Zwischenwelten

You wanted life uncomplicated
Only pleasantries
And like a fool
You thought life could be cheated
Of life's realites

(Siouxsie, "Here Comes That Day".)




Mein Studium, also damals, da muß der Sauerbruch ja noch gelebt haben, habe ich mir zum Teil durch die Arbeit in der Pathologie finanziert. Nicht im Sektionsraum, so viel wäre da auch gar nicht zu tun gewesen. Wir sind ja nicht bei CSI. Spannend war es trotzdem und beim abendlichen Gang durchs Labor, an den Tischen mit den Präparaten vorbei, die dort in trüber Flüssigkeit in alten Marmeladengläsern dümpelten, auch interessant. Ich verbinde angenehme Erinnerungen mit dieser Zeit, aus der ein Großteil meiner medizinischen Kenntnisse stammt. Getreu dem Motto: "Der Pathologe weiß alles - aber leider zu spät". So geht es mir im Privatleben schließlich bis heute.



Schön war es daher heute abend, in die alte Pathologie in Eilbek zu schauen. Ein heimelig vom Verfall angekränkeltes Backsteingebäude, das nun die Ausstellung Zwischenwelten beherbergt. Sechs Künstler präsentieren dort Fotografie, Malerei, Installationen und Videokunst. Am intensivsten vielleicht die Arbeit von Marina Lindemann, die zeigt, was bleibt, wenn jemand geht. Das Banale nämlich und der Alltagsschrott. Das, so bedeutete ich meiner Begleitung, wird dereinst auch mit dem Gerümpel aus dem hermetischen Café passieren, die pronografische Sammlung inklusive. Machen wir uns da mal nichts vor. Schon deshalb habe ich vorsichtshalber das Warten verlernt.

("Zwischenwelten". Alte Pathologie P40. Friedrichsberger Str. 40, Hamburg. Noch bis zum 7.9.2008)

>>> Informationen zur Ausstellung

Flanieren | 05:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
pappnase - Freitag, 5. September 2008, 09:21
wie gern wär ich dort.

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kid37 - Freitag, 5. September 2008, 15:35
Da gibt es regelmäßig was. Ich habe gestern überlegt, wie man das kleine Gebäude zu einer Wohnung umbauen könnte. "Bietet handwerklich Versierten viel Spielraum für kreative Ideen."

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pappnase - Freitag, 5. September 2008, 21:28
ein guter job um die ecke, ich würde kind und kegel packen...

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dosron - Samstag, 6. September 2008, 02:04
"Bietet handwerklich Versierten viel Spielraum für kreative Ideen."
Und viel Arbeit?! Aber ein Gedanke ist es wert.

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kid37 - Samstag, 6. September 2008, 03:32
Maklerlyrik für "Bruchbude". Aber ich finde, hier und da etwas frische Farbe - reicht.

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frl.deville - Freitag, 5. September 2008, 11:31
Veranstaltungskalender K.I.D.
Sie sind besser, als jede OXMOX.
Danke. Ich sehe es mir an.

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curly - Freitag, 5. September 2008, 15:03
"Der Pathologe weiß alles - aber leider zu spät". So geht es mir im Privatleben schließlich bis heute.

ein ganz großartiger satz... ;-)

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kid37 - Freitag, 5. September 2008, 15:40
Ein alter Ärztewitz. Ich könnte vielleicht bei einem Astro-Sender als Rückwärtsseher anfangen.

Frl. Deville, der/die/das Oxmox hat ja auch ein Layout... da findet man ja nix ;-)

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vert - Freitag, 5. September 2008, 20:04
oh, ich bin anfang der neunziger einmal auf dunklen wegen in die pathologische sammlung der charité gekommen und durfte mich mit zwei freunden eine stunde umschauen.
wir haben lange diskutiert, ob man das alles darf.
zeigen, anschauen.
ich war für ein uneingeschränktes ja, bin mir aber bis heute nicht sicher ob ich die bilder, die ich aus pietätsgründen nicht gemacht habe, z.b. im blog herumzeigen sollte...

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kid37 - Freitag, 5. September 2008, 21:24
Ja, darf man. Man versteht ja sich und seinen Körper besser, wenn man die anatomischen Zusammenhänge und die pathologischen Veränderungen begreift. Es liegt natürlich immer ein schmaler Grat zum schieren Schauder und dem Grusel als Unterhaltung. Aber he, wer sagt, daß Pathologen nicht auch Spaß verstehen können? Ich weiß es besser. Die Sammlung der Charité ist ja teilweise öffentlich zugänglich, leider habe ich nie eine Begleitung dafür gefunden. Demnächst mal vielleicht.

