Montag, 12. November 2007


Das ist doch ein Kinderspiel

Oh so while your growing old
Under the gun.
And I believe them all.

(Yeah Yeah Yeahs, "Y-Control")

Stille. Galle. Hölle. I worked with the woman. I have never met a more boring, lonely person in my life. She was interesting in the beginning, you have to give her that, but by Boys for Pelee she was redundant. She also picks her ear wax and eats it but that just a filthy habit not a personality fault.* Wir können alle so böse sein. Montags.

Immer gut daher, wenn man das Wispern des Netzes verläßt und wie ein Kind lieber alles selbst anfaßt. Gerade aber habe ich festgestellt, daß Karten für ein Festival wie, nehmen wir mal spaßeshalber Rock am Ring, 2008 bereits 125,- Euro kosten. Plus Anreise und ein Erfrischungstuchgetränk, das ist dann ja schon, rechne, rechne, viel Geld.

Aber dann ist es auf Festivals und Konzerten so, man mag sich dort ein eigenes Bild machen und muß sich nicht die Kommentare irgendwelcher Dreizehnjähriger Idioten auf Youtube verlassen. Falsch, die Art der Belästigung auf Konzerten ist einfach eine andere. Manchmal schöner, manchmal nicht so. Es sind dort Menschen nämlich, die sich aneinanderreiben. Möglicherweise schwitzend. Möglicherweise emotional begründet. Gloria! Wer aber zu spät kommt nicht selbst ausgeht, den bestrafen hinterher Berichte, wie der bei dem großen Online-Nachrichtenmagazin:

Selbst Gedeon Burkhard, der den Aristoteles spricht,
kann sich das Grinsen nicht ganz verkneifen.


Es geht um Vivienne Westwood. "Unerwartet kulturpessimistisch" sei sie. Kinder, Kinder, SpOn, das is ja man ein Ding. Vivienne Westwood, diese Vertreterin der als unerhört konsumaffirmativ bekannten Jugendkultur namens, ach Mist, jetzt hab’ ich den Namen vergessen. Aber gut, daß die Anekdote mit ohne Höschen noch mit eingebracht wurde. Selbst Gedeon Burkhard. Oedipus Kommissar Rex.

Ja dann.

(Nachlesen kann man Westwoods szenisches Manifest übrigens im Guardian: We shall begin with a search for art, show that art gives culture and that culture is the antidote to propaganda.)

Die Hoffnung aber soll man nicht aufgeben. Die Hoffnung sind schließlich unsere Kinder. Und die machen das wahrscheinlich schon richtig, auch wenn das, was sie machen, hoffnungslos anarchisch und montagsböse ist wie in diesem Video von Siouxsie and the Banshees, Quatsch, den Yeah Yeah Yeahs.

Darauf wollte ich aber nicht hinaus. Ich wollte auf etwas Erstaunliches hinaus. Denn jetzt heißt es genau hinschauen, was 1979 in der amerikanischen TV-Sendung "Kids Are People Too" (ein Titel, der bereits jede Satire auf ihn vorwegnimmt) passierte. Blixa Bargeld in der Sesamstraße? Fast. Patti Smith tritt wie aus einem sehr dünnen, sehr hohen Hut gezaubert auf die Bühne und singt - spätestens jetzt holt bitte alle die Taschentücher raus - You Light Up My Life. Hartherzige Menschen müssen jetzt nicht ergriffen sein, das ist schon ok. Die finden das wahrscheinlich kindisch.

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*Benutzerkommentar auf Youtube über eine US-Sängerin. Stichwort: "Cornflake".

Radau | von kid37 um 17:37h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 10. November 2007


Gangsters

Why must you record my phone calls?
Are you planning a bootleg LP?
You said, you've been threatened by gangsters.
Now it's you that's threatening me.

(The Specials, "Gangsters". 1979.)

Der 9. November bleibt in Deutschland ein historisches Datum - auch wenn man mit Vergleichen und Gleichsetzungen und Apfelkuchen immer vorsichtig sein muß. Natürlich.

Jetzt ist der Weg also frei für die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung. Hinterher werden es alle gewußt haben, bis zu sechs Monate jedenfalls. Hier kann man übrigens nachlesen, wie sich sein oder ihr Abgeordneter und seine oder ihre Abgeordnete verhalten haben. Vorab gesagt: Nur sieben aus der ehemals sozialdemokratischen Partei haben dagegen gestimmt.

