
Sonntag, 12. Juli 2009
Wie ich gestern feststellen mußte, bin ich nicht Deutschlands bekanntester Blogger, diese Stelle ist nun offiziell vergeben, aber dafür, so dachte ich im Stillen, bekanntlich Deutschlands ausgelassenster. Heute nämlich fühlte ich mich irgendwann wie Carter the unstoppable Se Fun-Machine, als meinen Weg Menschen mit roten Irokesen, blauen Bobs und pinken Planet-Claire-Frisuren säumten; ach, so schien mir erst, da war wohl gestern etwas im Absinth. Von vorbeifahrenden Trucks herab schallte es "Anton! Anton!" und irgendwas mit Tirol. Die sind ja bekanntlich lustig - und auch froh - und so wollte ich, dem bekannten Ausruf einer noch bekannteren Bloggerin folgend schon "Hossa!" rufen, hielt mich aber im letzten Moment zurück. Nachher wird man erkannt, dann heißt es wieder in Blogs, da stand auch so ein Man in Black mit seiner kleinen Kamera und verzog keine Miene - bis er plötzlich Hossa! rief, und wie albern ist der das denn? So albern wie man kann, schätze ich. Hamburger, dachte ich, des Denkens noch nicht müde, da hätte ich aber auch im Rheinland bleiben können, wenn ihr hier so was macht. Immer wieder erstaunlich, diese Norddeutschen. Tun so als hätten sie ihren unbefangenen Humor auf irgendeiner von der Welt abgeschnittenen Hallig zurückgelassen, aber kaum gibt man ihnen schlechte Musik, schlechte Getränke und eine schlechtsitzende Perücke, wird gebützt und gruppengekuschelt, gegröhlt und auf Tischen getanzt, daß man sich im Kalender verirrt glaubt. "Norddeutsch tun, aber La-Paloma-pfeifen, wa!" rief ich empört, aber inhaltlich völlig unsinnig, da war wohl was im Absinth, aber egal, es geht ja heutzutage nicht darum, eine sinnvolle Meinung zu haben, sondern überhaupt eine und diese auch noch lautstark zu verkünden.
So war ich auch gleich gut Freund mit ein paar Aloha-Blumenketten-behangenen Deerns, die mich zum Schunkeln aufforderten. Die waren - wir sprechen von nachmittags um fünf - schon so promillebeschleunigt, daß man ihnen locker ein paar Mobilfunkverträge hätte andrehen können. Aber wer locker verkaufen will, muß selber erstmal locker werden und nicht so verbissen sein, also sagte ich, nennt mich den Tiger interessierte ich mich für das perückenbunte Getränk in ihrer Mitnehmflasche (Frauen und ihre mitgeführten Getränkeflaschen, ein weites Feld). Was soll ich sagen? Bald spürte ich den Don Pascal in mir, das alte Drängen. Mensch, dachte ich, schon etwas heiter im Gemüt, ich kann es doch noch, da geht doch noch was, ich hab's doch noch drauf, die alten Zeiten sind doch lange nicht passé! Yeah! gröhlten die Görls, Aloha! fraternisierte ich, das ist doch Rhythmus, wo man mitmuß, dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf die Perücke usw. ff. Meine Fresse.
Die U-Bahn später sah aus wie die Auswechselbank nach der zweiten Verlängerung im Pokalfinale. Ausgepumpte, weggetretene Gestalten, Flaschen rollten klong, klong, klong in den Kurven hin und her - und ich fürchte, das geht noch so die ganze Nacht.

