
Dienstag, 9. Januar 2007
Fotogemeinschaften gibt es viele im Netz, die meisten von eher schwankendem Niveau. Auf ALTPhotos präsentieren Fotografen ihre Arbeiten, die sich fast durchweg sehen lassen können. Offenbar haben sich hier viele osteuropäische Künstler versammelt: Albanien, Lettland, Polen, Russland, die Ukraine - vielleicht ist es Einbildung, aber mit einem Sinn für die Würde des Alltagsbanalen, einem leisen Hauch von Melancholie und einem Schuß surrealen Witz schlagen viele Bilder einen anderen Ton an als das oft grell Pompöse westlicher Bilder. Kameras wie Kiev 88, Zenith und Pentacon sind hier noch tapfere Arbeitspferde, die zeigen, was geht, wenn man die Geduld für Technik mit Tücken aufbringen kann.
Geduld braucht man leider auch für die Bilder. Der Server von ALTPhotos ist schneckenlangsam, man kann also nebenher selbst den ein oder anderen Rollfilm entwickeln.
Ich wühle mich gerade durch die People-Galerie, die anderen Abteilungen sehen aber auch interessant aus.

Sonntag, 7. Januar 2007
(Die Ärzte, "1/2 Lovesong")
Dita, Dita, dachte ich heute morgen und schüttelte traurig den Kopf über die scheidungswillige Gattin von Marilyn Manson. Zu spät, zu spät. Nun sind meine Arme auch nicht mehr offen für dich. Temps perdu, uns bleibt die Erinnerung, und - alles Gute. Nun wollte ich mir, vom Schmerz gepackt, nicht noch Zigaretten auf dem Unterarm ausdrücken, die ich auch erst umständlich an der 24-Stunden-Tankstelle nebenan hätte kaufen müssen. Deshalb wagte ich das Unmögliche: Ich ging an einem Samstag in die Stadt.
Im saturnalischen Elektrokaufhaus war bereits die Hölle los, grimmigen Blickes warf ich mich in die Menge, blitzte Todesverachtung spritzend auf die vom Rabattversprechen zombifizierte Steppjackenträgerschar und begab mich wieder einmal in die Hifi-Abteilung. MP3-Player beschauen wie sonst nur der Trichineninspektor in der Großschlachterei ist einer meiner liebsten sinnlosen Stadtvergnügen. Seit einiger Zeit dürstet es mich nach Aufrüstung, nicht moralischer, sondern kraftmusikalischer Natur: mehr Speicher, mehr Radio, mehr Schick sollen meine Westentasche füllen!
So ein nachtschwarzer Handschmeichler mit Steuerrad hat es mir gerade angetan, als mich ein junge Dame anspricht. Dita? Nein, es ist eine quasi-uniformierte Informationsbereitstellerin der Herstellerfirma. Mein unfruchtbares Knöpfchendrücken am schwer entladenen und somit stummen Ausstellungsgerät rief sie auf den Plan. "Greifen Sie doch mal bei mir zu, da können Sie besser spielen", strahlt sie mich aus beinahe unschuldigen bernsteinfarbenen Augen an. Leicht verwirrt gleitet mein Blick von ihren Lippen hinab auf ihr vom knappen Firmen-T-Shirt formschonend verhülltes Dekolleté. "Ich wollte das Ding eigentlich nur kurz begrabbeln", stammel ich, etwas hilflos bereits, und bete die Namen der 37 Heiligen rückwärts runter. "Nur zu", meint die Schöne vor mir und schaut mir tief in die Augen dabei. "Meiner ist aufgeladen, da können Sie alles sehen."
An einem Halsband baumelt einer dieser Player zwischen ihren Brüsten. "Greifen Sie nur zu", ermuntert sie mich. Mein Mund fühlt sich trocken an. Ich schaue mich vorsichtig um, denk, morgen steht es in allen Blogs!, und lasse kurz meine Hand wie ein Hütchenspieler über den drei Erhebungen kreisen. Schließlich greife ich beherzt in die Mitte und packe mir den Player. "Liegt gut in der Hand, nicht wahr?" höre ich die so honigsüße wie selbstbewußte Stimme des jungen Dings. "Unglaublich glatte Oberfläche" stottere ich. "Fühlen Sie mal die Knöpfe", lockt sie weiter. "Alles richtig fest." Ich spiele ein wenig mit den Nupsis, schaue zurück in die bernsteinfarbenen Augen, die sich in Halsbandabstand vor meinen befinden. "Da wackelt nichts", meine ich anerkennend.
Für so einen Kaufhausausflug am Samstagnachmittag bin ich entschieden zu dick angezogen. Mir wird warm unter dem Mantel. "Nehmen Sie den mal lieber", meine ich. "Mir wird das hier zu heiß". Bedauernd gebe ich das Objekt der Begierde zurück. Lächelnd nestelt sie am Halsband, zurrt alles an ihrem Dekolleté zurecht. "Wenn Sie es größer brauchen...", gurrt sie und weist auf die Prospekte mit den anderen Modellen. "Nein, nein", wehre ich schnell ab. "Es ist wunderbar wie es ist."
Schnell erfrage ich noch ein paar technische Details und gebe mich beeindruckt. Gerade als ich mich leutselig nach den Dienstschlusszeiten erkundigen will, zupft mich eine innere Stimme am Mantelkragen zurück. Ich muß ja noch Bekleidung kaufen!
Deutlich beschwingt lasse ich die Schwedenkette links liegen und wage mich in einen Ausstattungsladen für paillettentragende Diskothekengänger. Warum nicht mal was Fesches kaufen, man ist schließlich nur bis morgen oder übermorgen jung. Dann ist aber endgültig finito und man selbst für Damen aus dem Promotionsgeschäft nur noch eine armselige Lachnummer, der man höchstens mitleidig ein Prospekt übereicht.
Nachdem ich die ganzen Punk- und Pseudopunk bedruckten und vorzerfetzten Lumpenberge durchwühlt habe, reihe ich mich mit einem dezenten Unterziehjöppchen in Ringeloptik am Kassentresen an. Sieh an! Neben mir steht der schwertätowierte Schlagzeuger einer äußerst beliebten, sich als vorgebliche Mediziner titulierenden Musikgruppe. Warum auch nicht, man begegnet diesem Mann in dieser Stadt öfter. Es ist ja auch eine völlig absurde Idee anzunehmen, als Rockstarmillionär mache es Spaß, den ganzen Tag und die halbe Nacht im selbstgewählten Shangri-La zu lümmeln und sich die Anziehsachen von knapp volljährigen Bediensteten reichen zu lassen, die selbst kaum mehr als Ringelstrümpfe und Lackschürzen trügen. Obwohl, wenn ich gerade darüber nachdenke...
Einmal standen wir sogar Seite an Seite am Pissoir, und nach derlei erlebten Intimitäten finde ich nun auch nichts dabei, für die Einkäufe des junggebliebenen Mannes mich näher zu interessieren. Diskreterweise möchte ich anmerken: Er wird schick aussehen in seinem neuen schwarzen Hemd. Nicht halb so schick wie ich mit meinem dezent geringelten Unterziehjöppchen. Aber schick. Ein Blick in seine Einkaufstüte erinnert mich zudem daran, daß ich die aktuelle Ausgabe des örtlichen Obdachlosenmagazins noch nicht erstanden hatte. Auch darin ein Vorbild - ich mag den privat stets angenehmer als auf der Bühne wirkenden Mann, der da festen Schritts das Geschäft verläßt. Man darf den Blick fürs Wesentliche nicht verlieren: Die Ditas dieser Welt würde er als unrockbar abwehren und ihnen lieber ein Hinz und Kunzt-Abo vermachen. Einen MP3-Player hatte er schließlich auch nicht umhängen.
Ein Spruch besagt, es gäbe nichts, was eine Flasche Whiskey und eine Rasierklinge nicht heilen könne. Herr Manson, glauben Sie lieber mir: Kaufen Sie sich einfach ein neues Hemd.

