
Samstag, 8. September 2007
Um der gleichsam wie die derzeitigen Regenschauer ("Einen Schirm brauchen Sie heute nicht", NDR info) auf- und abziehenden Schwermut ein Schnippchen zu schlagen, verbringe ich viel Zeit an der sogenannten frischen Luft. Gelegenheit, ein kleines Gerät zu testen, das sich vollmundig "Kamera" nennt, vielleicht Dienste als kleines digitales Notizbuch leisten könnte, aber wohl dennoch am Montag zurück zum Händler geht. Als ob das jetzt interessant wäre, aber ein kleines Lamento wird wohl erlaubt sein. Sowieso formt sich in mir zusehends die Meinung, im Zeitalter ubiquitärer visueller (Selbst-)Überwachung ist Bilderlosigkeit das neue Schwarz. Es wäre einen Versuch wert.
Straßenfest in und auf St. Pauli, unter wasserschweren Plastikfolien sind nicht viele Schätze zu erkennen, in einem aufgeweichten Pappkarton schwimmen Plüschtiere. Niemand kann ihr Klagen hören, und ich hoffe, Scharli und seine Leude hatten insgesamt mehr Glück bei ihren Geschäften.
Ich komme jetzt in ein Alter, so höre ich, in dem auch bei Männern die Themen "Faltenbildung" und "Hauterschlaffung" um hochkonzentrierte Aufmerksamkeit heischen. Als führte das Problem "Versorgungslücke" nicht schon genug zu allgemeiner Erschlaffung geistiger und körperlicher Art. Man sollte nur noch französisches Vulkaneifelwasser trinken, ohne Trauben, ohne Prozente. Überhaupt sollte ich strenger zu mir sein; zu anderen natürlich auch. Eine flotte Freizeitidee wäre es andererseits, sich mit viel sehr viel Alkoholika in ein Wochenende zu sperren, im zerschlissenen Bademantel auf dem Sofa zu hocken und sich überhaupt mal so recht gehen zu lassen. Bis an den Rand der Verwahrlosung, sagen wir mal, oder jedenfalls bis das Haar strähnig herabhängt. Vielleicht nicht gerade bis zur Selbsteinnässung, auch wenn, man mache sich nichts vor, diese endgültig schlaffen Jahre für jeden irgendwann kommen.
Dann, ich schlage jetzt den Bogen in die Gegenwart und zu echten Problemen zurück, wäre ein Platz in der ersten Mannschaft bei Scharlis Leuden unwahrscheinlicher als die Rückeroberung der Stammposition unseres Torwarthelden bei seinem Heimatverein. Man nutze also die Zeit, wasche sich täglich, halte sein Haar gekämmt und immer etwas Kleingeld bereit.

Freitag, 7. September 2007
Kommst du mir böse
kommst du mir frech
wart nur ein weilchen
ob ich mich nicht räch'
(ich brech dirs Genick
knick knick)

Montag, 3. September 2007
So you say.
(Joy Division, "New Dawn Fades")
Zum Glück bin ich kaum noch zu erschüttern, wie ich meine. Kaum. Nicht nicht zu erschüttern, aber man härtet halt ab. Heute habe ich nämlich zu allem Überfluß meinen digitalen Fotoapparat geschreddert. Einmal Trude noch, dann ging nicht ich, sondern nur er zu Boden, etwas was Kameras allgemein und digitale im besonderen so gar nicht mögen.
Ich habe aber nicht viel dazu gesagt, denn dieses Jahr sah schon einige Schäden, das wird dann ja irgendwann auch langweilig. Jetzt sind zudem die Bilder irgendwie eigenwilliger, das immerhin muß man zugeben. Der Fokus steht auf ungefähr 3 Zentimeter, was ja noch zu vertreten wäre. Muß man halt mal richtig
nah rangehen, dann wird das schon. Aber die Streifen sehen nach beschädigtem Sensor aus, da nimmt man besser mit ernster Miene die Kopfbedeckung ab und blickt stumm in den Himmel oder gleich in die Grube.
Ich glaube, deute ich die Zeichen richtig, da löst sich gerade meine Urlaubskasse auf. Schlimmer noch: das aktuelle Angebot an der Immer-dabei-Kameras gefällt mir entweder optisch, ergonomisch oder wegen der technischen Daten nicht. Ihr werdet mich also länger nicht sehen. Andererseits, ein kleiner Zeichenblock und ein Paket Buntstifte kosten nicht die Welt. Ich könnte mir die Knarre meines Nachbarn leihen, der nachts immer auf die Enten anlegt, in die Telefondose schießen, eine Badehose anziehen und mich in meinem Zimmer in einen ruhigen Palmengarten träumen. Improvisieren kann ich schließlich gut.
Nicht zuletzt wäre mit ein wenig Urlaub wohl auch die Fallsucht bald gebannt. So ein Strand heitert schließlich noch die trübste Tasse auf, selbst Keith Richards ist nicht einfach so von einer Palme gefallen. Das ist ein hart rollender Stein, der kein Moos ansetzt. Bei Nachtlicht betrachtet ist es vielleicht auch so: Ich war viel zu lange nicht tanzen so wie früher.
Es ist gut, daß der Herbst kommt. No Love Lost.
(Alle Clips von Youtube, vor allem dieser, der ist großartig.)

