
Donnerstag, 18. Mai 2006
Ricky King, der "hervorragende, manchmal zu Unrecht unterbewertete Gitarrist" [sic!], ist nach wie vor musikalisch aktiv. So gibt er am Samstag ein Konzert in Coswig (Kreis Meißen) und im Augst in Horumersil, Durchhausen und Weinheim. Hans Langenfelder, wie Ricky King mit bürgerlichem Namen heißt, mag laut Internet Blau- und Brauntöne, Pferde, Rosen, Beatles, Barbara Streisand, Celine Dion, Julio Iglesias, Cliff Richard, Hank Marvin, während er Abhängigkeit, Intoleranz, Heimlichkeiten und Aufdringlichkeit nicht mag. (via)
(aus: Dinge, die man immer mal wissen wollte. Danke an für Text und Recherche.)

Mittwoch, 17. Mai 2006
Vor zwei Jahren sah ich die etwas umfangreichere Version der Ausstellung in der Berliner Galerie Camera Works. Dort lernte ich auch den Fotografen Elliott Erwitt über gemeinsame Bekannte kennen, schlug dummerweise eine Einladung zum Essen aus, und muß mich bis heute fragen, wieso ich mit dem Präsidenten der Agentur Magnum nur ein paar launige Worte wechselte, anstatt ihm gleich mein Portfolio unter die Nase zu halten.
Erwitt ist ein sehr humorvoller älterer Herr, aber das ahnt man gleich, wenn man seine Fotos kennt. Berühmt sind neben seinen Porträts von Leinwandhelden die Aufnahmen aus dem Central Park, auf denen meist Frauenbeine mit irgendwelchen ridikulen Hündchen zu sehen sind. Hunde, Hände und menschliche Selbstentlarvung in skurrilen Momenten voller Alltagskomik sind seine Themen, dabei ist er nie boshaft, immer nur schalkhaft. Entspannt und leicht ein wenig verloren wirkt er, dabei ist er hochwach und zu Späßen aufgelegt. Ebenso nett übrigens seine Frau, die mich auf der Vernissage wiedererkannte und sich erinnerte, daß ich - sagte ich es bereits? - dieses Essen ausgeschlagen hatte. Ich bin sicher, der Mann hätte es reizvoll gefunden, wenn ich mir einfach ein Käsebrot bestellt hätte.
(Elliott Erwitt, Personal Exposures,
noch bis zum 12. Juli in der Galerie Robert Morat, Hamburg.)

Montag, 15. Mai 2006
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
(Georg Heym, "Berlin III". 1910.)

Och nee, nicht der schon wieder. Doch, doch. Die dritte Station meiner kleinen Lesetournee führt mich also in die ewig heitere Stadt. Berlin, du dumpf brüllender Moloch, Heimstadt moribunder Menschen... Äh, ja.
(Sorry, got carried away.)
Die geschätzte Frau Modeste hat geladen und so ist es mir eine Freude, die Arbeit an den doppelköpfigen Kälbern kurz beiseite zu legen und in drei Wochen mit den Herren Burnster und Ole aus Absurdistan total wahre Geschichten, strammnüchterne Berichte sowie aus Beipackzetteln garantiert rezeptfreier Kräutermischungen zu lesen. Wie immer nehme ich auch die Beichte ab, kuriere Zahnleiden und schwindsüchtige Tiere und schwitze biblische Motive in mein T-Shirt. Spontane Seligsprechungen vor Ort nach Absprache. Um freundliche Anteilnahme wird gebeten, außer, Herr Burnster plant etwas anderes.
Wir sind bis dahin flitzegespannt.

