Tanzen, bis die Luft weg ist



Bei den interessanten Dingen muß man drängeln, sich balgen, laut aufzeigen, mit den Fingern (beweglich) schnipsen. Es ist ein Kreuz. Vielleicht wäre es besser, ich versuchte etwas aus der Mode geratenes zu ergattern, eine Lichtorgel zum Beispiel, wie sie in den 70ern die Cooleren meiner Klassenkameraden aus der Siebten besaßen. Die konnten die Vorhänge ihrer Kinderzimmer zuziehen und drei trübselige Lichter wie eine irregeleitete Ampel flackern lassen, während aus den kleinen kunststoffverstärkten Lautsprechern ihrer Kompaktanlagen Partyhits wie "Lady Bump" oder "Popcorn" quäkten. Heiße Sache. Ein Freund hatte sowas. Eines nachmittags ließ er mich lange seine Partyhits hören, während er unter dem Vorwand, eine Besorgung machen zu müssen, die Wohnung verließ. Irgendwann kehrte er zurück, und wir diskutierten noch ein wenig über die Qualitäten eines Stücks wie "Popcorn". Als ich ging, zu spät vielleicht, hatte jemand die Luft aus meinem im Hausflur abgestellten Fahrrad gelassen. Er war sehr empört über die Heimtücke der Nachbarn. Ich sah, daß ich meine Luftpumpe vergessen hatte. Helfen konnte er nicht, denn er fuhr ein schickes neues Rennrad mit Blitzventilen*. Seine Pumpe paßte nicht an die schäbigen altmodischen Dinger meines noch viel schäbigeren Rades.

Erst Jahre später, nennt mich ruhig naiv, die Freundschaft war längst erloschen, begriff ich in einer sentimentalen Stunde, als ich alte Erinnerungsfetzen in meinem Kopf sortierte, wer wirklich, großes Drama, die Luft aus meinen Reifen gelassen hatte. Rückblickend fand ich, er hätte mir auch anders mitteilen können, wie blöd er mich fand. Nun gut, er trägt heute Schnäuzer und arbeitet bei der Sparkasse; es sortiert sich im Leben eben alles zurecht.

Jedenfalls, dachte ich, vielleicht sollte ich jetzt die fehlende Coolness von damals nachholen und mir eine Lichtorgel ersteigern. Dann könnte ich die Fenster verdunkeln und in meiner Wohnung für mich ein wenig tanzen, ganz so, als sei alles unbeschwert. Zuerst vielleicht Monster Magnet, "Monolithic", danach dann aber gleich Moloko Familiar Feeling.

Homestory | 23:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
ilse.bilse - Sonntag, 2. Dezember 2007, 23:54
... Nun gut, er trägt heute Schnäuzer und arbeitet bei der Sparkasse; es sortiert sich im Leben eben alles zurecht....

Hahahaha, ja, ja, da haben Sie Recht. Manchmal dauert es ein wenig, bis die Ordnung sich durchsetzt, aber am Ende passt fast alles dann wieder.

Ich erinnere mich an dieses Schwarzlicht, das mich immer schwindelig gemacht hat und in dem man die Fusseln auf dem Pullover gesehen hat, dass man wie ein gepunktetes Hampelmännchen aussah. Schrecklich war das. Die Lichtorgeln übrigens auch. Discokugeln, die mochte ich hingegen sehr.

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kid37 - Montag, 3. Dezember 2007, 00:01
Stimmt, das Fussellicht. Da war man in seiner staubigen Existenz schnell enttarnt. Eine Discokugel macht wehmütige Lichter, finde ich. Außerdem müßte ich die Zwischendecke zum Speicher rausschlagen, wollte ich hier eine aufhängen.

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ilse.bilse - Montag, 3. Dezember 2007, 00:06
Stimmt, ein bisschen wehmütig macht das Kugellicht schon. Aber es hat auch etwas kitschig märchenhaftes, wenn das Licht über das Parkett huscht.

Kennen Sie diese Leuchtstäbe, die die Farbe wechseln? Das mag ich auch, das fängt den Blick ein und lenkt von den schmuddeligen Ecken ab, innen und aussen.

