Seltsame Vergnügen: Das gefährliche Spiel mit den Blitzen


Experimentierfreudige viktorianische Dame mit ihrem Drachen bei einem Gewitter


Der Versuch, Blitze mit Hilfe von Flug- und Lenkdrachen einzufangen und ihre elektrische Natur zu bestimmen, geht auf Benjamin Franklins berühmten Vorschlag eines „Drachenexperiments“ zurück. 1752 führte der Franzose Thomas-François Dalibard auf einem Feld im nordfranzösischen Marly-la-Ville einen solchen Versuch mit Hilfe von metallischen Stäben durch. Bei einem ähnlichen Versuch wurde der deutsche Physiker Georg Wilhelm Richmann 1753 in St. Petersburg von einem Blitz erschlagen. Wir lernen daraus: Bitte nicht nachmachen!




Viktorianische Damen bei verschiedenen Blitzabenteuern. Neben Drachen waren auch feste Stangen genügender Länge sehr populär

Diese Warnung kümmerte allerdings nicht die generell allerlei Exzentrizitäten gegenüber aufgeschlossenen Viktorianer im 19. Jahrhundert. Es war die Zeit, als Elektrizität fassbar wurde und in den großen Städten nach und nach das Licht in die Häuser brachte. In dieser an Eigentümlichkeiten nicht armen Zeit entstand so ein weiteres eigentümliches Hobby. Insbesondere die vom Alltagsleben gelangweilten Damen des aufstrebendes Bürgertums waren fasziniert davon, heimlich (oder auch ganz offen) im eigenen Garten oder großen Parks „einen Drachen steigen zu lassen“ (wie es verschwörerisch hieß und später auch in anderen restriktiven Systemen wie der DDR als Begriff geläufig wurde), angetrieben meist von dem Wunsch, ein gewisses „Kribbeln“ zu spüren, von dem allseits, aber stets unter der Hand berichtet wurde.


Manches unglückliche Fräulein auf freiem Feld wurde auch direkt vom Blitz getroffen

Insbesondere in gewittrigen Nächten schlichen sich hoch- aber zugleich aufgeschlossene Frauen aus dem meist gutbürgerlichen Haus, den Drachen und eine lange aufgewickelte Schnur unter dem Arm oder in einer großen Tasche verborgen und versuchten, aus dunklen Wolken heraus, einen leuchtenden Blitz auf ihren Drachen herab- und über die vom Regen feuchte Halteschnur in dann ungefährlichem Maße auf sich hinunte zu lenken. Manch eine Dame allerdings bezahlte das kribbelnde Vergnügen mit dem Leben. Auf den Hügeln und freien Feldern sanken immer wieder welche von ihnen vom Blitz getroffen zu Boden, manche erschöpft, weil ihnen das Prickeln zu stark wurde, andere schlicht erschlagen, wiederum andere standen in hellen Flammen, Drachen und Leine lange noch in der Hand, und starben eines jämmerlichen Todes.



Das ungewöhnliche Hobby ist bis heute gefährlich. Einige Damen fingen regelrecht Flammen

Bald kam es zum Verbot dieses außergewöhnlichen Hobbys, was interessierte Männer aber nicht daran hinderte, die Idee weiterzudenken und etwa mit Hilfe von elektrischen Leinen, Fische in Teichen und Seen zu angeln.

Wunderkammer | 19:33h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Sonntag, 14. Mai 2023, 21:14
Ein Hobby, das meinem Abenteuergeist entspricht! Verboten? Papperlapapp. (Sprach die, welche mal unter einem Baum stand, in den ein Blitz einschlug. Dabei war dort nicht mal ne Blitzreuse ausgelegt. Krasse Erfahrung jedenfalls.)

Tolle Fotos!

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kid37 - Sonntag, 14. Mai 2023, 21:32
Ja, ein toller Fund. (Die gerade erfundene Fotografie wurde von den Viktorianern natürlich ausgiebig genutzt. Zuvor musste immer ein befreundeter Maler dabei sein.) Sie sind eine Gefahrensucherin, das muss ich zur Vorsicht mahnen. Bei Gewitter sucht man nicht unter einem Baum, sondern in einer Bäckerei Zuflucht! Getreu dem Motto: "Kuchen sollst du suchen. Teilchen sollst du weilchen."

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fritz_ - Sonntag, 14. Mai 2023, 21:28
Eine von den Ladys hat sicherlich das Lichtbogenschweißen erfunden oder entdeckt.

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kid37 - Sonntag, 14. Mai 2023, 21:34
Die Geschichte der Erfindungen ist eine von vielen zufälligen Entdeckungen. Schweißtreibend war es wohl auf jeden Fall.

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samojede - Mittwoch, 17. Mai 2023, 08:56
Einfach nur leichtsinnig.... ⚡.. W a r U m zogen nicht alle wie kleine Frau auf vorletzten Bild solide Gummistiefel an? !?

































👢

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kid37 - Mittwoch, 17. Mai 2023, 15:12
Detektivisch beobachtet! Über die Gummistiefeldame habe ich ja meinen Debütroman Die Frau, die überlebte geschrieben. Damals war das Wissen um Elektrizität natürlich noch nicht so verbreitet. Aber die Gerüchte um das angenehme Kribbeln im ganzen Körper hatte sich flüsternd herumgesprochen und eine kaum zu kontrollierende Mode entfacht. Ärzte sprachen von einer Art "Hysterie", was ja aus dem Griechischen [υστερία

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kid37 - Donnerstag, 8. Juni 2023, 19:18
Viktorianische Hobbys
Weil mir oft nicht geglaubt wird, hier ein Foto [IG] einer Vulkangas-Touristin im 19. Jahrhundert, betitelt mit " Victorian thrill seeker enjoying the volcanic gas on the island of Vulcano". Den Artikel dazu findet man auf Public Domain Review.

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