Donnerstag, 27. November 2008
Vom Blättern in Magazinen. Indie. Missy. Das illustrierte Wandern durch andere Leute Jugendwelt. Die Prüfung auf Welthaltigkeit. The melancholy hour of Mittagspause. Ein Hauch von etwas. Am Nebentisch eine junge Schauspielerin. Jenny oder Jana oder Juno. This year's Erscheinung. Oder war es etwa schon letztes Jahr. Die Zeit, die liebe Zeit. Im Fenster ein Windspiel. Eine nimmermüde Ente, die stur ihre Flügel dreht, immerzu, gefangen in einem Wahn, vor Augen ein Ziel, das sie vor lauter Mühen längst vergessen hat. Keinen Zentimeter kommt sie voran.
Heute morgen dann ein ähnliches Gefühl. Das Thema hieß "Blutabnahme", nüchtern bitte und früh, es ist eben ein Verteilungskampf da draußen und kein Kuschelspaß. Meine Flamme Ärztin eilte kurz grüßend vorbei, husch wie der Wind, so sind die jungen Damen, ich aber hatte heute nicht die Emo-Punk-MTA mit dem rasant geschnittenen Schwarzhaarpony und den blauesten Augen der Welt, sondern ihre skandinavisch-blonde Zwillingsschwester. Die hat einen Blick, den müßte man auch einmal malen. Vielleicht mit Blut, ich und mein Arm wären dann so frei.
Nach dem flotten Nadelspiel dann wieder auf der Straße, Zeit für den ersten Kaffee. Nach dem tollen Erlebnis vom letzten Mal, gönne ich mir noch einmal die Mitnehm-Variante. Der junge Mann hinter dem Glastresen trägt eine Nikolausmütze, so weit ist es auch schon wieder. Mein Kaffee kommt, dampfend, heiß, wie wunderbar, selbst der junge Mann ist entzückt. "Soll ich den Deckel draufmachen?", fragt er fast andächtig. Mein Mantra, seit einigen Tagen, denke ich. Was für ein Zeichen. "Ja bitte, machen Sie den Deckel drauf", antworte ich, verstaue meine Geldbörse und schaue gebannnt, wie der junge Mann mit der Nikolausmütze hinter dem Glastresen den Deckel aus Plastik nimmt und meinen Kaffee verschließt. Das scheint mir gar nicht so schwer, denke ich, danke dem jungen Mann mit der Nikolausmütze, nehme den Becher vom Glastresen und befinde so im Stillen für mich, so leicht kann das also sein. Einfach mal den Deckel drauf machen.
In der U-Bahn bin ich fast beschwingt, es mag am Blutverlust liegen, an der leise kichernden Hysterie, die seit Tagen in meinen Adern schwingt, vielleicht auch am Hunger oder dem frischbedeckelten Kaffee. Der Becher gibt mir ein gutes Gefühl, ich fühle mich jung, modern, zugehörig. Den jungen Mädchen, die mich müde unter ihrer Strickmützen hervor anschauen, zeige ich meine Trophäe, mein Signum des Urbanen: Schaut her, rufe ich (aber still), ich bin bereit für die Welt. Ich habe verdammt noch mal einen riesigen Kaffee. Aber ich habe den Deckel drauf.
Mittwoch, 26. November 2008
Ein Titel, den ich schon immer mal schreiben wollte. Toll. Und er ist noch nicht einmal von mir. Könnte aber! Man muß sich dazu einen nachtlichternen Text aus dem Halbdunkel eines großstädtischen Vergnügungsviertels vorstellen. (Where the streets have männliche Vornamen, aber mehr so gewöhnliche wie Erich, Gerhard, Herbert.) Eine weitere famose Idee hat ebenfalls bereits den enggebauten Geburtskanal zur schieren Existenz durchschritten: Frau Gaga nämlich machte mich auf die primzahlaffektionierte Flickr-Gruppe 37 aufmerksam. Die Dinge sind überall, man muß nur darauf achten. Wunder & Zeichen, Sinn & Form.
