Montag, 2. Februar 2009
Vom Ende eines Traums. Am Samstag noch dem Beispiel des Finanzministers gefolgt, einen Lottoschein mit sechs sehr richtigen Zahlen befüllt, fest umklammert gehalten und mit esoterischen Formeln besprochen. Den ganzen Tag eine blumenumwundene Glücksvorstellung von einem Leben gehegt, in dem mir barfüßig tanzende Jungfrauen Trauben und Käsebrote reichen, mit sanften Stimmen Lieder singen vom tiefen Wissen der Meere, den Versprechen des Windes und den Früchten der Erde. Ewige Berufsjugendlichkeit, Zitronengras, Markenturnschuhe und legal erworbene Compact-Disc-Alben würde es geben, mehr Länder würde ich bereisen als Farin Urlaub, der immerhin schon 102 betreten hat und zudem der erste war, der eine einst bekannte Heidekönigin aus Amelinghausen in die Kunst der... jedenfalls wäre alles, alles prima.
Am Sonntag, nachdem eine nur verschwörerisch zu nennende Kette zahlenzieherischer Ereignisse das Elfengespinst meiner Zukunft wie die Kursentwicklung meiner Aktienfonds Seifenblasen zerplatzen ließ, erwachte folglich der Albtraum.
Charles Manson, eine Art US-amerikanischer Heidekönig aus dem Tal des Todes, ist die Leitfigur der aktuellen Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Der mißratene Charismatiker und Sänger, dessen musikindustrielle Karriere irgendwie mißlang (obwohl die Beatles, da ist Manson sich sicher, ihm die Botschaft "Charlie, ruf uns in London an!" aufs Weiße Album flüsterten) schickte bekanntlich seine ein wenig fehlgeleiteten Hippie-Mädchen mit knappen Kleidern aber langen Messern auf einen blutigen Feldzug gegen... na ja, ein Blumenfeld, wenn man so will.
Die Ausstellung versammelt verschiedene Positionen, die sich nur teilweise direkt auf den Mythos Manson oder die Bruchstelle 1969 beziehen. Sigalit Landaus berühmtes Video, in dem eine nackte Frau mit einem Hula-Hoop-Reifen aus Stacheldraht tanzt, faßt die schmerzliche Seite des Schönen bereits zusammen, gleich dahinter tropft (angeblich menschliches) Fett auf den Boden. Ein Marionetten-Kasper geht auf Zeitreise und trifft die Ikone des Bösen, dessen Leben Joe Coleman (sein wunderbares Kabinett der Grausamkeiten und düsterer Amerikana gab es vor zwei Jahren in Berlin zu sehen), auf einer Art Anti-Heiligen-Legendentafel zusammenfaßt. Dazu die Sexy Sadies als Singschwestern aus dem Kirchenchor, ein Seitenblick auf die Stooges, die Stones und Jimi Hendrix mit seinem treuesten Fan. Den Ausflug zur RAF finde ich nur mäßig gelungen, zu Kenneth Anger hätte ich mir mehr als nur ein Filmplakat gewünscht. (Filme von ihm laufen am 22. März, das Metropolis in Hamburg zeigt u. a. Jodorowsky). Neben sadomasochistischen Hängeanordnungen hat mir der ironische Beitrag von Doris am besten gefallen. Deren Film "Das Leben des Sid Vicious" (1980) läßt das hinlänglich boulevardisierte Leben der Punkikone von zwei Kleinkindern nachspielen - allein das schon eine hübsche Reflektion auf die enthemmte Småland-Attitüde der frühen Punktage.
Unbedingt ausprobieren sollte man den Wigwam aus Holz. Im Inneren befindet sich eine Klanginstallation, von der man sich ordentlich durchwummern lassen kann, eine schwitzhüttige Mantra-Maschine, nach der man wie ein neugeborener Menschensohn den Rest der Ausstellung oder auch die Zukunft des eigenen Lebens besichtigt.
("Man Son 1969 - Vom Schrecken der Situation". Kunsthalle, Hamburg. Bis zum 26.4.2009.)
>>> Link
Sonntag, 7. Dezember 2008
Das muß man mal festhalten. Dem Herrn Krüger nämlich seine Galerie hat nicht nur die schönsten Bilder, sondern auch die schönsten Frauen. Manche rauchen allerdings, das kann auf Lunge gehen. Der Rest dann ins Auge: Man fragt sich ja immer, wie er das macht, diese kleinen Räume mit so riesigen Welten zu füllen, belebt mit Tentakeln, skurrilen Wesen und oft wunderbar witzig-verschrobenen Einsichten, als schaue man durch ein Guckloch in die Nachbargalaxie seiner eigenen Hirnwindungen und drohe bald verloren zu gehen, nähme einen nicht resolut eine der schick Bestrumpften an die Hand und sagte, Herr Kid, ist Ihnen... Nein, nein alles gut, aber ich habe Dinge gesehen...
