
Donnerstag, 12. Oktober 2006
I'm a poor man, if you leave me
I'm applauded, then forgotten
It was summer, now it's autumn
(New Order, "Crystal")
Hallo,
ich habe heute noch mal ein wenig in diesem Blog gelesen. Das, von dem ich neulich schon erzählte.
Klar, denke ich, weiß ich auch, jung. Aber damit kriegt man mich eben. Jung sein, Energie, dummes Zeug reden idealistisch sein. Punk. Punkt.
Bißchen über Sex schreiben, Nächte in Kneipen, Konzerte. Musik. Aber gut. Und dann auch anders als die, die ich früher gerne las. Die sich so wortreich über alles empören, aber keinen Spiegel mehr befragen.
Die sind aber auch nicht mehr jung, da stört das dann. Das ist der Vorteil der Jungen. Die müssen nicht hinterfragen. Die sollen keine neunmalkluge Scheiße von sich geben, sondern einfach machen. Ihre großen Helden zitieren, die anderen demolieren, vom Sockel stoßen. Und man nickt, sagt ja, ja, ja, weiter, Baby, weiter. Und schaut ein wenig irritiert, angeekelt auch, an sich herab, an das festgeklebte, graue Ich, das sich Jahr um Jahr ein wenig weniger bewegt.
Schau es Dir mal an. Die hingerotzten Zeichen, Schnipsel, Fotos und Textfetzen. Jetzt, beim zweiten Schauen, glaube ich, Dir wird es nicht gefallen. Vielleicht nutzt sich das auch ab, nach dem dritten, vierten Mal, das man von diesem Autor liest oder jenem. Die, die man früher selbst so oft zitierte. Wie das halt so ist mit dem Abstumpfen, wenn erst der Kitzel der Erregung, später der der Abwechslung fehlt. Schau es Dir trotzdem ruhig an. Bevor es uns selbst hinwegwischt. Laß Dich einmal noch Mittragen von der Energie. Schließ die Augen, laß es einmal noch die alten Nächte sein. Schummrige Hallen nach dem Konzert, voller Zigaretten, Bier und zertretenem irgendwas. Das erste Mal auf dieser Ausstellung, bei der man unbedingt den Künstler küssen wollte. Die verhuschte, dünne Gestalt, die einem damals alles erschien und heute nur noch Gedanke. Die Autofahrt durch die immer länger werdende Nacht, die schwirrenden Lichter tanzten über die Mittellinie, im Takt der wummernden Bässe, und Du sagtest: Schieb doch noch einmal diese Kassette rein.
Oh, schade. Du liest ja keine Blogs. Sonst hätte ich einen Link gehabt.

Mittwoch, 11. Oktober 2006
Jahrelang dachte ich, ich sei David Lynch. Bis ich feststellte, daß ich nur der Zwerg in der Garage bin.

Dienstag, 10. Oktober 2006
Warum die Lesung in Wien so schön war, wollte ich noch sagen.
>>> Augentrost (nicht bürotauglich) auf Youtube
(Watch for the Tassles Tassels!)
(Ich saß aber den ganzen Abend brav in der Ecke und habe ein Buch über String-Theorie gelesen.)
Dazu passend, noch bis zum 15. Oktober in der Kunsthalle Wien: Werkschau von Dorothy Iannone und Lee Lozano - Sexualität, Kunst und Leben, die Initialen der großen Klassenlotterie. Iannone, die Lebensgefährtin von Dieter Roth, dessen Werk wiederum mir über die Jahre immer mehr ans Herz gewachsen ist, beschreibt auf manisch exhibitionistische Weise die intime "Saga" einer Liebe. Lozano, weitaus unbekannter, aber spontan interessanter wirkend, unternimmt in den 60er Jahren einen ähnlichen Selbsterfahrungstrip. Eine Beatnik-Odyssee zwischen Peyote, Feminismus, Gendertheorie und Protest. (Wobei sie merkwürdige Strategien ergriff: Um gegen die Unterdrückung der Frau zu polemisieren, weigerte sie sich, mit Frauen zu reden.) Zitat: "Suche die Extreme, denn dort spielt sich alles ab."
Es muß auch Menschen geben, die irgendwas ganz konsequent machen.
(Dorothy Iannone, Lee Lozano: Seek the Extremes....
Bis zum 15.10.2006 in der Wiener Kunsthalle)

