Samstag, 1. August 2020


Setting free the fish



Weil ich ja von der launigen Seemannsgarnfilmreihe Sharknado recht angetan war, hatten mir die Kollegen zum Abschied einen kleinen Hai geschenkt. Der war zunächst ganz putzig, aber weil ich es einfach drauf habe unter guter Pflege und meinem freundlichen Wesen ist das Tier mittlerweile doch recht groß geworden. Zu groß jedenfalls für meine Badewanne.

Die Zeit ist also erreicht, wie es oft mit Fischen kommt. Die wollen auch mal Haken schlagen, auch wenn es einfach nur geradeaus geht, oder mal munter übers Wasser hüpfen und in anderen Schwärmen untertauchen. Ich werde ihn auswildern müssen (vermisse ihn jetzt schon schmerzlich). Nun habe ich ja kein Auto, und auf dem Radgepäckträger findet er unmöglich Platz. Auch ein Taxi scheint mir da keine Lösung, denn Zeugen kann ich für die Sache nicht gebrauchen. Ich könnte ihn mit der Bahn transportieren, denn er trägt keine Maske, und dann schauen die Fahrbegleiter offenbar nicht so genau hin. Ich denke, ich werde es mit einem Handkarren versuchen, den ich mit Wasser und Sel de Mer füllen werde.

In Sommern, wie sie früher einmal waren, war es üblich, seine Haustiere im Baggersee auszusetzen, damit sie es in die Zeitung schaffen. Mein Hai will natürlich ins Meer und muss daher in die Elbe. Wenn die Luft rein ist, schleiche ich mich zum Kreuzfahrtterminal und wünsche ihm, Entschuldigung, mein Herz bricht, gute Reise.

>>> Geräusch des Tages: Queen Adreena, Cold Fish


 


Mittwoch, 15. Juli 2020


Provisorisch



Eine Bekannte von mir mokierte sich früher (stets liebevoll!) ab und an über meine "Provisorien", wie sie einen Gutteil meiner charmant kreativen Lösungen für allerlei Alltagsherausforderungen bezeichnete. Das empfindet der sensible Heimwerker natürlich rasch als Kastrationsgefühl, ähnlich dem, wenn Frauen nicht verstehen, warum man als Mann einen Stapel Holz in der Garage liegen hat. Selbstverständlich, weil man daraus wunderbare, vielleicht sogar völlig nutzlose Dinge basteln kann. Vorausgesetzt, der richtige Zeitpunkt ist gekommen - und das richtige Werkzeug liegt zur Hand.

Nachdem man also die erste Lebenshälfte damit verbringt, sich verletzen zu lassen (oder sich beim Heimwerken selbst zu verletzen), besteht ja die zweite Lebenhälfte aus Genugtuung. Wenn man ein Schloß und einen Weinberg, etwas Zeit (und Werkzeug) besitzt, und vor allem eine gewisse Ruhe. Dann fühlt man sich plötzlich bestätigt von David Lynch, der als eine Art "Bob Ross der Heimwerker" auf Youtube kleine Projekte vorstellt. Lynch weiß natürlich, was man im Laden kaufen kann, perfekte Dinge. Aber er bastelt die Dinge eben gerne selber.

Zwischen uns paßt in der Hinsicht wenig überraschend kein Stück Schleifpapier. Da gibt es kaum etwas, was ich nicht mit einem alten Flaschenkorken, etwas Leim und Bindfaden richten kann. Gebrochene Vasen, gebrochene Herzen, abgefallene Griffe, zersprungene Träume, abgefallene Knöpfe, aus dem Leim gegangene Hoffnungen. Zumindest provisorisch hält's.


 


Dienstag, 7. Juli 2020


Fernrohr geradeaus

So you turned
your days into night-time/
Didn't you know, you can't make it
without ever even trying?

(Karen Dalton, "Something On your Mind")



Mit Sucherblick auf alte Backsteinfenster, rückwärts Geschichte, vorwärts bloß Skizzen, heißt es jetzt wieder, volle Muckikraft an festgefranzte Hebel setzen. Weichen stellen. Sprache finden. Und eine Sprachregelung, alles aber deutlich loud and clear durch eine Maske gesprochen. Von Selbstabsolution Besoffene von den Schulterstücken bürsten, happy bouncing mit Partybrille. Bücher zusammenschnüren, Leitsätze notieren, einen karierten Picknickdeckenblick für verregnete Sommertage üben.

