Dienstag, 19. April 2011


Pina

Mein erster 3D-Film. Ich dachte also, legst du mal diese Skepsis ab, den bloß emotionalen Vorbehalt gegen diesen "affigen, neuen Technikscheiß". Ja, man kann diese Brille über der Brille tragen und ja, der Effekt funktioniert, aber dies festzustellen bin ich wohl wahrlich der letzte.

Wie also die Tänzer sich herausschälen aus der Dunkelheit des Bühnenraums, wie sie sich aus den Zuschauerrängen herauszuschwingen scheinen, das ist schon imposant. Mir gefällt, daß es nicht um einen Effekt des Effekts willen geht, ein billiges Prahlen mit dem Überraschungsmoment der Zuschauerverblüffung. Wir erleben eine haptischere Version einer, wennauch inszenierten, Wirklichkeit, man taucht ein in die Bewegung auf der Bühne, gleitet förmlich selbst zwischen die fließenden Körper, sieht deren Rundungen und Ecken, das Hervorwölben von Muskeln und Anspannen von Sehnen.

Das polternde Stühlerücken in Café Müller, die Frühlingserweckungen, die Wasserschlachten und das Ringen mit den Elementen, man schubbert beinahe selbst seine Nase dran. Zum nur leicht sentimentalen Überbau, den Erinnerungen an Pina Bausch, die Schockstarre des Ensembles nach ihrem unerwarteten Tod, fügt sich für mich ein Blick auf die Stadt, deren Sommer mir fremd geworden sind. Seit 15 Jahren bin ich nur im Winter da, zu Ostern, aber nie mehr im Sommer, wenn die Sonne nach wochenlangem Brand die Grasflächen braun und ocker und gelb verdorrt hat, die Wellen des Flusses glitzernde Funken werfen, die Hausfassaden grell das licht zurückwerfen auf schäbigen Beton und die kühne Fassade des Schauspielhauses, auf die Ornamente der Bürgerhäuser und die quietschenden Wagen der Schwebebahn.

Wenders, der sich unerwartet und angenehm zurückhält, beinahe nicht kenntlich wird, als seine oft irritierene Selbstinszenierungsfigur zurücktritt hinter die schlafwandlerische Grandiosität des Ensembles, den berückenden visuellen Ideen, den Körpermetaphern des Tanzes, holt einzelne Szenen heraus in die Stadt, an altbekannte und verbotene Orte, an Steinbrüche und Verkehrsinseln, in rostige Fabrikanlagen und lichtdurchflutete Plätze, zieht die Tänzer hinein in die Schwebebahn, die dort dann mit viel Humor die tiefenversenkten Seiten des gemeinen Wuppertaler spielen.

Kein Film vielleicht für Freunde von schwarzen und weißen Schwänen, für Spitze, Tata und Tütü. Ein Film für Entfesselungskünstler, über die Möglichkeiten von Aufbruch und Ausbruch, Verlangen und elementaren Sehen. Für die Liebe, woll?

(Pina - tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren. (D 2011). Regie: Wim Wenders)

Super 8 | von kid37 um 12:50h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link