Sonntag, 14. Mai 2023


Seltsame Vergnügen: Das gefährliche Spiel mit den Blitzen


Experimentierfreudige viktorianische Dame mit ihrem Drachen bei einem Gewitter


Der Versuch, Blitze mit Hilfe von Flug- und Lenkdrachen einzufangen und ihre elektrische Natur zu bestimmen, geht auf Benjamin Franklins berühmten Vorschlag eines „Drachenexperiments“ zurück. 1752 führte der Franzose Thomas-François Dalibard auf einem Feld im nordfranzösischen Marly-la-Ville einen solchen Versuch mit Hilfe von metallischen Stäben durch. Bei einem ähnlichen Versuch wurde der deutsche Physiker Georg Wilhelm Richmann 1753 in St. Petersburg von einem Blitz erschlagen. Wir lernen daraus: Bitte nicht nachmachen!




Viktorianische Damen bei verschiedenen Blitzabenteuern. Neben Drachen waren auch feste Stangen genügender Länge sehr populär

Diese Warnung kümmerte allerdings nicht die generell allerlei Exzentrizitäten gegenüber aufgeschlossenen Viktorianer im 19. Jahrhundert. Es war die Zeit, als Elektrizität fassbar wurde und in den großen Städten nach und nach das Licht in die Häuser brachte. In dieser an Eigentümlichkeiten nicht armen Zeit entstand so ein weiteres eigentümliches Hobby. Insbesondere die vom Alltagsleben gelangweilten Damen des aufstrebendes Bürgertums waren fasziniert davon, heimlich (oder auch ganz offen) im eigenen Garten oder großen Parks „einen Drachen steigen zu lassen“ (wie es verschwörerisch hieß und später auch in anderen restriktiven Systemen wie der DDR als Begriff geläufig wurde), angetrieben meist von dem Wunsch, ein gewisses „Kribbeln“ zu spüren, von dem allseits, aber stets unter der Hand berichtet wurde.


Manches unglückliche Fräulein auf freiem Feld wurde auch direkt vom Blitz getroffen

Insbesondere in gewittrigen Nächten schlichen sich hoch- aber zugleich aufgeschlossene Frauen aus dem meist gutbürgerlichen Haus, den Drachen und eine lange aufgewickelte Schnur unter dem Arm oder in einer großen Tasche verborgen und versuchten, aus dunklen Wolken heraus, einen leuchtenden Blitz auf ihren Drachen herab- und über die vom Regen feuchte Halteschnur in dann ungefährlichem Maße auf sich hinunte zu lenken. Manch eine Dame allerdings bezahlte das kribbelnde Vergnügen mit dem Leben. Auf den Hügeln und freien Feldern sanken immer wieder welche von ihnen vom Blitz getroffen zu Boden, manche erschöpft, weil ihnen das Prickeln zu stark wurde, andere schlicht erschlagen, wiederum andere standen in hellen Flammen, Drachen und Leine lange noch in der Hand, und starben eines jämmerlichen Todes.



Das ungewöhnliche Hobby ist bis heute gefährlich. Einige Damen fingen regelrecht Flammen

Bald kam es zum Verbot dieses außergewöhnlichen Hobbys, was interessierte Männer aber nicht daran hinderte, die Idee weiterzudenken und etwa mit Hilfe von elektrischen Leinen, Fische in Teichen und Seen zu angeln.