Schanze, aber Fest



Das Wochenende war mit weiterer Arbeit, die ja immer auf Arbeit folgt, gefüllt, lockte gleichzeitig aber mit schönem Wetter, so daß ich dieses Filmfest Filmfest sein ließ (ein dunkles Kino mit sensorischer Deprivation wäre die Alternative gewesen, "Perfect Sense" nämlich von David MacKenzie, der auch den großartigen "Young Adam" mit Ewan McGregor und Tilda Swindon gemacht hat.) Ich glaube, der Film ist ganz hervorragend, aber als jemand, der sein halbes Arbeitsleben in düsteren Kellerlabors verbringt, war mir einfach nach mehr Licht und Luft und Leichtigkeit Sonne. Also Karten adé, dafür lieber Schanzenfest, gemütliches Schlendern, Musik, Essen und Leute gucken.

In den Berichten der Großmedien schien in meinen Augen fast ein wenig Bedauern mitzuklingen, daß es sich bei dem (erwarteten?) "Krawall" (man beachte den Titel) "bloß" um eine eingeschlagene Schaufensterscheibe und ein leicht zu groß geratenes Feuer an der Roten Flora handelte. Dabei haben viele das Fest als betont friedlich und frei von aggressiven Stimmungen erlebt. Während vor Jahren unter dem CDU-Ahlhaus-Senat bereits tagsüber Polizeitruppen in martialischer Kampfmontur harmlose Familien und Flohmarktbesucher einschüchterten und latent aggressive Stimmung verbreiteten, hielten sich die Uniformierten diesmal sehr wohltuend und lobenswert im Hintergrund. Dieses Jahr also mehr Entspannung. Nicht einmal gekauft habe ich was, dafür bekam ich ein paar Bücher geschenkt, darunter Herbert Achternbuschs Hundstage, eine Erstausgabe von Roda Roda von 1927 und die Autobiografie von Isabella Rossellini. Was andere halt nicht haben wollen. Zu einem je nach Windrichtung und Lautstärke zusammengestellten Mix aus Vegan-Liberation-Punk, Aggro-Hardcore und Rave-Musik, der aus verschiedenen Richtungen herüberwehte, fast sorglos draußen gesessen, gegessen, vergessen (z.B. rechtzeitig eine Jacke überzuziehen), Gespräche geführt. Zugesehen, wie sich der Himmel über der Roten Flora langsam Telekomrosa färbt.

Was nicht mal Berlin hat, baute Hamburg über Nacht: eine Mauer aus Pappkartons warnte auf der Zufahrtstraße Auswärtige vor dem von der Polizei ausgerufenen "Gefahrengebiet". Doch während im Straßenverkehr der Hansestadt sonst jede Gelegenheit zum entnervten Gehupe genutzt wird, umfuhren die Autos das Hindernis friedlich und umstandslos, wie hier zu sehen ist. Diese Momente, wenn Stadt plötzlich möglich ist.

Homestory | 12:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
jean stubenzweig - Montag, 22. August 2011, 13:44
Was für eine Metapher!
«Zugesehen, wie sich der Himmel über Roten Flora langsam Telekomrosa färbt.»

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kid37 - Montag, 22. August 2011, 14:08
Oh. Da muß ich gleich mal das "der" einfügen. Ich bin sehr unaufmerksam in letzter Zeit. Möglicherweise reif für einen rosaroten Urlaub.

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vert - Dienstag, 23. August 2011, 01:48
hauptsache, das heißt demnäxt nicht magenta flora...

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kid37 - Montag, 22. August 2011, 14:14
Nebenbei: Was sagt es eigentlich aus über die öffentlich-rechtlichen Sender, wenn im modern getrimmten Digitalkanal "ZDF.Kultur" eine Sendung mit "Jupiter Jones" im Studio läuft, bei der ein zweiter Kameramann zu sehen ist, auf dessen schwarzem T-Shirt "A.C.A.B."* steht?

*wie in "All cameras are blurry" natürlich

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gaga - Dienstag, 23. August 2011, 00:53
Cool! Genau wie früher beim Autoscooter!
Und da war auch immer Negermusik!

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kid37 - Dienstag, 23. August 2011, 15:23
Und alles ohne Kaerambolage. (Obwohl, beim Autoscooter war das ja der halbe Spaß.)

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gaga - Mittwoch, 24. August 2011, 02:42
Genau! Das musste ordentlich rummsen! War aber volle Absicht! Wenn wir gewollt haben, konnten wir auch so schön rumkurven wie die da oben, aber wir wollten halt nicht! Die Hormone wahrscheinlich. Pubertät!

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c17h19no3 - Dienstag, 23. August 2011, 03:05
uniformierte dezent im hintergrund? unser beschauliches trüppchen war offenbar falsch angezogen und wurde opfer eines heimtückischen pfefferspray-anschlags. dass wir keine waffen mit uns führten, wurde uns auch erst geglaubt, als wir alle zweimal die taschen ausgeleert hatten.

nächstes jahr trage ich lieber eine hochgeschlossene weiße bluse. vielleicht glaubt man mir dann mein "hey, ich bin religionslehrerin" eher.

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kid37 - Dienstag, 23. August 2011, 15:22
Gut, wenn mir schwarzvermummte Kleriker mitten in der Nacht begegnen würden, wäre ich auch vorsichtig. Das sind auch nur Menschen, wer weiß, was die für Erfahrungen mit Kirchenleuten gemacht haben.

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