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anousch o. - Samstag, 6. September 2008, 18:35
Ich bin dabei.
"Pathologien" waren schließlich mein Magisterarbeitsthema, wenn auch andere. Aber Psyche/Soma sind ja eins.

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vert - Samstag, 6. September 2008, 19:57
rein theoretisch ist das richtig, und ich würde auch wieder zum (drüber) nachdenken dorthin gehen - dann sind wir ja schon zu dritt.
(mir war so, als wäre u.a. auch ein nichtöffentlicher bereich dabei gewesen)

ein gedanke aber, der den stark körperlich behinderten menschen vielleicht auch gekommen ist behagt mir immer noch nicht:
das warten auf meinen tod, damit ich endlich in formalin eingeweckt werden kann, neben den anderen monstern?
verschiedene formen von sammlerehrgeiz dürften auch recht stark an der menschenwürde kratzen.
patientenverfügung und einwilligung zur wissenschaftlichen verwertung waren wohl nicht unbedingt tagesgeschäft - eine medizinhistorische aufbereitung gab es zum zeitpunkt meines besuchs auch nicht.

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kid37 - Montag, 8. September 2008, 03:59
Frau O, Sie wurden soeben fest gebucht.

Herr Vert, ja, nein, ja, nein. Sie sehen uns vor weiten Feldern stehen. Die Archäologie steht vor einem ähnlichen Dilemma, man denke an Ötzi und seine Kollegen. Und natürlich gibt es Sammlungen obskurer Provenienz. Der Schrumpfkopf in Harrys Hafenbasar... ist er wirklich echt? Es gibt die Klage, daß es für den Ausbildungsbereich oft zu wenig, zu wenig gute Präparate gibt. Es gibt die Klage, daß hierzulande zu wenig Leichen seziert werden. (Für die Angehörigen oft ein hochproblematisches Thema.) Dann gibt es Unis, die sich vor Anfragen gar nicht retten können, weil es immer mehr Menschen gibt, die auf diese Weise die Bestattungkosten sparen möchten. (Das wahre Monster heißt Hartz IV.)

Aufzuarbeiten gibt es aber tatsächlich genug. Ich weiß allerdings nicht, wie z.B. die Charité damit umgeht. (Und ja, es gibt einen weit größeren nicht-öffentlichen Bereich. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es der ist, den ich damals bei Durch die Nacht mit... Rocko Schamoni gesehen habe. Irgendwann um fünf Uhr morgens.)

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vert - Montag, 8. September 2008, 04:36
die mumie im dorfmuseum von montelimar - wie auch immer sie dorthin gelangt sein mag - hat damit jetzt sicher keine probleme mehr, aufgeweckt eingeweckt bleibt ein problem.

die plastination ist ein medizinischer geniestreich, die einige der präparatsprobleme lösen könnte, dann aber dargeboten von einem windigen beuys-verschnitt, der nicht dafür garantieren kann, dass die ware nicht aus chinesischen hinrichtungen kommt.

aber ansonsten ja.

(um fünf uhr in der früh war das sicherlich ein besonderes erlebnis.)

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kid37 - Dienstag, 9. September 2008, 02:57
Vielleicht passend dazu dieses Blog. Mal sehen, was dort wird.

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anudem - Samstag, 6. September 2008, 21:43
.. da ich noch nicht so lange in dieser Stadt wohne, bin ich dankbar für jeden Hinweis. Ich guck's mir morgen an.

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kid37 - Montag, 8. September 2008, 04:02
Ich habe mit Hamburg ja wieder ein wenig Frieden geschlossen. Es gibt ja doch noch einiges zu entdecken hier. Folgen Sie einfach der yellow brick road.

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creezy - Sonntag, 7. September 2008, 17:49
Schön. Ich wünsche mir, wenn ich mal austellen sollte, dass Sie mir den Galerietext schreiben. Keiner macht's schöner. Ehrlich! Zur Not stelle ich auch in einer Gruft aus, wenn's den Herrn dann besonders beflügelt.

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kid37 - Montag, 8. September 2008, 04:03
De profundis. Prima. Ich halte dann die Eröffnungsrede mit Grabesstimme!

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audrii - Dienstag, 9. September 2008, 19:30
So hermetisch pronografisch ist das Café „Zum Seziersaal“ in der Waehringer Strasse gleich neben der Anatomie keineswegs! Aber dort war ich wohl schon eine Ewigkeit nicht mehr!
À bientôt! Audrii

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kid37 - Dienstag, 9. September 2008, 22:16
Was für ein wundervoller Name. Einen Sektionskaffee in Kongo-Rot-Färbung, bitte. Orte, die ich noch suchen muß.

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