Samstag, 28. Februar 2015


Hinter dem schwarzen Schleier



Während also im Zimmer das Kilimanjaro Darkjazz Ensemble vor sich hindrohnt, wie honigverklebte Schmetterlinge, die über einen blütenverzierten Teppich kriechen, schlürfe ich verhalten an einer Tasse Ersatzkaffee (das Leben als Ersatzhandlung) und blättere im neuesten Band aus dem Last Gasp-Verlag. Der hätte vor nicht allzulanger Zeit beinahe selbst den letzten Atemzug getan, obwohl er mit seinem Programm zu den zehn besten Verlagen der Welt gehört. So ungerecht geht es zu in dieser Unordnung, in der wir uns alle befinden. Nun läßt sich heute glücklicherweise Geld sammeln für allerlei Projekte, übers Internet, und so kam 2014 Beyond the Dark Veil heraus.



Viktorianische Fotografien aus dem Thanatos Archiv, aus einer Zeit also, die uns mit einem bizarren Toten- und Gedächtniskult erstaunt. Vom Liebsten die Locken, die ersten verlorenen Milchzähne, solcherart Alltagsreliquien bewahren viele auch heute noch auf. Tote werden nur noch selten aufgebahrt (hierzulande sowieso nicht offen) und selten fotografiert. In verschiedene Kapitel aufgeteilt (Totenbett, Kinder und Familie, Verbrechen und Unglücke, Haustiere), reihen sich in Beyond the Dark Veil leere Gesichter oder solche wie schlafend aneinander, ernste Verwandte, erstarrte Mütter mit ihren toten Kindern, ertrunkene Matrosen, verlorene Zwillinge, Abschied um Abschied um Erinnerung. Manche Bilder wie ein Schnappschuß, andere mit einer - durch die langen Belichtungszeiten bedingten - Strenge inszeniert, die an unterkühlte Modestrecken erinnern.

Eine sorgsam aufbereitete Bildergalerie. Mit Goldschnitt und einer nachgeahmten Lederprägung, für Nachmittage, wenn eine schrägstehende Sonne den Staub im Zimmer tanzen läßt.

Beyond the Dark Veil: Post Mortem & Mourning Photography. San Francisco: The Last Gasp, 2014.

>>> Geräusch des Tages: The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble, The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble