Donnerstag, 21. Mai 2009

Noch vor dem Gewitter, dem Hagel und dem Orgeln der ganz großen Schiffssirenen draußen im Garten des Cafés gesessen, Feiertagsgespräche, der richtige Kuchen, kurz mal Luft holen im Vielzutun. Nach Hause huschen, vor Tropfen ducken, die U-Bahn fast leer, ich habe Blumen gekauft, ich möchte ein paar Träume haben.
Sich zurücklehnen, ausspannen, in der Küche schnippeln, am Rosmarin riechen, Bobby Kline hören, später etwas über Matt Collishaw lesen, ein Internettagebuch befüllen.
Die vielen Dinge nicht sagen.

Mittwoch, 13. Mai 2009
Ich sehe gerade Prinzessinnenbad. Man sieht vieles, was man für jene Stadt als typisch empfindet, was an ihr befremdet und abstößt. Was man an ihr lieben kann. Die Kameraarbeit ist ziemlich gut, viele sehr gut komponierte Bilder, Tableaus aus abgewrackter Tristesse, in denen zarte Pflanzen blühen. Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden, die Welt in den Grenzen von Internet-Café, Freibad und Dönerbuden-Party. Und anrührend wie so vieles nicht anders ist als es immer war und überall. Der Kummer, die erkämpften Freiräume, der Zweifel, die Sehnsucht, die Unsicherheit. Immer diese Unsicherheit, für die wir später Masken finden.
Wäre alles anders, würde man woanders wohnen? Gestern schaute ich mir hinter dem Krankenhaus das kleine Viertel mit den Kapitänshäusern für Oberärzte an. Kleine schmucke Häuschen, alter Klinker, an dem der Efeu rankt, diese typische, heute etwas muffig wirkende Architektur mit dem großen Panoramafenster, der Wintergarten für die Mittelschicht. Dahinter sitzen alte Damen in der Sonne, lesen Romane von Erich Maria Remarque oder Novellen von Binding, rücken ab und an die Blumen in der Vase zurecht und lauschen dem Gesang ihres Kanarienvogels. Na ja, vielleicht stimmt das gar nicht, und ich glaube, es gibt auch keine Kanarienvögel mehr. Gleich um die Ecke kann man auch nett wohnen. Dort steht ein alter umgebauter Wasserturm, in dem die kleine Einliegerwohnung ja wohl hoffentlich noch frei steht. Ich werde mich als Ina Müller verkleiden, einfach mal leutselig klingeln und mich zum Tee einladen. Die Entdeckungen, die man macht, wenn man vom Weg abkommt und in Seitenstraßen gerät. So viele Geschichten liegen dort rum.

Montag, 11. Mai 2009
Gerade eben beim Autohaus (das soll nur eine Ortsbestimmung sein, kein inhaltlicher oder kausaler Zusammenhang, auch wenn es dort auch eine Kantine gibt) einen televisionsbekannten Restauranttester gesehen, das Mobiltelefon am Ohr, wie das so ist bei televisionsbeschäftigten Menschen, fern, aber nah, fast so wie ich. Ich fühle mich auch häufig aus weiter Ferne so nah als Tester der ins Hintertreffen geratenen Lebensumstände, wenn ich frage: Was willst du eigentlich darstellen? Was soll das hier eigentlich sein? Ist das hier eine Schnitzelbude oder ein Lifestylerestaurant? Ehrlich, ich hätte ihm gerne kurz mal im Vertrauen mein Käsebrot gezeigt. So unter uns.

Samstag, 9. Mai 2009

Auch wenn ich nicht wirklich und vom Herzen her zu den early birds gehöre (ihr habt ja alle kein schönes Bett), lasse ich mich von der Sonne gerne auch am Wochenende zu einem frühen Start in den Tag überreden. Nach dem kleinen Wolkenbruch gestern abend blitzte die Landschaft draußen irgendwie wie frisch geschrubbt, und das muß inspirierend bis in die schattigen Tiefen meiner kleinen Kapitänskajüte gewirkt haben.
Bei Isa plauderten wir kürzlich angeregt über den Verbleib der Stachelbeere, was wohl ebenfalls inspirierend bis hinein in meine kleine Kapitänskombüse wirkte, und außerhalb der Saison wurde ich zufällig im schwedischen Feinkostgeschäft fündig. Ich muß sagen: Stachelbeermarmelade, nun comment dirais-je, stachelt einen offenbar so richtig auf - und in einem plötzlichen Energieimpuls dachte ich frech wie ein Schwedenmädel, Mensch, kannste ja mal wieder.
Ich also mit einer ollen Jeans, die Beine hochgekrempelt, die Haare hochgesteckt wie Cinzia in Hausboot feudelte ich mit Besen und feuchtem Tuch, ein Lied auf den Lippen, Pesto, Pesto Presto, presto, doing very besto wie eine Schweizer Kunstflugstaffel im Tiefflug durch die Wohnung, drückte mit einem kühnen Mamboschwung meines Hinterns die Tür zur Waschmaschine zu, setzte das Programm in Gang, hatte schon den Staubsauger in der Hand, in der anderen ein weiteres Wischtuch um die Deckplanken zitrusfrisch zu schrubben. Am Ende mußte ich mich glatt selber bremsen, weil ich plötzlich meine Nena Live-CD (fragt nicht) einlegte, das Tempo verschärfte und unentwegt ...ich putz dir ein Schloß aus Sand (aus dem Kopf zitiert) summte.