Freitag, 31. August 2007
Knackende Knochen, schwarzgrindiges Geschick, Staub frißt meine Haut. Immer wieder droht es, der Ofen sei bald aus. Vielleicht droht auch nicht es, sondern das Über-Ich, das mag dem aber egal sein, der in kalter Asche stochert. Als ich heute in der U-Bahn mit dem Rücken zur Fahrtrichtung fuhr, sah ich, wie die Tunnelwände in einem dunklen, schmutzigen Braun, das aussah wie getrocknete Blutklumpen, aufeinander zu rückten, zusammenstürzten, schnell und immer schneller. So als wäre ich rückwärts ins Meer gefallen und sänke hinab, während die Wellen, das Wasser, alles eben über mir zusammenschlüge und ich hinabwirbelte, in einem teilnahmslosen Sog, bis hinab an den Grund.
Bevor ich also, viel zu schnell auftauchend und japsend nach Luft schnappend, verzweifelt vielleicht, in einer Sylvia-Plath-Gedächtnisaktion den Kopf in den Ofen stecke, werde ich lieber kürzertreten. Batterien aufladen, endlich daheim bleiben, ein oder zwei herbstliche Eindrücke sammeln, nur wenig an die Kollegen denken, die hoffentlich gut, aber bitte nicht zu gut ohne mich auskommen. Im Zweifelsfall kann ich sowieso länger die Luft anhalten.

Dienstag, 28. August 2007
Keine Zeit für gar nix, kein Wort fällt mir ein. Noch fünf Tage, dann aber stelle ich mich ans Fenster und atme tief durch. Wenigstens einmal. Noch fünf Tage. Dann startet ein neues Programm, zu Wasser, zu Lande und vielleicht auch mit etwas Luft. Wie Ben Becker derzeit werde ich auch ohne Chefarztbegleitung in mich gehen und weniger dunkle Lieder brummen.
Doch halt, keine Tränen für die Gestalten der Nacht: Vollmond kündigt sich an, fett schlich er gestern bereits etwas schwankend übers Wasser hinterm Haus. Ein guter Tag zum Haareraufen, ein guter Tag für Erinnerungen. Ein guter Tag, dich zu finden oder wenigstens etwas. Alte Fotografien aus Argentinien vielleicht. Verlassen, verloren und wiedergefunden. Treibgut der Straße, sag dem Fremden Hallo.