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mark793 - Montag, 3. Dezember 2007, 00:10
Ich möchte Ihren betroffen machenden Bericht nicht ins Zwielicht rücken, wenn ich sage, dass die Pumpe für Blitzventile auch für normale Schlauchventile gepasst hätte. Beides sind Varianten des sogenannten Dunlop-Ventils. Die nichtkompatiblen Rennrad-Ventile, die Sie vermutlich meinten, sind die sogenannten französischen oder Sclaverand-Ventile.

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dorn - Montag, 3. Dezember 2007, 02:15
Das Zwielicht birgt doch manch' schönes Geheimnis, mark793.
Warum nicht
dorthin rücken
anstatt präzise, grelllichtige Ventil-Wahrheiten blitzmäßig platzen zu lassen?

(die Wendung ' Ihren betroffen machenden Bericht' jedoch
war womöglich co-genial ;-)

(or: maybe, i should stop to comment...)

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kid37 - Montag, 3. Dezember 2007, 10:33
Stimmt, der Fehler liegt bei mir. Da sieht man, wie lange ich schon nicht mehr nach meinem Rad geschaut habe. Die Blitzeinsätze habe ich mittlerweile (anderes Rad) selber. Den Text müßte ich dementsprechend korrigieren. Allein, wie sperrig machte sich "Sclaverand-Ventil" (ein Wort, das ich während des Schreibens bereits wieder vergesse) oder "er hatte französische Ventile". Da denken die Leute ja gleich... Kurz: seine Luftpumpe paßte nicht. Oder anders: Luftpumpenmäßig waren wir nicht mehr kompatibel. Ich glaube, das war die wahre Ursache.

So oder so: Da war ich platt.

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novesia - Montag, 3. Dezember 2007, 08:40
Hätt´ ich gewusst, dass Sie da mitbieten - tut mir ehrlich leid... (Dafür sehen Sie mich nun sehr verwirrt wegen Monster Magnet und Fahrrädern - sogar Rennrädern! - im Bergischen.)

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kid37 - Montag, 3. Dezember 2007, 10:37
Genau, man sollte sich unter Bloggern besser abstimmen, um Preistreiberei zu vermeiden. "Magnet" ist für die Momente im Leben, in denen man einen Hammer braucht und keine gepuderte Perücke. Und selbstverständlich sind wir alle begnadete Bergfahrer, eine Steigung ist im Bergischen sogar auf dem Hollandrad schön.

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novesia - Montag, 3. Dezember 2007, 18:37
Meine Schwester hat mir ihr Hollandrad vererbt, als sie nach W´tal zog. Naja. Zugezogene. Weicheier.

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kid37 - Montag, 3. Dezember 2007, 19:21
Weiß man nicht. Vielleicht übt sie nun mit Rollschuhen das Bergauflaufen. Das ist in Wuppertal auch sehr beliebt und macht schöne Beine.

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dentaku - Dienstag, 4. Dezember 2007, 15:57
Hätt' ich das gewußt
Die Lichtorgel wurde beim letzten Umzug in diesem Jahr dem Sperrmüll überantwortet. Schade eigentlich.

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kid37 - Dienstag, 4. Dezember 2007, 16:05
Mit anderen Worten: Alle sind weiter gegen mich.

Ich geh' jetzt zur Kollegin, Kekse erbetteln.

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rollinger - Dienstag, 11. Dezember 2007, 13:29
oh eine Lichtorgel wollte ich auch immer und bis heute hatte ich immer noch keine. Auch kein Fahrrad mit französischen Ventilen.
Aber wenn Sie immer noch so böse Freunde bei der Stadtsparkasse haben, ziehen Sie ihre altmodischen Ventile mit der Zange zu, das hilft gegen so Gelegenheitsmarodeure

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kid37 - Dienstag, 11. Dezember 2007, 14:36
Hab ich gemacht. Ich habe zwei Überwurfmuttern gegeneinander verkontert. Der Nachteil ist, unterwegs krieg ich die Dinger auch selbst nicht auseinandergebaut ;-)

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