Es ist die Nacht zu allererst der Koffer für Gedanken. Man muß wählen, Gerste oder Obst. Gestern ist Geschichte, morgen nur Gerüchte. Ich bin, wo ich immer war. Hier.
Sonntag, 23. November 2008
Die stillen Tage. Die kleine yellow brick road quer durchs besinnliche Gestrüpp, das Gedenken, Zurückdenken und Vorwärtsdenken. Die kalte Luft schneidet quer durchs Gesicht, brennt die Ohren, klammt die Finger tief in den Manteltaschen. Herzen als Kühlkammer bleibt purer Luxus für Besserverliebte. Beim Kaffee, beim Kuchen fällt wieder das Wort vom Deckel drauf. Miteinander lachen, nicht über andere. Eine Reise ohne Führerschein. Jedem sein eigenes Kansas. Ich, rostiger Blechmann, fasse einfach ihre Hand.
Donnerstag, 20. November 2008
Vor Jahren habe ich im Sorgenbrecher mal lange Händchen gehalten. Da war ich verknallt, die Stimmung gut und die Nacht wohl ohne Ende. Den Laden gibt es immer noch, die Liebe längst nicht mehr. Daran kann man merken, an welchen Rettungsring sich festzuhalten im Zweifelsfall weniger Risiko birgt. Wo vielleicht mehr Zuspruch kommt, wenn das Telefon drei Tage schweigt. Man humpelt besser in die Kneipe, suchst du etwas mit Verlaß.
Aber natürlich legt man immer wieder ab, zerstreue ich die Trübsal wie mit einer lässigen Hand. Schmeißt sich aus dem Rettungsboot, mit nackter Brust und bettzerzausten Haaren, holt vom Laden Milch, Eier, Brot als frischen Bordproviant. Gedanken, die in Zügen fahren, ferne Städte, fremde Welten, viele Fragen, keine Antwort, sie gibt den Kafka, sagt: Gibs auf!
Später, woanders dann, zwei Theken weiter, werden Gang of Four gespielt. Am Tresen raucht einer eine Zigarette, und ich sage, eben das ist meine Musik. Ich will es rauh, nicht glitzernd. Musik, mit der man Häuser baut.
Dienstag, 18. November 2008
Mein Lesestuhl ist ein Fundstück vom Flohmarkt. Die seelenberuhigende Aura eines Sanatoriumsliegestuhls aus den 20er Jahren fiel mir gleich ins Auge, perfekt, so dachte ich, für moribunde Lese- und Entspannungsstunden. 30 Mark kostete er (oder waren es schon Euro?), Wintergarten leider nicht inklusive.
Nun entdeckte ich meinen Stuhl bei Manufactum*. Ein wenig unbezahlbar für normalversicherte Zauberberglungenkranke, wie ich finde. Und meiner hat neben der patinierten Ausstrahlung sogar Fächer für Zeitschriften und Gläser in den Armlehnen. Überhaupt läßt sich eine Menge mit ihm anstellen, Rückenlehne, Beinstütze, alles beweglich, allerlei interessante Sitz- und Aufenthaltspositionen bietet er an für fiebriges Dämmern oder aufmerksames Blättern. Ich habe ihn unter ein Fenster gestellt, gleich neben dem Grammophon, und kann so aus dem Schiss Flug der Möwen die Zukunft lesen. Auf so ein wertvolles Möbel mag ich mich jedoch kaum noch setzen, denn nachher hinterlasse ich Staub und Kratzer. Überraschend käme das nicht.
* Das Foto entstand übrigens im Botanischen Garten Wuppertal, eine Stadt, deren morbider Reiz darin liegt, selbst wie ein ewiger Zauberberg mit eigener Zeitrechnung zu sein.
Freitag, 14. November 2008
Die letzten Tage feiern wir einige Ausstandspartys. Man trinkt sein Bier, ißt etwas von der Notration, steht zusammen, wie auf einer Eisscholle, die abdriftet. Ringsum schmilzt das Eis, wir drängen uns weiter zusammen, ab und an fallen welche über den Rand; da muß man eben cool bleiben, meint einer. Ich sage, laßt uns Titanic spielen, und hinten summen ein paar "Nearer My God To Thee".
