
Mittwoch, 5. Dezember 2007
It's a passing of time
(Siouxsie and the Banshees, "Monitor". 1981.)
Menschenkino, ein steter Fluß von Reizen mit wechselndem Programm.
Ich glaube, ich muß mich gleich übergeben.

Dienstag, 4. Dezember 2007
Während ich soeben mit zittriger Hand eine weitere steuerschuldnerische Überweisung für das Finanzamt unterschrieben habe, die aus meinem zunehmend wehleidiger werdenden Konto eine wässrige Neige gleich dem Grund einer Packung Speisequark machen wird, lese ich frohe Kunde:
Wie die Sterndeuter orakeln, steht mir neues Geld ins Haus! (Nicht vergessen, gleich unbedingt mit meinen supergeheimen Gewinnzahlen zur Lotteriebude zu gehen!) Und mehr noch: You may start a blog, heißt es da. Klingt das nicht wunderbar? 2008 werde ich auch endlich wieder verreisen (zwei Ziele winkten mir die Tage bereits wie lockende Hula-Tänzerinnen verführerisch zu), was erleben, einen Großbildfernseher kaufen und mein Bruder wird mir vielleicht bei der Badrenovierung helfen. Oder mich einfach mal besuchen. Überhaupt wird mein neues kanariengelbes Sakko mir ein völlig unbekanntes Leben bescheren: If you've ever felt invisible at parties or other gatherings, you certainly won't feel that way now. Toll, toll, toll.
Die Sache mit der erforderlichen neuen Frisur gibt mir noch zu denken, aber davon war ja neulich - das kann kein Zufall sein! - schon die Rede. Am 23. steht eine spannende weite Reise ins Blaue ins Haus, da werde ich also gespannt sein, wie sehr sich Wuppertal verändert haben wird. Und es stimmt, rund um die Weihnachtszeit, jetzt bin ich aber verblüfft, werde ich wohl meinen Bruder sehen. Und da ich innerhalb der angesprochenen fünf Tage um den 24. Oktober Geburtstag habe, kann ich ihn offenbar ruhig auf diese Badezimmergeschichte ansprechen.
Danach dann - denn es heißt: If you are a writer, you may learn to be a television personality - bereite ich vielleicht eine eigene TV-Show vor. Gestern hörte ich eine Nachtigall las ich, Matussek sei nicht mehr Kulturchef beim Spiegel. Alles klar.

Sonntag, 2. Dezember 2007
Bei den interessanten Dingen muß man drängeln, sich balgen, laut aufzeigen, mit den Fingern (beweglich) schnipsen. Es ist ein Kreuz. Vielleicht wäre es besser, ich versuchte etwas aus der Mode geratenes zu ergattern, eine Lichtorgel zum Beispiel, wie sie in den 70ern die Cooleren meiner Klassenkameraden aus der Siebten besaßen. Die konnten die Vorhänge ihrer Kinderzimmer zuziehen und drei trübselige Lichter wie eine irregeleitete Ampel flackern lassen, während aus den kleinen kunststoffverstärkten Lautsprechern ihrer Kompaktanlagen Partyhits wie "Lady Bump" oder "Popcorn" quäkten. Heiße Sache. Ein Freund hatte sowas. Eines nachmittags ließ er mich lange seine Partyhits hören, während er unter dem Vorwand, eine Besorgung machen zu müssen, die Wohnung verließ. Irgendwann kehrte er zurück, und wir diskutierten noch ein wenig über die Qualitäten eines Stücks wie "Popcorn". Als ich ging, zu spät vielleicht, hatte jemand die Luft aus meinem im Hausflur abgestellten Fahrrad gelassen. Er war sehr empört über die Heimtücke der Nachbarn. Ich sah, daß ich meine Luftpumpe vergessen hatte. Helfen konnte er nicht, denn er fuhr ein schickes neues Rennrad mit Blitzventilen*. Seine Pumpe paßte nicht an die schäbigen altmodischen Dinger meines noch viel schäbigeren Rades.
Erst Jahre später, nennt mich ruhig naiv, die Freundschaft war längst erloschen, begriff ich in einer sentimentalen Stunde, als ich alte Erinnerungsfetzen in meinem Kopf sortierte, wer wirklich, großes Drama, die Luft aus meinen Reifen gelassen hatte. Rückblickend fand ich, er hätte mir auch anders mitteilen können, wie blöd er mich fand. Nun gut, er trägt heute Schnäuzer und arbeitet bei der Sparkasse; es sortiert sich im Leben eben alles zurecht.
