
Freitag, 9. Januar 2009
(JD, "The Eternal")

Alle zwei, drei Jahre brauche ich ein neues Notizbuch. Da ich irgendwann, lange bevor die wiederentdeckten vorgeblichen Literatenklassiker in Mode kamen, mit diesen China-Kladden angefangen und nun gerne alles einheitlich habe, bleibe ich bei den altmodischen Billigdingern. Ja, genau. Ich schreibe selbst die 365 Tage rein, das dauert gar nicht so lang, wie man vielleicht meint und ist eine hübsch-stupide Beschäftigung für eine öde Stunde. Hinten schreibe ich ein paar wichtige Telefonnummern rein, und dann ist noch genügend Platz für Notizen, Skizzen und Fundstücke, die ich im Laufe der Jahre zwischen die Seiten presse.
Das schwierigste ist das Finden eines kleinen Votivbildes, eines Mottos oder Emblems, denn ein solch beständiger Begleiter will weiser gewählt sein als... nun, als andere vielleicht, die weniger lang als ein Notizbuch halten. So ein Zwei-Drei-Jahres-Turnus schleppt natürlich manche Altlast an Bord, die Telefonnummer eines Schusters vielleicht, den man längst nicht mehr besucht. Eine Adresse, die keiner mehr kennt oder eine Kinokarte für einen Film, der lange schon nicht mehr... hei! den es jetzt bereits auf DVD gibt. Isnding. Beim Blättern fallen mir manche Termine auf und wie sich später die Fragezeichen häuften. Die mysteriös stillen drei Tage, nie geklärt, der Autounfall, manches schmerzhafte Ausrufezeichen auch, dann aber wieder tolle Begegnungen, Zugverbindungen, die Namen ferner Städte. Ein Besuch am Meer (die Seiten voller Wasserflecke), ein Krankenhaus, Lokale, die Tanzdielen 2008, die vergnügten Ausrufezeichen. Ein paar Zettelchen, mit großen Herzen drauf oder auch sachlich ("Denk bitte an die Fenster!"), eine Aufgabenliste, auf der mir zu wenig durchgestrichen scheint, eine Zahlenreihe, von der ich nicht weiß, was sie bedeutet. Telefon, Kontonummer, die Weltformel. Manchmal ganz einfach bloß Tintenflecken. Manchmal ganz einfach bloß zerfledderte Seiten, geknickte Ecken, Ränder der Erinnerung. Ein Schnelldurchlauf zwischen Seufzen und Yippie-Yeah. (Wobei ich, glaube ich, Worte wie "Yippie-Yeah" gar nicht benutze.)
Das neue Jahr, das neue Buch beginnt jetzt. Ich fühle mich wie mit Kernseife geschrubbt und so wird es sein wie Medizin. Die alten Bücher schmeiße ich natürlich nicht weg. Wie meine Erinnerungen wird vieles bewahrt. Ich bin da nicht so.

Donnerstag, 8. Januar 2009
Nach so einem kerzenscheinverschmusten Dezember kommt der Januar gewöhnlich in kristallener Kälte daher. Ich folge der Eisprinzessin, und wünsche, es läge mehr von diesem Schnee, von dem jetzt alle reden. Blaues Licht und rote Mäntel, die Farben stechen auf der weißen Leinwand um so eindringlicher hervor. Schneewittchen.
Gefrorene Finger, Herzen wohl auch, muß man langsam auftauen, damit sie nicht brechen. Allein deshalb geht es im Winter langsamer voran. Stetig aber.
Wenigstens ein Ding am Tag.

Mittwoch, 7. Januar 2009
Während ich also im frostigen Hauch Arbeit wegschüppe wie ein fleißiger Stadtbediensteter in roter Weste, und denke, Mensch, diese Stapel auf meinem Schreibtisch sehen aus wie Baumstämme im Schnee, ein kleiner Anstoß sollte sie leicht... aber nichts läßt sich scheinbar schieben, man ist halt froh, einen Mantel zu tragen, wenn man solches sieht. Ein Versprechen schon auf den feudalen Sommer, und von daher nicht sicher für die Arbeit, die uns die Sonne nicht gönnt.

