Samstag, 1. Februar 2014


Pinku Eisu



Zum Anfang des eisverschollenen Tages heute morgen konnte ich mein Einstecktuch nicht finden und blieb daher nach reiflicher Überlegung der Arbeit fern, um keinen falschen Eindruck von meiner Person und meinem Erhaltungszustand zu erzeugen. Dahinter steckte aber in Wahrheit kein modeinduzierter besonderer Mut, denn zur Zeit steht sowieso ein Umzug ins Haus. Die letzten Tage folglich umgeben von großen flüssigkeitsdichten Wannen, Rollregalen, Packkartons, versiegelten Stahlcontainern und allerlei Mannsvolk ("Ist Mannsvolk anwesend?") verbracht und erlebt, wie sich die Kollegenansammlung in eine nervengezupfte Dschungelcampbesatzung verwandelte. Es gab eben nur Bohnen.

Winfried, Hausbursche Engelbert und ich verbrachten also den Tag im Wintergarten im Schatten meiner Orchideenzucht und hörten das brandneue, sensationelle Album von Pinkunoizu (was sich anhört, als würden Sonic Youth die frühen Pink Floyd nachspielen). Sehr entspannt; ich dachte mir in meinen verschiedenen Rollen als innerer Winfried oder trunkener Hausbursche oder der andere, der vorgibt, ich zu sein, tiefsinnige Gespräche aus und so kamen wir ganz gut miteinander klar, während anderenorts Rubel, Häuser und Umzugsgut rollten.

Statt wie üblich samstags war ich daher ausnahmsweise schon am Freitag beim HO um die Ecke und traf völlig andere Kundschaft an. So wie den Ghost of my future Self, einen Prinz-Heinrich-bemützten Rentner, der eine Flasche Magenbitter, in Plastik verpacktes, geschnittenes Industriegraubrot und zwei Dosen Sardinen in Öl aufs Laufband packte. Wir tauschten eine launige Bemerkung, denn wir sind von ein und derselben ledrigen Haut.

Letzte Woche indes (!) mit zwei neuen, nicht ausgedachten Ärzten zu tun gehabt, die sich jeweils eine geschlagene Stunde mit mir, der Gesamtsituation und meinen Befunden auseinandersetzten. Dass es so etwas noch gibt! Überhaupt, diese Befunde. Sozusagen mein Lebenswerk, wie ich erkannte, denn obgleich ich keine Romane schreibe, hat mein Körper beschlossen, dies engagiert in mehreren Bänden für mich zu tun. Das Opus magnum, sozusagen a Body of Work, ist mittlerweile angewachsen auf den Umfang von Gustav Freytags Soll und Haben, liest sich aber wie ein Roman von Dickens, grimmig, verwinkelt, voller Nebenfiguren mit sprechenden Namen, unglaublicher Wendungen, erleichterndem Humor, etwas Rührung und vielen mysteriösen Vorausdeutungen. Ob ich der Held meiner eigenen Geschichte bin? Die Ärzte fanden die Frage witzig und verwiesen auf wissenschaftliche Studien, nach denen ein deutlicher Prozentsatz Romane mit offenem Ende, äh, endet. Schließt.

Weitermachen.

>>> Geräusch des Tages: Pinkunoizu, The Great Pacific Garbage Patch


 


Freitag, 24. Januar 2014


Jeeeeees's, save me!

Offensichtliche Erkenntnis: Nur Polly kommt mit so einer Klamotte durch. Weshalb sie auch ruhig den ganzen, schlangenumwundenen Weg gehen kann, ohne Schaden zu nehmen.

Für die eigenen Wege, sollte man dereinst blind über eine schwankende Planke laufen müssen, sollte man rechtzeitig Sicherheitsleinen spannen. Was ich denn machen könnte, denke ich, ist, also falls alle Stricke reißen sollten, also dann könnte ich zum Beispiel Kartenleger im EsoTV werden. Ich würde dann im Fernsehen sitzen, ein wenig mit einem Packen Karten spielen, sie hin- und herschieben, durchmischen, Hm hm hm murmeln und dann ausschließlich Dinge sagen wie Hoffnung ist Opium fürs Volk oder Nein, da kommt keiner mehr oder auch einfach, in der "Blitzrunde": Die Antwort ist Nein.

