
Mittwoch, 20. Juli 2011
Seit ich in die Glockengießerei versetzt wurde, geht es den ganzen Tag nur dong-dong-dong, da hilft auch die Ehrenbezeichnung nichts, daß ich eigentlich nur die Formen und Gußteile begutachten und testen und meine Meinung dazu äußern soll. Dong-dong-dong dröhnt es durch die verrußte, mit giftigen Dämpfen gefüllte Halle. Müde öffne ich Schublade um Schublade, schiebe meine rollende Werkstadt von Ecke zu Ecke, klopfe mit einem Kugelschreiber gegen kleine und große Formen, klöppel ein wenig an Glocken, ohne zu wissen, um welche Melodie es eigentlich geht.
Abends dann knieweiches Schlurfen zurück zu meiner Schlafstatt, man sollte etwas darüber schreiben, denke ich, finde aber nur einen kraftlosen Gedanken. Bitte, adoptiert mich, wimmere ich. Wir basteln Flugzeuge aus Papier, machen den Tag lang nur Liebe, malen uns Träume und wechseln kein einziges böses Wort.

Dienstag, 19. Juli 2011

Man könnte viel Jammer äußern, über Wetter, Wehen, Wagnisse. Krise und Krankheit und Ausgelaugtsein. Aber verglichen mit dem, was andere derzeit niederdrückt, muß ich mich am Kragen packen, kurz durchschütteln und feststellen: Es ist nur Arbeit. Kein Verständnis also für Gezänk, launisches Befindeln von links oder rechts, dem Geschnaufe der Hobbyempörten. Raus heißt es, durch ebenso launischen Regen, rauf aufs Rad, Luft holen, ein weiteres kleines Häuschen besichtigen, schüttere Stellen im äußeren Haarkranz der Stadt, ausgefranste Fabrikgebäude und landestypisch Aufgestapeltes. Eine Stulle im idyllischen Nichts, Blick auf strukturloses Grün, Kilometer zwischen Deich und Windkante, ein Entmagnetisieren aus dem Dissonanzraum.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Beim diesjährigen Akademierundgang an der HfbK war ich möglicherweise noch ein wenig aufnahmeretardiert, Spätfolgen der Samstagnacht, zertanzte Schuhe im Kopf. Vielleicht war es aber auch wirklich eher ein wenig runtergetont, ein wenig unauffällig, ein wenig gefällig, den Atem jedenfalls, den Atem hielt ich nicht an. Bei der Jahresausstellung sind natürlich alle Klassen bunt gemischt, erste Semester und solche Studenten, die kurz vor dem Abschluß stehen. Das sieht man manchmal, nicht immer den Werken an. Jugendzimmerzeichnungen hängen einträchtig neben skurrilen Installationen, manchen sieht man noch diese tradierten Fesseln an, den Kunstlehrer vom Leistungskurs an einem Vorortgymnasium, andere haben sich bereits befreit und testen Grenzen. Nur: wirklich explodiert ist dieses Jahr kaum etwas, auch scheint es keine Saison für Pimmelmaler, Aktionsrandalisten oder exaltiert Aufmerksamkeitshungernde zu sein. Es hat schon Spaß gemacht, aber man wünscht sich diese Jugend wilder.

Sieht man einmal vom Explosionsmotor einer kinetischen Studie ab, vorab hier zu sehen. Der Fahrer, ein todesmutiger Raketenmensch mit weißrotem Helm und Rennmontur lag bäuchlings auf einem Zwiebelsack, steuerte über einen Fahrradlenker, vor sich den großen roten Notaus-Knopf, und sprotzte damit durch die engen Gassen des Hinterhofs. Daneben Gemälde, auf denen Daniel Richter auf Boris Hoppek traf, überformatige Tableaus aus Ministeck, ein bißchen Fluxus aus der Weinflasche und die regelmäßig erscheinenden Sammlungs- und Ordnungsexperimente. Wunderkammern und Reliquienkulte: Engelschamhaar aus Metallfäden, und, sehr, sehr groß, ein Teddybär aus stählerner Putzwolle zum Liebhaben für Rostkinder. Man sage nicht, es ging mir nichts zu Herzen.

