonst jede Gelegenheit zum entnervten Gehupe genutzt wird, umfuhren die Autos das Hindernis friedlich und umstandslos, wie hier zu sehen ist. Diese Momente, wenn Stadt plötzlich möglich ist.

Freitag, 19. August 2011

Da will man ein Leben, glatt und rund und blau wie die Erde im Planetarium betrachtet, und da kommt einer daher, dem die Welt wie scharfkantige Steine ist, wirft einen aus der Balance und buchstäblich die Brocken vor die Füße. Shion Sono ("Hair Extensions", "Suicide Club") zeigt so einen in Cold Fish, einen Gute-Nacht-Film, den ich grad auf dem 25. Fantasy Filmfest sah.
Eine Art Familie mit umgekehrten Düsenantrieb, ein dysfunktionaler Trostlosigkeitshaufen, gerät in eine Variante von Sexy Beast, in der statt Ben Kingsley der japanische Komiker Denden einen völlig duchgeknallten Zierfischhändler und noch viel duchgeknallteren Serienkiller spielt. Der farblose Fischhändler Shamoto (Mitsuru Fukikoshi) läßt sich vom scheinbar hilfsbereiten Kollegen Murato (Denden) einlullen, ehe er merkt, daß der impulskontrollgestörte Typ ihm erst Tochter, Frau und dann sein Leben klaut. Da ist es natürlich schon zu spät, Duckmäuser Shamoto sagt weiter brav Ja und Ja, hilft, eine Leiche zu entsorgen, die Yakuza zu belügen und Muratos blut-, mord- und sexgeiler Frau Aiko zu widerstehen.
Das verspricht im ersten Drittel ein düsteres, in tristes Graublau getöntes Familien- und Gesellschaftsdrama zu werden, ein Rapport über Ich-Schwäche und Borderline-Furor, über einen Jedermann, dem Stück für Stück die Existenz genommen wird, kippt dann aber in eine schwarzhumorige Killer-Groteske mit kübelweise Blut, Gedärm und Psychopathen, die in albern entgrenzter Louis-de-Funès-Manier Leute töten und in Decken gewickelt von links nach rechts maneuvrieren, um sie dann mit Fleischermessern zu zerlegen und "unsichtbar" zu machen, wie Murato tönt. Das alles basiert - man kennt das ja - auf dem wahren Fall eines japanischen Hundezüchters und seiner Frau, die mindestens vier Menschen grausam umbrachten - der Film macht daraus 58.
Leider hält das Erzähltempo mit dieser irrwitzigen Steigerung nicht ganz mit. Wie bei Sono offenbar typisch ist der Film im Grunde überlang, gemessen jedenfalls an der - für psychologisch geschulte europäische Betrachter - doch eher banalen Geschichte. Immerhin, von etwas schläfrig inszenierten Durchhängern im letzten Drittel abgesehen, ist der Großteil recht kurzweilig inszeniert, turbulentes Bauerntheater manchmal, aber irgendwie auch faszinierend. Der drangsalierte Waschlappen Shamoto verliert irgendwann seine Brille, dann die Geduld und schlägt, obgleich er kaum noch durchblickt, schlechtgelaunt zurück. Im misogyn getränkten Amoklauf eines gekränkten Mannes, der endlich die Schnauze voll hat, ("Falling Down" läßt grüßen, man achte auf das weiße Hemd), weist Shamoto Frau und Tochter brachial an ihren Platz, stellt die daheim gewünschten patriarchalen Verhältnisse wieder her und das hysteriebedröhnte Gangsterpärchen kalt. Obsessiv wie Jan Fabre mit seinen Bic-Stiften, dolcht er mit einem Kuli für sein Recht, dabei Blut statt Tinte spritzend.
Zum Finale Thalia-Theater, Macbeth, die Scherenschnittversion eines Ideendramas: machtgeile Frauen, schwache Männer, am Ende schwimmt alles in Blut. Das ist manchmal schauerlich, oft absurd komisch, immer recht bedrückend und nur ab und an ein wenig wie ein kalter Fisch.
(Cold Fish. (Japan 2010). Regie: Shion Sono)
>>> Trailer

Montag, 15. August 2011

Im Vertrauen auf die Wettervorhersage lieber am Samstag Rad und Körper bewegt, endlich wieder Licht am Himmel und trockene Luft. Ab also über die Elbbrücke, die Räder schnurren dem Blech entgegen, auf der Autobahn drängt sich Rückreise-, Fußball- und Einkaufsbummelverkehr in die Stadt. Durch die Peute, die in den letzten Monaten auch die restlichen Kopfsteinpflasterstrecken verloren hat, weiter zu den Elbdeichen. Georgswerder, Moorwerder, irgendwo ist ein einsames Schützenfest. Dorfmädchen mit Cowboyhüten warten an der Bushaltestelle mitten im Nichts, ein älterer Mann mit Jeansweste ißt eine Bratwurst, Schlagermusik ist gleich schon verweht wie der Hase, der tot auf dem Radweg ruht.
Hinunter zur Bunthäuser Spitze. Möglicherweise ist es der Welt kleinster Leuchtturm: Das Leuchtfeuer Bunthaus wurde 1913 errichtet, strahlt heute aber nur den Charme der Zeit und keine Signallichter mehr aus. Hier teilt sich die Elbe, die Sonne glitzert über dem Wasser, das Sportboote zerpflügen, gegen den Strom und mit dem Strom und quer zu den Wellen.