Sonntag, 14. Mai 2006
You've got to have a dream
To just hold on.
(Pia Zadora, "When The Rain Begins To Fall")
In manchen Städten gilt es bekanntlich nur als gelungenes Wochenende, wenn man sich anschließend von der Neigungsgruppe Selbst&Gegenseitig ordentlich auf die Schulter klopfen kann (lies nach in meinem Erstlingsroman Manwatthamwerjelacht). Im stilleren Hamburg legt man sich notorisch lieber selbst an die Kette und wandert die Flohmärkte ab. Erst Höllenbrook, die extravagante Ramschrutsche. Hundehalsband nur ein Euro, womöglich lege ich mir ja mal einen wirklich treuen Gefährten zu, Beständigkeit ist schließlich hard to find. Ein dreibeiniger, einäugiger Kampfhund vielleicht. Einen, den keiner mehr will, wir verstehen uns blind, und sonst nehme ich es zum fotografieren. Deko. Ich kaufe immer nur Deko, das ist man klar.
Für 50 Cents, und damit unwiderstehlich, diese Kinderdruckerei. Ich könnte ja mal was publizieren, das soll Spaß machen und vielleicht Aufmerksamkeit bringen (Talking about me and my Aufmerksamkeitsdefizit). Wenn ich mal was mitzuteilen habe, unter Druck von tief unten. Leider, und damit kommen wir zum verlorenen Auge und den drei Beinen, fehlen schon ein paar Buchstaben. Ick firmesse Dükk als Liebes- und Kostennote ans Kopfkissen gepinnt, keine Ahnung, ob man damit Freunde gewinnt. Zum Muttertag gehen vielleicht auch andere Optionen.
Macht auch nichts, denn Sonntag gab es ja noch Hamburgs vielleicht schönsten Flohmarkt am Immenhof. Zwar nicht in Begleitung von Heidi Brühl, aber mindestens so attraktiv. Kurz überlegt, Texas Chainsaw Massacre in der Tobe-Hooper-Variante für einen Euro auf DVD, aber dann ließ ich mir lieber eindringlich von "The Hostel" erzählen, das reicht auf nüchternem Magen auch. Darauf lieber schnell etwas Kuchen selbstgebacken von den Lieben Händen der Gemeinde St. Gertrud am wonnigen Kuhmühlenteich (mein verstecktes Haus dort mußte ich zeigen, das kaufe ich eines Tages für meine sieben Kinder).
Dortselbst konnte man lauschen dem wunderbarsten Flohmarktgitarrenspieler der Hansestadt. Ein reiferer Herr mit schütteren Haaren saumseligen Schnitts klampft sich tapfer und mit verlorener Stimme durch die Klassiker der 60er, vage erkennt man die Beatles. Schrummschrummschrumm, immer auf einem Ton. "Hey Jude", nanananaa, und "Octopus's Garden" (Ah, der zärtliche Sex der Tintenfische!). Während er "Ruby Tuesday" von der Gegenpartei einstreut, erkläre ich gewichtig und weil ich mich gerne reden höre, das sei der verschollene fünfte Beatle. Der war damals schon in Hamburg dabei. Und dann, irgendwann 1961, als sie zurückfuhren nach London, hätten sie ihn beiseite genommen und mit treuherzigem Augenrollen "Werner" gesagt. "Werner" sagten JohnPaulGeorgeundPeteBestRingo, "wer hollen dick nak, sobald Kontrakt fertig." Werner - und jetzt wird es ein bißchen traurig, holt schon mal die Taschentücher raus - wartet noch heute. Treu und tonlos und immer ein wenig gegen den Rhythmus der schrammelnden Gitarre singt er die alten Songs, "Love me do", nur böse Zungen würden sagen leiernd, und wir spendeten im Schatten von St. Gertrud (dortselbst schon der Sl. Herr Mequito gesungen hat nämlich) auch ein bißchen Geld und Aufmerksamkeit (Geben und Nehmen!).
Anschließend fuhr ich in einem etwas betagterem Automobil, da muß ich sagen, wäre ich nicht auf Buckelvolvos abonniert, ich hätte eine Schwäche in meinem Herzen seismographieren können. Aber im nüchternen Hamburg blogt man darüber ja nich.

