Donnerstag, 8. Januar 2004


Quest for Kitsch

Reise ins Herz des schlechten Geschmacks

"Admitting that you like stuff that isn't intellectual doesn't make you vulnerable; it makes you courageuos. Especially if you only have friends who "love" conceptual art and "serious" literature/film." (Ninette Murk, Quest No. 11)

Qvest. Eine Reise ins Wunderland des Kitsches. Bambikitsch. Coolkitsch. Pornokitsch. Schwulettenkitsch. Kunstkitsch. Laura Kikauka erklärt ihre Wohnung. Billy & Hells bescheren uns sexy Retro-Weihnachten. Selten wurde schlechter Geschmack so elegant in Szene gesetzt. Abfall, Müll, das B-Seitige des Lebens. Des Konsumentenlebens, natürlich. Ein Stilstakkato aus obskuren Haarschnitten, gewagten Farbkombinationen und längst begraben geglaubten Lebenshaltungen. Der Höhe- punkt: Die Rückbesinnung auf - nein bitte! - David Hamilton. Man ahnte es schon, beim Blättern durch die Modemagazine in den letzten Monaten. Der Mann kehrt zurück. Die angehauchte Linse. Die Cousine im weißen Tüll. Dabei ist das eigentlich nicht zum Lachen. Genausowenig wie Rob Zombies "House of 1000 Corpses" ein Schenkelklopfer ist für Horrorzeloten. Dieser Film ist auch Kitsch. Ausstattungskitsch in erster Linie. Dann aber auch, weil er hinabsteigt in eine plumpe Retrohaltung. Und die böse Seite der 70er Jahre wieder aufleben lässt. Eigentlich konsequent, angesichts des ganzen 70er-Jahre-Easy-listening Lounge-Schicks. Wer "Schulmädchenreport" sagt, muss auch Terrorfilm sagen. Kitsch ist auch ein Kettensägenmassaker.

Liberace ist Punk. Wahrscheinlich wird "1000 Corpses" deshalb auch falsch verstanden. Weil er hohl, häßlich und abstoßend wie eine Kuckucksuhr daherkommt. Wer sich "1000 Corpses" aus reiner Geltungssucht dem Internet eselt, hängt sich wahrscheinlich auch ein Hirschgeweih ins Zimmer. Ohne ironische Distanz wohlgemerkt oder eben ästhetische Verfremdung.
Wer Augen hat, sollte einmal die Wohung von Laura Kikauka mit der Ausstattungsorgie und dem Setdesign von "1000 Corpses" vergleichen. Wir sind im Terror-Reign of Kitsch gelandet.

Und es ist wirklich toll. Weil es ein beunruhigendes Gefühl ist. Weil es uns verwirrt. Und provoziert. Weil es sich nicht gehört. Weil es sich unverschämterweise noch einen Spaß erlaubt. Aber Obacht vor denen, die ihre Gartenzwerge gleich neben der Kopie von "1000 Corpses" plaziert haben.
Die gruseligste Alice marschierte in den 70er-Jahren durchs Wunderland. Also folgen wir dem weißen Kaninchen. Bis nach Kutná Hora zum Beispiel. Eine Queste ins Herz der rosafarbenen Plüschfinsternis. Oder blutrünstigen Gegengewalt. Terror-Schick. Rote-Prada-Fraktion. Das ist sozusagen die Ironisierung des Polit-Kitsches. Das Che-Poster auf dem Klo.

Es erfordert Mut, diese Reise zu wagen, und noch mehr, sie zu bestehen. Wer noch nicht da war, geht dorthin. Wer es schon kannte, kehrt wieder dorthin.
Und das schlimme ist: Es gibt keinen Weg zurück.

Für manche ist auch das Kitsch. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Brassai noch bis zum 28. März 2004. Und sonst im Verlag Christian Brandstätter. Wer beliebt ist, läßt es sich schenken.

Ex Libris | von kid37 um 22:34h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Wertschätzung

Eigentlich ist mir Neid weitestgehend fremd (ein paar andere Charakterdefizite nicht). Aber als ich das hier sah, keimte in mir doch so etwas wie Scheelsucht auf. Kann man übrigens auch als Aufforderung verstehen. Frau auch.

Zwillingsforschung | von kid37 um 22:24h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 8. Januar 2004


Three is a Crowd

Lässig haben wir mitgewippt zu Stereo Totals "Isch liebe Liebe zu dritt". Aber hier gibt es die böse Wahrheit zu lesen. Wieder mal mehr Schein als Sein. Grüneres Gras als auf dem eigenen Rasen, süßere Kirschen, weil sie auf der anderen Seite des Zauns hängen. Für dezidierte Zwillingsforscher ist es doppelt hart. Noch schlimmer: Ich besitze nur zwei Stühle. Aber keine Häme jetzt. Es ist im Grunde sehr deprimierend.

