Montag, 30. Mai 2011


Mal den Gürtel locker machen



Aus dem schönsten Sonnenuntergang über Wien geht der Flug zurück in die Hamburger Nacht. Der Kollege, den ich beim Boarding treffe, meint, man solle solche Ausflüge ruhig regelmäßiger unternehmen, vielleicht nicht für einen Kaffee, aber um der hanseatischen Nüchternheit barocke Ironie und Spannungsreichtum beizumischen. Der Sprung aus den Wolken butterweich, mit der Entspanntheit einer kleinen Caféhausgesellschaft. Jetzt zurück, wo das Leben unter der Behauptung geführt wird, es sei keine Puppenstube. Muß ja.


 


Montag, 23. Mai 2011


Im Gespensterwald



Die freundlich andekorierten Räume im Gängeviertel, mit junger Kunst behängt, ein semisexuell verspieltes Bild trägt die hübsche Pointe im Titel ("Das auf dem Bild sind zwei Jungs"), das in meiner Tasche aber sind die letzten Besorgungen. Dabei die immer wiederkehrende Sorge, man habe etwas Wichtiges vergessen, so als sei man auf dem Weg in eine noch der Entwicklung bedürfenden Zone, und nicht auf dem in die schöne Stadt.

Letzte Ausfahrt Windwaldwasser, die Luft einsaugen, einen gleichmäßigen Takt mit den Pedalen treten, Windschattenfahren mit dem leisen Schnurren des Diamant an der Seite, der Stille unter den Bäumen lauschen. Die Pastorale wird umhüllt von weißen, feingesponnenen Netzen. Es ist das Werk der Gespinstmotte", deren Raupen im ruhelosen Gewühl umherkrabbeln. Ein Wochenende unruhiger Geister, verwebt wie eine mumifizierte Erinnerung, weißgewandete Geister huschen über die Lichtung und hängen ihre Kleider an die Bäume. Eine Gespinstinstallation, dem komplett vergipsten Zimmer bei Krüger ähnlich, man möchte es weitertreiben und im Gängeviertel ein komplettes Gebäude von fleißigen Gespinstmotten zuweben lassen. Oder sich selbst, und dann einfach davonwehen.

Letzte Sonnenstrahlen in der Düne. Dann setzt das Gewitter ein.


 


Freitag, 20. Mai 2011


Der gefundene Satz, #53

Die Nachfolgeband New Order war auf jeden Fall in allen Belangen besser als Joy Division, vor allem musikalisch. [Q]


 


Mittwoch, 18. Mai 2011


Merz/Bow #27

Statt Friday Five: Miss Kinski sammelt jeweils fünf thematisch passende Bilder für eine kleine Fotostrecke, viele allerdings sind nicht sicher für die Arbeit. Oft sehr witzig oder überraschend, manches auch ein wenig gewollt, man kennt das von ähnlichen Anlegearbeiten.

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Auch eine hübsche Idee für ein Heim: Wohnen in der Zementfabrik, oder: Wenn Architekten ihre Jungsträume verwirklichen können. Ich bin eine zeitlang immer wieder zum Fotografieren durch eine solche Fabrik gekrochen und muß festhalten: Sauber machen hätte ich sie nicht machen wollen. Ricardo Bofill hat da sicher auch eher mehr ein Auge denn seine Hände drauf gehabt.

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All those places
Where I recall the memories
That gripped me
And pinned me down

(PJ Harvey, "Silence")

Ein Gebäude wie Herbstlaub. Eine entkernte Erinnerung. Wie ich den Platz am Klavier räumte, dem Vorwand nachgab, die Akkorde aber später nach Hause hämmerte, mich frei machte von dem, was nie war. Eine schweigende Nacht, eine Stille. Und nur für mich.

Sich immer weiter hinausstehlen, einen Iglu bauen, ein weißes Schneezelt, wo kein Fuchs mich findet. Das Schweigen als letztes Wort und Mittel, ein lautloser Klang gegen das Dröhnen der Versprechen, der flatternden Emphase eines großgedruckten "Ich".

Die Stille ganz laut drehen, bei sich sein, in lauter kleinen Schlucken trinken und durch einen Strohhalm atmen. Ganz lange, ganz viel.

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Oh Gott. Cereal Killers schon zum Frühstück.

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Ich mag das Kopfkissen. Das linke.

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Ich mag das schöne Tier in dir.

MerzBow | von kid37 um 12:30h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 14. Mai 2011


Augenvisionswettbewerb

Daß der Eurovisionswettbewerb des Hochleistungsschlagersingens ohne Japan auskommt, liegt natürlich nicht nur an den geographischen Verhältnissen, sondern auch schlicht am Neid. Denn was das fröhliches Maunzen junger gutaufgelegter Sängerinnen angeht, so steckte die jüngst so gebeutelte Nation locker alle in den Sack.



Die meisten können sicher nicht so gut Japanisch wie ich, deshalb übersetze ich mal kurz den Refrain dieses munteren Liedes:

Hey, alter Sack/
glotz uns nicht so an/
Du könntest unser Vater sein/
wärst du nicht schon im Altersheim.

Hey, alter Sack/
glotz uns nicht so an/
Die Strümpfe tragen wir zur Show/
und nicht wie Du zum Stützen.