Bin bereit für Mondbäder, die letzten Wolken vom Himmel kratzen, mit dem Wassersprenger alle nass machen und sich selbst. Weggefährten aufreihen, nachts eine Allee pflanzen, die großen Bäume hier, die Fähnchen dort, tumbleweed verwehen lassen. Schleppwaltzing am Ufer entlang wie Ringos* Schlagzeugspiel, während der Sommer Tag für Tag verkommt. Aus dem Nachbarhaus klingt Fleetwood Mac, in welchem Dachterrassenpartyjahrzehnt leben wir denn hier? Ich warte auf "thunder only happens when it's raining" aus diesem Lied, das nur scheinbar wie der Wetterbericht klingt.

Empire State of Mind mit Brettern vernagelt, befremdliche Bilder, verschobene Pläne, Knistern in der Leitung. Man muß eben lauter singen, mit dem Finger über Straßenkarten malen, sein eigenes Theaterstück schreiben oder überhaupt und endlich mal auch sonstwas tun.

>>> Geräusch des Tages: Karen Dalton, Something On Your Mind


 


Dienstag, 16. Juni 2020


Zwei und zwei zusammenzählen



Vor Jahren ist mal eine Bekannte von mir mit ihrem Steuerberater durchgebrannt. Das hat mich aus verschiedenen Gründen so pikiert, daß ich seither meine eigene Erklärung nur noch über die Elster abgebe. Das wird diesem Berufsstand eine Lehre sein. In die beamtenschelmisch benannte Elster trage ich einfach alles, was ich an Zahlen finde, in das (hoffentlich) entsprechende Feld ein - und am Ende bekomme ich 200,- Euro erstattet und habe meine Ruhe. Ich werde dann immer ausgelacht, weil andere jedes zweite Wochenende stundenlang Quittungen und Belege in einen Leitz-Ordner kleben und ächzen und anschließend einen "Termin beim Berater" haben, ächzen, und dann 400,- Euro zurückkriegen, aber auch viel Stress im imaginierten Arbeitszimmer und in der Lebensgemeinschaft haben. Also manchmal.

Ich jedenfalls habe gerade meine übers Jahr gut versteckten Tresore raufgeholt und sortiere meine drei Unterlagen, weil ich langsam die zweihundert Euro gut gebrauchen könnte. Pandemiefolgen. Nach langer Quarantäne habe ich kaum noch etwas anzuziehen, dabei kann man am Horizont fast den Herbst schon sehen, der seine Kollektionen Ende August bereits in die Läden wehen wird. Und dann geht's schon schnell an die Weihnachtsgeschenke und das Silvesterfondue. Dann sitzt man da und nuschelt undeutlich in seine Maske, Mensch, 2020 war jetzt auch nicht so ein schönes Jahr. Gut, daß ich noch 200,- Euro von der Steuer zurückerhalten habe.

Das war jetzt schon die ganze Moral von der Geschichte. Aufgeschrieben an Tag #537 der Quarantäne.


 


Samstag, 6. Juni 2020


Nachtstücke



Bye-bye, Junimond, heißt es wehmütig hierzulande. Der brave Bürger sitzt, Raspelstimme im Ohr, am Stutzflügel daheim, klimpert was um a-Moll herum und schaut mit vor sanfter Selbstüberflutung angeschmolzenem Bick in die zitternden Kerzenflammen, weil die Dichtungsstreifen an den Fenstern lange schon nicht mehr erneuert wurden. Mit Glück flattert die Hausfledermaus vor dem einsetzenden Gewitter zurück unters Dach (Filmspule), nachdenklich.

Vollmond im Juni, in knapp zwei Wochen werden die Tage zum Glück wieder kürzer, dann muß man das Elend nicht so lange und deutlich betrachten. Dieses Jahr ist die große Zwischenprüfung heißt es, ehe im nächsten unorthodoxe Anschauungen greifen. Noch lungern sich selbst demaskierende Hipster auf Hustenpartys im Park, man kabelt, man zoomt, stellt Rechnungen um und andere auf. Manche haben, schöne Oke, Automatenpuppen ihrer selbst vor Kameras gestellt.

Ins Haus ist ein wenig Ordnung eingezogen. Ich habe oben und unten Regale gebaut. Und hatte ich früher schon ein-, zwei Mal wilde Wespen unterm Dach, brütet dort seit ein paar Jahren ein Bachstelzenpaar. Die ziehen ein bis zwei Junge groß und räumen wie flitzeflinke Kammerjäger unter Insekten auf. Ich empfehle das sehr. Morgens Gezwitscher, mittags Flugstunden des Nachwuchs, nachts nur noch lautlose Fledermäuse.