Und weil das Thema droht ins langweilig Graue abzudriften, bringe ich hier ein wenig Farbe ins Spiel. Alesha Fiandaca macht skurille Sachen und treibt es zudem gern ein wenig bunt. Und das wiederum kann ja auch ganz schön sein.


 



Das Einfache

Es sind die simplen Geschichten, die einem nahe gehen. Eine ästhetische Strategie, die z.B. New Order seit Jahrzehnten mit großem Erfolg anwenden. Keine großen Begriffe. Schlichte Sätze. Einfache Worte. Der Stil der Lost Generation: Es war gut, so wie es war. Und wie es war, war es gut. Und Nick sah, das es gut war. So wie es war, am Ende des Tages, als sich die letzten Strahlen der Sonne über den Fluß legten. Im letzten Licht der Sonne sammelten sich die Forellen im Wasser. Und Nick sah die Forellen. Und er sah, des es gut war. - Öh, oder so ähnlich. Eine der unzähligen Stehgreifparodien auf den Stil eines berühmten Autoren dieser Zeit, der später auch wußte, wie man ein Gewehr zu laden hat. Und der den kalten, glatten Lauf spürte und wußte, das es gut war.
Denn das Metall war kühl und glatt und ehrlich.

Äh, wo war ich?

Also. Der Mann aus Wichita arbeitet für das Elektrizitätsunternehmen. Und er fährt tagelang durch die endlose Einöde von Wichita und kontrolliert die Überlandleitungen. Um ihn herum ist nichts, nur die Landschaft, die Leitungen und die endlose Landschaft. Aber er kann ihre Stimme hören, wenn die Leitungen singen. Wenn die Hochspannungsspulen summen. Und er begehrt sie. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer. Aber nach Hause kann er nicht fahren. Denn bei dem sonnigen Wetter muss er die Leitungen kontrollieren. Nach Regen sieht es nicht aus. Und wenn es schneit, ist es noch schlimmer. Die Last des Schnees halten die Leitungen nicht aus. Er braucht sie mehr als er sie begehrt, und dabei begehrt er sie für immer - aber, tja, dieser Elektriker in Wichita ist halt im Aussendienst.

Aber dann man sich besser anhören. Ich glaube, ich muss jetzt ins Bett.

Radau | von kid37 um 03:39h | 3 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 6. Januar 2004


Ein Mann im Schnee

Heute nacht bin ich um drei Uhr aufgestanden. Das Wasser vor meinem Haus war zugefroren, überall lag Schnee. Es war sehr still in meinem Haus.
Es ist viele Jahre her, und ich war Weihnachten "im Tal". Frl. Sylvia saß im Katzengold, ganz allein. Ich erinnere sie an "Geschwister Tanner", sagte sie. Sie sagte, sie verbringe ruhige Weihnachten und erzählte mir von Robert Walser. Am 25. Dezember unternahm er einen Spaziergang allein in den Wald. Und legte sich zum Sterben nieder. Und starb.

Es war der 25. Dezember, und ich habe Frl. Sylvia nur einmal wiedergesehen. Sie habe meine Telefonnummer, sagte Sie. Ich sagte, das sei gut.
Sie hat nie angerufen.


:: Remember: If you go to the woods today, you'll find that I am not there ::

Zwillingsforschung | von kid37 um 00:59h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 4. Januar 2004


I focus on the pain...

... the only thing that's real. (Johnny Cash, Hurt)

Johnny Cash - HurtAuf der sehr empfehlenswerten Seite von Mark Romanek kann man übrigens das ergreifende Video zum noch ergreifenderen Song "Hurt" von Johnny Cash anschauen.

Und wer das jetzt nicht ergreifend findet, der sollte morgen früh ganz dringend als allererstes in der Stadt eines dieser Pulsmeßgeräte kaufen. Möglicherweise ist was mit der Pumpe nicht in Ordnung.