Freitag, 5. Januar 2007
Da muß man jetzt nicht lange reden. C'est comme ça.
Das Video stammt übrigens von Mondino, der merkwürdigerweise denselben Vornamen hat wie ein nicht komplett unumstrittener deutscher Fernsehmoderator.

Donnerstag, 4. Januar 2007
You were famous, your heart was a legend.
You told me again you preferred handsome men
but for me you would make an exception.
(Leonard Cohen, "Chelsea Hotel #2")
Unterkunft bot es vielen: von Mark Twain bis Arthur Miller, von Thomas Wolfe bis William Burroughs, dazu die Maler und Fotografen wie Mapplethorpe und Ralph Gibson, die Musiker - Jimi Hendrix, Janis Joplin, Patti Smith und Sid Vicious, der lebendig gleich gar nicht mehr auszog - das Chelsea Hotel in New York ist bis zum kaputten Dach gefüllt mit Legenden und Gewisper. Dylan Thomas brach hier 1953 zusammen, voller Schmerz und voller nur von Alkohol. Die Beat Generation kochte dort heimlich auf den Zimmern (alles im kleinen Löffel), schnitt Bücher auseinander und schrieb auf Endlospapier. Leonard Cohen schrieb einen Song, in dem es vordergründig um eine Geliebte, in Wahrheit aber eher um den zum Mythos gewordenen Ort ging, einen nostalgiegetränkten Platz, dessen heimliche Magie ein Leben im Zustand der Ausnahme offenbar möglich macht.
Ein wenig Geschichte hier, ein wenig kunstvolle Erinnerung dort - was fehlte, genau, war das Blog als Ventil und Wasserstandsmelder für Vergangenes und Aktuelles, Geschichten und Dönekes aus dem Leben in the red-brick and black-wrought-iron behemoth on West 23rd Street. (New York Times, 19.12.2006).
Ob das Hin und her um Edie Sedgwick (war es Dylan? war es Warhol?) und den Film Factory Girl oder die fast noch drängendere Frage, ob Ethan Hawke das Blog liest oder nicht - Platz ist da für das Mondäne, Heitere, Traurige & Triviale, die Künstler, die Legenden und den Spaß am eigenen Mythos.
Endlich mal ein Blog, bei dem Name-Dropping keine hohle Geste ist. Viel zu entdecken, viel zu Erinnern, endlos zu Stöbern: Living with Legends.
>>> Leonard Cohen, "Chelsea Hotel #2" auf Youtube