In einem eigenen Shop dann vielleicht geweihte Duftkerzen oder nutzlosen Krempel verkaufen. Vielleicht gemeinsam mit diesem Österreicher, der über seine schwarze Kollegin sagt, sie sei a schoan "eine süße Schokomaus". (Na ja, Negerkuß darf man ja nicht mehr sagen.) Charme verkauft! Da gibt es nichts. Anders wiederum der schwarze Kollege, der gestenreich und überhaupt nicht selbstgefällig erklärt, wie man "mit einer gewissen Strenge" selbst die verhaltensauffällige Blondine zum Erfolg führt. Der hat's raus, denkt man, dankbar für die beinahe beitragsneutrale Lehrstunde in Sozialverhalten.

Welche Mühe kostete es sonst, so viel intensivierte Menschenkunde zu erleben? Man müßte Gemeinschaft suchen, gar Freundschaften schließen oder wenigstens ein Blog betreiben. Mühsam. Jeeeeees's, save me! rufe ich entrückt, während ich weiter die Wäsche zusammenlege. Denn das ist das schöne an diesen Sendungen. So wie mein Tag verläuft (morgens früh die Milch von der Straße holen, danach den ganzen Tag Daumen drehen, spät aber erst heimkehren, von Katastrophenasche und Serienmörderblut bedeckt), ist es prima, daß es auch am verlaufeneren Abend noch Bügel-TV gibt. Eine grünpürierte Köstlichkeit.

>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, Taut


 


Sonntag, 5. Januar 2014


Am Tag danach



Am Tag danach verlassene Nester. Am Tag danach die Hartherzigkeit der Kollegen. Eine fachliche Diskussion über eine US-amerikanische Liebesdramaserie, der man vorwirft, irgendwas mit einer Verschwörung zu tun zu haben (als hätten das nicht alle tragischen Liebesgeschichten) und zudem tief in den Neunzigern verwurzelt zu sein. Man warte nur noch auf eine ICD-Nummer für "persistierende nostalgische Verklärung", dann könne man mir auch weitere Differentialdiagnosen stellen. Ich sage "Pff", hebe zu Belehrungen an, weiß aber, daß ich nach dem nächsten Umzug als "Spooky Kid" wohl ein Büro unterhalb der Wasserlinie beziehen muß. Verlassene Nester.

Auch sei die Bildqualität doch recht veraltet, ich antworte, aber man sehe doch nur mit dem Herzen... gut, das sage ich natürlich nicht, sonst drückt man mich womöglich bereits beim nächsten Toilettenbesuch unter die Wasserlinie. Vielleicht stellt man mir auch aus einem gewissen Argwohn heraus Scul eine Kollegin zur Seite, die meine Arbeit überwachen soll. Das kann passieren, ich habe so etwas schon einmal irgendwo im Fernsehen gesehen.

Ich werde das, wie früher auch andere schönen Dinge, vorsichtshalber unter der Bettdecke verfolgen. Ein Notebook, Milch, Kekse und ich. Eine Dienstpistole vielleicht, man weiß ja nie. Draußen wurde zuletzt viel geschossen. Merkwürdige Lichter am Himmel auch. Alle sagten wie abgesprochen "Aah" oder auch "Ooh", ein Feuerwerk und Jahreswechsel, und da wußte ich schon, das kann nur eine Verschwörung sein.

Wie zur Ablenkung aber letzte Stellen gestrichen im Bad. Meditative Freude gefunden im Abschrauben von Haken, an denen der Bademantel hängt. Meditative Freude gefunden im Wiederanschrauben von Haken, an denen der Bademantel hängt. Ein Lied gesummt, kleine Schritte, weiter Runterschalten, Stapel sortieren. Das Welträtsel muß warten.