Zwar werden wir - verdachtsunabhängig - ab dem nächsten Jahr alle ein Stück sicherer leben, wenn wir fortan alle unter Generalverdacht stehen. Natürlich. Ärzte und Journalisten aber werden ebenfalls leichter abgehört werden können und damit fallen - das steht zu befürchten - wohl auch solche Maßnahmen in Zukunft leichter. Für Abgeordnete wie Otto Schily, der sich zudem - andere Baustelle - weigert, seine Nebenbezüge wie vom Bundestag gefordert offenzulegen, gilt dies hingegen nicht. - Nanu, sollte da etwa ein ehemaliger Innenminister das Gesetz mißachten wollen? Seine anwaltliche Schweigepflicht könne auch durch das Gesetz zur Veröffentlichung von Nebeneinkünften nicht aufgehoben werden (SZ).

Warum also die Aufregung, wenn Gesetze sowieso keine bindende Wirkung haben. Ist doch alles wunderbar! Schließlich hat man ja nichts zu verbergen. Aber eine wesentliche Voraussetzung für Demokratie ist die freie und geheime Wahl. Dieses "Recht auf Heimlichkeit" sollte auch für Kommunikation selbstverständlich sein (und für die Menschen, die in der U-Bahn laut mobiltelefonieren sogar verpflichtend). Um ein gängiges Zitat abzuwandeln:
Auch ich habe nicht zu verbergen, aber das geht niemanden was an.

Und jetzt also alle laut: Now it's you that's threatening me! [Youtube]

>>> Kommentar von Kai Biermann bei ZEIT online
Kommentar von Heribert Prantl im DLF [Audio]
Initiative Vorratsdatenspeicherung

Tentakel | von kid37 um 20:39h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 7. November 2007


Ist doch einfach wunderbar

Man muß eh immer machen.
(Jonathan Meese)

Ohne Herrn Ichichich hätte ich es vielleicht gar nicht mitbekommen:

In der Reihe Keine Diskussion befragte Moritz von Uslar unser aller Lieblingskünstler Jonathan Meese zum Thema Sex. Der Saal war zum Knuddeln gefüllt, Musik von Metallica (nur vom Band) peitschte die erwartungsvolle Stimmung nach oben, künstlicher Weihrauch Nebel stieg allerdings nicht auf. Im Publikum ein wenig Hamburger und andere Semi-Prominenz. Eine NDR-Moderatorin, der ich zuvor jegliches Interesse für das Schaffen des Künstlers glattweg abgesprochen hätte, zog im Dunkeln plötzlich eine Brille auf, ein als "Popliterat" auch bundesweit bekannter Mensch unterhielt seine kleine Entourage mit sehr eckigen, sehr fahrigen Bewegungen, sich dabei immer nervös und hektisch umschauend, als erwartete er einen Lieferanten oder Autogrammwünsche.

Jonathan Meese, derzeit auf Platz 227 der BloggerKünstlercharts, war dann plötzlich da, körperlich, und stellte sich den Fragen von Moritz von Uslar. Es ging um Geschlechtsmerkmale ("unwichtig"), Pornographie ("immer"), Betten ("mehrere") und die Nr. 1 - das ist derzeit die US-Aktrice Scarlett Johansson ("Der Pferdeflüsterer"), die in einer gelungenen Montage ("In der Kunst gibt es keine Probleme") nackt mit dem Meister posiert.

Das war oft lustig, öfter noch ganz nett, manchmal auch bloß unvorbereitet - an manchen Stellen ("weiß ich nicht") kamen die Antworten ein wenig uninspiriert daher. Aber das macht nichts, die Hamburger sind freundlich und Meese ein Mensch, den alle nur liebhaben wollen. Immerhin fielen alle wichtigen Begriffe aus dem Meeseversium: Tierbabies, Erz, Pimmel, Demut & Revolution, Diktatur der Kunst - ein leichtes Spiel für Eingeweihte, Quereinsteiger wunderten sich über das heitere Gelächter im Saal. Ein wenig war es so, als stünde ich auf einer Bühne und zählte einfach Begriffe wie "Ringelstrümpfe" oder "tote Tiere" auf und beendete jede Erläuterung mit "immer weitermachen". Wer hier erst seit zwei Stunden mitliest - Hallo! - kratzt sich vielleicht am Kopf, andere machen mit der Hand Wischerbewegungen vor dem Gesicht und eine dritte, ausgesprochen sexy Gruppe weiß Bescheid!.

