Dienstag, 21. Juni 2011


Tanke und du

Mein Roman Mein Kännchen ist draußen, eine grotesk-anmutige Farce über das Leben eines alternden Erotomanen an der Südküste einer bekannten deutschen Großstadt, entstand in zahlreichen erinnerungsreifen lauen Abenden im mit allerlei Reizen gefüllten Vorsommer, der meinen alten Bekannten T. und mich oft genug in die Zeit nach Mitternacht warf. Man kennt das: Man redet, trinkt etwas, lungert herum wie zerknüllte Kippen in einer Jackentasche, redet wieder was und kommt den großen Geheimnissen des Lebens und dessen Gefühl auf die Spur.

Ich also, sage ich in dieser Zeit dem T., und versuche in Schönschrift ein paar Zeilen zu schreiben, wo eigentlich Seiten um Seiten um Seiten folgen sollten. "Astra ist auch ok", höre ich den T., der mir nicht ganz bei der Sache zu sein scheint. "Hören wir zu?" frage ich. "Natürlich," sagt er, "aber die nächste Runde geht auf dich."

"Guck mal die Ische", ruft er, setzt nach mit einem dreifachen "Wow! Wow! Wow!" Ich lausche angestrengt, denn gerade hatte ich noch einen Gedanken, der sich nun aber wie auf trippelnden Freiersfüßen an der Straßenecke davonmacht. Der T. winkt irgendwohin, ich mache etwas genervt so eine Art von Geräusch, er so: "Was denn?!" Ich fahre fort in meiner Rede an niemanden. "Man muß es mal so sehen", sage ich. "Da ist so ein Gefühl. Du weißt doch", wende ich mich direkt an den T., "was das ist, Gefühl." Klar, sagt der. Gefühl. Logo. Haben wir doch alle mal, sagt er und nimmt noch einen Schluck.

"Boah", höre ich ihn, wie von Ferne. Ob das noch ein Gürtel sei oder schon ein Rock, es sei ja noch nicht einmal Mai. Himmel, denke ich, jetzt geht man einmal aus. Vorstadt, ruft er vergnügt oder verächtlich, ich kann das nicht immer unterscheiden. Die kommt aus der Vorstadt. Ich sage, Hallo, also so ein streng-ermahnendes "Hallooo", sind wir heute wieder 16, was ist los, ich wollte doch was sagen.

"Klar", sagt der T. "Sag, Mann." Ich hebe also an und eine große Grube aus, stecke sozusagen den Claim ab, den umzugraben ich mir vorgenommen habe. Ein fetter Schlitten röhrt vorbei, eine Hand hängt daußen, die Finger zu Teufelshörnern geformt, der T. kichert, sagt: "'Tschuldigung, daß ich unterbreche, aber..." Ich denke, aber, aber, wasdennaber, ich habe ja noch gar nichts gesagt. "SPACELOOORD, MOTHERFUKKER!" brüllt der T. ganz laut, schwenkt sein Bier dem Wagen hinterher und bricht in Gelächter aus. "Geile Karre!" Ich mache ein Geräusch, vergnügt oder verächtlich, ich kann das nicht immer unterscheiden.

"Ok", sagt der T. "Du wolltest doch was sagen." Schon gut, sage ich mit einem Seufzer. "Laß uns mal weitergehen. Wird eh bald alles abgerissen."


 


Sonntag, 19. Juni 2011


...

Jetzt hätte ich beim Rausschauen aus dem Fenster fast eine Herbstattacke bekommen.

(die gute Nachricht: In sechs Wochen kommt schon wieder die neue Herbstmode.)


 


Samstag, 18. Juni 2011


Wieder Wien #2

Ein Fremder, der schaut
unser Wien sich an.

(Q)

Viel zu lange bin ich nicht dort gewesen, das merkte ich gleich, wie ein enggezinkter Nissenkamm mußte ich mich folglich durch die engeren Straßen und Gassen der inneren Bezirke arbeiten, wie durch das Fugenwerk mit Liebe verlegter Fliesen, nachschauen, ob alles noch da, am Platz, verankert ist. Es ist alles noch da, vieles noch, das meiste sogar, verankert, gesetzt.



Man hätte eine Rundfahrt machen können, auf schickem Gefährt und in noch schickerem Aufzug, wie einer dieser Mad Men durch die Stadt rollern, bis man innehält, das Tempo rausnimmt und diesen entscheidenden Gang zurückschaltet. Mein Programm war folglich angemessen entspannt: laufen, die Schritte vermessen, die Höhen schätzen und die Dicke der Mauern. Die Sonne auftanken, von deren Kraft zurück in Hamburg gleich nichts mehr zu spüren ist.