Freitag, 24. August 2007
Zum Ausklang einer wundersam arbeitsreichen Woche, nehme ich mal lieber den Fuß vom Gas und mir gleichzeitig Zeit, ein wenig die Rosen zu genießen. Wo die wilden Rosen blühen - Es handelt sich, soweit ich es überhaupt verstanden habe, um ein höchstwahrscheinlich religiös-sentimentales Singspiel, bei dem Schlangenfrauen sich durch Dornbüsche swingen und Erzengel mit gleißenden Schwertern die Wahrheit ins Innerste bringen. Junge Nonnen singen, beseelte Priester lesen aus symbolbehaftetem Kartenwerk, ich will nicht behaupten, die Lithurgie genau verstanden zu haben.
Aber mit Glück werde ich als Freiwilliger ausgewählt, die Fußfesseln junger Damen zu überprüfen (ich bin da genau), ehe sie sich in einem Wassertank von ihren Ketten befreien. Kurz: Bei Profis schauen, was sich sonst nur in der stillen Kammer übt. Vielleicht wird auch wieder ein junger Mann zum Mitreisen gesucht. Solltet ihr nichts mehr von mir hören - sucht in einem Wassertank achtet auf die Plakate in eurer Stadt.

Freitag, 24. August 2007
Amerika, so heißt es, habe keine Kultur, es sei denn die von Mord und Totschlag. Statt feinem Pinsel das gestichelte Tattoo, als Skulptur der hängende Mann am Dorfeingang, statt Blattgold das Herz einer Hure aus dem nächsten Saloon. Preisen will ich die großen Männer: den Aussatz also, die An- und Abgetriebenen oder das, was man dann den "Amerikanischen Albtraum" nennt.
Joe Coleman, Maler, Musiker und als Vaudeville-Performer von einnehmend selbstironischem Humor beseelt, preist die seltsamen, grausamen Anti-Heiligen der Neuen Welt, in akribisch-obsessiven Legendentafeln, Ikonen einer Unterwelt: Serienmörder und andere Verbrecher, Freakshow-Artisten, Vergessene und Verstoßene zwischen Blutdurst, Sexlust und schlechter Kinderstube. Amerika und seine Rasselbande: Hier sind sie in Öl gebannt.
Der Sammler Coleman hat seine New Yorker Wohnung in ein "Odditorium" verwandelt, vollgepackt mit "Krempel" (wie ich immer zu hören bekomme), Kuriosa, Erotika, Blutrünstika - eine Art Harrys Hafenbasar des Mordgewerbes, darunter den unrühmlich erworbenen letzten Brief von Albert Fish. (Wenn du das liest: Gib ihn zurück, Joe, es gehört sich nicht.)
Die Ausstellung im Berliner KW setzt vielleicht ein bißchen sehr auf die Freakshow-Atmosphäre, stellt mit Wachspuppen und Zirkuswagen einzelne Sammlungsstücke recht aufwendig in Szene. Andererseits sind alte Bauwagen vielleicht nichts, was schwer zu bekommen wäre in Berlin, und überdies finde ich gerade Wachspuppen überaus langweilig. Das ist mir zuviel staubiges Panoptikum, in dem selbst die zweiköpfigen Kälber, falschen Mumien und echten Killer-Devotionalien teilweise ein wenig albern wirken. Immerhin eins wird deutlich: Coleman ist ein Künstler, bei dem das einzelne Stück wenig, die überbordende, totale Sammlung aber alles ist.
Das gilt im Detail auch für die eifernd kleinteiligen Bilder in den oberen Etagen der Ausstellung. Stationen exemplarischer Leidenswege, Apotheosen aus dem Gleis gesprungener Lebensläufe, darunter auch die jüngst mit Catherine Keener als An American Crime verfilmte Geschichte der Gertrude Baniszewski. Pardon wird in aller Drastik nicht gegeben, wenngleich man schon Fan eines an Robert Crumb erinnernden Comic-Stils sein muß, um diese Schau- und Erschütterungstafeln auch jenseits ihres Lehrgehalts ansprechend finden zu können. Aber man stelle sich diese naive Ästhetik als mexikanische Perlenstickerei auf einer Motorradlederjacke vor! Aufwand der Unangemessenheit!
Der Burnster hat noch ein paar Bilder und Impressionen mehr, ich möchte vielmehr auf den verdammt guten Kuchen hinweisen und auf die frappierende farbliche Nähe meines Notizbuchs zum kleinen Begleitplan durch die Ausstellung. Geht alle hin.
>>> Webseite von Joe Coleman
(Joe Coleman: Internal Digging. Noch bis zum 2. September im KW, Berlin.)