Donnerstag, 7. Mai 2009

Die neuen Laufwege erkunden. Einen Brokkoli gekauft, mein kleines Grünkonzept, Kreise ziehen, Autohaus reiht sich an Autohaus, ein Lebensmitteldiscount, ein Lotto-Toto-Bistro. Ein Reservat der Mittagstische, mein Käsebrot ein tragbares Basislager, ein Stück Heimat, mein Rettungsring. Man muß die Kruste ringsum so abbeißen, daß ein Herz übrigbleibt.
Zwischendurch regnet es. Ich mag den Regen. Wie er alles dämpft, bedeckt, das aufdringlich Bunte ertränkt.

Mittwoch, 6. Mai 2009

Mit dir stehe ich ja buchstäblich auf dem plattgefahrenen Kriegsfuß, o Hamburger Autofahrer, der du denkst, man müsse den Kreuzungsbereich nicht freihalten. Der du dich erregst, wenn Rechtsabbieger erst einmal die Fußgänger queren lassen. Der du dem archaischen Irrglauben anhängst, lautstarkes Hupen ließe ein vor dir stehendes Hindernis levitieren und löse jeden Stau in eine wabernde Wolke von Weihrauch auf, so als ginge eine besondere spirituelle Kraft von deinen protestantischen Straßen aus. Manchmal passieren auch kleine Wunder, wie heute, als der engagierte < insert eine gewisse Automarke >-Lenker dem vor ihm zögernden Fahrzeug mit expressiv herausgestellter Emphase, wildem Gestikulieren und durchdringendem Signalgeben quasi von hinten aufs Gaspedal steigen wollte, darob aber den eigenen Motor vernachlässigte. Selten ein schöneres Abwürgen betrachtet, begleitet vom nun einsetzenden Konzert der wiederum Blockierten, ach es muß raus, es muß raus, die stürmische See, das innere Wogen. Nun ist Schadenfreude natürlich kein feiner Zug, um auch einmal ein anderes Verkehrsmittel aber ein kleiner Charakter wie ich kann sich daran gut aufbauen. Es gibt einem den Glauben an einen gerechten Gott zurück und den Sinn für den Ausgleich alles Seins und Wirkens. Wo die Transzendentalisten die Existenz Gottes aus der Natur lasen, bleibt uns Urbanisten der Straßenverkehr. Die silbrig glänzenden Maschinen der Handelsreisenden sollen sein wie Schwalben am Himmel.
Ich hingegen stieg in den Bus der Liebe, Keim an Keim im Chor der hustenden Nahverkehrsbewegten und bin nun hier, in unserem kleinen Kloster und übe mich im Schweigegebot.

Freitag, 1. Mai 2009
endlich wird eure Herrschaft gefällt.
("Arbeiter von Wien", Q)

Im Alten Land wird am Samstag eine Blütenkönigin gekrönt. Miss Krisenblüte wird dann ein Jahr lang bunte Bänder winden, Jünglinge herzen und alternde Honoratioren. Die Ernte segnen und auch das Wirtschaftswachstum.
Die Sprachlosigkeit überwinden, aus dem Schatten treten. Ich habe nun drei Pfund zugelegt und strebe eine neue Gewichtsklasse an. Galeeren sind schließlich wendiger als große Schiffe in ihrer muskeleffizienten Ökonomie. Ein fröhliches Arbeiterlied auf den Lippen, heißt es alles geben fürs abendliche Tingeltangelland. Beim Klamotten-Discounter, hört man, gibt es schwarz-rot-goldene Hemden, made in Bangladesh. Wir immerhin haben uns ein neues Klima geschaffen, auch unsere Generation hat Bleibendes getan. Wir werden unsere Arbeitszimmer aufräumen in der Sonne liegen, Sardinen grillen und nur noch sanfte Lieder singen.