"How well I have learned that there is no fence to sit on between heaven and hell. There is a deep, wide gulf, a chasm, and in that chasm is no place for any man."
- Johnny Cash

Mehr Pathos hier

Radau | von kid37 um 18:53h | 9 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Memento Mori

Wir füllen unsere Vitrinen mit den Knochen von Cary Grant. Wir füllen unsere Herzen mit den toten Bildern vergangener Tage. Wir wandern ruhelos, allesamt mondsüchtige Nachtgestalten im Lichte fahler Laternen. Unsere abgetrennte Hälfte aber bleibt verschollen, unauffindbar wie ein Fisch im endlosen Ozean. Wir sind so häßlich, bitte mach uns schön. Dieses Bild hat, so geht eine durch Indizien gestärkte Vermutung, etwas mit Liebe zu tun. Deshalb rührt es mich. Ich stieß durch einen Link im Institut Drahomira auf dieses kleine Kunstwerk. Das Institut ist aus verschiedenen Gründen empfehlenswert. Besonders aber für den, der auch ein Freund der Pflanzen ist und gern manche verbotene Blume pflückt. Ein solcher Mensch aber wird sich hier wohlfühlen. Wer aber sein Herz verhärtet hat und nur den Blumen des Bösen geöffnet hält, der sollte indes ganz unbedingt seine Augen in diese düstere Höhle richten. Auch hier mag ich mich heimisch fühlen.

Flanieren | von kid37 um 02:12h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 4. Januar 2004


TMAX 100

Grandios, das erste Shooting in diesem Jahr. Zwei sehr nette und patente Damen. Beim Öffnen der Prosecco-Flasche brach mein Flaschenöffner von IKEA auseinander - man stelle sich das vor! Aber eine der beiden organisierte lässig ihr Schweizer Messer. Das lobe ich mir. Aber dieses schwedische Möbelhaus... am besten, ich frag mal wie das ist mit der zweijährigen Gewährleistung.
Wenn ich mir die Reihe unentwickelter Filme anschaue, habe ich aber wohl besseres zu tun als zu IKEA zu fahren.
Und nun? Fahr ich noch ins Molotow oder schlafe ich mich endlich mal aus?

Homestory | von kid37 um 00:15h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 3. Januar 2004


Arsenik

Diesen Mann muß ich sofort konsultieren. Ob er auch 10 Euro Praxisgebühr verlangt oder entfällt diese Gebühr bei Fernheilung?

"Neuvitalisierung, Kur durch moralisches Serum:
Luc Taon, Wilsonstraße 8, Bordeaux
Professor der okkulten Wissenschaften.
Psychotherapie durch Magnetismus, Radioaktives Fluidum, Neubelebung durch Hypnose, Suggestion, Naturismus. Steigerung natürlicher Abwehrmitteln durch Sympsychie.
Heilung aller Ängste: Platzangst, Angst vor Nacht, Angst vor Mikroben und dem Altern, Phobien, Veitstanz, Zwangszustände, Verfolgungswahn, Manien, fixe Ideen, Passionen, sexuelle Perversionen, Impotenz, etc. werden durch mein persönliches Fluidum geheilt. Auswärts wohnende Personen durch Fernwirkung mittels radioaktiver Ausstrahlung."

(aus: Claire Goll. Arsenik oder Jedes Opfer tötet seinen Mörder, 1933.)

Ex Libris | von kid37 um 00:36h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



I'm Alive

2004 - here we are now... Um dem ganzen suizidalen Mist zu entgehen, floh ich dann doch nach Berlin. Grandiose Altbauwohnungen am Prenzlauer Berg lockten, liebe Menschen und leckeres Essen. Schon die Fahrt von Hamburg in die Hauptstadt, in die Dunkelheit hinein, war wie eine Befreiung. Dennoch umfing mich gleichzeitig auch Melancholie, als ich in Berlin ausstieg und die ersten Raketen in Grün und Rot am Himmel zerstieben sah. Auf der U-Bahn-Station randalierten schon Betrunkene, zündeten polnische Megakracher und Lichtfontänen. Ein echter Tearjerker für mich. Erinnerungen an geflüsterte Versprechen. Erinnerungen an das letzte Jahr. Erinnerungen an das letzte Silvester.

"I still have visions of you/I still have nights to get through"

Eine Umgebung aus halbfremden Menschen hat den Vorteil, daß man gewissen sozialen Zwängen ausgesetzt ist. Man muß sich zusammenreißen. Niemand interessiert sich für die emotionalen Petitessen anderer Leute. Zumal ich der "odd man out" war, derjenige, der in diesem eingeschworenen Kreis der Neuzugang war. Und sich erst einmal die Sporen verdienen mußte. Gelegenheit dazu gab es beim "Lexikonspiel", einer gehobeneren Variante von Stadt-Land-Fluß. Oh, was waren wir kreativ und lustig! Und ich lernte "Kümmernis" kennen: Auch als Hl. Hulpe und Wilgefortis bekannt. Eine Heilige ohne Kirche, die oft als gekreuzigte Jungfrau mit Dornenkrone und Bart (der wuchs ihr, um ihre Jungfräulichkeit zu schützen) dargestellt wurde. Man stelle sich vor! Und mit nur einem goldenen Schuh. Ist das nicht ergreifend?

