Mittwoch, 6. Februar 2013
Es ist wie so oft: Man steht in der Öffentlichkeit, muß sich mit den inneren Dämonen auseinandersetzen und dabei Haltung und eine gerade Krawatte bewahren. Manchmal dabei aber auch wie ein Fassadenkletterer hinter die dürftig lackierte Frontblende steigen und einen kritischen Blick auf den Motorblock werfen. Ich also, mit Krempelärmeln, Schraubenzieher hinter dem Ohr und einer Taschenlampe zwischen den Zähnen, mutig in der großen Maschine herumgewerkelt.
Es begab sich nämlich, daß dieser von Version zu Version immer elender werdende Firefox sich mit seinen javaverlöteten Zahnreihen in die Grafikkarte verbiß. Wie ein aufmerksamkeitsdefizitärer Dreijähriger stand er am Lichtschalter, ein, aus, ein, aus, eine juchzende Freude, nicht so aber für mich oder auch nur meinen Monitor. Daher der Ruf: Aus jetzt! Was wiederum die große Maschine mißverstand, beleidigt rief, hallo, ich bin doch kein Macintoshklamott, ich bin ehrlich empfindsam. Vergänglich. Und nun also gekränkt.
Und nun also wie tot. Vermukscht wie vergessenes herbstliches Laub im Hundeauslaufschnee.
Mit meinem Schraubenzieher und einem Programm namens "Blüm 2000" (Version "banniges Blümchen") alle Daten auf Tontafeln gesichert und ansonsten den Staub der Jahre ordentlich durchgepustet. Pause zu Hause nennt die Werbung das, ich komme nun früh ins Bett und habe in meiner Plattensammlung das ein oder andere Schätzchen entdeckt. Auch befindet sich nun in meiner Wohnung ein Fernsehgerät, auf dem ich auch ohne elendigen Firefox durch 35 verschiedene Blogs von ARD bis ZDF surfen und dabei traurig werden kann.
Ab und zu schaue ich wie Regen oder auch Schnee oder einfach wieder Regen gegen meine Fensterscheiben gedrückt wird, starre beschwörend auf den Kalender und warte auf das Ersatzteil.
Montag, 31. Dezember 2012
Dann also wieder alles zum Ende bringen. Sich selbst, also das alte Selbst, gleich mit zum Altpapier. Zusammen mit den Bilanzen und Rechnungspapieren. Fein säuberlich alles aufliniert, die Menschen, die dieses Jahr gingen, manche überraschend, manche weniger, die Menschen, die dieses Jahr kamen, manche überraschend, manche - auch. Zu wenig Musik aber war da nach meinem Geschmack. Vom schönen Ödland-Konzert abgesehen, wo man später sagen können wird: Die habe ich mal in einem ganz kleinen finnischen Club gesehen! Wie das überhaupt so ein schöner Abend war, einer von diesen überraschenden, zwanglosen. Und es mir ja richtig gut ging, was ich aber erst später wissen würde.
Zu wenig Filme auch, Bücher sowieso kaum, und zuviel Kunst ausgelassen. Wirklich zuviel. Wirklich zu viele Krankenhäuser auch, das wird sich 2013 doch wohl besser organisieren lassen. Hoffe ich. Die Krankenkasse nämlich knickte (vorerst) ein. Nach meiner freundlichen, aber vorschlagsfreudigen eMail entließ man mich (vorerst) aus dem eCard-Programm. Ein kleiner Erfolg (vorerst), der am Ende eher doch nichts bringen wird. Die Kasse schickt einen Brief, man würde mich (vorerst) nicht mehr behelligen, aber mit einem deutlichen "ich würde schon sehen, was ich davon hätte"-Unterton. Die Kanzlerin indes schwört uns auf Trockenbrotjahre ein.
Warum auch nicht, nach all den schicken, scharf-gewürzten Suppen der Nachwendezeit und den Eisbeinjahren der Bonner Republik. Wat fott is, is fott, vorerst gescheitert, haha, das muß man alles immer ganz nüchtern sehen. Auch wenn das manchen heute um Mitternacht sicher schwer fallen wird. Die Bilanz fischt schon einer rechtzeitig aus dem Container. Bis dahin, vorerst wie immer.