 


Mittwoch, 1. Januar 2014


So, hätten wir das also auch geschafft



Frohes neues Jahr! Ihr könnt euch ja jetzt mal überlegen, was ihr anders gestalten wollt. So im Umgang miteinander, mit sich selbst, dem Bankkonto oder der Gesundheit. Mal wieder Bitte und Danke sagen vielleicht, im Bus oder der U-Bahn durchrutschen an die Wand und nicht außen den Platz blockieren, der Nachbarin ein paar Blumen schenken, nicht nur, wenn der Mann nicht da ist. Die Leibwäsche täglich wechseln, abends mal 'ne Mohrrübe essen, nicht so viel auf Displays gucken, sondern sich gegenseitig in die Augen.

Ich geh jetzt Bett.


 


Dienstag, 24. Dezember 2013


Jahresrund



So, liebe Punschtrinker und Klassikschallplattenherauskramer. Hier ist die Christbaumkugel aus dem Keller geholt und der Baum schon geschmückt, nicht zu früh, sich in den Cary-Grant-Hausmantel zu begeben und die besinnliche Zeit zu eröffnen, während draußen tiefausläufige Böen kräftig an den Fensterläden rütteln.

Ein Jahr der Rundungen, wenigstens was die Zahlen betrifft. Siebenunddingstiger Geburtstag, zwanzig Jahre das größte Liebespaar des Films (abgesehen von Katharine Hepburn und Spencer Tracy natürlich). "It's so intense, it sometimes is blinding" - wurde mir auch schon mal so ähnlich vorwurfsvoll gesagt, und irgendwoher muß man es ja haben. Zehn Jahre Hermetisches Café ist es heute. So lange hat es noch kein Blog mit mir ausgehalten. Scully: "Don't you ever just want to stop? Get out of the damn car? Settle down and live something approaching a normal life?" Mulder: "This is a normal life."

So schlecht kann 2013 also nicht gewesen sein. Nächstes Jahr nämlich nur hundert Jahre Krieg. Schöne Begegnungen gehabt, sogar sehr schöne Begegnungen gehabt, Schiffe im Nebel, Verluste gehabt, sogar sehr schmerzliche Verluste. Immer noch zu wenige Antworten auf zu viele Fragen. Also nichts, was ihr nicht auch kennt.

Heute abend dann ein paar gemütliche Käsebrote, vielleicht einen Film mit Katharine Hepburn sehen, ein bißchen im unbetrachteten Stapel Bücher blättern, dem Luftzug nachgehen, der hier durch die Ritzen pfeift. Denkt dran: Nicht zwischen den Jahren Wäsche waschen, UFO-Lichter nicht mit dem Stern von Bethlehem verwechseln, keine Bonbons von Fremden annehmen.

Frohes Fest!

>>> I owe you everything


 


Montag, 23. Dezember 2013


Schnell, schnell, schon Schlittenglocken



Hetze immer schön abschäumen. Indes: Einer muß ja arbeiten, während ihr die Füße hochlegt. Wie das so ist, wenn man auch eine soziale Verpflichtung trägt. Indirekt nämlich hängt in vielen Familien der Festtagsfrieden davon ab, daß ich meine Arbeit gut erledige. Mittags aber schnell noch eingekauft, erstaunlich, welche Mengen manche Menschen (bitte rhythmisch sprechen: Welche / Mengen / Manche / Menschen / Walle / Walle / Diese / Strecke / Mit Dem / Einkaufswagen / Wagen), welche Mengen also manche Menschen aus dem Super-Ü gleich hinter meiner Arbeitsstelle karren. Wir werden sie kugelrund zurückerleben.

Der Stakkatorest: Ich könnte meinen Zimmerpflanzen Namen geben. Sich vornehm und höflich begegnen. Bevor man sich naß macht. Der Herr Schmidt hat Geburtstag. In der U-Bahn aber keine Lieder, sondern müde Menschen auf dem Weg zu ihren Bienenwaben. Mein neues Möbelstück empfängt mich mit der richtigen Codenummer. Ich kann doch auch nichts dafür, es wird eine Verschwörung sein. Abendbrot.