Jedenfalls, dachte ich, vielleicht sollte ich jetzt die fehlende Coolness von damals nachholen und mir eine Lichtorgel ersteigern. Dann könnte ich die Fenster verdunkeln und in meiner Wohnung für mich ein wenig tanzen, ganz so, als sei alles unbeschwert. Zuerst vielleicht Monster Magnet, "Monolithic", danach dann aber gleich Moloko Familiar Feeling.

Samstag, 1. Dezember 2007
Heute habe ich das letzte Grillgut entsorgt. Ich glaube, das wird dieses Jahr nichts mehr. Das halbe Dutzend Gammelwürstchen balgte sich in meinem kleinen ***-Fach nur noch mit dem eingefrorenen Filmmaterial um den Platz und wie so oft im Leben hieß es, einer muß nun gehen. In diesem Fall waren es die armen Würstchen.
Seltsam und ungewöhnlich (Herr Kid, Sie sind so ungewöhnlich!) genug für mich, solche Dinge überhaupt zu besitzen, fand ich. Letztes Jahr war ich allerdings während der Fußball-WM irgendwo zum Spiel-schauen-und-Grillen eingeladen ("Kommste einfach nach der Arbeit vorbei"), stellte aber, sozial unbeholfen wie ich bin, erst vor Ort fest, daß für mich gar keine Wurst vorgesehen war. Das Bier mußte man sich eh im Büdchen nebenan holen, das war ok, aber zu Essen gab es nichts. Die Einladende bot mir an, kurz mal bei ihr (also bei ihrem Würstchen) abzubeißen, bzw. ihren Brötchenrest zu essen, was zwar lecker, aber auch irgendwie demütigend war und zudem den Hunger nicht stillte. Normalerweise wäre dies ein Zeitpunkt gewesen, mit überraschtem Blick aufs nackte Handgelenk zu starren und zu rufen "Oh, so spät haben wir schon! Na, da muß ich aber!", um sich dann, ohne einen allzugroßen sozialen Scherbenhaufen zu hinterlassen, heimlich zum nächsten Dönergeschäft zu begeben.
Aber nun wollte ich ja das Spiel sehen, das die deutsche Märchenmannschaft, wenn wundert das jetzt noch, als einziges verlor. Immerhin waren die anderen satt, und ich schwor, das alte Pfadfinderwort "Be prepared!" nicht noch einmal zu mißachten. Seitdem trage ich immer ein Würstchen in der Tasche mit mir herum, man weiß ja nie.
Es kam aber nie dazu, es auch irgendwo auf ein gut vorgeglühtes, zu allem bereites, hitziges Rost zu werfen, weshalb ich dann dieses Jahr (wir schreiten in der Erzählung voran) beschloß, Achtung, selbst einen Grill anzuschaffen. Denn ich dachte, das klingt doch lustig, da kann man in den Park gehen wie so viele und vielleicht kommt ja jemand mit, wenn Zeit ist oder so, dann muß ich das nicht alleine tun. Das war eine super Idee, denn kaum hatte ich Gerät und Holzkohle (Buche, extra) eingelagert, war es vorbei mit dem Sommer, also Ende Mai oder so. Falls sich jemand gefragt hat, ja, ich war's. Ich habe ihn auf dem Gewissen, den Sommer dieses Jahr.
Man soll eben bei seinen Leisten bleiben und nicht im vorgerückten Alter plötzlich wunderlich werden und Dinge tun, die man nicht beherrscht. Wieviele ältere Herrschaften brechen sich die Knochen, weil sie unbedingt noch Motorrad fahren oder einen Hengst reiten oder im Gebirge herumkraxeln wollen, während sie ihr Leben zuvor auf dem Bürostuhl verbracht haben. Wer weiß, welch häßlicher Grillunfall mir erspart blieb. Und den Würstchen erst.

Samstag, 1. Dezember 2007
Um sich in dunkle Nächte zu verbergen
Wo schwer im Himmel sich die Wolken winden.
(Georg Heym, "Die Nacht III". 1911.)
Eine Marathonwoche. Ich möchte darüber nicht viele Worte verlieren. Im Januar wird alles besser, bis dahin sollen nur die Gebißspuren in meiner Schreibtischplatte stumme Zeugen frohen Tuns sein. Das Blut unter meinen Fingernägeln. Aber große Augen werden unter dem Baum hell erstrahlen, wenn wir gut gearbeitet haben. Heute wurden zwei andere Kollegen "laut", wie es bei uns heißt. Ich hatte meinen Auftritt bereits und schmirgelte daher stumm, fast entrückt, an meiner kleinen bunten Gußform. Viele träumen dann vom Wochenende. Doch "das Gemeinste am Träumen ist, das alle es tun", heißt es bei Pessoa. Man muß sich das Eigene bewahren.