Sonntag, 8. Oktober 2006
Told you how I used to be
Would you go along with someone like me?
(Peter, Björn and John, "Young Folks")
Endlich, möchte man meinen, wieder Regen auf der Haut und kühlerer Wind unter den Jacken. Nächte, die wieder wispern und Lichter, grün und rot über dem Wasser, die einem die Position anzeigen. Da kann man dann sitzen, sich ansehen und was reden, natürlich. Ich winke mit dem Lottoschein. Bald kann ich das endlos so machen. Ja, und dann könnte ich Sätze schreiben wie "Das Leben als eigener Sonderpostenmarkt". Und da lacht sie und sagt, komm ich lade dich ein. Und wir gehen rüber zur Heißen Hexe und ich darf mir sogar etwas aussuchen. Ich bastel ein Boot aus den Resten des Alupapiers. Ein schwankendes Schiff, trunken naturellement, und damit fahren wir maskaragetränkte Tränen den Fluß hinunter und hinüber zu den dunkleren Ufern.
Sie reicht mir das neue Exemplar des Spottpreismagazins, und ich denke, ja, man müßte auch mal wieder lesen. Blättern durch eine Welt aus Bodenhaltung und Bockwürstchen im Naturdarm. Und selbst diese Menschen, die mittags womöglich ihre ganzen saftigen Putenschenkel über die Anrichte reiben, sehen im Prospekt merkwürdig verhärmt aus. Ausgelaugt wie zu lange gewaschener Kabeljau. (Also ob ich davon Ahnung hätte!) Aber die fahlen Gesichter! Oder liegt es am Druck, am Papier, oder liegt es daran, daß 1000 Gramm Nagerglück auch nicht viel mehr oder weniger kosten. Auf der letzten Seite, gleich hinter Kleinkindern in vorgegrauten Fleecejacken, das Viererset Grablichter, mittel oder groß und selbstverständlich nur, solange Vorrat reicht. Dafür aber brennen sie auch und das doppelt so lang und nicht nur weil sie jung sind. Oder die Nacht.
Nein, sage ich und falte ein verbogenes Herz aus dem Aluminiumboot. Nein, brauche ich alles nicht. Bei mir kommt das alles aus der Steckdose. Die Träume, die Wärme. Die Roboterliebe auch.

Samstag, 7. Oktober 2006
People tend to disappear
(Peter, Björn and John, "Young Folks")
Muß ich denn immer alles verpassen. Weil, gerade laufen bei mir diese schwedischen Ditty-Popper in der Endlosschleife (da muß man mit, da wackeln alte Herren mit den Hüften): Peter, Björn and John mit ihrem beschwingten "Young Folks". Da singt übrigens Victoria Bergsman (The Concretes) mit, die wiederum - jetzt kommt's - im Video zu New Orders "Temptation" die Hauptrolle spielt. Everything is delicately interconnected with each other heißt es bei Joyce.
>>> Peter, Björn and John, "Young Folks" bei YouTube
Und, jetzt haha: Rock'n'Roll, Herr Burnster kann davon Lieder singen, lebt nicht nur von Sex und Kapuzinerkresse, sondern auch von akribischer Vorbereitung. Auch und gerade, wenn man Iggy Pop heißt.
Nachtrag: Neulich bereits vergessen, wird auch immer schlimmer. Ist jetzt aber essentiell für so ein Retro-Wochenende in der Garage: Los Negativos mit "Moscas y arañas". Zieht eure großgemusterten Kleider und Hemden mit spitzen Kragen an, Arme in die Luft und... nun ja, das wissen andere besser als ich.
>>> Los Negativos, "Moscas y arañas" bei YouTube
(via Ligne Claire)

Freitag, 6. Oktober 2006
Auch ist vorher so manches abzuwickeln,
und Österreich will ich jedenfalls vorher noch
einmal wiedersehen. Ich sage "vorher",
denn ich denke schwerlich dort zu bleiben.
(Hugo von Hofmannsthal,
"Briefe des Zurückgekehrten". 1907.)