Ein Blog im Ultraschallbereich wird meine neue Erfindung. Unerhörtes schreiben, sich mit Echowellen durch Twitter tasten, tagsüber aber wie ein Kohlwickel getarnt in der Internetecke hängen. Nur ab und zu mal umdrehen (Filmrolle).


 


Mittwoch, 13. Mai 2020


Altmannbetrachtung


Pandemiepusteblumenfrisurvergleich (Beweisfoto 1)

Hinter dem Schlafraum hatte Man Ray sein Fotolabor eingerichtet, das so eng war, dass nur er allein Platz darin fand. Dort standen auf einer roh gezimmerten Ablage ein altertümliches Vergrößerungsgerät und auf den Regalen an den Wänden diverse Flaschen und Entwicklerschalen sowie ein Stapel sauber beschrifteter Schachteln mit Negativen und Kontaktkopien. Das Durcheinander auf dem Arbeitstisch und der auf den den Dingen liegende Staub verrieten, dass der Künstler in diesem Labor schon lange nicht mehr gearbeitet hatte. (Herbert Molderings, Atelier Man Ray, S. 6.)

Manchmal ist man den großen Vorbildern so nah. Beim Umräumen in den letzten Tagen, während ich zwischendurch immer wieder mal meinen neuen Akkuschrauber kurz anlaufen ließ, ein wohlig schnurrendes Duett gaben wir da beide, stieß auch ich in tieferen Grabungsschichten auf meine Dunkelkammer. Und siehe da: nicht nur verriet der auf den Dingen liegende Staub, daß der Künstler hier schon länger nicht mehr gearbeitet hatte, es fanden sich auch allerlei Entwicklerschalen und Flaschen, sauber beschriftete Kartons mit Negativen und Kontaktabzügen sowie ein als "altertümlich" bezeichenbarer Vergrößerer darin. Fast hätte ich erwartet, daß Herbert Molderings klingelt, der in zeitgenössischen Latzhosen gekleidet Man Ray und dessen Wohnatelier in den 70er-Jahren in Paris besucht, alles durchfotografiert hatte und später ein Buch dazu veröffentlichte.

Das neue Regal strahlt nun Arbeit & Struktur aus, die Arbeit über Kopf hat neuentdeckte Muskelgruppen aktiviert, und meine vom Sturz im frühen Jahr lädierten Hände schmerzen wieder ganz ordentlich, es ist also noch Leben darin. Oder ein Trümmerbruch. Bin also bereit, wenn sich in Hamburg alles wieder öffnet, mich in dunkle Kammern zurückzuziehen oder besser gesagt, den heimischen Rotlichtbezirk. Allzeit bereit!

Derweil beobachte ich fasziniert wie ein moderner Robert Anton Wilson das Summen von Verschwörungstheorien. Ich habe auch eine neue Erkenntnis gewonnen: Covid-19 verwandelt Köpfe in Pusteblumen! (s. Beweisfoto 1) Ob der von Pathologien besessene Hamburger Pathologieprofessor dies wohl bestätigen kann? Morbus Löwenzahn nennt der Pschyrembel dieses Phänomen. Eine der nächsten Auflagen wird dies bestätigen. Weht mir erst der Wind durchs Haar, verstreue ich mich in alle Welt. In tausend kleinen Strahlen.


 


Samstag, 9. Mai 2020


Aus dem Familienalbum #3



Während viele wahlweise wegen frühzeitiger Hitze oder allgegenwärtigem Virenunheil im Heimkontor Kreise in den Teppich laufen, habe ich in den letzten Tagen ganz munter gewerkt und geschraubt und auch gesägt und fand dabei eine weitere kleine Kiste alter Familienfotos. Darunter auch ein recht schlecht erhaltenes (aber wer kann schon anderes von sich behaupten?) Bild von Urgroßonkel Ladislav.