Einen großen Bogen weiter nach Wilhelmsburg, das Dockville-Festival zieht wie ein Magnet Fahrradfahrer an. Junge Menschen mit Frisur und in richtiger Kleidung, wo man sonst nur pfeilschnelle Neonblitze in hautengen Lycraanzügen auf Rennrädern sieht. Die Mode du jour sind Gummistiefel zu Hotpants und flatternden Kleidchen, die Jungs in engen Hosen, deren Schritt auf Kniehöhe hängt, sie sind noch nicht im sogenannten praktischen oder Funktionsalter. Selbst die Gummistiefel der Jungs sind mit Blümchen und Girlanden verziert, nur wenige haben sich Plastiktüten um die Chucks gewickelt. Es muß matschig sein auf dem Gelände, ich lungere draußen herum, höre ein wenig Musik, schnuppere Atmo, versuche einen Witz. "Ach, ich wollte doch nur meine Tochter abholen", murmel ich gespielt verzweifelt und halblaut vor mich hin, ein paar Mädchen stoßen sich an, kichern und wiederholen flüsternd meine Worte. Ich hab's noch drauf, denke ich. Anderen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Dann aber setzt das Nachdenken ein und die bittere Erkenntnis, daß die Görls das längst nicht so ironisch verstanden, wie ich es meinte. Man muß es sehen wie es ist: da steht ein nicht mehr ganz junger mittelalter Mann mit grauen Haaren im Matsch und jammert festivalverloren nach seinen Bezugspersonen. Schlimm, wenn einem die kokettierende Verstellung nicht mehr abgenommen wird. Besser, ich versuche die Nummer noch mal in Ruhe vor dem Musicalzelt.



Zurück dann durch den Hafen, die Beine etwas über die Kaimauer baumeln lassen. Auf der einen Seite geht die Sonne unter, auf der anderen ragt bereits der Vollmond über den Horizont. Ein weiter Blick, von gestern bis morgen dann. Abendmilde Luft, 45 Kilometer rum, Bilder und Licht und Luft. Zeit, dem Abend entgegenzufallen.

Dienstag, 9. August 2011
Alte Fabriken, aufgelassene Gelände, gestraucheltes Glück älterer Tage, grüne Hügel, Überwucherungen, Geruch von Rost und Rest und Regen.
Melancholische Graffitis, übereignete Flächen. Die Kälte des Strandes zwischen Nichts und Niemand, unkartografierte Nachtgewässer, immer am Bahndamm entlang.
Dieses Verharren in schmerzschonender Grundhaltung.
Wie ich das Reisen liebe, aber nur selten das Ankommen.
Bei Anousch sehe ich das Foto mit den zwei wie zu einem sentimentalen Lied geparkten französischen Göttinnen. [...] Ein stilles Erkennen, ein stilleres Ach.
Danke dafür.
Die Feststellung auf der Party, daß man früher alles anders gebloggt hätte, mit den Namen der Anwesenden, unterstrichen, verlinkt. Hier und da und schaut doch her. Wir aber tun so, als sei die Existenz des Internets nur dazu gut, Fahrpläne abzurufen oder die Nummer einer Taxizentrale herauszufinden.
Eine Androiden-Kakerlake als Eisbrecher für das Meer in uns. Wirklich, die war sehr lustig und konnte den Moonwalk.
Nachdem man ihre Beine gebrochen hatte.
Wenn man auf neue Menschen trifft kann man all die alten Witze ist es schön, mit einer anderen Perspektive, mit anderen Wertmaßstäben konfrontiert zu werden. Die Neugier des Kennenlernens. Lernen. Weitermachen.

Montag, 8. August 2011

Die selten wie Überraschungseifiguren gesäten Sonnentage habe ich letzte Woche spontan genutzt, das gibt's nur einmal, das kommt nie wieder, mich den Mücken am Elbufer zum Beschnuppern und Anfixen hingegeben, kleine Käseplatten und Selbstgerührtes in den Sonnenuntergang gebreitet, die Fahrräder wie grasende Pferde auf die Deichkrone gestellt. Donnerstag dann wie ein Westmann zu den Aliens beim Heliumcowboy geritten, die subtilen Botschaften Boris Hoppeks entschlüsselt, die großartige Moki hat drei Bilder beigesteuert, 56K stilisiert die titelgebenden Gesellen an den Wänden, und der Hinterhof ist eine abendmilde Zuflucht vor der drückenden Wärme aus Menschen und Sommersimulation für coole Hamburger Cowgirls und altersmilde Tentakelmänner. Einfach in der Nacht rumstehen.
("Cowboys und Aliens", Heliumcowboy Artspace, Hamburg. Bis 12.8.2011)
