
Samstag, 14. Mai 2011
Daß der Eurovisionswettbewerb des Hochleistungsschlagersingens ohne Japan auskommt, liegt natürlich nicht nur an den geographischen Verhältnissen, sondern auch schlicht am Neid. Denn was das fröhliches Maunzen junger gutaufgelegter Sängerinnen angeht, so steckte die jüngst so gebeutelte Nation locker alle in den Sack.
Die meisten können sicher nicht so gut Japanisch wie ich, deshalb übersetze ich mal kurz den Refrain dieses munteren Liedes:
Hey, alter Sack/
glotz uns nicht so an/
Du könntest unser Vater sein/
wärst du nicht schon im Altersheim.
Hey, alter Sack/
glotz uns nicht so an/
Die Strümpfe tragen wir zur Show/
und nicht wie Du zum Stützen.
So im wesentlichen (wer es nicht glaubt, frage Isa, die kann das). Eine alte Blogger-Unart indes treibt sicher viele wieder dazu, das Lied gleich wieder auf sich zu beziehen, dabei sind wie immer eigentlich nur die anderen gemeint. Ich jedenfalls werde heute abend mit einer Delegation des Fördervereins Lena e.V. toitoitoi ganz seriös die Daumen drücken, wenn es um die Krone des Kulturpreisträgers 2011 geht.
(Anm.: die Anwendung der maskulinen Form schließt die feminine mit ein.)

Freitag, 13. Mai 2011
Zustand: malade, Stimmung: trotzig, Zielvereinbarung mit mir und meinem Körper: beschwingt. Der Mensch aber soll Heiteres erfahren im Bannkreis der Natur. Berliner gehen deshalb heute abend besser in den Wald, solange es diesen noch zu sehen gibt.
Enchanted Forest lautet der Titel der aktuellen Gruppenausstellung in der Berliner Strychnin Galerie. Künstler wie David Hochbaum, Mimi S., Seymour, Lindsey Carr, Christina Graf, Raf Veulemans, Lisa Black, Wee Flowers, Suzanne Moxhay und Yumiko Kayukawa (das sind nur ein paar der Beteiligten) zeigen ihre meist skurrilen und sägeblattgezackten Blicke in dunkle Wälder, verwunschene Lichtungen und geheime Ritzen in narbiger Rinde. Der Abend wird sein wie ein heimeliges Picknick, bei dem alle Teilnehmer vier bis sechs Beine haben und die meiste Zeit rückwärts sprechen.
Bleiben wir bei den Sechsbeinern, denn Insektenliebe hält bekanntlich ernst und jünger. Der Film "Beetle Queen conquers Toyko" beschäftigt sich mit der ungewöhnlichen Vorliebe der Japaner für Insekten - und damit ist nicht etwa die Küche gemeint. Insekten sind Spielkameraden, Anschauungsobjekte, Schmuck oder einfach bloß Freunde. Die sehr tolle Webseite erläutert ein paar mehr dieser Hintergründe. Der Trailer ist ganz großartig, und wenn jemand Kenntnis erlangt, wo es diesen Film zu sehen gibt, möge er bitte Bescheid geben. (via Wurzeltod)
Beetle Queen Conquers Tokyo Trailer
("Enchanted Forest". Strychnin Galerie, Berlin. Ab 13. Mai 2011.)

Dienstag, 10. Mai 2011
Spektakuläre Dinge geschen ja oft in den kleinsten Räumen, aber man muß es auch wagen wollen. Ihr werdet denken, nanu, das ist doch euer Bett, was macht das in einer Kunstgalerie? Oder ist es doch das von Tracey Emin? Aber wie um alle Waschkraft dieser Welt ist es so weiß geworden?
Bei Feinkunst Krüger gibt es die Antwort, aber zugleich auch eine Menge Fragen mit auf den Weg. Das Duo Hehemann und Vogel, die vorletztes Jahr Hamburgs Kunstadresse Nr. 1 mit über 300 Autoreifen auskleideten, hat den Wohnbereich des eigenen Aieliers eins-zu-eins in die enge Galerie verfrachtet. Das allein wäre ja schon spektakulär genug, aber Hehemann und Vogel gingen noch einen irren Schritt weiter: Getreu dem Motoo, Kunst ist schön, macht aber Staub und Arbeit, gipsten alles ein, schufen einen totalen Raum, überzogen wie wildgewordene Bäcker alles und wirklich alles mit einem gipsernen Guß. Man stelle sich da so vor: Christo plane, das Arbeitszimmer von Dieter Roth zu verhüllen. Die Gegenstände blieben erkennbar, träten aber in ihrer Reduktion auf die abstrakte Form um so deutlicher heraus.
Man muß es wirklich sinnlich erlebt haben, darin stehen, den Geruch einatmen, sich vielleicht eingipsen lassen und und selbst Teil der Installation werden. Spüren, daß es wirklich ist. Immer neue Details entdecken und gleich darauf noch weitere. Herr Krüger machte es vor, in schwarzweißen Anzug verschmolz er nur fast mit der Umgebung und zeigte deutlich: Man muß das leben, sich aber nicht selbst aufgeben dabei. Diesen Schritt wagen, den Schnitt wagen, Loslassen, Zurücklassen, alte Haare ab, Raum schaffen für etwas neues. Es sind wirklich ihre Sachen, ihre Bücher, ihre Platten, ihre Videos und dazu die Kaffeemaschine, nichts, was eigens für einen Zweck als Requisite besorgt wurde. Hier liegt es nah und nackt zu Bette. (Aber bitte nicht dazulegen.)
Die Ausstellung (wer dieses Jahr nur eine sehen will, sollte diese nehmen!) wird in zwei weiteren Teilen fortgesetzt. Auf das Abbrechen und Ausschälen und Ausschaben des wahnwitzigen ersten Teils folgt als Abschluß noch eine Schau mit Bildern der beiden.
("Simon Hehemann & Stefan Vogel - Installation, Malerei, Zeichnung, Skulptur". Feinkunst Krüger, Hamburg. 1. Teil bis 21.5., 2. Teil 28.5. bis 11.6., 3. Teil