Immer weitermachen.
Stoßt mit dem Richtigen an. Nicht einfach so in die Menge.
>>>Geräusch des Tages: Der Mann ohne Vergangenheit
Samstag, 22. Dezember 2012
Nur kurz, ich habe keine Zeit, es ist Zeit für die Weihnachtsvorbereitungen. Heute Vormittag durch den frischgefallenen Schnee zum auch biologisch erzeugte und in Marken gehüllte Produkte veräußernden Süper Ü um die Ecke gestapft. Auch dort sind sie bereits da: Ein junges NeonNido-Pärchen nebst mitgeführtem in handgeflochtenem Freies-Wendland-Weiden-Maxicosi gebetteten Säugling, er so mit platzeinnehmendem Rucksack und Beanie-Mütze, das Klitzekind mit Beanie-Mützchen, sie so mit Einkaufswagen-im-Weg, und alle blockierend am Gemüsestand. "Sollen wir das mitnehmen oder lieber das?" säuselten die tiefenentspannten Gespräche, während unwirsche Arbeiterviertelrentner, die nun wiederum an einem Samstag auch nicht gerade einkaufen gehen müssen, versuchten, um das Kleinfamilienensemble zu kurven. "Ach, weißt du, was wir machen: wir nehmen was von dem hier mit, das kann man voll schön überbacken!" Entzücktes Jauchzen, ob dieser spontanen Idee, während ich gleichfalls spontan und aber auch entspannt, denn ich habe ja alle Zeit der Welt, versuchte, ebenso entschlossen wie einer dieser Arbeiterviertelrentner, aber mit Berechtigung am Samstag einzukaufen, um das Paar zu kurven. "Sollen wir nicht auch sowas hier reintun, für mehr Konsistenz?" wurde aber erst einmal raumgreifend weitere Essenspläne diskutiert, so daß Die Blockade am Gemüsestand (wie ich mein daraus entstehendes nächstes Buch nennen werde) anhielt.
Es ist eben Fest der allgemeinen Teilhabe. Warum vorher alles besprechen, Zettel machen, alle Dings zackzack in den Wagen und Platz machen, wenn man die essentiellen Dinge des Leben auch just in time vor allen Leuten zum Gemeinschaftserlebnis machen kann. Das wird noch hübsch werden mit diesen Gentrifizierern, die hier nach und nach einströmen und bald Klage führen werden, daß hier ja nix sei, während Alteinwohner wie ich am Stehtisch vor "Moni's Imbiss" ("Frühstück ab 5") mißmutige Blicke werfen werden. Muß man elastisch bleiben.
Daheim dann in Cary-Grant-Hausjacke geworfen und beschlossen, eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern abzuspielen, um endlich mal feierliche Stimmung anzuleiern. Das ist ja ein Klassiker am Weihnachtsfest, Mann in Cary-Grant-Hausjacke, Frau sagt, ach, spiel doch mal die schöne Platte, dann wird grummelnd im Schallplattenstapel gesucht nach den "20 Greatest Christmas Hits" mit Bing und Mahalia und nach einem Jahr Betriebspause der Schallplattenspieler angeschaltet. Und immer und immer wieder kommt die erstaunte Klage (meist an Heiligabend, aber ich bin organisiert, ich teste das vorher schon): "Er geht nicht!" Wie. Ja, er geht nicht. Wie. Der Plattenspieler. Er geht nicht. Aber wir wollten doch die schöne Platte hören. Ja-ha, aber er geht nicht. Wie. (brummel, brummel, Mann rappelt am Gerät, betätigt Schalter und bewegliche Teile) Komisch, das ging doch neulich noch. Letztes Jahr. Ja, letztes Jahr.