Müßt ihr auch alle, unbedingt: Das sind doch keine Phantastereien, das ist akribisch getuschte Hellsicht. Steigt danach in die U-Bahn, schaut euch um, aber mit Vorsicht, und ihr werdet wissen, was ich meine. Diese Mützen, die die Menschen tragen! Der Travis-Louie-Blick! Mal ganz appellativ: Verlaßt die Stadt, adoptiert diese Bilder.
Jedenfalls, prima Kunst, prima Stimmung und überhaupt eine prima Gelegenheit meinen Weihnachtswunschzettel (vgl.) in Ruhe mit den anderen Herren zu betrachten. Ganz unten den roten. Skorpione sind auch gesellige Tiere.
(Don't Wake Daddy III. Feinkunst Krüger, Hamburg. Noch bis zum 20. Dezember.)
Samstag, 4. Oktober 2008
Der Laden war kunstvoll. Voller Menschen, Rauch, Bier, Musik und, ja eben, Kunst. Lange Stadtnächte. Blicke, Lachen, das Rauschen der Energie, die Spannung. Und zum Schluß dann Frühstück bei Tiffany.
Donnerstag, 2. Oktober 2008
Heute abend also. Zehn Jahre ganz viel junge Kunst, LowBrow, Pop-Surrealismus, Spaß, Rock, Skate und Punk, das ganze Gebrause mit vielen Ideen, tollen Einsichten, heimtückisch schönen Überraschungen - alles gesteuert aus der geheimen Sperrholz- Kommandozentrale des symapthischen Zeremonienmeisters Hr. Krüger. Toll gemacht, mit Liebe, wie wir so sagen und deshalb Herzlichen Glückwunsch! Die große Jubiläumsausstellunggala findet diesmal im Westwerk in der Admiralitätsstraße statt. Gezeigt werden Arbeiten von Anke Feuchtenberger, Tara McPherson, Heiko Müller, Derek Hess, Thorsten Passfeld, Jim Avignon, Natalie Huth, Moki und Sam neben vielen anderen.
Ihr müßt alle kommen. Tragt euer schönstes Kleid.
(Feinkunst Krüger, diesmal im Westwerk, Hamburg. 2.10 bis 12.10.2008.)
Donnerstag, 25. September 2008
"Hinter jedem erfolgreichen Mann... steht eine überraschte Frau", meinte Nils Landgren in seiner charmanten Eröffnungsrede. Diese Variante des so oder so wahren Satzes kannte ich noch nicht, aber selbst wenn sie alt sein sollte, finde ich, der Mann hat Witz. Seine musikalischen Qualitäten sind ja sowieso unbestritten.
Siggi Loch, langjähriger Musikimpressario, zeigt seine Fotos seit den 60er Jahren: Hauptsächlich Jazzmusiker, hauptsächlich schöne Schwarzweißprints. Nicht immer große Kunst, häufig eher das kleine Notizbuch, blue notes, die Arbeit eines Liebhabers, des leidenschaftlichen Amateurs. Beeindruckende Begegnungen eines langen Lebens in der Musikszene. Ray Charles, Scott Walker, Ella Fitzgerald, die Star-Club-Szene... Dann spielt Nils Landgren eine schöne Version von "Bang Bang". Die schlichten Wahrheiten sind die wuchtigsten: My baby shot me down.
Eine zeitlang dann stehe ich neben einer Lederjacke, die sich einst mit einem Stück Pfefferminz in einen Prinzen verwandeln konnte. Was Liebe alles kann.
(Siggi Loch. Love of my Life. Deichtorhallen, Hamburg. 25.9. bis 9.11.2008.)
Samstag, 20. September 2008
The gleam the gleam
All that glitters
Is not all that glitters
(Patti Smith, "Glitter In Their Eyes".)
Die betrachten, die die betrachten, die die betrachten, die betrachtet wurden.