Auftauchen also, im Museum bei den toten Tieren sitzen, gemütlich nach Luft schnappen, ein melancholisches Lied in den Abend zittern. Sich einfügen.


 


Dienstag, 14. Juni 2011


Bitte ein BIC




Der belgische Künstler Jan Fabre ist offenbar tatsächlich ein Stiefenkel des berühmten Insektenforsches Jean-Henri Fabre, dies sei aber nur in einer wie an Spinnweben herbeiassoziierten Gedankenkette angemerkt. Das Naturfreundliche der Familie spiegelt sich in seinen Ausstellungen: tote Tiere, zerlegte Wesen, die Freundlichkeit einer pelzigen Überraschung.

Angeblich, so lese ich, sei er "nach einem zweimaligen jugendlichen Unfall mit Komafolge [...] unfähig, länger als drei Stunden zu schlafen." [Q] Kontinuierliches Schaffen ist ein Weg, damit umzugehen, Repetition (wie im Tanztheater, für das Fabre inszeniert) ein Ausdruck. So erklären sich vielleicht auch die Bilder, die derzeit im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen sind.

Riesige Formate, Gemälde, und beileibe keine Zeichnungen, wie es zu vermuten ist. Die Bilder sind mit BIC-Stiften entstanden. Fabre zeichnet keine Umrißlinien, er malt. Mit BIC-Stiften. Obsessiv, neurotisch, bekloppt sind dort vielleicht in diesen ungezählten schlaflosen Stunden Schraffuren und Texturen entstanden, so wie man selbst beim Telefonieren einen Block vollkritzelt, wie man früher in einer halb verpennten Geschichtsstunde oder Philosophievorlesung die Ränder seines Heftes verziert und in endlosen Girlanden bemustert hat. Bei Fabre wellt sich das Papier, wo sich die schmale Spitze dicht an dicht an dicht ins Papier gegraben hat, wo Kulitinte wie hingegossen und doch eingeschabt in das Material strömte. Mit BIC-Stiften.

Neben Texturen und Rhythmik werden einzelne gegenständliche Abbildungen sichtbar, Schädel, Insektenpanzer, eine Erinnerung. Blauer Wahnsinn, aber mit System. Der Tintner übrigens stammt nicht von der Tinte ab, sondern aus dem schlesischen Tinz¹. Fabre, als Choreograph und BIC-colateur gleichermassen tätig, schließt hier einen Kreis.

Wahnwitzig aber auch die Präsentation. Das muß man sich auch erst mal trauen, Kugelschreiberbilder umstandslos zwischen Tizians und Breughels und Rubens' und Cranachs zu hängen. Und Fabre kommt bei diesen Gegenüberstellungen gar nicht mal schlecht weg.

¹ vgl. Hans Bahlow. Deutsches Namenslexikon. Frankfurt/M., 1972.

(Jan Fabre, "Die Jahre der Blauen Stunde". Kunsthistorisches Museum, Wien. Bis 28. August 2011.)

>>> Webseite von Jan Fabre


 


Samstag, 11. Juni 2011


LeadAwards 2011





Der ehemals als "Leistungsschau" als Großereignis gefeierte Jahresrückblick auf Werbung und Zeitschriften hat in den letzten Jahren doch ein wenig an Glanz verloren. Die von ihren Machern allzu devot beschriebene "Medienkrise" ist ja nicht nur Podiumsgerede. Sie schlägt sich in Budgetkürzungen und weiteren mutlosen Sparmaßnahmen nieder - und zwar sichtbar. Wenige Magazine leisten sich eigene Fotostrecken oder streichen den Produktionsrahmen so zusammen, daß Opulentes oder wenigstens Überraschendes dabei herauskäme. Dennoch gibt es Unterschiede, wenn man bedenkt, daß sich eine italienische Vogue einen Steven Meisel leistet, während die deutsche Schwesterausgabe nur selten für Aufsehen sorgt.

Die Not zur Tugend erklären, domiert heuer ein wenig der Vice-Stil, dabei sind auch Veteranen einer Photography of Transgression zu sehen, Richard Kern etwa und Nan Goldin, die - ausgerechnet - eine Kindermodenstrecke fotografiert hat. Daniel Josefsohn, dessen Schaffen ich etwas zwiespältig gegenüberstehe, zeigt eine eher plumpe Newton-Hommage, aber auch überraschend gut gelungene Modefotos, die in Island entstanden sind. Ähnlich überzeugend: die teils brutalen Tatortfotos der Amsterdamer Polizei, eine berührende Strecke aus Dummy. Die auch hier erwähnte und wirklich durch alle (Web-)Medien gejagte, aber nun wirklich tolle Serie von Ria van Dijk, die seit 1936 ihre am Fotoschießstand auf der Kirmes entstandenen Porträts gesammelt hat, ist ebenfalls zu sehen.