Samstag, 13. Mai 2006
I'm not aware of the passing of time
And I'd like to say to those who accuse me
Could you do it while you looked in my eye
(New Order, "Primitive Notion")

Endlich zeigt er sich, der fette rote Sack. Kein richtiger Blutmond, aber dreist und feist genug, die Hirne zu walken, die Gedanken zu blähen und tontöpferne Inspirationen zu zerschlagen. Genug Saft im aufgepumpten Beutel, um ordentlich "Prost" zu sagen und freundlich anzustoßen. Mancher hat für solche Himmelsbeobachtungen ja gar keine Zeit mehr, wenn man nur in rauchvergorenen Kaschemmen sitzt. Nicht jeder möchte in den Nächten auch wach sein, nicht wenn man sie zum Tage machen kann. Meine Nächte kennen lang schon keinen Tag. Rückwärts, seitwärts, Wechselschritt wird hier heimlich nur getanzt. Zum Schlafen nur das Eisenbett, zum Sitzen nur die Planke.
Zum Trinken nur brackiges Wasser, das ist hier kein Spaßverein. Zum Spielen nur Geziefer, dem kann ich getrost was husten. Man grüßt ja fast als alter Freund. Und in wortloser Stille sprechen die Handlungen bekanntlich doppelt so laut. It's been winter for a whole year. But you couldn't hurt me if you tried. (ebd.)