Mit den Deichtorhallen hat Hamburg eine der schönsten Möglichkeiten, moderne Kunst und Fotografie zu zeigen. Zwischen Hafen und Hauptbahnhof gelegen, selbst ein wunderschönes altes Gebäude, das ansprechend saniert wurde und einige tausend Quadratmeter Ausstellungsfläche bereithält. Mit Doyen F.C. Gundlach und seiner Sammlung hat es zudem Zugriff auf ein enormes Konvolut klassischer und moderner Fotografie - dessen Schwerpunkt, der Sammler ist Programm, wenig überraschend die Mode ist. Und schon zeigt sich ein kleines Problem: Die Deichtorhallen zeigen gerne Modefotografie, mal klassischen Vonbismus, mal ausgewählte Einzelperspektiven, dann mal wieder die Sammlung des Stifters, ein berühmter Modefotograf, dann mal wieder was Schönes mit Mode oder nun: "50 Starfotografen zeigen ihre Vision von Schönheit". Dieselben, so verkündet die Kuratorin stolz, hatten freie Hand - und so wirkt es denn auch ein wenig wie Schüleraufsatz. Profis schicken ihr liebstes Ferienerlebnis ihre liebste Fotografenlese.
Schwarzweiße Ringel? Kann ich auch!
Bekannte Frauen, unbekanntere Modelle, mal die Mama, mal die fitte Schauspielerin, die ein Star war seit den 60ern. Ein paar neue Gesichter sind dabei, ja, auch die autoaggressive Soul-Schabracke aus England, von der man sich fragt, wessen "Traumfrau" sie wohl ist. Von der Stimme abgesehen. Alles Menschen mit großem Herz, von allgemein attestierter äußerer und sicherlich auch innerer Schönheit. Auf der Vernissage mischte sich die Feuilletonjenska dieser Stadt, ein paar bekannte und sicherlich noch mehr (mir) völlig unbekannte Fotografen, ihre Miezen Musen und ein paar russisch sprechende, sehr ansehnliche Nachwuchsmodels unter die Gäste. Toll. Niemand hätte ein Foto von Kate Moss geschickt, so die Kuratorin. Diese sei wohl keine Ikone unserer Zeit mehr. Überhaupt ist viel die Rede vom "21. Jahrhundert", als hätte jemand vor acht Jahren einen Schalter mit dem Radiergummi umgelegt. Vielleicht hat man einfach die falschen Fotografen angefragt, obwohl nun wirklich illustre Namen darunter sind: Sheila Metzner, LaChapelle, Lindbergh, Bettina Rheims, Ralph Mecke auch und der von mir bewunderte Albert Watson, der unvermeidliche Bruce Weber und - immerhin - Rankin, den ich (anders als Weber z.B.) wirklich als Vertreter des 21. Jahrhunderts zählen würde. Kate Moss sei wohl zu dünn, so die Kuratorin weiter. Ja, aber Rock'n'Roll, und man hat Stephen Meisel und Terry Richardson schlicht vergessen. Und - talking about 21. Jahrhundert - was hat denn Claudia Schiffer hier zu suchen?
Kurz: Es ist ein bißchen herbeigeredet, ein bißchen gezwungen, ein bißchen beliebig auch. Aber - wir nähern uns der Adventszeit, das Jahr soll engelsgleich versöhnlich enden - immer schön, wenigstens äußerlich. Und darauf, Schnauze, Kid, kommt es ja nun auch an, wenn das Schäbige mal Feierabend haben soll.
(Traumfrauen. Deichtorhallen, Hamburg. Bis zum 9.11.2008.)
Donnerstag, 18. September 2008
Die Vernissage war ein ziemlicher Spaß, und den Rest der Schau sollte niemand verpassen. Der Herr Krüger hat da nämlich eine wirklich feine Kunstsache zusammengezaubert - Femke Hiemstra, Heiko Müller, Anthony Pontius und Fred Stonehouse präsentieren in der Gemeinschaftsausstellung Four Faces of Foofaraw ganz Wunderbares: versponnene Welten und humorvolle Trash-Reminiszenzen an Wrestler, Magier und kindliche Reisende durchs Land der Eigentümlichkeit. Schätze voller Erinnerungen und Entdeckungen wurden wie aus einer Wunderkammer zusammengetragen, als hätte man einen Nachmittag auf einem alten, verrümpelten Speicher verträumt. Ganz toll.
>>>Bilder der Ausstellung
>>>Bilder von der Vernissage
(Four Face of Foofaraw. Feinkunst Krüger, Hamburg. Noch bis zum 27. September 2008.)
Freitag, 5. September 2008
Only pleasantries
And like a fool
You thought life could be cheated
Of life's realites
(Siouxsie, "Here Comes That Day".)
Mein Studium, also damals, da muß der Sauerbruch ja noch gelebt haben, habe ich mir zum Teil durch die Arbeit in der Pathologie finanziert. Nicht im Sektionsraum, so viel wäre da auch gar nicht zu tun gewesen. Wir sind ja nicht bei CSI. Spannend war es trotzdem und beim abendlichen Gang durchs Labor, an den Tischen mit den Präparaten vorbei, die dort in trüber Flüssigkeit in alten Marmeladengläsern dümpelten, auch interessant. Ich verbinde angenehme Erinnerungen mit dieser Zeit, aus der ein Großteil meiner medizinischen Kenntnisse stammt. Getreu dem Motto: "Der Pathologe weiß alles - aber leider zu spät". So geht es mir im Privatleben schließlich bis heute.