Es ist aber auch schön, dieser Moment, da alle spüren, wie sich etwas ändert, etwas sich neigt, auch neu beginnt dann irgendwann. Alte Kollegen schauen herein, es gibt viel Hallo, stummes in-den-Arm-nehmen, manche küsst man, die vielen Jahre, sieben, elf oder achtzehn. Menschen, die man lieb gewonnen hat, auf ihre Art oder auch eigene Art, Menschen, mit denen man mehr Zeit verbringt als mit den Liebsten daheim oder denen, die man am Wochenende trifft.
Ich denke, wie oft man strukturiert und umstrukturiert, Menschen neu zusammensetzt und sich dabei selber neu zusammensetzt. Wie Leichtigkeit verlangt wird, die Fähigkeit nämlich, Bindungen zu lösen, zu vergessen, und groß zu bejubeln, was neu erscheint. Wir aber sagen, fuck you, good night, danke, und mit uns zieht die neue Zeit, und die wird bekanntlich super.
Wir wippen zur Musik, Robbie singt was von Abschied, so ein Scheiß, einer erzählt noch vom Setbesuch. Wir tauschen Namen, ich lache (nach innen), es sind doch immer dieselben Gestalten. Und dann noch die, die ihre Lügen per Anwalt deckt.
>>> Emotional Landscapes
Mittwoch, 12. November 2008
Ich habe dieses Jahr viel Selbstgemachtes zum Geburtstag bekommen. Kunst. Selbstgeschossene Fotos, selbstgestaltete Objekte, selbstgeschriebene Bücher, selbstübersetzte Bücher, selbstgebundene Bücher, selbstbedruckte T-Shirts, selbstgemalte Bilder, selbstgekelterter Wein, selbstgetanzte Tänze - ich mag es, wenn Menschen selbst etwas tun, statt nur davon zu reden.
Heute erreichte mich noch ein Päckchen, das mich besonders rührte. [Liebe Post: Mir ist jetzt klar, warum das in den USA nichts wurde. Es war am 27.10. abgestempelt, wegen eines simplen Zahlendrehers in der Postleitzahl aber bis jetzt unterwegs, wohl mit einem Umweg über die Schweiz, Zwickau und das Büro von Herrn Schäuble, in dem sicher gerade heute auch sehr gefeiert wird.] Die Sache mit der Mosel wird jetzt niemand verstehen, das macht aber nichts. Ist trotzdem wichtig, auf eine Art.
Weil ich Menschen in meiner Umgebung mag, die sich nicht gezwungen fühlen, die verstehen und ihren und meinen Humor bewahren.
Dienstag, 11. November 2008
Für eine Berliner Produktionsfirma schreibe ich gerade das Treatment meines langerwarteten Drehbuchs "Kleines Herz auf großer Reise"1. Ein Waisenkind beschließt... usw. usf. Das ist alles ziemlich aufregend und spannend, und ich höre schon die ganze Zeit im Kopf das Gefiedel der Degeto-Musik, die sich wie eine üppige Schicht Leichtmargarine über die goldgelbgefärbten Landschaftsbilder legen wird.
Am meisten gelacht habe ich immer bei den kleinen Abenteuern am Rande der ganz kleinen Straßen. Tiere werden ja immer gerne genommen, weshalb in meinem Drehbuch eine prominente Rolle auch ein kleiner Hund besetzen wird. Manche albernen Witze würde ich natürlich im Rückblick nicht mehr so albern reißen oder sie zumindest nicht ganz so selbstgefällig wiedergeben, aber in so einen Freitagabendfilm packe man ruhig alles rein, rühre es kräftig unter.