So gesehen, könnte ich eine zeitlang Jonathan Meese doublen, denn mittlerweile geht mir sein Wortschatz schon recht flüssig über die Lippen. Leider habe ich zwar, wie nebenbei zu erfahren war, offenbar dieselbe Hosengröße wie der Meister, besitze aber nicht länger dieses kräftige Haupthaar, so daß es schon in Ordnung geht, daß er seine Bilder für weit mehr Geld umsetzen kann als ich etwa ausgedruckte Blogseiten. Ist doch herrlich, einfach wunderbar.

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"Meese, Meese, Großgewese" - Ausstellungsimpressionen (super Wort!) hier im Blog
"Wie werde ich Jonathan Meese?" SpOn
"Ich bin verwirrt", Jonathan Meese beim Zünder
"Selbstreinigung" - Meese im Video (via Kunstkontakter)


 


Montag, 5. November 2007


Erst eins, dann zwei, dann drei... dann vierundzwanzig

Warte, warte, nur ein Weilchen...
(Gassenlied)

Draußen vom Herbstlaub komm' ich her, ich muß euch sagen: Ich habe bereits alle Weihnachtsgeschenke zusammen.

(Stille wie ein Donnerhall.) Nur ein Scherz! Aber langsam heißt es, Fahrt aufnehmen auf dem Weg in die rotbemützten Besinnlichkeitswochen. Der Anfang ist gemacht: Ein lieber Kollege brachte mir aus dem mittelfernen Hannover diesen wunderbaren Adventskalender mit. Und wenn schon, höre ich manche rufen. Doch gemach. Denn auf dem Kalender ist nicht nur das Frl. Anna Blume abgebildet. Hinter einem Baum grad mal leicht getarnt, lauert auch ein Hannoveraner Unruhestifter, über den wir mehr wissen als über jedes seiner Opfer: Fritz Haarmann.

Zur Weihnachtszeit, wenn nur Kinderaugen heller blitzen als schneebedeckte Tannenzweige, darf neben Dada auch das Grauen nicht fehlen, dachte sich wohl der im Auftrag des Tourismusbüros Hannover tätige Zeichner und malte den als Vampir von Hannover landesweit bekannten Serienmörder samt Hackebeil ins Bild. Zu fürchten ist da nichts, denn ein jeder weiß, daß Knecht Ruprecht zur Bestrafung seiner Gespielen Opfer nur zur Rute greift. Bald fand die Stadt Hannover aber, nun völlig von der Leine, die Darstellung ihres berühmten Sohnes wenig christlich und stoppte den Verkauf.


Bibelleser jedoch werden dabei mit Recht einwenden, daß dies doch bloß eine säkularisierte Version der Herodes-Geschichte sei, der genau wie Haarmann auch nur Jungs tötete: "Da [...] ward [Herodes] sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knäblein zu Bethlehem töten [...]" Matth. 2.16. Dieser Zusammenhang muß jedem gleich ins Auge fallen! Roland Barthes jedenfalls hätte bei der ikonographischen Exegese seine Freude gehabt und geschlossen, daß selbstverständlich auch der Adventskalender, wie eine geschriebene Überlieferung, der Film oder eine Fotografie, Träger eines Mythos sein kann.

Auch der Serienmörder an sich, da machen wir uns mal nichts vor, ist seit dem Erscheinen eines gewissen Hannibal Lecter am popkulturellen Horizont salonfähig geworden. Seither gilt der ritualisierte Mord nicht mehr nur ausschließlich als von niederen Instinkten bedingt, sondern fallweise auch als verfeinerte Ausdrucksform eines höheren Ziels, die sich ebenso kunstvoll wie ein klassisches Werk der Hochultur orchestrieren läßt. Haarmann, ein schlimmer Bettnässer¹ obendrein, entwickelte nun allerdings weniger einen Sinn für deliziöse Lebergerichte, sondern, so jedenfalls das hartnäckige Gerücht, ein eher bodenständiges Interesse für grobere Fleischwaren. Nicht so schön.

Während der fiktive Hannibal Lecter eine berühmte Gestalt des modernen Lagerfeuererzählens geworden ist, den nur die wenigsten kultiviert denkenden Menschen von der Türschwelle weisen würden, ist der echte Haarmann - völlig zurecht natürlich - ein Ausgestoßener geblieben. Immerhin: Seine Geschichte inspirierte Bänkelsang und Abzählreime und floß ebenso wie der Fall Peter Kürten², der "Vampir von Düsseldorf", in das Drehbuch von Fritz Langs berühmten Thriller M - Eine Stadt sucht einen Mörder ein. Und beschert (!) nun einem naiv-fröhlich gezeichneten Adventskalender einen grimmen Unterton, ein Memento mori, das an die oftmals prekäre Situation jungen Lebens erinnert - in einer Zeit, in der man die Weihnachtsbotschaft ungerührt vom Kommerz schlachten läßt. Für diesen geschliffen scharfen Hinweis, denn die Wahrheit tut oft weh, gebührt dem Zeichner nichts anderes als Dank und Lob.