Aber das ist oft im Leben so. Was vor einem Jahr noch ging, geht dann eben nicht mehr. Wer wüßte das besser als ich. Also die Ärmel der Cary-Grant-Hausjacke hochgekrempelt, das Feinwerkzeug geholt, den Plattenspieler ausgebaut, die Explosionszeichnungen, die ich vor Jahren mal aus diesem Internet heruntergeladen habe, (Ein Jingle für das Internet!) studiert und den kleinen über eine ausgefuchste Hebelmechanik bestätigten Ein-/Ausschalter am Motor nachgefettet. Schon lief er wieder an. Wieder alles zusammengebaut. Läuft. Oh, er geht nicht mehr aus. Round an around läuft der Teller... never, never, never stop (Bunnymen).
Also noch mal ausgebaut, die komplizierten Hebelläufe studiert. Offenbar eine Zugfeder, die entspannt wie eine Bilderbuch-Nidofamilie keinen ordentlichen Zug mehr drauf hat. Also mit der Sezierpinzette ("Schwester...") die Feder ausgebaut. [gekürz. Fssg.] Feder wiedergefunden und zum OP-Tisch getragen. Etwas gekürzt, nachgebogen. Wieder eingebaut [gekürz. Fssg.]. Läuft. Na ja, noch nicht so richtig, aber schon. Ich meine, der Tonarm hebt jetzt nicht mehr automatisch ab. Da muß ich noch mal in die Explosionszeichnung schauen. Könnte ein größeres Projekt werden, ideal zum Beispiel für stille Weihnachtstage, wenn man sonst nichts anderes (z.B. eine Eisenbahn) aufbauen muß. Oder sich selber.
Jetzt mal schön CD hören.
Mittwoch, 12. Dezember 2012
Ja. Scheiße.
Sonntag, 9. Dezember 2012
Himmel! Es gibt ja ganz viele Pronoseiten im Internet! So. Was war los. Erst war ich adrett gekleidet mit noch adretter gekleideten Damen los. Es ist ja die Zeit der Weihnachts- und Besinnungsfeiern.
Dann mußte ich im Fernsehen eine Wir-bekochen-uns-gegenseitig-Sendung schauen, in der Deutschlands berühmteste Kürschner Makler und Luxusmakler auftischten. Frau G. kann nicht kochen, aber da hatte ich schon so einen Anfangsverdacht.
Dann wurde ich von ganz vielen Menschen via Twitter gegrüßt. Da ich aber kein Twitter habe, wurde mit das mündlich übermittelt. Und ich bedanke mich jetzt per Blog. Danke. Wenn das nicht crossmedial ist!
Dann mußte ich gerichtlich mitfiebern. Aber es ist jetzt wohl offiziell: Stefanie Hertel und Stefan Mross sind geschieden. Jetzt bläst er wieder selbst. Bitte keine Kalauer in den Kommentaren!
Dann habe ich Wittgenstein gelesen. Und auch Spinoza. (aus meinem Buch: Herr Kid auf dem Weg in die A-List)
Dann war ich nicht ganz bei Sinnen und wagte mich am Samstag ohne wirklich verifizierbaren Bekleidungsnotstand (man trägt aber wirklich wieder Leibwäsche) in die Innenstadt. Dort war es voll. Dort war es sehr voll. Dort war es völlig über alle Maßen voll.
Dann war ich in einem Geschäft. Ein Schal (möglicherweise auch Shawl) erregte meine Aufmerksamkeit wg. konservativem Muster für 37plusjährige. Erst faßte sich der Schal gut an, dann faßte ich das Preisschild an. 379,- Euro. Ich meine, da muß eine Großmutter lange für stricken. Einen Schal beispielsweise. Aber wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Schals für 379.- Euro. Das ist es wert.
Dann war in der U-Bahn einer dieser Kulturkreisbeschimpfer. Handy am Ohr, Ich-schwör!-Gespräch. Oder eher ein gebrüllter Monolog. Viel "ich schlag die" oder auch "ich schlag die tot", dann eskalierte Fetzen wie "deine Tochter", "hat 'nen Freund", "die fickt rum" gefolgt von "Was habt ihr bloß für eine Kultur?" und (mittlerweile gebrüllt) "Ich fick alle! Ich fick deine Mutter!" So etwas muß man mitunter mithören, wenn in der U-Bahn das Mobiltelefon gezückt wird. Andererseits, wenn es, global betrachtet, für den Weltfrieden gut ist. Oder für die sexuelle Ausgeglichenheit. Dann sage ich doch, jedermann ein, zwei Smartphones. Gibt ja brauchbare schon für 379,- Euro. Das ist es wert.
