
Dienstag, 30. Dezember 2003
Aus dem Petra-Jahreshoroskop 2004: "Venus holt die größte Schwäche ihrer Beziehung ans Licht: Ihre Kontrollsucht. Kaum geht ihr Liebster mal aus, schon schrillen bei Ihnen alle Alarmglocken. Jeder Millimeter Spielraum, den er sich nimmt, wird mit Tränen und Szenen bestraft: Sie lassen nichts unversucht, ihn in den Fängen zu halten. Und er? Macht sich rar."
Genau deshalb bin ich schon rar.
"Mother, I tried, please believe me/I'm doing the best that I can/I'm ashamed of the things I've been put through/I'm ashamed of the person I am"
(Joy Division, Isolation)

Montag, 29. Dezember 2003
Das Thema ist ja nun wirklich durch. Deshalb wollte ich eigentlich überhaupt nicht mehr hin. Aber da es nun so was von durch ist - konnte ich ja auch mal hingehen. Liebenswerterweise war mir der Katalog zur Ausstellung "Körperwelten" schon 1997 aus Mannheim mitgebracht worden. Man war also präpariert. Ausserdem habe ich während meines Studiums eine zeitlang in der Pathologie gearbeitet. Man war also doppelt präpariert.
Etliche Raucherlungen später dann die dumpfe Erkenntnis: Och jo, ein büschen öde ist das dann doch. Das dritte Plastinat bringt nur noch den reichlich durch die Ausstellung dozierenden Medizinstudenten frivole Erkenntnis, dem interessierten Laien aber ist bald Pankreas, Nierchen und Herzeleid ganz einerlei. Zudem - und jahreszeitlich induziert - mag der kritische Blick von der lautstark gepriesenen Filigranarbeit nicht viel erblicken. Manche Rippenbögen erinnern an nachlässig abgenagte Gänseviertel vom Weihnachtsdiner. Überall noch leicht schmuddelig wirkende Reste. Aber filigran ist relativ, und wahrscheinlich ist das, was dieser Beuys der Knochenschnitzer mit seiner patentierten Technik hinbekommt, schon mehr als sich das Medizinerherz jahrhundertelang erträumen konnte. Geschenkt. Diese Ausstellung erzeugt auch keine moralischen oder ethischen Probleme. Hier wird auch nicht die Würde von Lebenden oder Toten verletzt. Diese Austellung bietet ein rein ästhetisches Problem.
Lieber Gunther von Hagens: Einem an die 20.000 Marks teurem Ganzkörper-Gestalt-Plastinat wie dem "Schachspieler" stellt man doch kein billiges Reiseschach im Aufklappkistchen vor die Finger, was bei Kaufstadt 19,95 gekostet hat! Das ist total lieblos und UNÄSTHETISCH! Da kann man doch wohl mal 'nen Tausender locker machen für ein edles, schönes, wirklich künstlerisches Schachspiel, das dem tödlichen Ernst des Spielers und der Würde des Spenders angemessen wäre.
Noch schlimmer: Dieser Memento-Mori-Mann mit der Eieruhr in der Hand. Mich hätte fast der ästhetische Schlag getroffen. Da drückt man einem Ganzkörper-Plastinat, in das so viel Mühe und Kunststoff geflossen sind, völlig lieblos ein dermaßen unedles und kitschiges Pseudo-Antikteil in die Gummifinger! Unglaublich. Eine potthäßliche, künstlich auf "alt" getrimmte Sanduhr aus dem Fantasy-Rollenspiel-Bedarfsladen für 5, 75 Euro. Oder von einem dieser Mittelalter-Märkte, auf denen man auch "echte" Langschwerter für den Hausgebrauch kaufen und Pseudo-Met aus Tierhörnern trinken kann. Das sieht ja aus wie im Zimmer eines 16-jährigen Cradle-of-Filth-Fans! Man ist pikiert.
Meinen Aufnahmeantrag als Körperspender habe ich noch an Ort und Stelle zerrissen. Hier wird meine ästhetische Würde empfindlich gestört.
Aber die Lunge, die sich anfühlte wie ein Wutball, die war schön. DAS wäre mal eine Idee für diesen gleichfalls aufs obszönste verkitschten Museumsshop.

Das muss mal ehrlich gesagt werden: Viele, die sagen "Ich bin halt immer ehrlich", sind einfach nur rüpelhaft, unverfroren und schlecht erzogen. Sie leben nach dem Freunde-des-Fisherman-Motto: Bin ich zu hart, bist du zu schwach.