Donnerstag, 9. Juli 2009
Zu den entzückendsten Blogprojekten, die ich in letzter Zeit entdeckt habe, zähle ich das begeisternde Atlas Obscura. Dem Forschungsreisenden in Sachen "Was es alles gibt" liegt hier ein Verzeichnis zu den wunderlichsten Orten dieser Welt aus, geheime Plätze, obskure Liegenschaften, Museen des Bizarren und Außergewöhnlichen, Kuriosa und Erstaunliches. Man möchte sofort den Expeditionstornister packen und überhaupt nicht mehr nach Hause zurück.
Man schaue nur dieses Bio-Barometer, eine Erfindung aus dem 19. Jahrhundert. Ein Dr. Merryweather [sic!] kam auf die Idee, Blutegel nicht nur für medizinische Zwecke dienstbar zu machen, sondern ihre Wetterfühligkeit zur Gewittervorhersage einzusetzen. Zieht ein solches herauf, werden die kleinen Biester nämlich unruhig. Da sie über eine Schnur mit einer kleinen Glocke verbunden sind, läutet es immer dringlicher je näher das Gewitter rückt. Ungeheuer praktisch, was dieser viktorianische Kachelmann da erfunden hat, werdet ihr sagen. Ich habe nun weitere Experimente aufgenommen - daher rührt meine temporäre Absenz in diesem Haus - um die agilen Tiere so abzurichten, daß sie nicht nur auf elektrisch geladene Wetterfronten, sondern auch auf eingehende eMails reagieren. Das wird die Kollegen mit ihren schicken neuen Mobiltelefonen hübsch neidisch machen, wenn so ein Gerät auf meiner Werkbank klingelt. Die haben nur eine flache Flunder. Ich habe Post einen Egel.

Dienstag, 7. Juli 2009
Herr Monopixel erinnerte neulich an dieses Lied als Begleiter durch die Nacht, damals, als man mit dem Auto durch die Industriegebiete fuhr, Erwartungen entgegen oder auch nur dem nächsten Tanzlokal. Nun haben wir hier keine Autobahnen, die durch weitläufige Industriegebiete führen, dafür aber einen Hafen und durch den fährt man dann gleich mitsamt dem Tanzlokal.
:Das schrebbelige Video nehme ich nachher wieder raus:
Am Samstag lud Lady Grey zur Kaperfahrt mit ihrer Piratenposse, eine vergnüglich-sentimentale Zeitreise, der man kein Ende wünschte - und gerüchteweise pflügt die Barkasse tatsächlich noch heute als totenkopfbeflaggter Post-Punk-Panzerkreuzer durch die aufgewühlten Wellen.
An Bord prima Stimmung und eine windzerzauste Besatzung, Axel K, Herr Ichichich samt Wirwirwir, Isa und, große freudige Überraschung, Sig. Giardino auf Stippvisite. Und wie schön das ist, wenn man merkt, es paßt, man teilt diesen Raum, man bewegt sich gemeinsam, sieht diese immer wieder aufs Neue berührende Kulisse mit den Lichtern der Kräne und Schiffe, dem Funkenschlag der Schweißarbeiten auf den Docks, läßt sich umhüllen von der Musik, tanzt, singt DAFs Alle Gegen Alle und meint in diesem Moment ganz das Gegenteil, spürt die warme Abendluft, den Geruch von Fluß und Nacht und Hafen.
Auf der Fahrt durch die engeren Kanäle, hallt das Echo von Oasis unter den Brücken, schmuggelt sich unter die rostigen Eisenplatten, die wir über den Herzen tragen. "Don't Look Back in Anger". Es sind diese Augenblicke, in denen man allen verzeihen mag. Dir. Und mir auch.

Freitag, 3. Juli 2009
In einer Viertelstunde bin ich unten am Fluß. Das muß kein Nachteil sein: Dort abends eine Stunde am Wasser sitzen, etwas lesen, etwas Sonne mitnehmen, den Tag abschütteln, noch etwas lesen, die Vögel betrachten, die Skipper in ihren Booten. Die Angler am Ufer, die dort etwas mit Fischen machen, denen ich sonst nur vorlas. Zum Schluß etwas lesen. In den Wolken. Durchatmen. Etwas.