Montag, 11. Juli 2011

Auf leergelaufenen Batterien wie ein Schoner in der Flaute mit der Flut hinaus ins Wochenende. Menschen stehen wie in Erntestapeln gepackt und machen Rumble, machen Bewegung zum durch Reklame verdorbenen "I'm Coming Home", kleben nasse Leibchen dicht an dicht, hauchen in mein Bier, reflektieren glitzernde Lichter aus der Tiefe ihres Augenhintergrundes. Im Kleinstlokal hat eine Band gespielt, hochwertige Gitarren werden über den Köpfen der wogenden Menge hin- und hergeschwenkt. Im Tingeltangel um die nassgewischte Kopfsteinpflasterecke rum läuft als erstes eine Vorführung, die ich so schlecht auch noch nicht gesehen habe. Zu 80er-Jahre-Nervös-Disco eine Mischung aus Flashdance (inklusive Wassereimer überm Kopp) und Trashdance (Cobra Killer irgendwer?), alles ennervierend over-performed und letztlich überbekleidet. Das Ergebnis für Bühne und Publikum hieß Verheerung. Später in der Nacht wird man aber mit einer der besten Auftritte dort entschädigt, gut getimte Choreografie zu akzentuiert swingender Musik, viel Augenzwinkern, sehr sexy. Lauter kleine Gesten und ein großer Hafenspaß.
Es liegt zu wenig Schlaf in all den Tagen, den sonntags einzuholen keine wirklich hübsche Idee ist. Schlafen und Wachen schließen sich aus, nur das Wetter ist so voller Gleichzeitigkeit: Regen im prallen Sonnenschein. Das hat es doch als Kind zuletzt gegeben.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Die Stadt ist durchgewaschen und hängt sich zum Trocknen aus. Die US-Amerikanerinnen spielen derweil in einer Art weißem, transparenten Kittelhemd, durch das verschiedenfarbige Büstenhalter zu sehen sind. Schwesternhelferinnen gleich, die flott über glanzpolierte Krankenhausflure hetzen, rennen sie fahrig und leicht verschwitzt die vorgegebenen Laufwege rauf und wieder runter, während die Schwedinnen, ebenso entkräftet, nur zwei Gedanken hegen: den an den Schlußpfiff und einen weiteren an die komplizierte Choreographie ihres auf dem Rasen gemeinsam aufgeführten Abschlußtanzes, ein seit Generationen wie siebente Siegel an die Jungfrauen des Dorfes nur flüsternd weitergereichtes geheimes Ritual, das ursprünglich den Jagdtod stattlicher Elche feierte, nun aber das Entkommen vor den Blutabnahmekanülen und Katheterschläuchen der nordamerikanischen Krankenschwestern.

Freitag, 1. Juli 2011
and in a moment I am gone.
(New Order, "World (Price Of Love)")
Wechselwetter, 16 Grad oder gefühlte 17. Wandernde Grauzone, die einzelne Stadtteile beschattet, mit Regen wäscht, dann bloßlegt, wie einen nackten Hintern in der Sonne. Sich zurechtnieseln, zu kragenklappenden Menschen stellen, die Stirn an eine Hauswand legen, bis uns irgendwann ein Autobus einsammelt. Erster Julitag, ein Sommer im Frühherbst, ich hole meine sorgsam vom letzten Jahr gehorteten Blätter aus dem Keller, verteile sie auf den Wegen, lege einige Kastanien dazu. Im Park lungern Menschen und testen verstohlen, ob ihr Atem kleine Wölkchen bildet.
Die Hausfrau unten an den Aschetonnen blinzelt müde in den Himmel und wertet das Wetter. Das wird nix, sind wir uns einig. Es war grau, es ist grau, es wird grausam bleiben.

Mittwoch, 29. Juni 2011


Gerade geht auch alles immer schneller. Es liegt so ein schnaufendes Stampfen in der Luft, als hinge man zwischen großen Zahnrädern an einer dampfbetriebenen Pleuelstange, so hilflos wie an einem Kleiderbügel, während man auf und ab und rundherumgeschleudert wird. Zisch! Pfff! Zisch! Pfff! - so geht das hier den ganzen Tag. Zisch! Pff! Zisch! Pfff! Herr Kid! bellt es durchs Telefon, Panik im Maschinenraum, während ich gerade hochgeschnellt werde und hilflos an der Decke zapple, die Ärmel hochgerutscht, die Hosenbeine hochgerutscht, die Sockenhalter entblößt, die mageren Arme, die nicht weit genug hinabreichen zum hitzestrahlenden Telefon. Bis ich wieder hinuntergestoßen werde, wie ein abgeschossener Nagel aus einer Druckluftpistole, auf dem schwer ächzenden Drehstuhl lande, der empört wie ein bockendes Wildpferd den Rücken krümmt, mich wieder hinaufwirft, wo die Maschine schon wieder an meine Gurgel faßt, schnaufend und mit ölverschmierten Zangen.
Dabei könnte ich längst schon aufsitzen, Auf Wiedersehen! sagen, freundlich in die Runde nicken, mich an den Strand setzen, auf einen Rettungsschirm warten, weil pünktlich zum Feierabend der große Regen kommt.