Donnerstag, 1. Januar 2009
Mir ist heut so Aspirin,
Zu Mute, drum bleib ich hier
Und meide Bier.
(Anon.)
Nach zwei eher ruhigen Silvestern, war mir zu diesem Jahreswechsel mehr nach Laut & Laster, Knall (ohne Fall) und musiksynchronisierter Körperbewegung.
Es ist ein Klassiker und doch immer wieder schön: Wenn sich die beleuchteten Schiffe im Hafen zusammenrotten wie Rehe an der Krippe und um Mitternacht das Tuten beginnt - man muß schon besonders verknöchert in der Herzkammer sein, dies nicht rührend zu finden. In den Himmel torkelten dann, etwas schwerfällig zunächst, diese kleinen, bunten, schwer verbotenen Heißluftballons, vollgepackt mit guten Wünschen, Vorsätzen, Hoffnungen und Absichtserklärungen, mit denen so ein frisches Jahr gleich zu Beginn geschwängert wird. Es war eine bezaubernde und gleichsam wundersame Nacht, die zeigte, daß die Abenteuer alle gleich vor der Haustür beginnen: Silvester unter Palmen, und achten Sie ruhig auf den putzigen kleinen Pinguin unten rechts, der ebenso fasziniert und erstaunt in den Himmel schaut, wie ich es manchmal tue.
Später spielten sie Musik aus meiner Jugend, etwas von Anarchie im Vereinigten Königreich, Kindern in Amerika und daß Schatzi nun einen brandneuen Cadillac besitze. Kommt alles wieder, bis auf den brandneuen Cadillac vielleicht.
Muß man sehen, wie es wird. Sicher bunt, sicher spannend. Väterchen Kid murmelte nach der Rede unserer großen Vorsitzenden etwas sarkastisch von "Währungsreform", aber er hielt ja auch schon nichts von den Aktien des Neuen Marktes.
Ein Jahresmotto habe ich bislang noch nicht. Die schönen Momente suchen. Weiter voran.

Mittwoch, 31. Dezember 2008
Viele werden es gar nicht bemerkt haben. Aber so ganz schön fing es nicht an. Ein wenig, als wäre man spät aus einer Winterstarre erwacht, einem Erkennen entgegen. Bis die Sonne senkrecht steht, schattenlos und zwielichtfrei. Man plötzlich wie in einer schlechten Diskothek steht, den Hit de jour hört, dessen Refrain "I don't give a shit" heißt und eine Spur zu laut gespielt wird. Überhaupt immer dieses Laute, so als randalierten The Prodigy durchs Zimmer. Augen rollen, Ohren ziehen, Schulter zucken, selbstverständlich geht das auch besser, aber man schenkt sich halt nichts.
Nicht nur Augen reiben, Glieder strecken. Denn sich nicht mehr ausgebremst fühlen, hingehalten, heißt nicht nur Hänge runter, sondern auch Berge rauf. Ein neues Heim zusammengenagelt und gleich wieder verlassen: in die Nacht. Ein Schnaps, der zu rechten Zeit auf dem Tisch steht. Taten statt Warten: Durchtanzte Nächte, trunkene Runden, ein Picknick am Meer, in den Parks - und überhaupt die kleinen Reisen. Das merkwürdige Gefühl, wieder in Wien zu sein, nicht ganz bei sich, im Traum, in Therapie, nicht ansprechbar und dann doch so ansprechbar. Die verwunschenen Orte, die Freundlichkeit, das Sanfte, der stille Genuß. Die Menschen, denen das nicht eine Mühe ist. Danke.
Man braucht gutes Werkzeug, will man rostige Schrauben bewegen. Das Jahr brachte viele davon. Die Fahrten durch den Hafen, die Hedi nach langem wieder, die Sonnenuntergänge, zu denen eine Cowboy-Band singt, die Sorgenbrecher, dunkle Stuben, Tingeltangel. Atmen können, keine Ausflüchte, Ausreden, niemand, den man vom Sofa jagen muß: Be Young, Be Foolish, Be Happy. Endlich nicht der einzige sein, der die albernen Dinge macht. Danke.
Die Rückkehr in die große und mir wohl immer fremde Stadt. Zwischen Kunst und Hallo, die Angst, die Sorge, das Rückerobern, das Wiedersehen, die freundlichen Menschen. Danke. Überhaupt, die Kunst. Tolle Ausstellungen gesehen, interessante Menschen getroffen, neue Ideen getankt. Allein dafür Danke.
Was man liebt, muß man freigeben. Wenn zwei Schiffe auf Kaperfahrt sich begegnen, jeweils von den glitzernden Galionsfiguren des anderen fasziniert, eine Zeitlang Seite an Seite liegen. Und dann doch in verschiedene Richtungen segeln, vielleicht den ein oder anderen Enterhaken dabei, das ein oder andere Festmachseil übersehen. Man sieht sich noch, für eine Weile, fern am Horizont, bis die Segel immer kleiner werden und alles außer Sicht gerät. Wie man die Flaggen wechselt. Die Meere sind bekanntlich groß und Zufälle selten. Wir werden noch lange segeln. Am Ende aber, nachdem ich alle Planken neu zusammengesetzt habe und alle Splinte und Nieten kontrolliert, kann ich gute Reise wünschen. Und, auch das, Danke sagen.
2008 war auch das Jahr, in dem der Tod, sonst kein Gast in meinem Haus, sich wie eine skrupellose Mietnomade benahm. Zu jung, zu brutal, zu unverständlich. Hau ab, für dich Skandal ist hier kein Platz. Nachrichten nämlich sollen so romantisch und hoffnungsvoll wie diese sein.
Die Hoffnung, ein zartes Herz, trägt bekanntlich schöne Strümpfe, und da gehe ich gerne mit. Anderes sehen, eine neue Sprache lernen, weiter wachsen, langsam und nichts beschreien.
Tschüß, 2008. Du warst nicht das versprochene "super Jahr". Aber auch keine Schlunze wie 2007. Heimkommen, genau. Ein Jahr, in dem ich bereute und bereue, mir zwar nicht verziehen wurde, aber doch ein gutes Jahr, eins, das die Bremsen löste, viele schöne Momente brachte. Und nur die sind es ja, die man später erinnern wird.
Ich.
Ich lasse nachher im Hafen die Schiffe tuten. Hört genau hin.
Allen ein gutes neues Jahr.