Donnerstag, 2. Juli 2009
Durchstromern, dunkel zerfranst wie der Textschatten aus einem Trinkerhandbuch. Sich selbst begraben an der Biegung einer verlorenen Schotterstraße, still stehen und nachdenken über Abgestelltes. Wo immer du auch sein magst, dort bist du dann lauten die letzten telegraphisch übermittelten Sätze, hier endet jetzt die Straße und versuch es gar nicht erst mit Umkehr. Jedermann seine eigene Reisetasche, proklamiere ich, vollgefüllt mit Seife, Handtuch und einem frischen Satz Leibwäsche. Lakonische Untertreibung, gefährliche Strömung, Erinnerungsfugen, rauf- und runtergeklimpert wie ein mit einem billigen Handtuch behängter alternder Popstar, an dem die zwei, drei Hits kleben wie Kaugummi.
Ein knirschendes Kleid aus brüchiger Teerpappe, mühsam mechanisch bewegen wir uns wie Papproboter durch einen Mischwald. Klong, klong, klong schlagen wir den Takt auf den Boden zerbeulter Milchtöpfe, mein Liebling, ruf ich, sieh die tanzenden Lampions, ein Girlandenfest, sieh die einsame Lichtung, die Stelle, die keiner mehr findet, bis zu der keiner mehr mitliest. Versteckt wie ein heimtückisch erdachter Passus im Arbeitsvertrag liegt sie da - die Schonung, das Kinderbeet, dort wo man hinaustritt in eine Sonne, sich auszieht, entkleidet, nackt gegenübertritt, einer Idee, einer Vorstellung, einem anderen Selbst. Seinem Mörder.

Dienstag, 30. Juni 2009
Sie wurde erst verlacht, von manchen sogar gehasst. Es dauerte lange - und natürlich brauchte es die Erfolge im Ausland - bis die Wuppertaler anfingen sie zu lieben. Vor einigen Tagen mußte ich an sie denken, als mir eine Freundin schrieb, sie ginge jetzt zu Pina Bausch. Wie man das so sagte. Man ging nicht "ins Schauspielhaus". Man ging zu Pina.
A Coffee with Pina

Montag, 29. Juni 2009
Eine anstrengende Woche. Die Verkehrsbetriebe zeigen ihr unangenehmes Gesicht, Ohnmacht vor dem kafkaesken Beamtenapparat, so Kram halt, wie man hier sagt, was könnte man sich bloggend echauffieren, wäre Empörungsbloggen nicht so 2006. Wie schön, wenn dann die Großsegel der Miagolare-Brigg im Hafen auftauchen, an Bord einen Haufen anderer Gedanken und Grüße vom Rhein.
Matrosen der Herzen, so tuckern wir elbabwärts, erklimmen die Treppen, trotzen dem Regen, der uns aus dem Osten verfolgt, und winken ihm was. In der S-Bahn fange ich an, mich unter den erstaunten Blicken der Blankeneser Bevölkerung auszuziehen, kurz an der Freiheit lecken, wie leicht vergißt man die bloß übergestülpte nordische Zurückhaltung, dabei wollte ich bloß was Wärmeres unterziehen.
Auf dem Weg zum Essen bei Herrn Krüger untergeschlüpft. Der zeigt zur Zeit viel Buntes vom humorvollen Martin Nill, dessen "Wohnzimmermuseum" ich hier einst lobend erwähnte. (Hui, wie die Zeit vergeht.) Kein Grund, hier Rätsel auszusprechen: die kleinen hintergründigen, boshaften, derben, traurigen und oft einfach nur putzigen Skulpturen sollte man sich selbst ansehen. Hier gibt es ein paar Bilder. Bankkarte nicht vergessen, ihr werdet das alles haben wollen.
Wasser, Kunst und dicke Schiffe. Am Ende haben wir noch sehr gelacht. Kaperbilanz ganz ohne Blendlaternen.
Im Ohr, etwas mit Autumn. Der Klang der Nacht.
