Dienstag, 11. November 2008


Erleben gehen




Für eine Berliner Produktionsfirma schreibe ich gerade das Treatment meines langerwarteten Drehbuchs "Kleines Herz auf großer Reise"1. Ein Waisenkind beschließt... usw. usf. Das ist alles ziemlich aufregend und spannend, und ich höre schon die ganze Zeit im Kopf das Gefiedel der Degeto-Musik, die sich wie eine üppige Schicht Leichtmargarine über die goldgelbgefärbten Landschaftsbilder legen wird.

Am meisten gelacht habe ich immer bei den kleinen Abenteuern am Rande der ganz kleinen Straßen. Tiere werden ja immer gerne genommen, weshalb in meinem Drehbuch eine prominente Rolle auch ein kleiner Hund besetzen wird. Manche albernen Witze würde ich natürlich im Rückblick nicht mehr so albern reißen oder sie zumindest nicht ganz so selbstgefällig wiedergeben, aber in so einen Freitagabendfilm packe man ruhig alles rein, rühre es kräftig unter.

Läuft schon. Und der Rest versendet sich. Gewöhnen muß ich mich an die, die mit einem Bein innerhalb, mit einem Bein außerhalb stehen. Auf dem T-Shirt steht: Wir sind im Team. Also in allen. Die Gepflogenheiten des Systems, wenn drüben, Musik im Studio B, die Scheinwerfer vielleicht heller leuchten. Die Rücken sind biegsam, alle gute Freunde und Herzblut kommt in Ampullen aus der Requisite, es ist am Buffet genug für alle da. [Drink doch ene met, stell dich nit esu ann, ein Branchenproblem übrigens.]

What goes in, must come out. Heute morgen, die U-Bahn-Treppen hinauf, die ältere Frau, die einen großen Pappkarton an einem Griff trägt, wie einen Koffer. Der Schriftzug eines Hygieneartikelherstellers prangt auf der Seite, darüber in groß, sehr groß: "Blasenschwäche im Griff". Wie witzig Designer sein können. Das muß unbedingt rein in den Film, das Leben nämlich.

"Nach einer Überlegung des Publizisten Harry Pross drückt sich Macht und Herrschaft auch darin aus, in welchem Umfang jemand die Lebenszeit möglichst vieler Menschen okkupiert; real, indem er Menschen beispielsweise in Kriege schickt, oder - was heute kraft der Massenmedien wesentlich effektiver ist - indem er das Bewußtsein der Menschen mit bestimmten Vorstellungen und Gedanken besetzt."2

Als agitatorisches Medium genutzt, kann der Film, genauer: dieser Film, also "Kleines Herz auf großer Fahrt" nämlich, die Menschen aufrütteln, beschäftigen, das Handeln und damit das Sein verändern. Natürlich ist dies eine Frage von Macht und Herrschaft, aber es dient ja einem guten Zweck. Denn dieses Waisenkind... Ein ehemaliger Star aus der "Schwarzwaldklinik" spielt vielleicht mit, so weit sind wir in den Gesprächen noch nicht. Sicher habe ich auch schon zuviel verraten, man schweigt in der Branche, streut falsche Fährten, es wird soviel geklaut, man muß sein Wasser halten und redet besser von Projekten, wichtigen Projekten und denen, die von Herzen kommen. Die Dreifaltigkeit des Projektewesens. Die Inhalte indes gründeln tief wie verliebte Fischchen im Schlick.

Die weinen nicht, wenn der Regen fällt. Erst sollte der Film "Badlands - Zerschossene Träume" heißen, aber man bedeutete mir, den gäbe es schon und ein solcher Titel passe nicht auf den Freitagabendtermin. Man erlebt sich besser was zurecht. Nicht stehenbleiben, losziehen. Kleines Herz auf großer Fahrt. Ein Knaller.

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1 Titelschutz beantragt.
2 Enno Kaufhold, "Paparazzi: Akteure der Ablenkungsindustrien". Photonews, 11/2008.