 


Sonntag, 22. Dezember 2013


Bastelzeit



Heute morgen zu vorchristlicher Zeit, ich war traumlandschaftlich noch auf der Weihnachtsfeier unterwegs, spürte noch einmal der Situation nach, in der erwachsene Menschen um kindische Dinge "wichteln", als mich zwei junge Schweden aus dem Dämmerschlaf klingelten, mir keuchend Metallbauteile in die obere Etage zu hieven. Ich mußte nämlich letzter Tage links eine für mich gewagte Expedition in den Baumarkt und zum Möbelhaus gleich nebenan unternehmen, eine Frontblende und einen Griff für den neuen Kühlschrank erstehen. Und dann Sachen, wenn man schon mal da ist, die man eigentlich nicht braucht, aber es soll sich ja lohnen, Sachen, von denen man an der Kasse denkt, interessant, da addiert sich ganz schön was auf.

Dafür wurde ich nett beraten von einer Frau Wegschmelza, die offenbar sehr fröhlich aus Schweden kam und aussah, als könne sie Apfelkuchen backen. Zwischendurch geriet ich auch an einen Herrn Muffel, aber mit Ausdauer und Demutsgesten verwickelte ich ihn schließlich in ein Frage-und-Antwort-Spiel und fast wären wir am Ende Freunde geworden, hätte ich mich nicht bereits innerlich der netten Frau Wegschmelza versprochen.

Heute also Metallbaukastengeschraube, es hat ja eine besondere Befriedigung, wenn man nur mit einem archaischen Faustkeil Imbusschlüssel Sachen zusammenbaut, die am Ende Sinnzusammenhang und Nutzwert ergeben. Und so schwer ist das nicht, steht ja alles in der Anleitung. Dort aber auch Frechheiten. So rät der Möbelriese Singles vom Werken ab. Sie sind einfach in den Anleitungen gestrichen, offenbar soll man alleine keine Bretter zu Barrikaden schichten. Möglicherweise bahnt sich hier das nächste Skandalthema der Empörungsgesellschaft an. Also, sobald sich der derzeitige Straßenkrawall in der Stadt gelegt hat.

Da hat sich nämlich ganz schön was zusammengebaut, und ich möchte das nicht schön oder auch nur gelungen nennen. Statt sich gegenseitig zur Hand zu gehen und Türen beim Scharnierausrichten zu halten oder Seitenholme beim Verschrauben, stehen die Gruppen wie verfinsterte Singles gegeneinander und bauen anleitungsfern Gebilde in den Straßen, die sich als Pappkartons entpuppen oder kloppen gleich alles kaputt. Am schlimmsten hat es laut Spiegel-Online-Forum allerdings die getroffen, die "am verkaufsoffenen Samstag" (NDR Info) nicht ungestört zum Shoppen kamen. Eine Art Lampedusa-to-go für Speckgürteltouristen, Entbehrungsterror gegen brave Bürger. Ich hingegen habe jetzt am Kühlschrank alles am Griff, nur die Frontblende fehlt noch. "Du hast da Glück", mein Väterchen Kid. "Du wirst bei solchen Sachen nicht gedrängt." Ja, sage ich. Das habe ich mir schön zurechtgebastelt.


 


Freitag, 13. Dezember 2013


Wenn die Lady nicht mehr singt



Es gab zuletzt immer wieder Probleme, nun hieß es Abschied nehmen von der Lady, die einzige, die mir zuletzt im Haushalt ein wenig zur Hand gehen wollte. Aber nachdem sie erst kein Wasser mehr ziehen und beleidigt spielen, dann - nach Warten, Zureden und kleinen Tricks - mir auf einmal beweisen wollte, daß sie sehr wohl auch anders könne und zwar so richtig versaut und mir unerwartet ihre Feuchtgebiete vorführte - dafür aber "haushaltährisch" (wie es bei den Leistungsträgern heißt) keinen Finger mehr rührte -, war es das dann.