Schön war es daher heute abend, in die alte Pathologie in Eilbek zu schauen. Ein heimelig vom Verfall angekränkeltes Backsteingebäude, das nun die Ausstellung Zwischenwelten beherbergt. Sechs Künstler präsentieren dort Fotografie, Malerei, Installationen und Videokunst. Am intensivsten vielleicht die Arbeit von Marina Lindemann, die zeigt, was bleibt, wenn jemand geht. Das Banale nämlich und der Alltagsschrott. Das, so bedeutete ich meiner Begleitung, wird dereinst auch mit dem Gerümpel aus dem hermetischen Café passieren, die pronografische Sammlung inklusive. Machen wir uns da mal nichts vor. Schon deshalb habe ich vorsichtshalber das Warten verlernt.
("Zwischenwelten". Alte Pathologie P40. Friedrichsberger Str. 40, Hamburg. Noch bis zum 7.9.2008)
>>> Informationen zur Ausstellung
Dienstag, 22. Juli 2008
Als Tourist muß man sich keine Gedanken machen. Man hat Auftrag und Ziel zugleich, man ist unbekümmert, aber nicht gleichgültig, und mögen die Herzen fehlen, die Museen sind auf der Karte eingezeichnet. Man Ray lockt mit raren Stücken in den Gropius Bau. Ein paar Klassiker, wenig bekannte Porträts, phallische Skulpturen, hinter einem Vorhang die obszönen Frühling-Sommer-Herbst-und-Winter-Bilder (ich bin ein Herbsttyp) und ein paar persönliche Devotionalien: sein Hut. Sein Spazierstock. (Ein Hut. Ein Stock. Ein Reg.en.schirm.)
Interessant sind die gelegentlichen Einblicke in die Werkprozesse, seine Karteikarten (ein strukturierter Mann, der Man), die rostigen Fundstücke aus seinem Atelier, die er für die Rayografien benutzte. Spiralen, Wirbel. Man kreist immer um das Zentrum.
Ich mag es, wie in dem großen Haus der Boden knarzt. Wie meine Füße neue Spuren zeichnen, begleitet vom monotonen Ticken der Hygrographen, gleich einem Metronom, dem Object of Destruction. Kein bißchen gleichgültig, noch lange nicht unbekümmert. Der stille Gedanke spült sich hinunter in einer wirbelnden Spirale. Pissing in a River.
(Man Ray: Unbekümmert, nicht gleichgültig. Bis 18. August 2008. Martin-Gropius-Bau, Berlin.)
Samstag, 19. Juli 2008
Man freut sich sehr, mich zu sehen, glaube ich. Nach einem Jahr bin ich nicht bei allen vergessen. Von der charmanten Miss K durch die nächtliche Stadt gelotst, bin ich dann plötzlich wieder dort, wo ich mich einst gleich heimisch gefühlt habe. Es gibt viel Hallo, viel Schönes zu entdecken, tolle Objekte darunter, zuckersüße kitschy Bilder und eine angenehme, bloß angemessen überdrehte Stimmung, getragen vom Spaß an den Dingen und der Herzlichkeit der Menschen.
Miss K. beweist mir, daß man in der Stadt tatsächlich abends ausgehen kann. Ich bin verblüfft, zwischen Lachen und Alkohol, und merke, es gibt so vieles, was man einfach nicht weiß. Manches auch, was man wohl besser nicht wüßte. Aber dazu sind ja die Pflaster da. Und der Kuchen, der in meinem Zimmer auf mich wartet.
Auf dem Rückweg durch die nächtlichen Straßen, die feucht vom Regen wie nasse Tiere ausgelegt sind, nehme ich den Geruch auf dieser Stadt, den Atem ihrer Nacht. Fremd, denke ich, mehr mit dem Bauch als mit der Nase. Diese Stadt frißt Menschen, merke ich, wovon sonst sollte sie sich ernähren?
Wann ist es Zeit? Wann ist etwas zuende? Es dauert, solange es dauert, mag es auch mancher nicht mehr hören wollen. Das Frühstück irgendwann mittags indes ist fantastisch. Es gibt sogar Obst, und natürlich den Honig. Doch mir fehlt die Gier, einfach alles zu nehmen. Dieser Morgen, er sagt mir, so vieles fühlt sich eben immer noch falsch an.
(Honeytrap. Ab 17. Juli 2008 in der Strychnin-Galerie, Berlin, Boxhagener Str.)