Dann schneite es.
Dann war nichts mehr. Bücher blättern, Filme betrachten, Heizung warmdenken.
Samstag, 10. November 2012
November ist die Zeit der vielen Laternenumzüge. Leider werden die im kulturfernen Hamburg selten dem Gedenken an St. Martin wegen veranstaltet, es ist mehr so ein Event um des Events willen, organisiert von Parteien oder der örtlichen Sparkasse. Schön, wenn denn also mal ein solcher Umzug im Sinne von Solidarität stattfindet, gelebtes Mantelteilen und Zeichen setzen. Als Abgesandter der Renitenten Rentner Hamburg (Sektionsgruppe Ost) gesellte ich mich zu den anderen knapp 37.000 Hamburgern und Hamburgerinnen (eigene Zählung), die vom Hauptbahnhof Richtung Hafenstraße zogen, um Politik und Gesellschaft das Motto Mietenwahnsinn stoppen zu überbringen. Der Protest gegen die bedrohliche Entwicklung zieht sich mittlerweile quer durch alle Bevölkerungsgruppen in einer Stadt, die lieber Tanzende Türme und Ikeas bauen läßt als bezahlbare Wohnungen.
Gar nicht mal überraschend daher auch die Solidarität der Polizei, die den Demonstrationszug in Hundertschaften links und rechts begleitete und blaue Laternen leuchten ließ. Denn auch von einem normalen Polizistengehalt läßt sich Wohnraum in Hamburg kaum noch finanzieren.
Ob sie mitsummten? Vom ersten Wagen schallten die Evergreens von TonSteineScherben, viele aus der textsicheren Menge sangen mit, herzwärmende Folklore, während in der Volksküche unten an der Hafenstraße die Gaskocher bereits die Suppen erhitzten. Es brodelt was in dieser Stadt, und jetzt ahnt man auch, warum ich letzte Woche das Kilometergehen trainierte, ganz getreu unserem alten Familienmotto Be prepared!. Beim nächsten Mal kann ich vielleicht sogar schon wieder Flugblätter verteilen. Oder lauter singen.
Dienstag, 6. November 2012
Das geht hier ja so: Alter Baubestand (und nicht nur der) in öffentlichem Besitz wird jahrelang sich selbst und den Vögeln überlassen, dann heißt es, oh, kaputt, müssen wir weghauen. So lange die alten Kapitänshäuschen in Oevelgönne stehenbleiben, schiet egol, der Rest kann weg. Im Nachbarviertel kamen letzte Woche engagierte Bürger in einer alten, leerstehenden Villa in städtischem Besitz zu Besuch, Tag des offenen Denkmals zu feiern. Aber irgendjemand hatte sich durch die Zeitumstellung im Kalender vertan, die Besucher vielleicht oder die Polizei, möglicherweise also war gar nicht Tag des offenen Denkmals. Immerhin aber kamen abends noch zwei Hundertschaften aus Sorge um die engagierten Bürger - denn wer weiß, wie man aus den wenig erschlossenen Gebieten im Osten Hamburgs abends wieder nach Hause kommt. Diese Stadt läßt einen nicht allein.
Ich kannte diese Villa zuvor gar nicht, sovieles, auch in uns, steht dieser Tage still und starr wie gefrorene Seen. Daher versuchte ich am Wochenende, weitere vergessene Objekte zu finden. Wie diese kleinen Backsteinschlößchen im schicken Industriecharme, die mitten im und am Wasser vor sich hinrotten. Wunderbare Studentenbuden könnten das sein: Lofts mit 8 qm Größe, idyllisch am Wasser gelegen, Wasaland mit Anleger, gleich nebenan ein Café und Toiletten. Ein gewisse Sanierungsrückstand muß eingeräumt werden, aber junge Leute sind oft erstaunlich begabt und engagiert und für Projekte zu begeistern. Spätestens die Ansichtskarten, die sie von dort in ihre Netzwerke schicken, werden die Kommilitonen in Neid versetzen und die Tanten im Ländle entzücken.