Unter der Woche las ich Klabund und Carola Neher von Matthias Wegner. Ein sicher kenntnisreicher Abriß der schwierigen Liebe zwischen den beiden
Skorpionen Künstlern, bei der sich der todkranke Klabund von der zehn Jahre jüngeren Schauspielerin oft ins Abseits geschoben fühlte. Von dieser Dynamik allerdings verrät das Buch nicht viel, dafür nervt der Autor mit ermüdenden Aufmerksamkeitsheischern: Das würde noch Folgen haben, da ahnte noch niemand, dieser Bekannte würde noch Unglück bringen usw. usf. - beinahe jedes Kapitel endet mit ominös dräuenden "Cliffhangern", so als habe der Autor seinem ebenso spannenden wie tragischen Stoff nicht getraut. Der Klabund, auch schon tot.
In den Zwanziger Jahren haben die beiden viel gefeiert, natürlich in Berlin, der Hauptstadt des Vergnügens, einst und jetzt. Aber man soll da nicht gram sein, denn auch Hamburg, laut einem seiner Söhne "das Tor zur Welt. Aber leider nur das Tor" (Karl Lagerfeld), hat an diesem Wochenende ein bißchen was zu bieten. Vor allem viel Kunst. SpOn behauptete heute keck, Hamburg scheine die Hauptstadt der alternativen Galerien zu sein. Schön wär's, möchte man der Autorin freundlich zuwinken; allein, mir fehlt der Glaube.
So oder so aber findet der Knaller des Samstags nicht in der Hauptstadt des Wasauchimmers, sondern in der Hansestadt statt: Feinkunst Krüger lädt wie immer gepflegt zur Vernissage ein. Wieder heißt es "Don't Wake Daddy", wir spielen die zweite Folge, die "größte Low-Brow Ausstellung Europas". Dieses Jahr in Zusammenarbeit mit Raum 21, und wer das verpennt, kann auch gleich nach Berlin ziehen ist selber schuld. Unter den Künstlern sind unter vielen anderen Danielle de Picciotto, Angie Mason, Anthony Ausgang, die hier auch schon erwähnten Mia Mäkilä und Moki (!), der großartige Thorsten Passfeld, Travis Louie und, ebenfalls als Heimspieler, Wolfgang Sangmeister. Klangvolle Namen genug, um sich Tränen der Begeisterung aus den Augen zu wischen. Kämmt euch die Haare, tragt eure schönsten Sachen, der Abend ist es wert.
("Don't Wake Daddy II", Feinkunst Krüger, Hamburg und Raum 21, Hamburg. Bis 22. Dezember.)

Mittwoch, 28. November 2007
Derzeit geht es mir wie der rothaarigen Tochter von Klaus Dunst. Während ich hin- und hergeschleudert werde, derweil mir ein dicker Kerl Sand ins Getriebe streuen will und böse Spinnen ihre intriganten klebrigen Netze um mich stricken, hagelt es zu allem Überfluß schlechte Kritiken. Heute morgen erst mal den Chef rundgemacht, der eine Gußform, an der ich gestern abend noch lange rumgeschmirgelt habe, einfach in den Mülleimer geworfen hat. Nachher brauchte man sie natürlich doch noch, aber ich bin dafür nicht in die Tonne gekrochen. Ich nicht. Ich bin etwas laut geworden, denn in Zeiten wie diesen muß man gleich Grenzen setzen. Jetzt sitzt er hinter geschlossenen Türen. In seinem Büro. Vielleicht stellt er gerade meine Entlassungspapiere zusammen.
Aber sollte mir solches Glück zufallen, möchte ich es lieber heute an der Lotteriebude gezogen haben. In der dichtgedrängten Menschentraube, die sich rund um den kleinen Tisch mit den Scheinen gebildet hatte, riefen sich einige Tippwillige die Zahlen nur so zu. "Dreizehn", rief eine. "Nimm die Dreizehn! Und 27!" So laut, daß ich mich kaum auf meine ausgetüftelten eigenen Zahlen konzentrieren konnte. 37 - 37 - 37 - 37 - 37 - 37, hier kann ich sie ja verraten. Solltet ihr nichts mehr von mir hören, fragt in der Karibik nach. Deckname: "Mary Jane".

