Montag, 5. November 2007


Erst eins, dann zwei, dann drei... dann vierundzwanzig

Warte, warte, nur ein Weilchen...
(Gassenlied)

Draußen vom Herbstlaub komm' ich her, ich muß euch sagen: Ich habe bereits alle Weihnachtsgeschenke zusammen.

(Stille wie ein Donnerhall.) Nur ein Scherz! Aber langsam heißt es, Fahrt aufnehmen auf dem Weg in die rotbemützten Besinnlichkeitswochen. Der Anfang ist gemacht: Ein lieber Kollege brachte mir aus dem mittelfernen Hannover diesen wunderbaren Adventskalender mit. Und wenn schon, höre ich manche rufen. Doch gemach. Denn auf dem Kalender ist nicht nur das Frl. Anna Blume abgebildet. Hinter einem Baum grad mal leicht getarnt, lauert auch ein Hannoveraner Unruhestifter, über den wir mehr wissen als über jedes seiner Opfer: Fritz Haarmann.

Zur Weihnachtszeit, wenn nur Kinderaugen heller blitzen als schneebedeckte Tannenzweige, darf neben Dada auch das Grauen nicht fehlen, dachte sich wohl der im Auftrag des Tourismusbüros Hannover tätige Zeichner und malte den als Vampir von Hannover landesweit bekannten Serienmörder samt Hackebeil ins Bild. Zu fürchten ist da nichts, denn ein jeder weiß, daß Knecht Ruprecht zur Bestrafung seiner Gespielen Opfer nur zur Rute greift. Bald fand die Stadt Hannover aber, nun völlig von der Leine, die Darstellung ihres berühmten Sohnes wenig christlich und stoppte den Verkauf.


Bibelleser jedoch werden dabei mit Recht einwenden, daß dies doch bloß eine säkularisierte Version der Herodes-Geschichte sei, der genau wie Haarmann auch nur Jungs tötete: "Da [...] ward [Herodes] sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knäblein zu Bethlehem töten [...]" Matth. 2.16. Dieser Zusammenhang muß jedem gleich ins Auge fallen! Roland Barthes jedenfalls hätte bei der ikonographischen Exegese seine Freude gehabt und geschlossen, daß selbstverständlich auch der Adventskalender, wie eine geschriebene Überlieferung, der Film oder eine Fotografie, Träger eines Mythos sein kann.

Auch der Serienmörder an sich, da machen wir uns mal nichts vor, ist seit dem Erscheinen eines gewissen Hannibal Lecter am popkulturellen Horizont salonfähig geworden. Seither gilt der ritualisierte Mord nicht mehr nur ausschließlich als von niederen Instinkten bedingt, sondern fallweise auch als verfeinerte Ausdrucksform eines höheren Ziels, die sich ebenso kunstvoll wie ein klassisches Werk der Hochultur orchestrieren läßt. Haarmann, ein schlimmer Bettnässer¹ obendrein, entwickelte nun allerdings weniger einen Sinn für deliziöse Lebergerichte, sondern, so jedenfalls das hartnäckige Gerücht, ein eher bodenständiges Interesse für grobere Fleischwaren. Nicht so schön.

Während der fiktive Hannibal Lecter eine berühmte Gestalt des modernen Lagerfeuererzählens geworden ist, den nur die wenigsten kultiviert denkenden Menschen von der Türschwelle weisen würden, ist der echte Haarmann - völlig zurecht natürlich - ein Ausgestoßener geblieben. Immerhin: Seine Geschichte inspirierte Bänkelsang und Abzählreime und floß ebenso wie der Fall Peter Kürten², der "Vampir von Düsseldorf", in das Drehbuch von Fritz Langs berühmten Thriller M - Eine Stadt sucht einen Mörder ein. Und beschert (!) nun einem naiv-fröhlich gezeichneten Adventskalender einen grimmen Unterton, ein Memento mori, das an die oftmals prekäre Situation jungen Lebens erinnert - in einer Zeit, in der man die Weihnachtsbotschaft ungerührt vom Kommerz schlachten läßt. Für diesen geschliffen scharfen Hinweis, denn die Wahrheit tut oft weh, gebührt dem Zeichner nichts anderes als Dank und Lob.

24 Morde hatte Haarmann auf dem Gewissen. Jetzt bin ich nur gespannt, was sich hinter den 24 geheimnisvollen Türchen verbirgt. Warte, warte, nur ein Weilchen...


>>> Trailer zu M - Eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang (1931)
Fritz Haarmann bei Serienkiller.de
¹ P. und J. Murakami. Lexikon der Serienmörder. München, 2000. s.v. "Haarmann".
² Peter Kürten in der Wikipedia