Ich habe alles kartographiert und dabei die eigene Reichweite vermessen. Acht Kilometer, dann ist ein Bänkchen ganz schön. Zum Entzücken genügt das nicht. Man muß dabei aber unverdrossen murmeln: Immerhin!
Sonntag, 28. Oktober 2012
Wie der ein oder andere in den letzten Monaten wie nebenbei mitbekommen hat, habe ich die US-amerikanische TV-Dokumentationsreihe Akte X noch einmal genauer studiert (dazu später mehr). Seit einigen Jahren und aus Gründen mißtrauisch geworden, lasse ich mir ja von neuen Bekannten erst einmal den Dienstausweis zeigen, um Dienstgrad und Geburtsdaten zu überprüfen. Das Geburtsdatum von Dana Scully ist auch korrekt. Fox Mulders Ausweis indes mußte ich gleich beschlagnahmen. Dort wird behauptet, er habe am 13. Oktober Geburtstag. Das habe ich, arglos wie ich in solchen Dingen bin, immer hingenommen. Ich sah darin sogar etwas Praktisches, denn auf diese Weise konnte ich mir auch den Geburtstag von Mütterchen Kid merken.
Denkt man aber ein wenig darüber nach, wird klar, daß jemand, der so obsessiv besessen und mit Hang zu ebenso verqueren wie beharrlich verfolgten Theorien obskuren Interessen nachhängt, wohl eher zehn oder 15 Tage später Geburtstag haben muß. So wie die große Stadt, die 1237 das erste Mal erwähnt wurde, genau heute Jubiläum feiert und ebenfalls immer mal für überraschende und irrsinnige ungewöhnliche Ideen gut ist. Hallo Berlin! Auch wenn du oft nervst, wir lieben dich trotzdem. Ein bißchen.
Astrologyzone sagt übrigens, daß Berlin die nächsten drei Jahre sehr auf die Gesundheit achten muß. Saturnwende, strenge Prüfung; also nicht länger wie ein Hypochonder einen auf leidend machen, sondern mal zum Arzt und morgens ein gesundes Frühstück, nicht immer nur Molle mit Korn.
Macht aber letztlich nichts. Wer wie ich die US-amerikanische TV-Romcom Akte-X gesehen hat, weiß, was am 21.12.2012 passieren wird. Ich verrate aber nichts, ich muß mein Wissen für mich behalten, um euch die letzten Wochen nicht zu versauen. Ich sage mal so: Trinkt ruhig mal einen über den Durst, probiert was Ungewöhnliches aus, wenn es sein muß auch Sex, fangt keine allzu langen Bücher mehr an, geht mit euren Partnern tanzen und nicht immer nur mit anderen Männern, macht euch nochmal die Haare schön, überall, lacht den Riestermännern frei ins Gesicht, dreht die Verstärker ab und an auf zehn. Also im Grunde wie immer. Immer weitermachen.
Samstag, 20. Oktober 2012
Ab 18. Es geschieht in meinem Alter ja nicht mehr häufig, daß eine Frau verlangt, ich möge bitte meine Hose ausziehen. Mich sogar verschwörerisch weiterwinkt, ich solle ihr ins nächste Zimmer folgen. Allein deshalb sind regelmäßige Arztbesuche auch ein Akt sozialer Teilhabe, berührend im Wortsinne und allemal informativ. Ärztekantinen und Trinkverhalten stand diesmal auf dem Lehrplan. Macht euch aber keine Sorgen, da ist alles vorbildlich. Zwei Liter am Tag.
