Donnerstag, 11. November 2004
So weit ist es schon gekommen. Heute mußte ich mich von Norddeutschen daran erinnern lassen, daß der Hoppeditz erwacht ist. Seit 11 Uhr 11 läßt er seine Glöckchen klingeln, genauer gesagt.
Wo ist jetzt diese rote Kugel... für die Nase. Ach, wo soll das hinführen?
Mittwoch, 10. November 2004
Bei SPON laufen die Tasten wieder heiß: Draußen zuckten Blitze, Donner rollte. Man sieht sie förmlich vor sich, diese argentinischen Blitze, die feurige Leidenschaft, die entfesselte Eifersucht, die zitternden Schnurrbärte.
Doch die "Geschichte hinter der Meldung", die da ausgedacht äh recherchiert knallhart recherchiert wurde, stimmt natürlich so nicht.
Denn fehlen da nicht die heimtückischen, gefährlichen Rasiermesser, die im Schein zuckender Blitze plötzlich aus argentinischen Hosengürteln schnappen? Wo ist der uralte Bandoneonspieler, der seinem Instrument unter dem Schein der windschiefen Laterne vor einer alter Spelunke melancholisch-seufzende Töne entlockte, während drinnen in der einsam gelegenen Villa das Unaus- sprechliche geschah? Und überhaupt, lieber Spiegel, wo bleiben die Details? Zwanzig Minuten, "verschiedene Positionen" - das kann doch nicht alles sein, was uns ein seriöses Nachrichtenmagazin anbieten kann! Kein Wort über die Wäsche, bestimmt so zerrissen wie die Blitze am südamerikanischen Nachthimmel!
Rosita Caramba!
Dienstag, 9. November 2004
Vor 15 Jahren fiel also diese Mauer. Der Kid damals: "Interessiert mich nicht, ich hab' meine eigenen Probleme." Die hat er nun immer noch. Aber bald wird es wohl auch denen an den Kragen gehen. Wie lange werden wir uns eigene Probleme noch leisten können?
Der Westen solle sich in seinen Lebens- und Arbeitsbedingungen endlich dem Osten anpassen. So hört man in der Debatte um Arbeitszeiten und Abbau von Arbeitnehmerrechten nun immer häufiger von (Ost-)Politikern.
Vom Osten lernen also.
Schauen wir in die Geschichte zurück:
"Mehr arbeiten und den Gürtel enger schnallen? Die Arbeiter fühlen sich ausgebeutet." (Zur Stimmung am Vorabend des Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Aus der Dokumentation "Damals in der DDR", ARD.)
PS: Und ausgerechnet Udo L., der Ledermann mit seiner Vorliebe für Mädchen aus Ostberlin, singt das Titellied. Ich muß brechen.
Montag, 8. November 2004
Auch das noch: Während in Deutschland führende Experten mit der Diskussion über die "50 Stunden Woche" und "Urlaubszeitabbau" die Binnennachfrage in rasante Höhen treiben, droht bereits die nächste globale Krise:
JETZT WIRD AUCH NOCH SCHOKOLADE TEURER!
Zuneigungssurrogate und Liebeskummer-Sedative könnten in nächster, d.h. in der dunkleren Jahreszeit unerschwinglich werden! Gut unterrichtete Schwarzmarktanalysten raten, bereits jetzt Schokolade zu kaufen!
(Zum Glück ist mein Keller voll mit Nylonstrümpfen, Zigaretten und Schokolade. Harte Währung für kommende Zeiten nach dem Crash.)
Sonntag, 7. November 2004
Die Menschen können nicht stillsitzen und über ihr Schicksal in dieser Welt nachdenken, ohne verrückt zu werden. Deshalb erfinden sie Methoden, um sich von dieser Horrorvision abzulenken. Sie arbeiten. Sie genießen ihre Freizeit. Sie häufen jenes aberwitzige Nichts an, das sie "Eigentum" nennen. Sie streben nach jenem schüchternen Augenaufschlag, den sie "Ruhm" nennen. Sie gründen Familien und dehnen ihren Fluch auf andere Menschen aus. Und die ganze Zeit über ist es ihr dringendstes Bedürfnis, sich selbst zu verlieren, sich zu vergessen, der Tragikomödie, die sie selbst sind, zu entrinnen.
(H. L. Mencken, 1926.)
Samstag, 6. November 2004
Dying young is overrated.
via Gaping Void
Freitag, 5. November 2004
A heaven, a gateway, a hope
Just like a feeling inside, it’s no joke
And though it hurts me to treat you this way
Betrayed by words, I’d never heard, too hard to say
Up, down, turn around
Please don’t let me hit the ground
Tonight I think I’ll walk alone
I’ll find my soul as I go home
Manchmal in der Trümmerstimmung von Diskotheken um vier oder fünf Uhr morgens, zwischen letzten Liedern und dem ersten grellen Neonlicht, das sich über zersplittertes Glas, verlorene Feuerzeuge, vergessene Menschen und Unterwäsche ergießt, spürt man eines besonders deutlich: Es gibt keinen Platz, an den man gehen könnte. Mißmutige Kellner fegen den Unrat auf der Tanzfläche zusammen, vor der Garderobe bilden sich Schlangen, erschöpfte, schrille und weinerliche Stimmen mischen sich untereinander.
"Es war doch eben noch da!" kreischt die eine und sucht ihr Portemonnaie.
"Er war doch eben noch da!" heult eine andere und sucht ihren Freund.
Kleine Katastrophen, gestohlene Mäntel, nackt schleicht man hinaus in die kühle Nachtluft. Dort steht die Sehnsucht und blickt einen an. Nicht höhnisch, wie ihr Bruder, der Spott. Nicht kläglich, wie ihr unreiner Wechselbalg, das Selbstmitleid. Nur fragend, zögernd.
Oh, you’ve got green eyes
Oh, you’ve got blue eyes
Oh, you’ve got grey eyes
I’ve never seen anyone quite like you before
No, I’ve never met anyone quite like you before
Man nimmt sich vor, daß dies das letzte Mal sein würde. Das letzte Mal zwischen Demütigung und einsamen Wegen durch die Nacht. Das letzte Mal, das man auf der Brücke stehen würde, den Wind gefangen in der Jacke, die man mühsam um den zitternden Körper geschlungen hält. Das letzte Mal, das man auf die Züge wartet, die unter der Brücke hindurchfahren. Das letzte Mal, das man hofft, sie brächten einen hinaus aus der Stadt. Hinaus aus diesem Leben. Hinaus in ein anderes Land.
People in this world, we have no place to go
Oh, it’s the last time
(New Order, "Temptation")
An der Tankstelle gibt es Bier und ein paar Menschen noch. Ein übermüdeter Mann füllt draußen Benzin nach. Auf der Karte an der Wand erkenne ich den Weg zu meiner Wohnung. Etwas, das sich "Zuhause" nennt. Kein Heim.
Dort sind die Fenster alle geschlossen. Wenn ich dahinter winke, wird es niemand sehen. Ein letztes Mal. Nie habe ich jemanden getroffen so wie dich.