Samstag, 27. Dezember 2003
Offiziell ist Weihnachten seit zwei Stunden vorüber. Ich schlage drei Kreuze - und kann dennoch nicht schlafen. Dabei wurde ich heute nachmittag mit selbstgebackenem Kuchen überrascht. Sehr lecker. Leider habe ich den Eindruck, die mir entgegengebrachte Aufmerksamkeit zur Zeit nicht adäquat zurückgeben zu können. In meinem Kopf und meinem Herzen finden Aufräumarbeiten statt.
Vorsicht: Der Volksglaube sagt, keine schmutzige Wäsche zwischen den Jahren waschen. Sonst kommt man das ganze neue Jahr aus der Arbeit nicht mehr heraus.
Am Abend habe ich mich telefonisch analysieren lassen. Nicht immer angenehm, aber hilfreich. ("Got to find a therapy/treatment takes too long" Joy Division, 24 Hours) Die Wirkung wird aber wohl nicht lange vorhalten. Mein Jahreshoroskop verheißt mir Gutes, allen anderen Sternzeichen aber auch. Dann wird eben alles gut, und alle sind glücklich.

Donnerstag, 25. Dezember 2003
So, gerade mal den Weg zum Hauptbahnhof gewagt. Noch eine Geburtstagskarte für meinen Bruder eingeworfen und durch die etwas pompös benannte "Wandelhalle" geschlendert. Die Leute sind schon merklich aggressiv, dabei ist heute erst (schon?) der erste Feiertag. Unausgeglichene Kinder randalierten bereits in der U-Bahn, erwachsene Männer bekamen beim Bäcker eine Krise, weil sie kein "normales" Brötchen bekamen. Es ist allerdings auch ein Kreuz mit diesen 4-Korn-, 5-Korn-, 6-Korn-, Weltmeisterbrötchen. Der Mann hat recht: Es gibt keine einfachen Dinge mehr. Es ist alles kompliziert! Beispiel: Tarife fürs Mobiltelefonieren.
Dafür gibt es jetzt Zeitschriften, die sich schlicht "Deutsch" nennen und Texte in eben dieser Sprache beherbergen. Ich hab das Teil zuallererst wegen der Fotostrecke von Ellen von Unwerth gekauft. Nein, den Ausschlag gab ein Artikel über Tabea Blumenschein, von der ich seit Jahren nichts mehr gehört, über die ich mich neulich aber erst mit meiner Kollegin unterhalten habe. (Einige werden sich erinnern: Tödliche Doris et al.) Gäbe es nicht die komplizierten Probleme in meinem Leben - ich könnte so glücklich sein.
Mit den einfachen Dingen.

So you never knew love
Until you crossed the line of grace
And you never felt wanted
'Til you had someone slap your face
So you never felt alive
Until you'd almost wasted away
(U2 "Please")

Und - alle geheult bei "Ist das Leben nicht schön?"
Nicht? Macht doch mal, ihr Hartherzigen!

Mittwoch, 24. Dezember 2003
Nach sieben Jahren bleibe ich das erste Mal Weihnachten bei mir zu hause. Sonst bin ich ja immer nach Wuppertal gefahren, aber seit Frl. Sylvia dort keinen Cappuccino mehr serviert und man mit zusehends unmotivierter werdenden Anlernkräften vorlieb nehmen muss, ist der halbe Spaß ja schon weg.
Dieses Jahr hätte ich Heiligabend mit "Die Bahn" fahren müssen. Och nö.
Dann lieber ausschlafen, wenn auch ohne Weihnachtsengel. Immerhin kam ein Paket. Und ein wenig Werbung war auch im Briefkasten. Wie nett.
Jetzt endlich mal Pippi Langstrumpf gucken. An den Spunk habe ich schon gar nicht mehr gedacht.
Im Deutschlandfunk läuft über die Feiertage die zehnstündige Hörspielfassung von Moby Dick. Was verlangt man eigentlich mehr.

Zu wenig Leute haben den Mut, vollkommenen Blödsinn zu sagen. Häufig wiederholter Blödsinn wird integrierendes Moment unseres Denkens; bei einer gewissen Stufe der Intelligenz interessiert man sich für das Korrekte, Vernünftige gar nicht mehr.
(Carl Einstein. Bebuquin. 1917.)