Ab 16. Haben wir also gelacht und augengezwinkert, so ging das überhaupt durch die Woche, in der ich als Gute-Nacht-Geschichte die restlichen Folgen der Addams Family gesehen habe. Die alte TV-Serie aus den 60ern wohlgemerkt, diese herzergreifend schlichte Familienschau mit ihren Pappbauten und Augsburger-Puppenkiste-Tricks. Das Schöne ist ja, daß dieser Verwandtschaftsverbund schräger Außenseiter so herzlich miteinander umgeht und völlig ohne Arg und Häme ist. Während die "normalen" Bürger, wenn sie denn zu Besuch kommen, meistens Spott, Abneigung oder eine finstere Absicht mit einer Hingabe hegen, wie sonst nur Morticia ihre fleischfressenden Pflanzen. Auch das Eheleben: vorbildlich! Zwei Kinder, aber kaum sagt Morticia etwas auf Französisch, möchte Gomez sofort ins Schlafgemach oder in die Fledermaushöhle und küßt zum Vorspiel ihre Arme. Man vergleiche mal die Doris-Day-Filme dieser Zeit. Überhaupt verbringen sie eine schöne Zeit miteinander, da wird getanzt (ganz wichtig), gefochten (auch) oder mit Peitschen (aber züchtig) hantiert.
Ab 12. Während Morticia malt oder strickt oder die Piranhas füttert, hält sich Gomez ja mit ausgetüftelten Zen-Yogi-Übungen fit, etwas, das einem jeden von uns zur Nachahmung empfohlen sei. Fitneß in Kopf und Körper wappnet einen gegen des Lebens Ungemach. Eine Folge ist topaktuell: das Haus der Addams soll gesprengt werden ("War das Onkel Fester?"), weil durch das Grundstück und die angrenzenden Sümpfe eine Straße gebaut werden soll. Der Bürgermeister ist aber nur solange berauscht von seinem Plan, bis die Addams verkünden, mittlerweile sein Nachbargrundstück gekauft zu haben. Nun planen sie, mitsamt ihres viktorianisch-verrotteten Hauses dorthin zu ziehen und dahinter neue Sümpfe anzulegen. Da kann man sehen, wie schnell diese Straßenbaupläne plötzlich vom Tisch sind. Wie bei zwei von drei Dingen im Leben funktioniert das natürlich nur über Geld, von der die Gruselfamilie überreichlich besitzt. Vielleicht kann man aber trotzdem diese Taktik imitieren und durch Crowdfunding Mittel auftreiben, Nachbargrundstücke von Entscheidungsträgern aufkaufen und Projekte verkünden: Sümpfe anlegen, Behelfsheime, auch Kitas gelten in Hamburg als lupenreine Drohkulisse (und werden in besseren Lagen gerichtlich oft verboten). Der hanseatische Dünkel ist sein eigenes Lindenblatt.
Ab 6. So heute die ältere urhamburgische Hamburgerin, die auf dem Flohmarkt zwei jungen Österreicherinnen die Welt Hansestadt erklären wollte. Unbedingt mit dem Rad nach Oevelgönne müßten sie, da wo das schöne Hamburg so schön sei. "Fahrt's einfach mit der Fähre den Fluß entlang, das geht sich wunderbar aus und ihr könnt das Millionengrab sehen", flitschte ich aber, ungefragt natürlich, der an ihrer Stadt berauschten Hanseatin in die Parade und dachte, eigentlich sollten die Touristen sich mal die schönen künstlerischen und sozialen Projekte im schönen Hamburg anschauen und nicht die kapitänsbehauste schöne Puppenstubenwelt. Stippvisite also (ohne Österreicherinnen, so schnell sind die auch nicht dabei) bei den Menschen, die nicht nur reden und Fantastereien urschön ausmalen, sondern wirklich etwas tun. Zum Dreijährigen lädt die Initiative Recht auf Stadt zur Debatte de luxe. Die Hoffnung sieht gut aus und ist nicht verloren.
Ab 0. 20 Grad, alle Mann an Deck, die Frauen sind wie immer mitgemeint. Auf dem Flohmarkt Gewusel als hätte man den Stein über einer Insektenkolonie gehoben. Ich hielt ein Schild hoch: "Jetzt alle mal durchatmen!" Der Winter wird diesmal lang.