So im wesentlichen (wer es nicht glaubt, frage Isa, die kann das). Eine alte Blogger-Unart indes treibt sicher viele wieder dazu, das Lied gleich wieder auf sich zu beziehen, dabei sind wie immer eigentlich nur die anderen gemeint. Ich jedenfalls werde heute abend mit einer Delegation des Fördervereins Lena e.V. toitoitoi ganz seriös die Daumen drücken, wenn es um die Krone des Kulturpreisträgers 2011 geht.

(Anm.: die Anwendung der maskulinen Form schließt die feminine mit ein.)


 


Freitag, 13. Mai 2011


Beetle Queens

Zustand: malade, Stimmung: trotzig, Zielvereinbarung mit mir und meinem Körper: beschwingt. Der Mensch aber soll Heiteres erfahren im Bannkreis der Natur. Berliner gehen deshalb heute abend besser in den Wald, solange es diesen noch zu sehen gibt.

Enchanted Forest lautet der Titel der aktuellen Gruppenausstellung in der Berliner Strychnin Galerie. Künstler wie David Hochbaum, Mimi S., Seymour, Lindsey Carr, Christina Graf, Raf Veulemans, Lisa Black, Wee Flowers, Suzanne Moxhay und Yumiko Kayukawa (das sind nur ein paar der Beteiligten) zeigen ihre meist skurrilen und sägeblattgezackten Blicke in dunkle Wälder, verwunschene Lichtungen und geheime Ritzen in narbiger Rinde. Der Abend wird sein wie ein heimeliges Picknick, bei dem alle Teilnehmer vier bis sechs Beine haben und die meiste Zeit rückwärts sprechen.

Bleiben wir bei den Sechsbeinern, denn Insektenliebe hält bekanntlich ernst und jünger. Der Film "Beetle Queen conquers Toyko" beschäftigt sich mit der ungewöhnlichen Vorliebe der Japaner für Insekten - und damit ist nicht etwa die Küche gemeint. Insekten sind Spielkameraden, Anschauungsobjekte, Schmuck oder einfach bloß Freunde. Die sehr tolle Webseite erläutert ein paar mehr dieser Hintergründe. Der Trailer ist ganz großartig, und wenn jemand Kenntnis erlangt, wo es diesen Film zu sehen gibt, möge er bitte Bescheid geben. (via Wurzeltod)

Beetle Queen Conquers Tokyo Trailer


("Enchanted Forest". Strychnin Galerie, Berlin. Ab 13. Mai 2011.)


 


Dienstag, 10. Mai 2011


Gipsy



Spektakuläre Dinge geschen ja oft in den kleinsten Räumen, aber man muß es auch wagen wollen. Ihr werdet denken, nanu, das ist doch euer Bett, was macht das in einer Kunstgalerie? Oder ist es doch das von Tracey Emin? Aber wie um alle Waschkraft dieser Welt ist es so weiß geworden?

Bei Feinkunst Krüger gibt es die Antwort, aber zugleich auch eine Menge Fragen mit auf den Weg. Das Duo Hehemann und Vogel, die vorletztes Jahr Hamburgs Kunstadresse Nr. 1 mit über 300 Autoreifen auskleideten, hat den Wohnbereich des eigenen Aieliers eins-zu-eins in die enge Galerie verfrachtet. Das allein wäre ja schon spektakulär genug, aber Hehemann und Vogel gingen noch einen irren Schritt weiter: Getreu dem Motoo, Kunst ist schön, macht aber Staub und Arbeit, gipsten alles ein, schufen einen totalen Raum, überzogen wie wildgewordene Bäcker alles und wirklich alles mit einem gipsernen Guß. Man stelle sich da so vor: Christo plane, das Arbeitszimmer von Dieter Roth zu verhüllen. Die Gegenstände blieben erkennbar, träten aber in ihrer Reduktion auf die abstrakte Form um so deutlicher heraus.

Man muß es wirklich sinnlich erlebt haben, darin stehen, den Geruch einatmen, sich vielleicht eingipsen lassen und und selbst Teil der Installation werden. Spüren, daß es wirklich ist. Immer neue Details entdecken und gleich darauf noch weitere. Herr Krüger machte es vor, in schwarzweißen Anzug verschmolz er nur fast mit der Umgebung und zeigte deutlich: Man muß das leben, sich aber nicht selbst aufgeben dabei. Diesen Schritt wagen, den Schnitt wagen, Loslassen, Zurücklassen, alte Haare ab, Raum schaffen für etwas neues. Es sind wirklich ihre Sachen, ihre Bücher, ihre Platten, ihre Videos und dazu die Kaffeemaschine, nichts, was eigens für einen Zweck als Requisite besorgt wurde. Hier liegt es nah und nackt zu Bette. (Aber bitte nicht dazulegen.)

Die Ausstellung (wer dieses Jahr nur eine sehen will, sollte diese nehmen!) wird in zwei weiteren Teilen fortgesetzt. Auf das Abbrechen und Ausschälen und Ausschaben des wahnwitzigen ersten Teils folgt als Abschluß noch eine Schau mit Bildern der beiden.

("Simon Hehemann & Stefan Vogel - Installation, Malerei, Zeichnung, Skulptur". Feinkunst Krüger, Hamburg. 1. Teil bis 21.5., 2. Teil 28.5. bis 11.6., 3. Teil