"It's a Mens World" heißt seit einiger Zeit das neue Lied in dieser kleinen Konzertmuschel, die meine Küche ist. Gerne - die ein, zwei Menschen, die mich persönlich näher kennen, erinnern sich - erzähle ich an Abenden, die sonst ins langweilige zu kippen drohen - die launige Kennenlerngeschichte meines Einbauherdes. Den ich am Ende dann doch erst mal wieder selbst ausbauen und einbauen mußte. Diese Erfahrung bremste mich etwas bei den Überlegungen, wie ich das mit der Spülmaschine halten sollte. "Laß das bloß machen", rieten mir Stimmen aus dem sozialen Umfeld, das ich daraufhin reduzierte. Denn, wie heißt es so schön, willst du es richtig gemacht haben, mach es selbst.

Es kamen dann doch zwei flotte Jungs, irgendwie fühlte ich mich dann derzeit nicht so nach auf dem Boden und unter Arbeitsplatten herumkriechen. Die packten die Lady grob, schleppten sie ächzend die vielen gewundenen Stufen hinunter zur Straße und schmiegten dann das junge aufgebrezelte Spülrehlein in die zahnlückenklaffende offene Wunde der Küche (was da noch an ungenutztem, nur von Staub bewohntem Stauraum zu Tage trat!).

"Und was ist mit dem Abstandsbrett?" fragte ich und deutete auf das nun deutlich schräg stehende schmale Brett zwischen Maschine und dem angrenzenden Eckkorpus. Es folgte ein Gewackel und Gestreichel des Monteurs, wie ich denn auf dies schmale Brett kommen könne?, dann der Befund: "Das muß so." Spontan, ich weiß nicht, wie es geschah, fiel mir die Geschichte meines Einbauherdes ein. Wer sich bereits jetzt schon nicht mehr daran erinnern kann, hier kann man das alles nachlesen. Auf Zuruf erzähle ich es aber gerne noch mal! Ich sag nur, "der steht doch wohl nicht auf dem Kabel?"

Bereits erschöpft vom bloßen Zusehen beim muskelkräftigem Gerumpel, Knarzen und Geschiebe, sah ich mich im Geiste schon die Stichsäge aus dem Keller finden holen, komplementierte die Jungs also auf den Rest ihrer Auslieferungstour, wünschte nachgerade eine gute Fahrt mit all den schicken Geräten durch den sozialen Brennpunkt hier, einen schönen Tag und alles Gute noch und hier, ein kleines Trinkgeld. "Das muß so", rätselte ich, fern eines Anfangsverdachts, darüber nach, warum der Austausch eines 60-cm-breiten Geräts gegen ein anderes 60-cm-breites Gerät zu solchen, nennen wir es geradeheraus, schrägen Verwerfungen führen sollte. Beschloß aber, dieses angebliche müssen erst einmal zu lassen.

Bis ich dann die Schublade des über Eck stehenden Nachbarschranks öffnen wollte, wo ich, falls ihr hier einmal was sucht, neben Geschirrhandtüchern all das Gerumpel aufbewahre, das in einer Küche anfällt: Batterien, vertrocknete Gummiringe, ein altes BIC-Feuerzeug, ein kleiner verchromter Haken für Handtücher, eine Betriebsunterlage, mein Sturmflutwarnfaltblatt, drei Heftzwecken, vergilbte Klebeetiketten - denn sollte ich mal irgendwann einen Gefrierschrank besitzen, habe ich immerhin schon Klebeetiketten - etwas Küchenschnur - und dazu Krimskrams, den ich im Leben nicht mehr brauchen werde. Was man halt so hat. Jedenfalls ging die Lade nicht mehr auf. Geblockt von der neuen Spülmaschine.