Montag, 29. Dezember 2008
Wenn man erst an Heiligabend fährt, sind die Züge nicht sehr voll. Man hat Platz, für sich, den Mantel, drei Geschenke oder mehr und Thomas Bernhard. Sobald im hinteren Teil des Wagens der kleine Linus und sein Bruder, der doofe Paul, Sitzplatz-, Besitzstands- und wohl auch Fragen der Erbfolge geklärt haben, finde auch ich Muße für Lektüre, betrachte die Monotonie der norddeutschen Landschaft, die verschiedenen Töne von Grün und Grün und Grau und höre mir an, wie der Zugchef über die Sprechanlage die Menüs verkündet, die "Spitzenkoch Helmut Sowieso" just in der Bordgastronomie in Wagen 35 bereitet hat.
In Dortmund großes Umsteigen. Die Frauen tragen jetzt lustige Hüte, denn eigentlich sind sie hier alle verzauberte Feen, Menschen aus dem Ruhrgebiet wissen das. Weiter Bernhard gelesen. Danach deprimiert. Die Natur bringe unaufhörlich alle möglichen Verbrechen, darunter die Menschenverbrechen, hervor, die Natur sei von Natur aus verbrecherisch. Ein starkes Stück.
Schräg gegenüber schreckt ein schönes junges Mädchen aus dem Schlaf, mit großen Augen starrt sie unter einer verstrubbelten blonden Mähne hervor in die Ferne, noch halb im Traum wohl, hält ihren Mantel wie eine Decke über sich und mümmelt an einer Stulle. Ich versuche, interessant auszusehen. Das Mädchen ignoriert mich. Wenn Bernhard mich nicht schon deprimiert hätte - ich dächte über die Natur des Alterns nach.
Die Landschaft wird hügeliger, abwechslungsreicher, da kommt die Mühle an der Grenze des Sauerlands, Hever oder Hemer oder irgendwo dort muß das sein. Das Tal, das schmutzige, graue, spröde. Eine Stadt, die manchen nicht hip genug ist. So wenig lohnenswert. Sie ist trotzdem und immer noch und immer wieder meine.
(Später dann, zurück im Norden, Grünkohl. Das muß man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn Spitzenköche im hermetischen Café ein Menü daschauherzaubern. Wir bleiben auf dem Teppich. In meiner Jackentasche finde ich ein gekräuseltes Geschenkband. Die Reste vom Fest.)

Sonntag, 28. Dezember 2008
Leicht angedötscht, wie es heißt, aber nicht weniger vielfältig, vielduftig, vielgeschmacklich. Das Multimulti Carepaket mit allem darin und dabei. Nur eine Mango fehlt. Zu der hätte ich immer noch eine schöne und irgendwie auch romantische Geschichte zu erzählen. Wie ich die verdammte Mango jagte, für jemand besonderen. Bevor nun aber die neuen Abenteuer starten, brauche ich erst noch das Mittel, mit dem auch die Engländer ihre kalten und nassen Winter überstehen.
Ich stand zu lange im Zug. Oder im Hausflur. Irgendwas muß es gewesen sein.
