Mittwoch, 10. August 2005
Nach dem kleinen Bloggerbesäufnis Treffen mit netten Menschen, klettere ich viel-zu-spät-schon-wieder denkend in den Nachtbus und halte Fahrkarte, Lektüre und Musikberieselungsgerät bereit. Schaukelnd geht es durch das Dunkel, die engen Buchstaben verschwimmen, fahle Gestalten steigen zu. Ein hübsches, aber übermüdetes junges Mädchen sinkt auf den Platz neben mir. Bald nickt sie ein und preßt dabei ihr Bein an meines. Ich weiche dem Druck nicht aus und spüre, wie die Körperwärme langsam auf meinen Oberschenkel übergreift.
Wie damals, als Schüler, denke ich. Aber nur, weil ich gleichzeitig in meinem gelben Reclam-Heftchen lese. Martin Opitz, Gedichte.
Was muste der nun leyden
Der an der Kranckheit lag/eh' als kundte scheyden
Vnd ward deß Coerpers loß? das angesteckte Blut
Trat in den gantzen Kopff als ein heisse Glut
Vnd nahm die Augen ein/dievoller Fewers stunden.
Konnte das ein Zufall sein? Im Ohrhörer singen New Order von Temptation.
"So you've got blue eyes, so you've got green eyes, so you've got grey eyes..." Zufall sicherlich. Ich zögere und denke kurz daran, mit meiner Hand die ihre zu berühren. Aber es ist spät und ich beschließe, die Nacht lieber in meinem Bett zu verbringen als in dem feuchten Kellerverlies, in das man in Hamburg die Lustmolche wirft.
Der sprachen weg der Schlund war jaemmerlich gebunden
Die Lunge werthe sich/der gantze Leib lag kranck
Vnd ließ die Kraefften fort. Ein scheußlicher Gestanck
Wie sonst ein faules Aaß auch von sich pflegt zu geben
Roch aus dem Hals' herauß
Gleich dem Zischen der Hydraulik in der Bustür läßt Martin Opitz aus der romantischen Stimmung ganz schön die Lüffte raus. Ach, seufze ich nach innen. Was war das früher schön, als man noch trank, um anschließend dramatisch unglücklich zu sein. Nun stiehlt man sich ein wenig Wärme, fährt durch die Poetischen Wälder heim und spricht zufrieden sein Danckgebet, wie von langwiriger Pest genesen.