Donnerstag, 15. Juli 2010


Der gefundene Satz, # 52

ganz einfach, das Internet hat mich geändert, da ging es nie darum, woher ich komme oder wie ich aussehe, sondern nur um meine Leistung.
ich war unter einem künstlernamen zu einem internetstar geworden.


[Q]


 


Donnerstag, 15. Juli 2010


Die Sommer sind nicht mehr endlos, alles andere auch nicht

Stück für Stück wie Laub von den Bäumen gestohlen, wie eine falsche Jahreszeit, die zu früh mit gefallenen Kastanien spielt, streifenweise eine stachelige Haut entblößt, Worte übereinanderstapelt, die mir ver- beginnen: wie vergilbt, verbrannt und vergeblich. Die letzten Gedanken zum Schattenspenden verwertet, sich die Kühle der anderen zum sommerlichen Trost gegen Hitze und Schwitzen und krebsrote Köpfe genommen. Sich an fremde Haut lehnen oder einen Laternenpfahl, einen aus fremden Taschen gestohlenen Kühlakku, atmen, heiser auf die Nacht warten, auf den Wind und das Kreischen der Gartentüren in ihren rostigen Angeln.

Heute nur, nur heute wollen wir von der Trauer lassen.


 


Montag, 12. Juli 2010


Zum Abschluß




Am Sonntag war es zu heiß für irgendwas. Kein Windhauch, dazu ein tröpfelnder Regen, der für zusätzliche Luftfeuchtigkeit sorgte, so daß ich die Idee entwickelte, schnell noch zur Jahresausstellung der HfbK zu gehen, im Bemühen, diesen Zuständen zu entfliehen und kühlere hinter den dicken Mauern der Akademie erhoffend.

Draußen ein avantgardistisches Torwandschießen, Projekt Vierter Stern 2014 vielleicht. Drinnen die Bar, geplündert, geleert, entsoffen. Auf den Fluren ist es kühl, manche der Ateliers jedoch bullern vor Hitze, dazu kommen jene Räume, in denen die Luft vor Lösungsmitteln und anderen Ausdünstungen starrt.




Die angespannte Lage in der "Kulturstadt" Hamburg und rund um die Hochschule am Lerchenfeld (Boykott der Studiengebühren, Zwangsvollstreckung gegen einzelne Studenten) spiegelt sich in bissigen Kommentaren wie zahlreichen aufgeklebten Kuckuckssiegeln an den Türen der Prüfungsämter.




Wie es weiter geht, kann man für 50 Cts. aus der Hand lesen - leider fehlte aber hier gerade die Fachkraft, das Geld hätte mir locker gesessen. Im nächsten Flur gab es eine Honigsalbung per Hand, auch hier leider nur eingeschränkte Geschäftszeiten, mir wäre es ein Bedürfnis gewesen.




Und sonst? Vor lauter Netzwerken kommen die jungen Leute kaum noch zum Genitalmalen, was bleibt, sind ein Jägerzaun aus nach neuer Rechtschreibung Papppenissen, Verlockungen bloß hinterm Ofenrohr, dazu die ein oder andere zeigefreudige Skulptur, darunter die bereits sehr fertig wirkenden Arbeiten von Rebecca Thomas (in den Kommentaren) - für mich die stimmigste und überzeugendste Schau. Von Marius Schwarz kaufe ich ein kleines Fotobuch, Ich bin neu in der Hamburger Schule, gespickt mit Zitaten von Tocotronic bis PeterLicht. Auf 44 Stück limitiert, trägt meine Ausgabe die passende Nummer - es war wirklich die zuoberst liegende, ich denke mir das doch nicht aus.




Natürlich stellte sich hier und da die übliche Frage "Ist das Kunst oder kann das weg?", im Zweifel bin ich natürlich immer für die Kunst. Hier zum Beispiel eine akzidentelle Installation, von Künstlern und Publikum zu einem sinnbildhaften Ensemble vereinigt. Das was leer ist und gewesen, was Freude war und Klage erst am Morgen.




So stapft man unschuldig irrend durch den Schnee, blinden Waisen in Schreckstarre gleich. Danach dann Endspiel. Der alte Beckett wieder. Weggeknüppelte Beine.


 


Sonntag, 11. Juli 2010


Parken




Lange war das Wetter wechselhaft und unsicher wie die Lage am Hindukusch oder in den Herzen, nun aber kann man es langsam wagen, an Dinge im Draußen zu denken. Nachdem das Themometer in der ausgebauten alten Zisterne meines Leuchturms a.k.a meine Wohnung irgendetwas um die 45 Grad anzeigte, dachte ich daran, mit ein wenig häuslichem Inventar unter dem Arm ins Grüne zu gehen.

Nach einer Woche wie unter einer Hitzeglocke, viel zu vielen Stunden in der stickigen Werkhalle, nagt sich schwitzige Erschöpfung durchs Mark. Irgendwie liege ich platt wie ein Käfer auf dem Rücken, schaue lange dem schwindenden Abend hinterher in den Himmel und beobachte die Fledermäuse zwischen den Bäumen umherschwirren (warum eigentlich gibt es in Hamburg so viele Fledermäuse? Oder sind die alle nur um oder - schlimmer gar - in meinen Kopf?). Irgendwo in der Nähe sitzen junge Menschen, schrubben lagerfeuertypisch etwas unbeholfen stumpf auf der Gitarre Gassenhauer aus vier Jahrzehnten Pop-Geschichte herunter. Irgendwann kommt immer Heart Of Gold.