Samstag, 24. November 2007
Heute. Um das Gefühl zu simulieren, irgendwie dazugehörig zu sein, begab ich mich unter Menschen, also Gewühl, Innenstadtfront, Kompaktschallplatten- verkaufsladen, die viele Arbeit muß ja auch lohnen. Die Hausverwaltung, die stoische, schrieb einen Brief und möchte mir etwas Geld zurücküberweisen. Betriebskostenabrechnung. Ha, es wendet sich das Blatt. Jupiter, lange vermißter Kollege, möchte bald wieder ein Bier oder zwei mit mir trinken. (Heimlich eine rauchen.) Habe ich also zwei, drei, vier Tonträger gekauft, lässig natürlich, mit Karte (alles andere ist verdächtig für die Staatsbefolgungs- behörden), zackzack. Vielleicht hätte ich gleich Lotto spielen sollen. Mit einem Jackpot von 26 Millionen nämlich, so stelle ich mir vor, könnte man viel Interessantes tun. Ein großes Haus haben, mit einem Zimmer zum Beispiel nur für Kleidermotten. Die Wände würde ich ganz mit Kaschmir ausschlagen.
So aber, man will nicht übertreiben, blieb es bei ein paar CDs. Für das kommende Frühjahr (das Eis muß ja auch mal wieder schmelzen) schon mal Fabienne Delsol, "Between You And Me", so ein bißchen La la la und Yé Yé Yé, möchte ich sehr empfehlen, mir geht sowas ja näher als all die Drogentanten, die derzeit so gehypt werden, übrigens auch in dem Kompaktschallplattenverkaufsladen, der diese Ausnüchterungsballaden für Feuilletonbeflissene über die Hausanlage wummern ließ. Jene, die auch gerne mal eine Schwertätowierte daheim haben, zwischen J.J. Cale und dem armrudernden Mann aus Sheffield. Ich meine, ich mag die schon, die kann ja auch nichts nicht so viel dafür.
Leichtfüßig dagegen die Ditties von Delsol. Wartet's ab, die ersten lauen Frühlingstage, Versprechen in der Luft, ihr erinnert euch, werden mich bestätigen. Kommentare wird es geben, Herr Kid, und Danke nochmal für den Tip, mein Freund und ich, wir sind ganz hin und weg und hören den ganzen Tag und die halbe Nacht Fabienne Delsol.
Dann habe ich etwas Lustiges unternommen. War ein Sonderangebot, aber das soll kein Grund sein. Ich habe mir erstmals Led Zeppelin gekauft! "Mothership", ganz genau. Streng genommen besitze ich irgendwo noch ein Page/Plant-Album, das ziemlich gut ist. Ich erinnere den Titel gerade nicht, aber die Fotos sind von Anton Corbijn. Jedenfalls hörte ich ein bißchen in das in jeder Hinsicht gewichtige Werk (mit einem richtigen Booklet, he!) und dachte, heilige Scheiße, was hat man, also ich, aber nicht allein, früher gegen dieses langhaarige Gitarrengewixe angekämpft! Und das mit Recht!
Andererseits bin ich nun ja entspannt und interessant ist es zudem, wenn man feststellt, wie doch die lieben Kindertage und später dann die ersten "Klassenfeten" von dieser Art Musik geprägt war (abwechselnd Klammerblues und "Whole Lotta Rosie"). Unter dem Kopfhörergerät wird schnell klar, daß man solche Musik nur mit Heroin zerschlissener Jeansjacke, in deren Brusttasche eine Haarbürste steckt, so eine mit Nadeln aus Metall, richtig genießen, was sag ich, verstehen kann. Und langen Haaren natürlich.
Mein Stiefcousin U. nämlich, der auch immer diese Musik hörte, der trug diese schwarzen langen Haare und Schnodderbremse Schnauzbart zu Jeansanzug und Stiefeln. Der war ein großer, dunkler Junge, ein "junger Mann", wie meine Mutter immer betonte, mit einem ganz glatten Gesicht. Oft haben wir uns leider nicht gesehen. Schon Anfang der 70er Jahre fuhr er sich mit seinem Motorrad tot. Als er abhob, auf irgendeiner unbenannten Landstraße im Ostwestfälischen, war ihm diese Cockpitabdeckung aus Plexiglas im Weg. Auch nicht so schön. Man wollte dem Vater die Leiche nicht mehr zeigen.
Ich habe den ja gar nicht richtig gekannt, den U. Ich war sehr klein, aber er freute sich, wenn er mir Led Zeppelin und so was vorspielte und ich dazu mitsang, mit fünf oder sechs, in irgendsoeinem Kauderwelsch, den ich mir ausgedacht hatte. Da hat er gelacht der U. Wohl, weil ich das sehr ernst nahm. Ich war schon immer etwas ernst und vielleicht zu sehr so. Der U. hingegen, der hörte Rockmusik und fuhr Motorrad und hatte eine sehr schöne Freundin.
Ein wenig sah sie aus wie Fabienne Delsol. Hallo U., "Babe I'm Gonna Leave You". Nur für dich.
