Dienstag, 16. November 2004


Mein linker Fuß

Die Großwetterlage über dem gefährdeten Standort unserer gußeisernen Konsensrepublik erfordert die Rückkehr zu ernsten Themen. Als ich heute morgen also klebstoffschnüffelnd in der Toreinfahrt stand, fiel mein Blick auf meine Schuhe. Die müssen auch schon bessere Zeiten gesehen haben, allerdings haben sie mir davon nie berichtet. Doch wenn man schon auf vernarbtem Leder in den Abgrund marschiert, sollte man dabei wenigstens ein augenfälliges Bild abgeben. Ich erinnere daher an die kleinen dezenten Hinweise bezüglich geringelter Strümpfe, die in diesem Blog ab und an zu lesen waren.

Einer Frage, die bei der Stilpolizei bereits während der Grundausbildung gestellt wird, möchte ich nun noch einmal anschaulich auf den Grund gehen. Längs oder quer ist nämlich nicht nur eine ideologische Frage wie rechts oder links, evangelisch oder katholisch, schlucken oder spucken, Beatles oder Rolling Stones, sondern auch eine Frage des Formats. Immer wieder lautet die These berühmter Modemacher: Quer mache breit und längs mache schmal. Und tatsächlich: Meinen quergestreiften rechten Fuß bekam ich kaum noch in den ungeputzten Schuh hinein, so fett war er geworden!

Obacht also, bei modischen Experimenten. Nebenstehende, nach der Natur gemalte Skizze zeigt, wie es richtig aussieht. Wer im Zweifel ist, nimmt sich besser meinen linken Fuß zum Vorbild. Malen kann der auch.


 



Besichtigung im Haus der Lüge

Wind, weiße Stimme,
die an des Trunknen Schläfe flüstert;
Verwester Pfad.
(Georg Trakl, 1912.)

Ein abgedunkeltes Kabinett. Ausgebleichte Schädel in den Regalen, dazwischen Bücher von G.B. in seltenen Ausgaben. Ein altes Radio spielt einen dunkleren Quartsextakkord. Unter einem Glassturz das fahle Skelett der Begierde, von der Gier nur blieb. Ein Schaustück fernerer Tage, staubumhüllt.
Im anderen Zimmer dunkle Regale. Bücher von G.B.* in seltenen Ausgaben. Aus den Lautsprechern das monotone Pluckern industrieller Geräusche. Auf einem Baumstamm ein Messer und das Skelett der Begierde, ein schwarzer Knochen. Erinnerung an fernere Tage, staubumhüllt.
(* einem anderen, das ist der Witz der Synchronizität)

Hier eine Stelle, da tropfte Blut auf den Boden. Hier eine Stelle, da erkannten sie sich. Ertrunken in rotem Wein.
Eindringen ins Haus der Lüge. Tür auf, ein Seufzen. Ein Glöckchen erklingt. An der Wand eine Botschaft: "Eine strenge Hand gibt niemals Antwort". Nur die Gewißheit, hier ist jemand da. Denn ganz ohne Grenzen, bleibt doch nichts zu übertreten.

Ein Traum: Wir gingen durch einen Tunnel, ein Kellerlabyrinth, ein dunkler Mäander aus Schmerz und Umnachtung. Transgression im schwarzen Regen. "Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts." (Arthur Schopenhauer). In der Nacht warten Opfer und Tod. Ich sagte, ich wüßte, wie Blut schmeckt. Du sagtest, du hättest seltene Früchte im Wald gesehen.

Am Morgen räumen wir unser Leben auf. Du wischst das Erbrochene weg, damit es weitergeht im Haus der Lüge. Ich streiche Farbe über das Blut an der Wand. Dann gibt es Pesto mit Nudeln und ein Glas kühle Milch. Trink von der Milch, iß alles vom Teller. Es ist doch die einzige Antwort, die wir kennen.

An den Handgelenken erscheinen seltsame Zeichen. Das Haus ist hermetisch. Den Schlüssel gaben wir fort.

The Mercy Seat | von kid37 um 02:22h | | Link