24 Morde hatte Haarmann auf dem Gewissen. Jetzt bin ich nur gespannt, was sich hinter den 24 geheimnisvollen Türchen verbirgt. Warte, warte, nur ein Weilchen...


>>> Trailer zu M - Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang (1931)
Fritz Haarmann bei Serienkiller.de
¹ P. und J. Murakami. Lexikon der Serienmörder. München, 2000. s.v. "Haarmann".
² Peter Kürten in der Wikipedia


 


Donnerstag, 1. November 2007


Die Flut kommt, ist aber letztlich auch nur Wasser

Starkstromelektrische Bloßgelegtheit. Denk, was du willst, aber never ever put it in an email, heißt die angloamerikanische Sozialparkettregel. Als eitler Faun übergebe ich natürlich das S7ensiegelbuch der Verbaläußerungsgalanterie als allererstes dem großmäuligem Feuer. Heute morgen fiel mir kurz ein, wie es war, als wir uns alle nicht kannten. Als man sich nur Worte telegraphierte, ahnungs- und oft rücksichtslos und ohne weitere Gewinnerzielungsabsicht.

Auch ein Geschenk, ein schönes. Das Bild jetzt, nicht die beschriebene Tatsache.Während der Rest der Republik auf der faulen Haut sich räkelte, mußte heute in Hamburg aber gearbeitet werden. Ein zähes Vergnügen, zumal wenn man weiß, daß einem am Ende doch wieder alles weggenommen wird.

Fremdevaluierung. Liv Ullmann, in Tokio geboren, so las ich heute, hielt sich für einen "uneitlen Menschen", bis Lars von Trier vor ihr die Preise in Cannes abräumte. Ich dusche jetzt morgens immer kalt, der Demut wegen und weil ich Angst verspüre. Das Zupfen und Zerren, das Wollen und Haben, auch das Anteilnehmen. Die Menschen, das hat Liv Ullmann jetzt nicht gesagt, nennen immer das falsche kokett. "Witzig", sagen sie und schauen sich interessiert bei mir um. "Auf der Ausstiegsluke steht Ausstiegsluke und auf der Schrotflinte Schrotflinte." Ich bin wohl eher kein Diplomat.

Da ist ein Licht, das niemals ausgeht. Merkwürdig, wie mir gerade dieses Lied nun schon zum zweiten Mal zugespielt wird. Ich sollte mehr auf Zwischentöne achten. Nächstes Mal gehe ich besser doch zum Punkkaraoke. Ich will eine Axt, das Eis zu brechen, sagt David Bowie. Ich aber sage: Jedermann sein eigener Leuchtturm.


 


Mittwoch, 31. Oktober 2007


Día de los Muertos

In knöcherner Stille glänzt
das Herz des Einsamen

(Georg Trakl, "Am Abend")


















Ein silberner Trost, ein fermentiertes Getränk und zwei oder drei trübe Lichter eines ranzigen Cafés: Kaum habe ich mich fröhlich auf einem Tisch gewälzt, legt sich tags darauf bereits die Schwermut wie ein nasser Lappen ins Genick. Morbide Schöne winken ach so angekränkelt mit ihren Strumpfbändern, derweil es mir noch nicht einmal gelingt, den eigenen Namen in eine Bierlache zu schreiben. Die vom Grünspan überzogene Überwachungskamera indes hält unverschleiert drauf, hochaufgelöst bis zum letzten Schweißtropfen.

Während wir Ende Oktober den Weltspartag begehen, metallgefüllte Schweine zur Monetenschlachtbank führen und aus Angst vor dem dreckigen Alter ein Rentenpaket erwerben, brechen anderenorts die Gräber auf, um mit zuckrigen Grüßen die alten Knochen tanzen zu lassen. Der Tag der Toten, mit Ringelblumen und Schokolade begrüßt, ist jedoch ein freudiges Fest.

Auf kühlen Steinen sitzen wir jetzt, unsere Finger gleiten vorsichtig über die Gravierungen, finden die Jahreszahl. Wer nämlich lange genug auf verwitterte Grabsteine schaut, meint schließlich, den eigenen Namen zu erkennen. Wem es glückt, sogar auf dem lustigen Friedhof.

Es stimmt, ich hätte dich gerne geküßt, doch du sahst weit in die Ferne. Nach den dunklen Vögeln.