Das sind ja diese Momente im Leben, wenn einen plötzlich die widersprüchlichsten Empfindungen anfallen. So, wie wenn man jemanden bei einer plumpen Lüge oder einer absurden Anschuldigung ertappt, die Geliebte in flagranti oder sich selbst mit der lang gesuchten Brille auf der Nase - man weiß nicht, soll man schallend lachen, vor Wut zerplatzen oder beides. "Das muß so", murmelte ich also in einer gewissen "Is klar"-Erleichterung, darüber, daß Ursache, Fehler und Folge so rasch gefunden waren. Irgendwie fiel mir da wieder die gern erzählte Geschichte meines Einbauherdes ein und in stoischer Gelassenheit und innerem Schulterzucken holte ich den Werkzeugkoffer, schraubte - beinahe beschwingt, aber auch mit einer leisen Gehässigkeit, das Liedchen vom fröhlichen Handwerker pfeifend - die Befestigungsschrauben raus, schob die Maschine vorsichtig etwas weiter nach hinten, das Ausgleichsbrett wieder in die richtige Position - und verbrachte dann den restlichen Nachmittag damit, in einem, ich will ganz ehrlich sein, nur schwach verhüllten durchaus billigem Triumph, die Schublade immerfort rein- und rauszuschieben, dabei "DAS MUSS SO!" in unterschiedlichen Betonungen rufend.

Die Neue ist jetzt, nun ja, neu. Sie hat so eine Klaviatur aus schwabbeligen Kunststofftasten, dazu ein Display für allerlei Einstellungen und Gemütsäußerungen. Ich bin sicher, irgendwo kann die auch Radio empfangen. Ein berühmter stadionfüllender sogenannter Komiker würde sagen: "Radio. Kennt ihr vielleicht noch. So Sender mit eigener URL. Aber im Äther, nicht im Internet." Egal. Die Neue kann jedenfalls viel, aber wenn es nach mir ginge, bräuchte die das alles gar nicht. Mir reichten drei Kippschalter: Falls Mutter kommt, Komm, is OK und Für Gäste.

Wir fremdeln noch. In meinem Alter läßt man sich nicht mehr so leicht auf neue Mitbewohner ein. Ich glaube, die Neue könnte ein wenig launisch sein. In der übersichtlich gehaltenen Gebrauchsanweisung sind zwar Themen wie "Intensivzone" und "Hygiene" ("Ehe" ist dazu ja heute nicht mehr nötig) erwähnt, zugleich aber auch immerhin mehrere Seiten dem Thema "Störungen" gewidmet. Probleme hat man ja in meinem Alter nicht mehr so gerne. Nicht, daß die nächtelang Dinge bereden will, statt einfach zu Spülen. Würde ein berühmter stadionfüllender sogenannter Komiker jetzt sagen und dafür tausendfaches Gegacker ernten. Ich denke so etwas nicht einmal. Nicht mal still. Soll einfach laufen. So wie die Lady jahrelang. Ach.

(Nächste Woche dann aus der beschämend banalen Reihe Das Jahr der Großelektro: Herr Kid bekommt einen neuen Kühlschrank und beschließt, diesmal die Sache von vornherein in eigene Einbauhände zu legen. An Kaminfeuerabenden später bekannt als: "Eigenes Tun, neue Probleme.")


 


Donnerstag, 5. Dezember 2013


Sturmfreie Bude

Der kleine unscheinbare Leuchtturm hier steht ja im sogenannten "Warngebiet". Das ist nicht die "Evakuierungszone", die bei Sturmflut geräumt werden muß. Man ist gewarnt, und wer nicht gerade im Erdgeschoß wohnt, muß sich in die oberen Etagen zurückziehen. Beim Einzug erhält jeder Mieter ein entsprechendes Merkblatt (PDF). Darin steht, daß man Vorräte bereithalten soll, was für viele Menschen, die meinen, ihr Kühlschrank heiße Penny oder Lidl oder Aldi oder Edeka oder auch "Späti", #neuland ist. Nein, man kann tatsächlich Brot und Konservendosen und Kekse und Mineralwasser im Hause haben. Auf Vorrat. Vielleicht sogar Dauerwurst, aber da kenne ich mich nicht mit aus. Die Stadt mummelt sich gerade ein, weil Xaver kommt, ein etwas verrohter Geselle mit Zappelphilipp-Syndrom, der droht, an der Tischdecke zu zerren. Keine Angst, nur bildlich gesprochen.