Samstag, 13. Oktober 2012
Der Horizont steht auch schon schief
Die Gerüchte gab es ja schon lange. Die Schwarzgrünen wollten breits die Kleingärtner enteignen, mochten sich dann aber doch nicht recht mit der ureigenen Klientel anlegen. Dann kam die Finanzkrise, und die Sparkasse, die angeblich das Grundstück erworben hatte, wurde es nicht los. Stand dann da so rum, begrünt, bebaumt, benistet von vielen, ach was: unzähligen Wasservögeln. Zum Beispiel vom weltdööfsten Bläßhuhnpaar, das Jahr um Jahr und unverdrossen sein Nest in der Kurve am Rande der Fahrrinne baute. Immer, wenn etwas Größeres oder Schnelleres durch den Kanal schipperte, wühlte ein kleiner Tsunami durch deren Haus, das manchmal hielt, manchmal absoff. Dann großes Gepiepe, nervöses Getue, empörtes Herumgeschwimme. Und was macht der Bläßhuhnblödmann dann? Baut das Nest unbeirrt an derselben Stelle wieder auf.
Manche Jahre ging es auch gut, aber nun wurde innerhalb einer Woche das ganze Gelände abgeholzt, freigesägt, abgeschabt und kleingeschreddert. Wo früher Enten nervten, rumpeln jetzt Motoren. Schön, daß die schwerreiche Stadt Hamburg im Frühjahr noch den Uferbereich sorgsam beschnitten und gelichtet hat, Büsche raus, ein paar alte Bäume gefällt. Hat der Investor jetzt nicht ganz so viel zu tun.
Ich also am Wochenende meine Rentnermütze aufgesetzt, Hosenträger gespannt, das Rad bestiegen und gleich mal rüber zur Großbaustelle gefahren. Dort neben dem Bauzaun, der die Geröllstrecke nun vor Campingfreunden und Anglern schützt, eine Eichhörnchenfamilie mit klopfenden Herzen angetroffen. Ihre Bäume seien weg, keuchen sie empört. Und zwar alle! Tja, sage ich. Und meine Aussicht erst. In Hamburg fehlen Wohnungen, sicher. Gut, daß die gebaut werden. ABER DOCH BITTE NICHT IN MEINEM HINTERHOF! Entschlossen überreichen sie mir ihre NIMBY-Visitenkarten für den Fall, daß wir eine Wutbürgerinitiative gründen wollen. Ich studiere die Angaben am Bauzaun, betrachte die Entwurfskizzen, die im Stile de Chiricos eine naturfreundliche, wassernahe und menschenleere Eigentumsidylle zeichnen. Irgendwo auf dem Bild ist ein Rad geparkt.
Im Prospekt lese ich, daß 30 Millionen Euro dort verbaut werden. In einem wenig bekannten, aber zentral gelegenen Stadtteil (das hätte auch gern so bleiben können) entstünde "Wohnen am Wasser", in direktem Umfeld kultureller Keimzellen wie dem hermetischen Café (Poesielesung jeden Abend, fünfvoracht). 100 ETW sind hier geplant, dazu 30 Mietwohnungen (wohl nach Norden raus). Überschlägt man kurz den Durchschnittspreis, wird auch ohne meinen Nachbarn ins Portemonnaie geschaut zu haben klar, daß dieses Projekt sich nicht an Menschen richtet, die hier bereits im Viertel leben.
Regen setzt ein. Mit dem Tempo eines Leonard-Cohen-Songs radel ich durch Brache und Gewerbegebiet bis hinunter zum Deich. Dort, malerisch zwischen Müllverbrennung und Kraftwerk ausgelegt, die letzten Atmungsorte. Zwischen den Schauern neuer Regen, es braut sich was zusammen, aufgescheucht durch starken Wind, der von Westen kommt. Viel Kraft habe ich nicht.
Mit Puddingbeinen dann zurück zum Haus, mühsam die Stufen zum Leuchtturm hinauf. Bis oben sieht man mir nichts an. Dann aber Päuschen auf der eigenen Fußmatte. Erst einmal setzen, befinde ich. Türe im Sitzen öffnen. Dann krieche auf allen Vieren hinein. Darf man auch keinem erzählen. Aber ihr haltet ja dicht.