>>> Wikipedia: Tag der Toten
Celebrate the Dead - Celebrate Life - Webseite (Fotos, Infos, Blog)
La Catrina - Diego Rivera
José Guadalupe Posada (Wikipedia)


 


Montag, 29. Oktober 2007


Ich bin eine große Insel

"You look so good
When you're lonely."
(Grand Island, "Us Annexed")

Das hatte ich schon lange nicht mehr gemacht. Das letzte Mal sah ich an genau so einem Tag die amerikanische Gitarrengruppe Interpol in einem kleinen Hamburger Club. Boah, war das langweilig. Vielleicht lag es damals an meiner mitgebrachten Laune, aber diesen konfirmationsanzugtragenden New Yorker Gestalten, die da prätentiös auf der Bühne rumlungerten und ebenso wichtig wie lahmarschig auf "wir sind die neuen Joy Division" machten, hätte ich gerne mal tüchtig in den Hintern getreten. Un-er-träg-liches Düstergeleier, völlig verdrängend, daß Post Punk ja eine echte Abgeh-Schaffe war, als er noch angesagt und frisch war. Aber diese Äffchen, wie welk aus überlagertem Zellophanpapier gewickelt, wirkten so kraftlos pathetic, als könnten sie kein Loch in den Schnee pinkeln. Für mich aber, andere mögen das heimlich anders sehen, ist Musik schwitzige Eisenbiegerei und kein pomadiges Staubansetzen. Beim Tauchen, das wißt ihr alle, heißt die goldene Regel, niemals schneller als seine eigenen Luftblasen aufzusteigen. Aber bei Musik, schreibt das bitte auf, darf man sich durchaus lebhafter bewegen als der Rauch der Fluppe, die lässig im Mundwinkel oder am Gitarrenhals steckt.

An diesem Tag habe ich Interpol hassen geringschätzen gelernt - und die späteren Alben gaben mir recht. Danach unternahm ich an genau solchen Tagen gerne etwas anderes, Menschen einladen, die freundlich taten, oder mich von Menschen, die anders taten verlassen lassen. An genau so einem Tag braucht man halt Freude, Freunde, ein großes Drama - oder eine kleine Reise.

Dieses Jahr aber gab es an genau so einem Tag einen neuen musikalischen Versuch, denn die ersehnte Reise, ich mag es kaum zugeben, ist wohl ein seltsames Jahr, sah mich plötzlich von unter Wasser an. Wohl hineingefallen. Ich aber nicht! Ich zupfte mir den Kragen zurecht, marschierte kurzerhand, denn an genau so einem Tag kann man auch mal spontan sein, in mein extendiertes Wohnzimmer und schaute mir, ja, ja, ja, Grand Island an.

WAS FÜR EIN UNTERSCHIED!

Diese ehrlich arbeitenden Menschen aus Oslo (das liegt in Norwegen) legten letztes Jahr ihr Debüt "Say No To Sin" vor. Nun standen sie da, fünf junge Männer, auf der winzigen Bühne und sahen keinen Tag älter als 22 aus, was unter anderem daran liegt, daß sie keinen Tag älter als 22 sind. Der Sänger, das wird jetzt die Damen interessieren, erinnert ein wenig an Vincent Gallo und sieht so aus, als könne er gut noch ein wenig bekocht werden. Grand Island spielten eine Art abgehetztes Schweinerockbrett, das man vielleicht "Artrock-Polka" nennen könnte. Eine Elch-Stampede mit Abitur, sozusagen. Vermutlich unterhalten sie einen winzigen Proberaum auf dem Gelände des Sägewerks, in dem sie tagsüber schuften, und haben sich von dort auch den Strom illegal abgezweigt. Gleich nebenan stürzt, eines dieser norwegischen Naturwunder, ein Wasserfall aus Starkbier donnernd in die Tiefe, die Jungs hacken tagsüber Holz und rocken abends auf ähnliche Weise ihre Instrumente, kümmern sich insbesondere - anders als Interpol - nicht darum, wenn ein Hemd aus der Hose schaut und bringen so jüngere und ältere Jungs mit Ringel-T-Shirts zum Tanzen:
Us Annexed. Ja, richtig gesehen und nur hier wird's verraten: Der in dem Video bin ich.

An diesem Abend von genau so einem Tag also habe ich geschwitzt, gesungen, gelacht und auch ein wenig geweint. All diese verschwendeten Jahre!

>>> Offizielle Webseite von Grand Island

Radau | von kid37 um 00:59h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link