 


Donnerstag, 8. Juli 2010


Am Tag, als die Uwe Seelers schwiegen




Während sich auf der Hinfahrt Richtung Reeperbahn schon vorfelds siegestrunkene Germanen ("Schlaaaand!") ein wenig, nun ja, belästigend in der S-Bahn breitmachten, war die Rückfahrt tiefer in der Nacht von angenehm entsagender Ruhe. Auf und in ruhigen Bahnen rumpelte ich nach Haus, und ist in der Regel Lethargie entschieden abzulehnen, konnte ich so die letzten Grappa des italienisch-spanischen Wirts (da geht ja gastronomisch alles wild durcheinander) zirkulieren lassen, ein Gesöff, mit dem man sonst nur Rohre reinigt, das aber nach dem Ende aller Vierjahresträume für eine gewisse innere Stabilität auch sorgt. Vorbei, vorbei, alles vorbei (passenderweise zur Melodie von "Allein, allein" gesungen), man merkt ja, wer im Team noch spielen möchte und wem es bereits lästig ist, das Trikot einer bestimmten Mannschaft zu tragen.

Die blonde Kollegin neben mir entpuppt sich ausgerechnet als Fan der einzigen Mannschaft, die auf St. Pauli nicht sehr viele Freunde hat, aber da es ihre Heimatstadt ist, drücke ich für den Abend und im Sinne des gemeinsamen Teamgedankens ein Auge zu. Wie auf fremden Platz auch der Gesprächsverlauf über zwei mal 45 Minuten. Nicht einmal fiel das Wort Twitter oder Blogs oder Dingsbook, dafür kreisten wir um völlig normale Themen wie Schlagzeug spielen, das Hausboot des anderen Kollegen, Leben am Wasser generell, Urlaub in Masuren und wieso eigentlich Trochowski statt Kroos spielt.

Das verdiente Nullzueins nimmt man konsterniert zur Kenntnis und ahnt, daß die Spanier auch noch drei Stunden so weiterspielen könnten, ohne daß sich irgendetwas ändern würde. Man rennt und rennt und rennt und kommt keinen Schritt weiter. Dann muß man ein Ende machen, abpfeifen, unter die Dusche und am besten nicht allein.


 


Dienstag, 6. Juli 2010


Das Leben als Hüpfburg betrachtet

Gestern abend dann wirlich nur leicht angetüdelt mit dem Rad nach Hause gerauscht, vor mir nur mein funzliges Vorderlicht und zerfurchte Radwege, vor mir nur einen plötzlichen Gedankenblitz. Es sind die Erkenntnisse, die einen plagen, manchmal sind es die Erinnerungen, die einen plagen wie Mücken, die sich um freigelegte Beine legen, um die Handgelenke und auf den Unterarm. Schütteln, emporheben, zurückholen auf schwankenden Boden. Hüpfend, schleudernd, in einer Nacht ohne Nacht, wie man dann steht vor einer Ampel, wartend in einem Regen. Und mitten im Wald.

Dein Atem, das Lachen, die Zweige, die knackten unter den Narben, der Stoff deines Kleides zwischen den Fingern. Das muß doch möglich sei, das muß doch wirklich noch möglich sein, sich den Sommer zum Freund machen, eine Flasche füllen mit einer wichtigen Botschaft, sich zusammen mit ihr ins Meer werfen, in den Staub werfen und daraus davonmachen, ein Herz stehlen und sich bestehlen lassen, ein Bild mitnehmen und im Stillen denken, Mensch, Polly Jean hat wirklich schöne Füße.


 


Sonntag, 4. Juli 2010


We're having a...







Vom Vortag klingt mir das Kriegsgetöse aus dem grünüberwucherten Ruinenviertel und Scheppern von Geschirr noch im Ohr, und allgemein scheinen derzeit einige nicht halt zu machen, ehe nicht alles in Scherben liegt. Das muß der Sommer sein, denke ich, die einzige Zeit, in der Rotwein zu kühlen und mit einem Eiswürfel näher liiert zu sein ein echter Gewinn ist. Da ist alles ein wenig bunter und lauter, eine Fiesta fürs Leben. In kurzen Hosen (Wenn mich jemand sieht, bin ich tot, denkend) und dem mutmachenden Lied "My Rifle, My Pony And Me" auf den Lippen, wage ich mich aufs Rad, dem einzigen wackligen Halt, der einem Mann ohne Verein so bleibt. Selbst der Fahrtwind aber ist widerlich warm, die Pause am Elbufer keine Wohltat. Junge Männer mit amerikanischem Akzent machen splitternackt Faxen auf dem Anleger, einer pißt ins Wasser, dann springen alle hinein. Auf einer Picknickdecke in Hörweite diskutieren zwei junge Frauen über ihnen von ihren Freunden zugekommene genitale Befriedigung, sie drücken es ein wenig anders, aber nicht viel charmanter aus und lachen mit einer unangenehm schlandigen Stimme, so als seien sie auf einem Fanfest und feuerten sich gegenseitig an. Der Mensch, ich muß es sagen, ist mir an diesem Tag ein wenig fremd. "Das Haus ihrer Abneigung war bescheiden mit Zärtlichkeit möbliert", lese ich bei Capote, hier draußen im freien Wildwest jedoch ist der einzige Anblick von Ausstattung der von eher kurzläufigen Flinten.

Wie platt ist mein Frosch, denke ich später im Naturschutzgebiet. Kaum vorzeigbar der Geselle, der siegestrunken wohl hüpfte, die Beine so bleich und dürr wie Caipirinha-Strohhalme, ehe ihn ein Auto erwischte und Thorax und Kopf in ebenjenen somm'rigen Zustand versetzte, von dem es heißt, man fühle sich vor Hitze im Schädel wie Matsche. Nichts von all euren Versprechen wird den Herbst noch erleben.

>>> Geräusch des Tages: Martha & The Vandellas, Heatwave