Läuft schon. Und der Rest versendet sich. Gewöhnen muß ich mich an die, die mit einem Bein innerhalb, mit einem Bein außerhalb stehen. Auf dem T-Shirt steht: Wir sind im Team. Also in allen. Die Gepflogenheiten des Systems, wenn drüben, Musik im Studio B, die Scheinwerfer vielleicht heller leuchten. Die Rücken sind biegsam, alle gute Freunde und Herzblut kommt in Ampullen aus der Requisite, es ist am Buffet genug für alle da. [Drink doch ene met, stell dich nit esu ann, ein Branchenproblem übrigens.]
What goes in, must come out. Heute morgen, die U-Bahn-Treppen hinauf, die ältere Frau, die einen großen Pappkarton an einem Griff trägt, wie einen Koffer. Der Schriftzug eines Hygieneartikelherstellers prangt auf der Seite, darüber in groß, sehr groß: "Blasenschwäche im Griff". Wie witzig Designer sein können. Das muß unbedingt rein in den Film, das Leben nämlich.
"Nach einer Überlegung des Publizisten Harry Pross drückt sich Macht und Herrschaft auch darin aus, in welchem Umfang jemand die Lebenszeit möglichst vieler Menschen okkupiert; real, indem er Menschen beispielsweise in Kriege schickt, oder - was heute kraft der Massenmedien wesentlich effektiver ist - indem er das Bewußtsein der Menschen mit bestimmten Vorstellungen und Gedanken besetzt."2
Als agitatorisches Medium genutzt, kann der Film, genauer: dieser Film, also "Kleines Herz auf großer Fahrt" nämlich, die Menschen aufrütteln, beschäftigen, das Handeln und damit das Sein verändern. Natürlich ist dies eine Frage von Macht und Herrschaft, aber es dient ja einem guten Zweck. Denn dieses Waisenkind... Ein ehemaliger Star aus der "Schwarzwaldklinik" spielt vielleicht mit, so weit sind wir in den Gesprächen noch nicht. Sicher habe ich auch schon zuviel verraten, man schweigt in der Branche, streut falsche Fährten, es wird soviel geklaut, man muß sein Wasser halten und redet besser von Projekten, wichtigen Projekten und denen, die von Herzen kommen. Die Dreifaltigkeit des Projektewesens. Die Inhalte indes gründeln tief wie verliebte Fischchen im Schlick.
Die weinen nicht, wenn der Regen fällt. Erst sollte der Film "Badlands - Zerschossene Träume" heißen, aber man bedeutete mir, den gäbe es schon und ein solcher Titel passe nicht auf den Freitagabendtermin. Man erlebt sich besser was zurecht. Nicht stehenbleiben, losziehen. Kleines Herz auf großer Fahrt. Ein Knaller.
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1 Titelschutz beantragt.
2 Enno Kaufhold, "Paparazzi: Akteure der Ablenkungsindustrien". Photonews, 11/2008.
Montag, 10. November 2008
Auch darum geht es schließlich im Leben: Sich immer wieder aufs Neue faszinieren zu lassen. Abtauchen, eine stille Welt entdecken, mal "Ach" sagen oder auch "Oh". Die Axlotls aber sind zu weit weggesperrt, da tröstet auch der geringelte Bambushai nicht sehr. Was fehlt, sowieso, ist das einst erlebte Überwältigungsmoment, das Gefühl für Größe und Tiefe, ohne den Kitsch eines Fantasialandes.
Es gibt ausgesprochen griesgrämige Fische, als lebten sie in einem ewigen November.
Mittwoch, 5. November 2008
Wie schön es wäre, denke ich manchmal, einen Garten zu besitzen. Einen kleinen vielleicht, denn ein Grundstück macht auch Arbeit. Fallende Blätter, wühlende Würfe, maulende Besucher. Man zupft hier und spatet da, pflanzt, sät und macht. Aber wie schön es wäre, so denke ich manchmal, in leicht domestizierter Natur auch ein wenig zu entspannen. Auf Liegen liegen, in Büchern blättern, nach Wolken gucken. Und im Sommer könnte ich eine lampionverhängte Gartenparty geben. Oder Krocket spielen.