Freitag, 13. August 2004
Nur ein paar Splitter, sehr ungeordnet:
Vor drei Jahren war der Film Ginger Snaps die Entdeckung auf einem ansonsten eher überraschungsarmen Festival. Die Geschichte zweier pubertierender Schwestern, Außenseiter in der schaurigen nordamerikanischen Suburbia, die lieber sterben wollen, als erwachsen zu werden. Bis sich die Natur auf blutige Weise ihre Bahn bricht - und eine der Schwestern zum Werwolf wird.
Die Fortsetzung Ginger Snaps Unleashed setzt die Handlung fort und rückt nach dem Tod von Ginger ihre jüngere Schwester Brigitte (großartig: Emily Perkins) ins Zentrum. Die Goth-Thematik steht nicht mehr so im Vordergrund (von einzelnen Insignien wie der Vogelschädelhalskette abgesehen). Man merkt dies auch am Soundtrack: brachialere Industrial- und EBM-Sounds, wahrscheinlich recht nach Miss Monologs Geschmack, unterlegen hier die Handlung. Die Hauptschauplätze sind diesmal ein heruntergekommenes, (natürlich) labyrinthisches Sanatorium und ein aus gutem Grund dreigeschossiges Haus am Stadtrand. Der Film setzt ziemlich viele Kenntnisse über den ersten Teil voraus (die Traumbilder über die tote Schwester bleiben völlig unerklärt), ergeht sich zudem in einigen recht überflüssigen Filmzitaten (Alien 3) und Genremotiven (Jagd durch das Gängelaybrinth, Flucht durch die Ventilationsschächte).
Die Horrorelemente waren aber nie die Stärke von Ginger Snaps. Wie in vielen (schwächeren) Pendants liest sich der Film natürlich am besten als Metapher und Allegorie auf diverse Pubertätstraumata und weibliche Sexualität (Zyklen/Vollmond/Blutsymbolik). "Unleashed" ist stärker als der erste Teil pures Borderlining. Grenzgänge (Wolf-Mensch), unvermittelte Aggressivität, fehlende Impulskontrolle, SVV, Wahrnehmungsdefizite, verminderte soziale Kompetenzen, Drogenproblematik, "Unbestimmtheit" sexueller Identität (anders als die im wahrsten Sinne des Wortes männermordende Ginger im ersten Teil, wird hier angedeutet, daß Brigitte möglicherweise lesbisch ist - oder auch nicht) - was man will. Selbst die wissenschaftliche, kühle Rationalität, die hinter Brigittes zerschnittenen Armen steckt, ist hier grausiger Spiegel. Das Mißbrauchsthema (sowohl in sexueller als auch struktureller Form durch die "Institutionen" Pfleger/Sanatorium) spielt hier ebenfalls rein.
Das haarige Monster (übrigens wird bewiesen, daß Onanie wirklich zu Haarwuchs an den Handinnenflächen führt, also: Don't try this at home, kids!) wäre bei John Irving eine Frau im Bärenkostüm. Hier sucht die ungezähmte, triebhafte Es-Natur nach gewaltsamer, blutiger sexueller Vereinigung. Kein Wunder, daß das Es-Tier am Ende in den Keller gesperrt wird (wo es rumrandalieren kann), während die neue zweite weibliche Hauptfigur mit dem sprechenden Namen "Ghost" (Tatiana Maslany) im ver-rückten Oberstübchen/Speicher sitzt. "Ghost" ist als kleines Mädchen die einzige "entkörperlichte" Bewohnerin des Sanatoriums (wenn man mal von ihrer total verbrannten Großmutter absieht, fällt mir gerade ein. Aber Großmütter gelten ja im allgemeinen auch nicht gerade als sexuelle Wesen.) - sie wird als bunte, "lichte" Gestalt eingeführt. But then, people, this is a horror movie.
Nach wie vor großartiger Ansatz, eine der wenigen Horrorgenrefilme mit dominierenden weiblichen Hauptpersonen.
Ginger Snaps Unleashed. Kan. 2004. Regie: Brett Sullivan.
Danke, Herr Frisbee!