Ausgezeichnet wurde auch eine Strecke aus dem kleinen Fotomagazin Die Nacht, das immerhin ist eine weitere hübsche Überraschung. Von den drei mit Hauptpreisen gelobten Weblogs (ein alter Bekannter darunter) ist eines allerdings ab vormittags nicht mehr zu erreichen. (Geht mittlerweile wieder.) Interessieren würde mich in diesem Zusammenhang, wie die Jury eigentlich getagt hat. Ich hätte da ein paar Fragen.

>>> LeadAwards 2011, die Preisträger

("Visual Leader 2011". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 14. Augsut 2011.)


 


Dienstag, 7. Juni 2011


Wieder Wien #1



Diesmal war ich zwar pünktlich am Flughafen, bummelte aber irgendwie nach dem Sicherheitscheck noch so herum, wollte dann gemütlich und vorentspannt zum Gate, also irgendwie lässig sein, und stellte dann fest, hui, vergessen, das ist ja doch noch ein ganzes Ende... Ende. Daß mein Name bereits ausgerufen wurde, merkte ich erst beim zweiten Mal, wurde der doch so merkwürdig intoniert, so als sei ich ein schottischer Fußballprofi, der sich bei Rapid bewerben will. Der Mann am Boardingschalter telefonierte schon leicht angeregt mit der Crew ("Ah, er kommt gerade!"), als ich ebenso leicht schnaufend um die Ecke bog, und so schlitterte ich auf blanken Absätzen an Bord, also nicht wirklich gemütlich, wie es der Plan war, aber alles gut, möchte ich gemütvoll betonen, wir hoben pünktlich ab.

Wien zeigte sich gleich ganz liebenswürdig, eine satte Sonne am Himmel, man holte mich sogar vom Flughafen ab, und weil ich noch auf meinen Vermieter warten mußte, sagte ich, "Also jetzt aber Kaffeehauskultur!" und wenn schon, dann richtig und mit draußen sitzen. Oder eben konterkarierend. Die Wohnung dann wie ein "Hotel New Hampshire", unten die Damen, im Keller die Anarchisten, ganz oben die Dichter mit Flucht auf den Trockenspeicher. Kochen und Tratsch im Stiegenhaus. Dafür Kronleuchter, Parkett und Messingbett, eine Anmutung von Tradition, ansonsten aber sehr lebendig. Sag ich mal.



Hinaus dann zu ersten Runde, mal wieder Hallo sagen dem großen Kontrast, zehn Jahre Museumsquartier, ein Lied auf den Lippen, auch wenn die Tram die falsche Nummer hat. Vielleicht, so eine erste herausgeschrammelte Botschaft, muß man im Leben auch mal weiterzählen. Und weiter erzählen.


 


Montag, 6. Juni 2011


Jetzt erstmal liegen bleiben



Vor der Sommerpause noch einmal Bewegungsprogramm. Musik zur Nacht, flirrende Lichter, Mädchen in engen Sixties-Kleidern, schwubbernder, krächzender Soul unten am Hafen und Wehmut im Herzen. Im Goldenen Salon läuft Beatprogramm, das Publikum ist sehr jung, die Ponys sehr gerade, die Kleider kürzer. Hier wird die Hoffnung herbeigetanzt: Bei "I Saw Her Standing There" von der Gruppe aus Liverpool ist die Tanzfläche schweißtreibend voll. Diese Jugend ist nicht verloren.

Nächster Tag dann schneller als die Sonne zum Frühstück nach Eimsbüttel, es ist bereits unangenehm heiß, als ich ankomme. Auf dem Flohmarkt (jetzt also: Eppendorf, man muß es leider so sagen) schleicht der Chefredakteur einer großen Hamburger Wochenzeitung in dicker Cordjacke durch die sengende Hitze. Kurz darauf sehe ich noch Deutschlands großen Kameramann mit schicker Sonnenbrille und verweile wenig später kurz vor dem Geburtshaus von Jan Delay, das eine illustre Geschichte aufweist und überhaupt sehr schön ist. Man sollte geführte Touren anbieten: Hamburg, wo man kennt. Auf den glühenden Tischen hingegen finde ich nichts, bemerkenswert viel Plunder hat den Weg aus den Kellern und Abseiten nach draußen in die Sonne gefunden. Es muß alles da liegen bleiben.