Man begegnet nun, vor allem in der Erlebniswelt "Online" vielen ehemaligen Kap-Hoorn-Fahrern, die damit prahlen, daß alles "unter 12" kein Wind sei und berichten, "nech", wie man früher, wenn die Segel zerrissen waren, einfach das Kap rudernd umwunden hat. Ungeloogen. Ich hingegen habe daheim schon mal alles bereitliegen, eine Taschenlampe, ein Seil, einen Schlafsack und eine Decke, eine Landkarte, mein Schlauchboot, einen batteriebetriebenen Plattenspieler, ein Solitair-Spiel, einen Grill und ein paar Lampions (rot und grün) mit Kerzen. Bücher.


 


Freitag, 29. November 2013


Der schwarze Blitz

Bleiben wir gedanklich im schönen Österreich. Der Winter naht, schon manche Zeit hat man das Gefühl, Eissplitter lägen senkrecht in der Luft, ein Geruch stellt sich ein von erstem Schnee und bäckchenfrischem Frost.

Und Wintersport. "Zum Skifahren fahre ich sowieso ohne dich", verkündete mir, Jahre ist es her, einst unbekümmert eine Freundin. Na Servus, Gruezi und Hallo, dachte ich erstaunt. Das ist ja mal ein starkes Stück. Konnte besagte herzerfrischt vor sich hincharmierende Dame doch gar nichts ahnen über meine Stand- und Schußqualitäten auf den Brettern, die vielen eine eisige Welt bedeuten. Dabei sind Kinder aus dem Bergischen, die sozusagen nur zwei Zugstationen von Winterberg und dem Kahlen Asten aufgewachsen sind, geborene Lords of the Boards. Als König der auch zur inneren Bindung allzeit Bereiten bin ich ein wahrer Wunderwedler, ein Pistenpflug, ein Skihaserlschreck und Salonslalomlöwe. Ein Hansi Hinterseer der Blogger-Loipe.

Und einmal, das ist auch nur wenigen bekannt, bin ich eine Olympia-Bobbahn zu Fuß und fröhlich pfeifend hochspaziert. In Berchtesgarden war das. Gut, und es war Sommer. Und möglicherweise nicht erlaubt. Sowieso: Genau genommen weiß ich alles, was ich über das Skifahren weiß, vom "schwarzen Blitz". Dem Sailer Toni nämlich, ein g'sund schauender Wirbelwind auf zwei Brettern, der in kühner Rasanz die Filmleinwand entlanggerauscht kam und mit einer kecken Kehre und weißbezahntem Lächeln vor einem feschen Hüttenmadl zum Stehen kam, um eine Limonade zu erbitten. Im November geboren, wußte er, daß nur das Herz einer Frau im Winter wärmen kann. Aber welche wählen, wenn es heißt Zwölf Frauen und ein Mann - und nur zwei eine dabei Ringelstrümpfe trägt? Man versteht mich selbst hoffentlich besser.

Ein Mensch, der Toni jetzt, ehrlich und heimatverbunden, die Ferne konnte ihn nicht locken, das hatte er probiert. Aber danach wußte er: Am Fujijama blüht kein Edelweiß. Nur manchmal, an Sonntagnachmittagen, kam er auch zu uns in unser Fernsehgerät, um mich zur Skigymnastik zu ermuntern. Da sah man, daß er auch ein Musikant war, so wie ich. Und er sauste durch den Schnee, fröhliche Menschen hinter ihm drein, als seien es Twitter-Follower. Und dabei spielte er, ganz glückberauscht, auf seinem Bandoneon. Wie hier, als Schwarzer Blitz. Und die Resi hat ihn zum Skifahren nicht sitzen lassen. Die fuhren quasi Hand in Hand.

Ist aber auch schon tot. Der Toni.