Mittwoch, 3. Januar 2007
Den Menschen mag ich ferne stehen. Aber das ist nun zum Glück egal. Denn zu Weihnachten bekam ich diesen wunderbaren Freund ins Haus gestellt. Blechern und spröde, ein wenig hohl wohl auch in der Birne - wir sind für einander wie gemacht. Zwillinge, nach der Geburt getrennt und doch wiedergefunden. Gleich mir geht er ab, wenn man ihn nur ein wenig aufzieht. Die Wande hoch wie ich schafft er zwar noch nicht. Aber tapfer und unbeirrt wackelt er auf die vorhersehbarsten Abgründe zu, als hätte er es von mir gelernt.
Wir sind gleich per Du gewesen, ich besitze nun den Schlüssel zu seinem angespannten Herzen und lege bei ihm alle Schalter um. Eine Trommel wie sein Kollege hat er nicht. Aber die kann ich ja schlagen: Ping. Ping. Ping. So schnurrt es durch die Flure der Fabrik, in der die Schlagzahl, frohe Kunde für 2007, gleich mal etwas höhergelegt wird. Das soll für mich kein leichtes werden, nimmt man das Raunen der Sterndeuter zum Jahreswechsel für bare Münze. Aber mit meinem blechernen Freund an der Seite werde ich dem wohl gewachsen sein. Denken aus, Sehnen auch und mit zackigen Bewegungen den Brennofen bedient. Krach und Knirsch, so fährt die Stanze runter, ein Dutzend Mal am Tag. Die Gartenzwerge werden immer gleichförmiger (der Kunde verlange gar nicht mehr, versicherte man uns), die Kollegen um mich herum (die letzten Mohikaner) auch. Blecherne Kumpel, die abends nur noch leise mit verzerrter Stimme hallen: Es ist vollbracht!

Dienstag, 2. Januar 2007

Sonntag, 31. Dezember 2006
Burning shapes into the night
(Siouxsie and the Banshees, "Fireworks")
Ihr könnt ja bleiben. Ich mache die Leinen los, ich hau' ab. Ich habe den Vulkanfiberkoffer an Bord geworfen, fünf Bücher und zwei Schallplatten. Das Paket mit der Schokolade, den Karton mit alten Briefen. Meine Bilder habe ich alle verbrannt, der Meldekartei einen Sprengsatz geschickt. Ich mach' mich fort, 2006 - Adieu!
Schlag Mitternacht, ein letztes Ritual. Da hör ich die Gruppe Siouxsie and the Banshees mit ihrem Liedbeitrag Fireworks (ein freundliches Angebot der Firma YouTube). Und läßt man im Wort "Liedbeitrag" das "d" weg, findet man... nun, schaut selbst. So ist das manchmal, wenn der Blick verstellt ist durch zuviel Gerümpel. Fast jedes Mal zum Jahreswechsel höre ich also pünktlich zum Gongschlag "Fireworks", betrachte das sprühende Licht am eiskalten Himmel... happily we shiver, happily we shake... kehraus, kehraus rauhe Nacht.
Warum bleibt man nachts sonst so lange auf? Marvin Bell stellt sich diese Frage in einem grandios publizierten Gedicht. Nicht zagen, nicht zögern – die Antwort auf die letzte Frage schreibt sich ohnehin mit Blut oder schmelzendem Eis. Neulich fand ich neben dem Altpapiercontainer eine alte Postkarte. "Alles Gute", hieß es da in ungelenker Schrift. "Vor allem für die Zukunft."
Alles Gute also. Vor allem für die Zukunft. Bis dahin schlage ich vor: ein Feuerwerk machen. Immer weitermachen.