Samstag, 25. April 2009



Der Marathon ist zwar erst morgen, aber ich kann sagen, ich war heute bereits im Ziel. Auch ein Umstand, den man zur Metapher umschmieden und anschließend zu Tode reiten könnte. Frühstart, frühvollendet, vor der Zeit oder right time, right place wie unsere Freunde aus der anglistischen Fraktion mit ihren Benjamin-Franklin-Truisms sagen würden. Sicherlich bin ich nicht schneller als andere, soviel ist schon mal sicher. Ein gutes Gefühl aber, mit leichtem, federnden Schritt auf der noch jungfräulichen Ziellinie zu stehen, ein wenig den Moment zu kosten und das Gefühl angekommen zu sein. Schließlich ist das Leben nicht nur Wettbewerb, der Schmerz nicht und auch die Liebe nicht, und so gilt es, die kleinen Augenblicke zu würdigen, sich an ihnen zu erfreuen, sie als Geschenk sehen, nicht als allzu leicht errungenen Sieg. Natürlich wäre es schön gewesen, hätte dort jemand gestanden, der mir Essig Wasser gereicht hätte, ich meine, 42, 195 stand dort, die "magische Zahl", wie eine Langstreckenkollegin andächtig flüsterte, die gleich mir auf dem Gelände umherschlich. Aber zäh wie ich dann doch bin, auch eine Form von Belastbarkeit, schaffe ich es auch im Ziel eines Marathons, mir noch selbst die silberne Aluflasche aus der Tasche zu holen, den Verschluß aufzudrehen und einen kräftigen Schluck zu nehmen. Im letzten Augenblick hielt ich mich aber selbst zurück und vermied es, mir im jubelnden Überschwang den Rest über den Kopf zu gießen. Es hätte ja auch keiner gesehen.

Ein anderes Geschenk stammte heute vom Flohmarkt. Ein schönes Wörterbuch, für das ich nicht einmal etwas zahlen mußte. Es ist von 1956, dem Jahr, in dem Alain Mimoun den olympischen Marathon in Melbourne gewann. Der Weg zum Hirnchirurgen ist dennoch weiter als 42,195 Km. Und abkürzen gilt nicht.

Freitag, 24. April 2009
Eine ambitionierte Grundschullehrerin dürfte das auch nicht sehen, ohne die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, aber hier kann ich es ja zeigen. Jedenfalls so halb. Es ist alles nicht spektakulär geworden, macht aber Spaß, das kann ich mir jetzt zehn Mal an die Tafel schreiben. Streng genommen macht es sogar so viel Spaß, daß ich überlege, die Dunkelkammer rauszureißen und in die winzige Ecke eine Druckerpresse zu installieren. Irgendwer wird ja auch - wenn die Revolution beginnt - klandestine Plakate drucken müssen und T-Shirts und Versammlungsaufrufe. Ihr Narren denkt natürlich, ihr könnt die Postscript-Files mal eben per Mail oder USB-Stick zum Copy-Shop transferieren. Hahaha! Sicherheitsorgangesichert geht das nur mit dem fälschungsfreien Linoldruck aus der Shitty Press, läuft - garantiert Adobe-frei - auf jedem Wohnzimmertisch, der eine Glasplatte und eine Gummiwalze tragen kann.
Aber das nur nebenb3i. Irgendwo lief gerade so eine tolle Blog-Aktion mit Herzen und Steht-mit-einer Faust, bei der man Blogs verlinken sollte (ich habe es leider geschwänzt) und ein paar haben dabei auch mich verlinkt und nette Sachen dazu geschrieben - dafür vielen Dank! Ich schneide das ebenso kleinteilig wie unleserlich in Linoleum oder Holz (ist ja jetzt alles möglich, auch Horst Janssen hat mal klein und trunken angefangen!) und drucke es aus. Prima.
Am Ende eines derart leichtwindumwehten Tages darf man getrost mit einem Glas billigen Rotweinfusels am Fenster stehen, Miles Davis spielt dazu was von "There's No You" und "My Funny Valentine", und ich denke großspurig berauscht, kann ich auch, bei eBay gibt es schließlich nicht nur Linolschnittmesser, sondern auch Trompeten, habe ich gesehen! also wartet nur ein Weilchen, dann spiele ich euch "Fahrstuhl zum Hamburger Schafott" in Aquatinta mit Strubbelhaaren im Revoluzzer-T-Shirt (Bürzel dabei aber wie ein guter Donaldist immer bedeckt halten, mahnte mich Frau Gaga einst), während in meiner kleinen Kunstkasinoküche (die 3 K der Hermetischen Akademie) Scampi und Gedöns und Paprika in der Pfanne bruzzeln (Revolutionsküchenessen an Gartentischen und Thonet-Stühlen, anschließend Diskussion mit Käsebrot, Thema: Farbe und Dings nicht so dick auftragen, nur im Pathosgewerbe ist mehr mehr!) und ich auch mal zufrieden bin (aber unrasiert).
Da staunt ihr, aber wartet nur, bis euch alte Männer küssen wollen, denn das passiert dann auch, kunst- und künstlergeplagte Musen wissen das.

Dienstag, 21. April 2009
...führte mich gestern bereits bis zum Tierheim, vor dem sehr ernsthaft schauende Kinder mit Pappkartons standen, wohl, um die zu Ostern geschenkten Kaninchen zurückzugeben. Sie standen dort, schauten abwechselnd auf die Kartons in ihren Händen, auf die glänzenden Autos, an denen ihre Väter oder Mütter irgendetwas in den Kofferräumen richten mußten, und auf die Tür, an der Bitte klingeln stand, als wäre das pochende Geräusch in den Ohren nicht bereits laut genug.