Warum sollte ich aus meinem Herzen ein Grüftl machen? Wer sich ein wenig für
Sex Zuneigung und Tod Abschied interessiert, dem ist die schön morbide Zuckerbäckerstadt naturgemäß ein locus amoenus, den man kaum noch verlassen möchte. Sportlich eingeflogen ("Heute fliegt die Strecke erstmals unser Co-Pilot" - und ja, der Rückwärtsschub geht) und gleich ins Museumsquartier katapultiert, wurden mir ein paar schöne Tage serviert. Auch wenn fünf Piefkes die Konkurrenz eines spannenden Nationalratswahlabends nicht wirklich glasklar für sich entscheiden konnten, war es ein hoch unterhaltsamer Abend in der Herbststraße. Schön, einige bekannte Blogger und Leser wiedergetroffen und schön auch, einige weitere erstmals kennengelernt zu haben. (Warum wurde mir das mit der Puppenspielerin erst so spät erzählt?)
Toll auch der kleine Ausflug mit Familie Neun, wo man nicht recht weiß, ob man nun mit der überaus charmanten Frau Mama oder doch mit Lisa durchbrennen soll. Auf begeisternde Empfehlung landete ich dann nämlich noch im Naturhistorischen Museum, ein Hohetempel aller Taxidermisten. Wochenlang Stundenlang kann man in den opulenten Schausälen tote ausgestopfte und sonstwie präparierte Tiere bestaunen.
Auch wenn einen die mottenpulvergesättigte Luft am Ende etwas wirr macht - schon allein, weil man vor lauter Staunen den Mund nicht wieder zu bekommt -
man taumelt doch höchst entzückt ins Freie, meditierend über die Vielfalt der Natur. Und ja, es gibt dort auch puschelige Tiere, welche mit Fell und Kulleraugen - aber man kann ja nicht alles abbilden.
Am Ende steht das Ende: Unterhalb der Michaelerkirche befindet sich nämlich eine beeindruckende Gruft. Kein Vergleich zur hochadeligen, quasi gelackten Kapuzinergruft, sondern eine (leider) vom Verfall gezeichnete Grabanlage mit über 200 Särgen, Gebeinhaufen, Mumien und allerlei sepulchralem Zierrat. Der Erhalt der Gruft und der vom hungrigen Rüsselkäfer bedrohten Särge ist aufwendig und teuer - weshalb ich dringend den Erwerb des reich bebilderten Büchleins nebst anderer Spenden empfehlen möchte. (Weitere Informationen auf der Webseite.) Darauf noch eine Torte, denn selten mischen sich delectare et prodesse so angenehm wie in Wien.

Samstag, 30. September 2006
daß es den sogenannten unglücklichen Menschen gar nicht gibt,
dachte ich, denn die meisten machen wir ja erst dadurch
unglücklich, daß wir ihnen ihr Unglück wegnehmen.
(Thomas Bernhard. Der Untergeher. 1983.)
Es zieht mich fort. Für ein paar Tage. Einige sehe ich hoffentlich am Sonntag in Wien, da würde ich mich freuen. Den anderen lasse ich ein paar Links zurück:
Wer es nicht in die Herbststraße schafft, der mag sich vielleicht herbstlich einstimmen mit Grauland.
Oder mit Bildern und Texten aus New Orleans. Kann man immer wieder lesen:
Angeliska.
Müsik im Bild:
A Flock of New Wave Photos zeigen, wie das so war. Damals. Banshees, Cure und Joy Division. Und irgendwie alle anderen auch. Dazu passend: PYMCA versammelt tausende Fotos (angeblich 80000) unterschiedlichster Qualität zu unterschiedlichsten Jugendkulturen seit den 70er Jahren. Ein endloser Strom.
Und sollte jemand gerade in Chicago sein: Die Moka-Galerie macht Open House und zeigt unter anderem tolle Fotografie aus Deutschland. Auch die kann man übrigens kaufen.
Und bin ich nicht in Wien, dann heißt der nächste Halt wohl Harajuku.