Dazu ein leckeres Essen. Ein echtes Menü. 15 Vorspeisen. Entschuldigung: Antipasti. Als Hauptgang: Lamm. Oh, Agnus dei! ("The pillow smothered my cry") Als Nachtisch Tiramisu. Alles sehr lecker. Natürlich konnte das Tiramisu nicht an das Geheimrezept einer alten Freundin... gut, aber egal.

Das Feuerwerk über dem Prenzlauer Berg? Ja war ok, nicht wirklich berauschend. Aber wie man gleichzeitig live im TV sehen konnte, wurde das Pulver wohl hauptsächlich am Brandenburger Tor verschossen. Wir hatten Wunderkerzen. Und wünschten uns ein Wunder. Und wünschten uns, die Zeit zurückdrehen zu können. Wunderkerzen sind das Sentimentalste, was es gibt. Gegenüber die Menschen hatten auch Wunderkerzen. "Sieh, so sahen wir auch aus." An diesem Abend wollte niemand sterben.

"But I'm alive/I survived you."

Dann war das 23-er Jahr endgültig zu Ende. Brenne, 2003, hier kommt 2004. Ein Gewährsmann erklärte mir, daß 2004 sich in eine 33 auflösen lasse. Eine Glückszahl. Darauf wurde Blei gegossen. Ich hatte wieder einmal etwas extraterrestrisches. Oder obszönes. Ich einigte mich auf eine Vase und einen Zweig. Ich werde mich verlieben und alles wird von Erfolg gekrönt. Das möchte ich mich dann Anfang 2005 noch einmal fragen lassen. 2003 habe ich mehrere für mich wichtige Menschen verloren. Nicht immer lagen die Gründe auf der Hand. Es war ein schmerzhafter Prozeß. Aber nun soll alles neu beginnen. Ich möchte zurück ins Rheinland. London Rain hat sich nicht gemeldet. Andere feierten wohl lieber mit Klapperschlangen. Aber ich, ich habe Glück gehabt. Und kann es doch nicht festhalten. Am nächsten Morgen holte ich Brötchen im Café unten im Haus. Die Bedienung strahlte mich an. Oben warteten warme, verschlafene Gesichter in Schlafanzügen. 2004, here you come.

"And the bitter taste, the years I wasted/All the hate is gone"

Berlin. Es war bitter kalt. Die frostige Luft schnitt durch mein Gesicht. Und durch mein Herz. Berlin. Ich stand am Potsdamer Platz und wußte, ich verstehe dich nicht, Berlin.

"Ride on and fade away/There's nothing more to say"

[Zitate: Heather Nova, I'm Alive]

Homestory | von kid37 um 01:07h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 31. Dezember 2003


Die letzte Schöne des Südens

Oh, ich hab's verbockt:

"Was immer an Reife des Fühlens sich in ihrem Ausdruck ansammeln mochte, wurde von schierer Albernheit zugedeckt, sobald sie mit der Feder zum Schreiben ansetzte. Da war viel die Rede von "deinem Gefühl für mich" und "meinem Gefühl für dich", und Sätze begannen mit "Ja, ich weiß, daß ich sentimental bin" oder noch plumper [...], und dann unweigerlich viel Zitieren aus gerade populären Schlagertexten, als drückten diese die Gemütsverfassung der Briefschreiberin besser aus als eigene sprachliche Klimmzüge."
(F. Scott Fitzgerald, Erste Leidenschaft)

Na gut. Ich erkenne mein Versagen. Ich war schon immer sentimental.
(... "the emptiest of feelings" Radiohead, Let Down).

Ex Libris | von kid37 um 02:08h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



I'm alive I'm a mess

Ok, mich hielten schon viele für etwas weich in der Birne. Auf dem Weg nach 2004 geht dies noch raus an eine spezielle Person (he, werden wir jetzt hier persönlich?).

So keep me in your bed all day
Nothing heals me like you do
And when somebody knows you well
Well there's no comfort like that
And when somebody needs you
Well there's no drug like that

Wobei ich es nicht so gut sagen, wie es Heather Nova singen kann.

Radau | von kid37 um 01:16h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link