Freitag, 12. Mai 2006
Please come to me
With your cold flesh
My cold love
Hissing - not kissing
A happy go lucky chap
Always dressed in black
He’ll come to you, he’ll come to you
(Siouxsie and the Banshees, "Nightshift")
Über die Banshees habe ich immer viel zu wenig geschrieben. Ich rede - streng genommen - auch wenig über sie, und wenn dann nur in (meist nur für mich) bewegenden Momenten. 1980 kaufte ich mir "The Scream", es war meine erste selbstgekaufte Punkplatte. Wie aber Siouxsie mal sagte, Once a Banshee, always a Banshee, verlor ich die Band aus verschiedenen Gründen nicht aus den Augen. Erst führten sie mich gemeinsam mit The Cure in meine Goth-Phase, dann fingen sie mich auf, als ich The Cure ab Mitte der 80er ihren Stadionrockweg alleine gehen ließ. Die Banshees hatten einen unschätzbaren Vorteil: Kaum jemand nahm sie ernst. Schon gar nicht Blätter wie die Spex. Für die meisten war das die "unhörbare" Band mit dieser Sängerin, die mit ihrer Frisur und ihrem Make-Up als Proto-Goth galt. 1984 oder so sah ich sie in Bochum und geriet ein wenig heftiger in eine Meute britischer
BesatzungssoldatenAlllierter, die ihre Ellbogen in mich keilten, ihre Rotze dankenswerterweise aber nur Richtung Bühne schleuderten. Muß ich nicht haben, aber wenn man sonst keinen Kontakt bekommt? Tolle Zeit, aber.
Die Banshees haben alles überlebt. Robert Smith, der einst als ambitionierter Frontmann einer unbekannten Supportband den Banshees willig auf Tournee aushalf, unternahm später etwas verpennte Versuche, die Band kaputtzuspielen. Mitten in der Produktion von Hyena stieg er aus, um anschließend über die Presse mitzuteilen, wie "enttäuscht" er von dem Album wäre (den Kardinalfehler, seinen Beitrag, sah er lieber nicht). Aber da hatte er sozusagen noch einen gut.
"Was macht ihr mit euren Gitarristen?" wurde Siouxsie mal gefragt, und sie antwortete "Wir hängen sie an den Eiern auf". Ich fürchte, das ist wahr. Irgendwann gab ich das Zählen auf, gegen Ende wurden die Gitarristen auch immer farbloser - ein weiteres Problem der Band. Im Nachhinein finde auch ich, daß die Besetzung der ersten beiden Alben - trotz aller handwerklicher Mängel - die beste war, genuin Banshees. Das spätere Kerntrio, Budgie, Siouxsie, Severin, erreichte musikalisch ganz andere Dimensionen - aber selten noch die Wucht, Energie und schrille Dimension der frühen Alben.
Technische Expertise - ein weiteres Stichwort. Weshalb ich die Banshees liebe? Ganz einfach: Weil sie immer wieder scheiterten. Hoch hinauslangten und stets knapp vorbeischrammten. Und doch alles überlebten, immer neugierig blieben, Wagnisse eingingen, weitermachten...
Steven Severin betrieb lange Jahre die schrecklichste Webseite im Internetz - ein von ihm stolz selbstdesigntes augenkrebsförderndes Machwerk aus Pink- und Cyan-Tönen, wie eine CGA-Grafikkarte auf Extasy. Ich schrieb ihm mal eine Mail dazu und forderte Besserung, was er britisch höflich, aber unnachgiebig ausschlug. Nun hat er was Neues - und versteckt den Menüpunkt "News" irgendwo weit unten.
So sind sie: Immer gut gemeint, immer interessiert an Mode, Kunst und Diskursen - aber wie früher bei der genial-dilettantischen Arbeit an ihren Instrumenten, fehlten am Ende ein wenig die Mittel. Aber man muß wissen, anders als Robert Smith waren das Leute, die quasi ohne Schulabschluß loszogen, um bei den Konzerten der Sex Pistols abzuhängen, sich von irritierten Bürgern verdreschen und später jahrelang auf der Bühne anspucken zu lassen. Na, das hätte ich doch längst hingeschmissen! Aber ich habe ja auch Abitur, und deshalb kann aus mir nichts werden. In der Hinsicht.
Sieben Jahre schwiegen sie, sieben Jahre hieß es "Siouxsie and the Banshees 1976 - 1996 R.I.P." Aber 2002 gab es tatsächlich eine weitere Tour durch Japan, Nordamerika und Europa. Am 9. und 10. Juli spielten sie in London, wo auch das Konzert für die DVD gefilmt wurde. Dabei verzichteten sie weitgehend auf platte Hits zugunsten früher und verquerer Stücke. "Nightshift", zwar ziemlich nachlässig zersägt von Gitarrist Knox Chandler, aber immer noch ein Stück, das "Tomorrow Never Knows" von den Beatles als harmloses Psychedelic-Frühstück klingen läßt. Apropos Beatles: "Helter Skelter" haben sie schon gecovert und natürlich "Dear Prudence" ihren größten Hit in England. Aber auf so einer Sentimental Journey von Tournee ausgerechnet das eh schon schwer genießbare "Blue Jay Way" als Zugabe zu bringen, zeugt schon von einer Menge Witz - und Verstand. "Icon" kommt mit derbem Patzer, aber he, immerhin, "Monitor" war wohl für MTV geplant, so viele Schnitte, Zooms und Schwenks tauchen da urplötzlich auf, "Metal Postcard" mit ausufernder Ansage von Siouxsie auf Deutsch... überhaupt Siouxsie. "Die heirate ich auch mal", brabbelte ich einst in jungen Jahren, bis ich etwas klarer denken konnte. Was soll ich sagen? Es ist noch mal gut gegangen für Susan Janet Dallion und mich. Jetzt ist sie auch schon 37 oder so und nicht mehr ganz bei der Stimme, mit der sie früher Glas zum Zerspringen bringen und Bäume von Krähen befreien konnte. Aber müßte ich heutzutage Singen... ach, süßer Vogel Jugend, lassen wir das.
Ja, der Konzertmitschnitt legt alle möglichen Stolperer und Schnitzer bloß und noch viel mehr großartiger Momente, kurzer Andeutungen, was je und immer möglich (gewesen) wäre, hätten sie und wir unsere Jugend irgendwie zielgerichteter in nur eine Ecke getreten, geboxt, getrieben - und die ein oder andere Flasche dabei links liegen gelassen (Von Mäusen, Menschen und Alkohol). Und wenn am Ende dann alle verschwitzt und verschmitzt auf der Bühne stehen... dann kann ich ein Stück weit immer auch mich selber sehen: Bruised, battered, ever tried, ever failed.
Aufgestanden, weitergemacht.
Und um es mal nicht so pathetisch ausklingen zu lassen, da hat ja auch keiner mehr Bock drauf: Zur allerletzten Zugabe holen sie das japanische Mädchen-Trio Exgirl auf die Bühne - in quietschbunten Froschkostümen - um gemeinsam "Peek-A-Boo" anzustimmen. Können diese Menschen schlecht sein?

Donnerstag, 11. Mai 2006
Ich war als Kind schon Beatles-Fan.