Samstag, 7. Mai 2011
Establishments like a laugh.
Yes we're very entertaining,
Overtones can be betraying.
(X-Ray Spex, "I'm A Poseur". 1978)
Aufräumen, Auslüften, Abschütteln: Die alten Gedanken rausstellen, Platz machen für neue Gedanken. Sich in wattierte Wochenenden legen, die Flusen aus dem Bauchnabel puhlen, sich einen Untersetzer daraus filzen oder eine Picknickdecke.
Unbehagen. Miss Manierlich trägt noch ein paar Gedanken zur heiteren Versammlung nach. Man muß immer vorsichtig sein, wenn man in vorgewärmter Runde klatscht, Teil eines Strudels wird, sich im Sog des eigenen Fahrwassers verliert, weil das Schiff nur noch im Kreis dreht.
Unbehaust. Vorletzte Woche hörte ich noch in ihr soeben erschienenes Soloalbum rein, ein paar Tage später wurde über die Empfangsantenne meines Radios schon die schwarze Armbinde gestülpt. Poly Styrene. Auch schon tot.
Damals waren die Geräusche von I'm A Poseur völlig anders als alles, was ich jemals zuvor gehört hatte. In unserem Umkreis gab es ein auffällig ausrasiertes Punk-Mädchen, das die LP besaß und zu dieser Musik tanzte. X-Ray-Spex mußten folglich schwer in Ordnung sein, schloß ich im unerschütterlichen Glauben meiner noch weitgehend keimfreien Woolworth-Jugend.
Unbehauen. Lieder wie das oben erwähnte gehen uns natürlich immer noch alle was an. Ich zum Beispiel möchte ein kratziger, roher Stein sein, der schwer in euren Schössen liegt. Beim Kuscheln auf der Picknickdecke.
>>> Geräusch des Tages: X-Ray Spex, The Day The World Turned Dayglo

Donnerstag, 5. Mai 2011
Berühmt wurde Richter, als eines seiner Bilder das Cover eines Albums von Sonic Youth zierte, jedenfalls könnte man es aus diesem Winkel sehen. "Warum ist das so unscharf?" fragte man sich, befand aber, daß diese verwaschene aber gleichsam helle Kerze ganz gut zur Klangverwaschenheit von "Daydream Nation" paßte. So prallten also zwei durchgewaschene Rebellengenerationen in die Jugendzimmer einer dritten, noch weitgehend ungewaschenen.
Richter, der nächstes Jahr 80 wird, ist ein gewiefter Analytiker, einer, der schnippelt, collagiert, auseinanderreißt und versetzt, auf seinem Leuchttisch solange verschiebt, bis er die Dinge, oder die Abbilder der Dinge neu zusammengesetzt hat. Die Hamburger Ausstellung (zeitgleich läuft in der Kunsthalle "Unscharf", eine zweite kleine Ausstellung mit Richter-Werken) demonstriert das recht gut in den Bildern seiner "Atlas"-Phase, wie z.B. vergrößert abgemalte Zeitungsausschnitte einen neuen Fokus bekommen, zusätzlich verschoben durch die zeitliche Distanz, aus der wir heute auf die Bonner Republik schauen oder auf Menschen, die damals als "Unhold" betitelt wurden. Zur visuellen Verschiebung gesellt sich eine semantische, der Blick zurück aber auf die unscharf gemalte Wirklichkeit der 60er- und 70er-Jahre scheint dadurch schärfer zu werden.
Insofern also: hochinteressant, wie man aber nicht nur kunstbeflissen sagt. Denn über vielen Werken flirrt durch das Poröse, der tastbaren Materialität, der Irritation der Sinne eben doch etwas Auratisches, eine oft bloß unscharf zu erkennende Einstiegsluke, ein emotionaler Zugriff auf die durch Pressefotos ernüchterte Welt, wie Schatten eines Kaminfeuers, irritierend beruhigend. Ich hoffe, ich habe mich unscharf genug ausgedrückt.
("Gerhard Richter: Bilder einer Epoche". Bucerius-Forum, Hamburg, bis 15.5.2011.)

Montag, 2. Mai 2011
Den Maibaum umtanzt, der heuer ausschaut wie eine vergessene Weihnachtsdekoration und etwas welk über der Reling hängt. Wellenglitzern in der Abendsonne (das kann nur Hamburg, Baby, sag ich so zu einer Unbekannten), scharf geschnittene Sixties-Anzüge und der dringende Wunsch, nach Jahren mal wieder eine Zigarette zu rauchen. Die trotzig ertragenen Widrigkeiten. Tanzen gehen.
Die alten Geschichten sind die alten Geschichten. Und immer noch eine wertvolle Lektion.
>>> Geräusch des Tages: Baby, It's You

Freitag, 29. April 2011
(Royale Aktionsgruppe God Save The Queen.)