Ein Flugbegeisterter, der Anfang des 20. Jahrhunderts, glaubt man den Erzählungen in der Familie, wohl den Kopf in den Wolken trug. Aber in jeder freien Minute neben der Landarbeit (manche meinen, er sei Schuster gewesen, was sein technisches Geschick erklären könnte), fleißig dabei, in einer alten Scheune allerlei Fluggeräte aus Latten und Gelumpe zusamenzuschrauben. Mit erstaunlichem Erfolg: Bald war es in seinem kleinen Dorf irgendwo in Westpreußen ein gewohntes Bild, daß er als wagemutiger Pilot ("A daring young man!" sagten spätere britische Weggefährten über ihn) mit knatterndem Motor über die Felder schwirrte wie eine betrunkene Fliege.

Wacklig oder nicht - seine Konstruktionen verschafften ihm frühen Ruhm bis in die nahe Kreisstadt. Mit seinem Modell Nummer 37 (ein lustiger Zufall, wie ich finde) ließ er sich, ein bißchen arg stolz vielleicht, aber mit beeindruckendem, irgendwie weltläufigen Schnäuzer im Photostudio porträtieren. (Beachtlich auch, ganz nebenbei bemerkt, daß dort ein ganzes Flugzeug hineinpasste.)

Sein Traum war wohl, da war sich Urgroßtante Wablonka in den wenigen ihrer überlieferten Briefe sicher, den Atlantik zu überqueren. Von Danzig über Paris zur Küste und dann gegen den Westwind wie der (verschollene) französische Kollege Charles Nungesser gen Nordamerika. Dazu kam es aber nicht. Er überquerte den Atlantik in den 20er-Jahren schließlich auf einem Frachter, sein Flugzeug Nr. 37 im Laderaum, und landete in Südamerika. Von seinem Leben dort ist nicht viel bekannt. Angeblich zog er zunächst als Kunstflieger mit einem Jahrmarkt von Brasilien aus bis nach Chile, scheiterte mit einer eigenen Flugschule und wurde schließlich Postflieger in der Andenregion. Dort soll er auch, ein braver Briefträger der Lüfte, 1929 abgestürzt sein. Bis heute hat man aber weder eine Spur von Urgroßonkel Ladislav noch von den Trümmern seiner Maschine gefunden.

Bisherige Folgen: 1 und 2


 


Freitag, 3. April 2020


Das Haus der Krokodile



In Zeiten der großen Heimisolation haben manche begonnen, komplexe Sprachen zu lernen, Kochrezepte oder sogar ein bislang unterrepräsentiertes Musikinstrument. Andere bringen ihren Haustieren lustige Tricks bei. Mir ist ja die ganze Welt ein Instrument, daher sah ich meinem Hauskrokodil ins noch unfertige Auge und lehrte es geduldig, selbst noch einen Tick geduldiger mit weit geöffnetem Maul dazusitzen. Wir haben das jetzt ein paar Mal geübt, und ich kann nun meinen Kopf zwischen die beiden kräftigen Kiefer legen (und im zweiten Schritt drei Rollen Klopapier jonglieren, die ich gerade noch im Supermarkt ergattern konnte). Wie Krokodilbesitzer wissen, neigen diese Tiere leider zu Halitosis, weshalb es ratsam ist, die über der Nase gut geschlossene Behelfsmaske auch in der Manege zu tragen. Ich habe bislang leider noch keinen diplomatischen Weg gefunden, das Thema Mundgeruch anzuschneiden, ohne die bekanntlich empfindsame Seele des Krokodils zu verletzen.

Wofür braucht man das? Das ist eine Frage, die sich selbstverständlich aufdrängt, wenn die Gedanken sonst nur um "Mehl" und "Hefe" kreisen. Ich aber muß an die Zukunft denken. Irgendwann werden wieder Straßenkünstler gesucht, die vor einer imaginären Glasscheibe stehen oder aus dem Atem eines Krokodils die Zukunft vorhersagen. Vielleicht ruft auch der Cirque du Soleil an, der mich bittet, meinen Kroko-Akt auf dem Hochseil vorzuführen. Bleibt gesund und habt Ideen!

>>> Geräusch des Tages: Echo and the Bunnymen, Crocodiles


 


Freitag, 27. März 2020


Ein Blob namens Wilson



Um Vereinsamungsnachteilen während der Heimkontorarbeit zu entgehen, habe ich mich mit neugewonnenem Interesse anderen Lebewesen zugewandt. Da ist der durch eine Heißklebepistole zum Leben erweckte Oktopus (derzeit noch Quattropus), der nun in meinem Bad lebt und mit mir launiges Liedgut unter der Dusche absingt, andererseits aber ein manchmal irriterend hartnäckiges Bedürfnis nach philosophischen Gesprächen hat. Ich bringe ihm derzeit das Schachspielen bei.

Dieses andere Lebewesen kann dies vermutlich schon. Der Blob (Physarum polycephalum ), ein Schleimpilz, der sich auf der Suche nach Haferflocken mit verblüffender Effizienz durch Irrgärten bewegen und recht "bewußte" Ernährungsentscheidungen treffen kann (in beiden Bereichen ist er den meisten Menschen im Supermarkt voraus), lebt zum Glück nicht in meinem Bad. Dafür in meinem Kopf, denn dieses Dings regt, wie man so schön sagt, zum Nachdenken an. Eine Doku auf Arte erklärt den Superorganismus.

Sollte er wirklich, wie im TV-Beitrag beschrieben, dereinst wie in einem Jules-Verne-Roman die Reise ins All antreten, wird er die neue Laika sein. Ein scheinfüßiges Superwesen auf dem Weg, wo nie ein Mensch den Fuß hinsetzte. Während wir uns immer mehr einigeln, bedroht von unsichtbaren Gefahren wie sonst nur im 50er-Jahre-Trash-Scifi-Film, düst der Superschleim von Porridge ernährt in unendliche Weiten davon. Guten Flug, kleiner Blob!


 


Montag, 16. März 2020


Aus dem Familienalbum #2



Mein Urgroßonkel Stanislaus, von dem leider nur dieses verwaschene Foto existiert, fand nach dem großen Krieg keine Arbeit mehr und war fortan als sogenannter Wanderimker unterwegs. Mit einem an einem Wanderstock befestigten Bienenkorb zog er über die Dörfer, hielt mal an diesem Heidebusch oder an jenem Akazienbaum, so muß man sich das wohl vorstellen, hielt auch mal Rast an einem Rapsfeld und reiste auf diese Weise immer der wechselnden Blütenfolge nach. Zum Schutz vor den Bienen, die ihn aber gut kannten und selten stachen, hielt er dabei ein Ringnetz vors Gesicht so wie ein Detektiv seine Lupe halten würde.

Stanislaus war findig im Finden, hatte ein Näschen für duftende Blüten und fand so immer die besten Weideplätze für seine summsigen Immen. (In Wahrheit, so ist zu vermuten, waren es die Bienen, die ihre Späher und Scout vorschickten und deren Navigationstänze er lesen konnte. So nahm er seinen "Bienenstock" und ging den Blütenständen einfach entgegen.) Sein Honig galt als exquisit und war daher besonders begehrt. So erhielt er 1927 auch die begehrte Jahresmedaille Goldene Wabe des Imkerverbandes. (Dies war sicher der Anlaß für das Foto, auf dem er die Wabe wohl um den Hals trägt, so weit man das erkennen kann.)



Die Medaille findet sich noch heute in unserer Familienschatulle. Ein Glas Honig ist leider nicht erhalten geblieben, die Vorräte wurden irgendwann zu Notzeiten aufgebraucht. Nun, da ich zuletzt gebeten wurde, für mich selber und meinen beruflichen Wanderweg neue Ziele und Ideen zu entwickeln, hatte ich den Plan, Onkelchen Stanislaus' Tradition als Wanderimker aufleben zu lassen und selber mit einem Bienestock (auf einem Tragestell auf dem Rücken vielleicht oder auch am Wanderstock befestigt) umherzuziehen. Dabei würde ich heute, wo ein Großteil unseres Honigs gemäß Warendeklaration vorzugsweise aus "EU- und Nicht-EU-Ländern" stammt, aber eher in der Wissensvermittlung arbeiten wollen. So könnte ich vielleicht umherwandern und Schulen und Kindergärten besuchen, um Kindern die Welt der Bienen zu erklären. Ganz ohne Maja-Kitsch und nostalgische Verklärung. Leider kam jetzt die Schließung dieser Einrichtungen dazwischen und meine Idee starb einen schmerzlichen Drohnentod.

Stanislaus' Spuren verloren sich irgendwo bei Lüneburg. Vielleicht traf er eine kesse Biene, die ihn in ihre Wabe lockte, so die Version, die wir als Kinder öfter hörten. Vielleicht, so meine dunkel bewolkte Befürchtung, wurde er in einer stürmischen Nacht von seinem Volk erstochen, das seine Panikbeute verteidigen wollte. Ein König Lear der Bienen, der einsam und zerstochen in der Heide endete.